Protocol of the Session on February 27, 2013

Meine Damen und Herren! Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die 60. Sit zung des 15. Landtags von Baden-Württemberg.

Krankgemeldet sind die Kollegen Abg. Dr. Lasotta, Abg. Lu sche, Abg. Schneider und Abg. Schwehr.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt hat sich Herr Minis ter Stickelberger.

Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt Ihnen ver vielfältigt vor. – Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu.

Im Eingang befinden sich:

1. Mitteilung der Landesregierung vom 28. Januar 2013 – Bericht

der Landesregierung nach § 6 Absatz 1 des Auszeichnungsgesetzes (AuszG) – Drucksache 15/2706

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

2. Schreiben des Staatsgerichtshofs vom 5. Februar 2013, Az.: GR 7/13

Organstreitverfahren von sieben Abgeordneten des Landtags und der Fraktion der FDP/DVP gegen die Landesregierung wegen einge schränkter Beantwortung von parlamentarischen Anfragen

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Gute Arbeit, gutes Geld: Wird der ge setzliche Mindestlohn endlich Wirklichkeit? – beantragt von der Fraktion der SPD

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bit ten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Mit Blick auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung wollen wir die Aktuelle Debatte in freier Rede halten.

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Kollegen Hinderer.

Herr Präsident, werte Kollegin nen und Kollegen, meine Damen und Herren, guten Morgen! Wir möchten diesen Plenartag mit einem Werbeblock begin nen: Wir werben mit dieser Aktuellen Debatte für den Min destlohn.

(Abg. Peter Hauk CDU: Der Beifall ist überschau bar! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Es ist nur die Frage, wer den sponsert!)

Wir haben heute den 27. Februar. Morgen ist Monatsende, und damit ist wieder ein Monat vergangen, in dem in Baden-Würt temberg 20 000 Menschen in Vollzeit gearbeitet haben, sozi alversicherungspflichtig gearbeitet haben – aber zu einem Lohn, der es erforderlich macht, dass sie zusätzlich Sozial leistungen nach dem SGB II, also Arbeitslosengeld II, bezie hen. Das sind die sogenannten Hartz-IV-Aufstocker – 20 000 Menschen, die zusätzliche Sozialleistungen brauchen, weil ihr Einkommen nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu be streiten. Das ist aus unserer Sicht nicht nur ungerecht; das ist auch unwürdig.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wer in Vollzeit arbeitet, muss auch ein Gehalt bekommen, von dem er leben kann. Deshalb ist es richtig, dass übermorgen unsere Sozialministerin gemeinsam mit den Vertretern von sechs weiteren Bundesländern eine erneute Initiative zum Mindestlohn in den Bundesrat einbringt. Wir finden das klas se,

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

und wir unterstützen dieses Vorhaben ausdrücklich.

Eine Debatte zum Mindestlohn haben wir hier letztmals im November 2011 geführt, also kurz vor dem Bundesparteitag der CDU. Sie haben sich damals ganz zaghaft dem Begriff ei ner „unteren Lohngrenze“ angenähert.

(Abg. Peter Hauk CDU: Eindeutig! Nicht zaghaft, sondern eindeutig!)

Mittlerweile ist einiges passiert. Das haben Sie wahrgenom men. Der Druck in der Öffentlichkeit ist gewachsen. 86 % der Deutschen sind Befürworter eines Mindestlohns. Mit Blick auf die Bundestagswahl ist Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU und auch von der FDP/DVP, dieses Thema nicht entgangen. Sie sind beweglich; und beweglich sind Sie an ver schiedenen Stellen: Fundamentale Positionen fallen gerade wie Dominosteine. Die CDU tritt ein für das Ehegattensplit ting bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften oder für das Adoptionsrecht bei Homopaaren; wir hoffen es zumin

dest. Die FDP spricht sich für die doppelte Staatsbürgerschaft aus. Die Richtung stimmt. Ob es der Glaubwürdigkeit guttut, das bleibt abzuwarten.

Nichtsdestotrotz machen wir Werbung für den Mindestlohn. Warum? Weil sich der Niedriglohnsektor vehement ausgebrei tet hat. In den letzten 15 Jahren ist in den alten Bundesländern der Anteil der Geringverdiener um 70 % angestiegen. Das hal ten wir für keine gute Entwicklung. Bereits jeder Vierte ist Geringverdiener. 20 % der Beschäftigten verdienen weniger als 8,50 €, 4 % gar weniger als 5 € pro Stunde. Das darf nicht weiter so sein. Insbesondere Frauen sind betroffen. 70 % der im Niedriglohnbereich Tätigen sind Frauen. Deshalb profitie ren insbesondere auch Frauen – nämlich 25 % der Frauen ge genüber 15 % der Männer – von einem Mindestlohn in Höhe von 8,50 € pro Stunde.

Da haben wir mit Blick auf die Bundesratssitzung am kom menden Freitag die Hoffnung, dass sich zumindest die Minis terpräsidentinnen – nämlich Frau Kramp-Karrenbauer aus dem Saarland und Frau Lieberknecht aus Thüringen – viel leicht noch bewegen und sich unserer Bundesratsinitiative an schließen. Das wäre zu wünschen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Es ist im Übrigen auch keine Frage des Qualifikationsniveaus. Es wird immer argumentiert, es gehe hier um die Nichtquali fizierten ohne Berufsausbildung; diese brauchten Zugänge zum Arbeitsmarkt. Aber 80 % derer, die im Niedriglohnsek tor tätig sind, haben eine Berufsausbildung oder gar einen aka demischen Abschluss. Das Problem zieht sich bei den Arbeit nehmerinnen und Arbeitnehmern durch alle Qualifikations klassen.

Ein Mindestlohn ist auch kein Schaden für den Wettbewerb, für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in unserem Land. Mindestlohn und Tariftreuegesetz bieten einen Schutz vor Billiglohnanbietern. Deshalb sind z. B. auch viele Hand werksbetriebe mit der Forderung nach einem Mindestlohn an unserer Seite. Im Übrigen haben 20 von 27 EU-Staaten be reits einen Mindestlohn. Wir wollen diesen auch.

Für die SPD ist das ein hohes Anliegen. Die SPD wird in die sem Jahr 150 Jahre alt, und seit 150 Jahren streiten wir für gu te Arbeitsbedingungen und für Arbeitnehmerrechte.

(Abg. Peter Hauk CDU: Da wird es Zeit für Refor men!)

Da haben wir einiges erreicht: die gesetzliche Rente, den Achtstundentag, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das Betriebsverfassungsgesetz, Mitbestimmung.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Agenda 2010!)

Wir werden den Mindestlohn über kurz oder lang durchset zen, mit oder ohne CDU und FDP. Mit Ihnen, meine Damen und Herren, geht es schneller. Das wäre im Sinne aller Arbeit nehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb bitten wir Sie um Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die CDU-Fraktion spricht Kol lege Dr. Löffler.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Als christdemokratische Partei ken nen wir Matthäus nicht nur vom Fußball. Der gleichnamige Evangelist berichtete schon vor 2 000 Jahren von der exis tenzsichernden Lohnuntergrenze von einem Denar für das Tagwerk eines Arbeiters im Weinberg. Ein solcher Denar deckte den Tagesbedarf eines Arbeiters, einer Familie in Pa lästina. Aber leider verrät uns der Evangelist nicht, ob das für alle Berufe galt oder ob das flächendeckend im gesamten Rö mischen Reich der Antike verbindlich war.

Die CDU wird also nicht sozialdemokratischer, wenn sie die Debatte um Lohnuntergrenzen aufnimmt, sondern die SPD wird christlicher. Das ist doch schon einmal eine gute Basis, um über Löhne in unserer Volkswirtschaft zu diskutieren.

(Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Eine gerechte Entlohnung von Arbeit ist keine neue Forde rung, sondern eine ureigene christdemokratische Politik, die vor 60 Jahren SPD und CDU/CSU gemeinsam gestaltet ha ben. Damals gab es noch kein Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Die SPD legte 1951 im Deutschen Bundestag den Entwurf ei nes Gesetzes über Mindestarbeitsbedingungen vor, der zusam men mit der CDU/CSU als Mindestarbeitsbedingungengesetz verabschiedet wurde und bis heute gilt.

Nach diesem Gesetz können Mindestarbeitsentgelte in Wirt schaftszweigen festgelegt werden, wenn weniger als 50 % der Arbeitnehmer an Tarifverträge gebunden sind und deshalb ei ne Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrags nicht möglich ist.

Von der Möglichkeit dieses Gesetzes, Frau Ministerin, haben Sie nie Gebrauch gemacht. Warum haben Sie das eigentlich in den letzten zwei Jahren in Ihrer Regierungsverantwortung nicht getan?

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Jetzt, im Vorfeld des Bundestagswahlkampfs und nachdem Ihr Spitzenkandidat wegen üppiger Vortragshonorare an Glaub würdigkeit eingebüßt hat

(Oh-Rufe von den Grünen und der SPD – Zuruf von der SPD: Kein Neid! – Abg. Helen Heberer SPD: Bringen Sie einmal etwas Neues!)