Protocol of the Session on February 27, 2013

Nun fordern Sie einen einheitlichen flächendeckenden Min destlohn, meine Damen und Herren. Ich frage mich an dieser Stelle schon, warum Sie diesen einheitlichen flächendecken den Mindestlohn nicht eingeführt haben, als Sie es konnten. Sozialdemokraten und Grüne haben Deutschland sieben Jah re lang regiert.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Das ist aber auch schon ein paar Jahre her!)

Insofern sind diese Krokodilstränen schon etwas überraschend. Es drängt sich schon der Verdacht auf, dass das Ganze etwas mit den Umfragewerten zu tun hat, die in dieser Debatte schon genannt worden sind.

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir halten nichts von einem ein heitlichen flächendeckenden Mindestlohn, weil die Branchen und Regionen in Deutschland einfach zu unterschiedlich sind, als dass das Sinn machen könnte.

Wenn Sie, Herr Kollege Hinderer, von Glaubwürdigkeit spre chen, dann kann ich nur noch einmal die Frage formulieren: Warum haben Sie diesen Mindestlohn nicht eingeführt, als Sie es konnten? Ich kann Ihnen sagen, warum: Das hat mit der Agenda 2010 und Gerhard Schröder zu tun. Im Übrigen – Sie haben die Geschichte erwähnt –: Die Agenda 2010 ist mit Si cherheit das Beste, was Rote und Grüne je zustande gebracht haben.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Gerhard Schröder wusste eben, dass ein solcher einheitlicher Mindestlohn, wenn er zu niedrig ist, nichts bringt und, wenn er zu hoch ist, Arbeitsplätze vernichtet. Deshalb haben Sie, auch als Sie es konnten, keinen solchen einheitlichen flächen deckenden Mindestlohn eingeführt, weder zusammen mit den

Grünen zwischen 1998 und 2005 noch in der Großen Koali tion zwischen 2005 und 2009. Elf Jahre sozialdemokratische Regierung – Mindestlohn Nullnummer, meine Damen und Herren.

(Zuruf von der SPD)

Es ist doch reiner Populismus, wenn Sie heute aus der Oppo sition im Bund aufgrund von Umfragewerten Krokodilsträ nen weinen und erklären, das müsse jetzt unbedingt passie ren.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Die Agenda 2010 ist ein Erfolg, aber Sie behandeln sie mitt lerweile wie ein ungeliebtes uneheliches Kind, weil Sie den Eindruck haben, mit populistischen Sprüchen sei die Wahl wohl eher zu gewinnen.

Professor Franz, der Chef der Wirtschaftsweisen, hat vor et wa 14 Tagen das Richtige dazu gesagt. Er hat gesagt, die Po litik könne natürlich einen solchen einheitlichen flächende ckenden Mindestlohn einführen, aber sie brauche sich dann nicht darüber zu beschweren, dass Hunderttausende von Ar beitsplätzen bei den Geringqualifizierten verloren gehen. So ist die Realität. Deshalb ist ein solcher einheitlicher flächen deckender Mindestlohn auch unsinnig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wir sind gern bereit, über einzelne Branchen zu reden. Es gibt das entsprechende Instrumentarium. Auch die schwarz-gelbe Bundesregierung hat Mindestlöhne beschlossen, übrigens lo gischerweise in Branchen, in denen Sie sie nicht beschlossen haben. Wir haben da also nicht mehr Handlungsbedarf als Sie.

Es war auch richtig, was an diesen Stellen beschlossen wor den ist. Wir sind auch gern bereit, uns weitere Branchen an zusehen und dann je nach Handlungsbedarf und nach Notwen digkeit zu entscheiden. Wir werden mit Sicherheit nicht aus ideologischen Gründen dort, wo sie notwendig sind, weitere Mindestlöhne blockieren. Aber die bessere Lösung ist, wenn es die Tarifpartner regeln und sich der Lohn am Markt findet.

Wenn Sie Beispiele aus anderen Ländern anführen – gern wird ja auch Dänemark genannt –, dann müssen Sie dazusagen, dass in diesen anderen Ländern möglicherweise auch andere arbeitsmarktpolitische Instrumentarien vorhanden sind.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: So ist es!)

Beispielsweise gibt es in Dänemark bei Weitem nicht diesen rigiden Kündigungsschutz. Sie haben ja gesagt, Sie wollten keine Hire-and-fire-Gesellschaft. Dann müssen Sie aber da zusagen, wie jeweils die Verhältnisse in diesen Ländern sind, in denen Sie Mindestlöhne feststellen und die Sie als Vorbild für die Bundesrepublik Deutschland preisen. Aber man kann nicht einfach eine isolierte Maßnahme herausgreifen und sa gen: „In Dänemark ist es klasse; da gibt es einen hohen Min destlohn. Das wollen wir gern kopieren. Aber alles andere, beispielsweise den deutlich gelockerten Kündigungsschutz, lassen wir weg.“ So, meine Damen und Herren, kann man mit Sicherheit nicht Arbeitsmarktpolitik betreiben.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So etwas ist unseriös!)

Im Übrigen stellt sich dann natürlich auch die Frage, wie hoch dieser Mindestlohn sein darf. Sozialdemokraten und Grüne bieten 8,50 €, die Linken bieten 10 € pro Stunde. Die Linken können Sie in diesem Überbietungswettbewerb sowieso nicht schlagen.

(Zuruf des Abg. Manfred Lucha GRÜNE)

Da stellt sich dann einfach die Frage: Wie viel darf es denn sein? Es ist schon richtig, dass man für gute Arbeit einen gu ten Lohn erhalten soll, von dem man leben kann. Aber wenn wir die Debatte in Baden-Württemberg führen, stellen wir fest, dass bei dem hohen Qualifikationsniveau und dem hohen Lohnniveau in Baden-Württemberg in aller Regel der Min destlohn gar kein Thema ist.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Dort, wo dies bei uns ein Thema ist und wo wir darüber re den, dass man von guter Arbeit gut leben können soll, stellen wir fest, dass z. B. ein verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern bei einem Stundenlohn von 8,50 € seine Familie nicht ernähren kann. Da braucht man ein Lohnniveau zwischen 12 und 14 €. Das schlagen nicht einmal die Linken als Niveau ei nes Mindestlohns vor.

Deshalb werden Sie mit dieser Debatte und vielleicht auch mit gesetzlichen Regelungen, selbst wenn sich die Linken mit ih rer Forderung nach einem Mindestlohn von 10 € pro Stunde durchsetzen, eines nicht erreichen, nämlich das Ziel, dass Sie gänzlich ohne staatliche Transferleistungen auskommen. Das wird auch in Zukunft nicht funktionieren.

Deshalb ist der richtige Weg, zunächst einmal dafür zu sor gen, dass Menschen in Arbeit kommen, dann dafür zu sorgen, dass sich die Tarifpartner möglichst auf eine faire, angemes sene Lohnhöhe verständigen, und dann sozialpolitisch hinzu schauen, wo dies nicht reicht, und dort mit staatlichen Trans ferleistungen zusätzlich zu helfen. Das ist der richtige Weg. Ihre Patentrezepte, die Sie am heutigen Tag hier vorstellen, sind untauglich.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Das war eine Rede mit Niveau!)

Für die Regierung spricht Frau Sozi alministerin Altpeter.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es steht außer Frage: Die Arbeitsmarktdaten in Ba den-Württemberg sehen gut aus. Trotz momentaner konjunk tureller Eintrübungen bin ich auch hinsichtlich der weiteren Entwicklung in diesem Jahr zuversichtlich.

Allerdings gibt es bei aller Zuversicht – so viel Wahrheit muss sein – auch eine Schattenseite: Wir haben es auch bei uns im Land mit einer wachsenden Zahl prekärer Beschäftigungsver

hältnisse und ihrer Folgen für die Betroffenen zu tun. Viele der neu geschaffenen Arbeitsplätze sind Teilzeitarbeitsplätze, Minijobs oder geprägt von befristeter Beschäftigung.

Besonders betroffen hiervon sind Frauen. Wir haben in Ba den-Württemberg eine hohe Frauenerwerbsquote. Allerdings gehen auch überdurchschnittlich viele Frauen einer Teilzeit tätigkeit oder einem Minijob nach.

Deshalb sind wir der Auffassung, dass die Zeit für einen flä chendeckenden gesetzlichen Mindestlohn reif ist. Denn jeder, der in Deutschland einer Arbeit nachgeht, muss von dieser Ar beit auch leben können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Sie, Herr Löffler, haben vorhin das Matthäusevangelium zi tiert und davon gesprochen, man brauche eine gerechte Ent lohnung von Arbeit. Die unterste Stufe einer gerechten Ent lohnung bedeutet einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde, und zwar für alle und gesetzlich geregelt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Gerade nicht aufgepasst, oder was?)

Wenn wir allen Beschäftigten ernsthaft gute Arbeitsbedingun gen ermöglichen wollen, gehört dazu zuallererst ein existenz sicherndes Einkommen. Der allgemeine gesetzliche Mindest lohn als Baustein für gute Arbeit ist in Deutschland längst überfällig. Denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, wer arbeitet, muss von seinem Lohn auch leben können.

Deshalb hat die Landesregierung von Baden-Württemberg schon jetzt einen Mindestlohn bei öffentlichen Aufträgen ein geführt. Mit dem Landestariftreue- und Mindestlohngesetz garantieren wir bei öffentlichen Aufträgen einen Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Sie, Herr Rülke, haben vorhin angesprochen, es müssten sich nur die Tarifparteien einigen, dann sei die Welt sozusagen in Ordnung und die Existenz gesichert. Bis heute tritt auch bei Firmen in Baden-Württemberg immer wieder die Situation auf, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Grunde einig sind und trotzdem der Anbieter von außen mit seinen Dum pinglöhnen zum Zuge kommt. Genau das wollen wir vermei den. Denn öffentliche Aufträge darf nur erhalten, wer keine Dumpinglöhne zahlt und sich an den Mindestlohn hält.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Dies ist beileibe kein Eingriff in die Tarifautonomie, im Ge genteil. Es verhindert, dass der Anbieter, der Dumpinglöhne bezahlt, den anständigen Kaufmann – auf diesen haben Sie sich in den Debatten hier mehr als einmal berufen – aussticht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Niedersachsen wurde die CDU-geführte Landesregierung abgewählt. Das dürfte Ihnen bekannt sein. Der Weg ist nun frei, um im Bun desrat wichtige Reformen auf den Weg zu bringen. Ganz vorn auf der Agenda steht dabei der Mindestlohn. Wir werden des halb am Freitag gemeinsam mit Rheinland-Pfalz eine Geset zesinitiative auf Einführung eines flächendeckenden Mindest

lohns in den Bundesrat einbringen, die am 22. März im Bun desrat verabschiedet wird und dann ihren Weg in den Bundes tag nimmt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Peter Hauk CDU: Ja, und?)

Ich muss schon sagen: Wenn man sich dann heute hier hin stellt und davon spricht, man wolle Lohnuntergrenzen einfüh ren, wenn man davon spricht, was die rot-grüne Bundesregie rung getan oder nicht getan hat,

(Abg. Peter Hauk CDU: Vor allem, was sie nicht ge tan hat! – Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

dann muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass die derzeiti ge Bundesregierung dieses Thema lange Zeit überhaupt nicht angegangen ist, dass sie auch jetzt noch zaghaft bleibt, dass sie uns weismachen will, Lohnuntergrenzen seien Augenwi scherei, und herumeiert. Die FDP hat bislang gemauert, und jetzt will sie aus wahlkampftaktischen Gründen versuchen, auf den Zug aufzuspringen.

(Abg. Peter Hauk CDU: Peer Steinbrück lässt grü ßen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, irgendwie kommt mir das Ganze vor wie das Märchen vom Hasen und vom Igel. Wir wollen einen gesetzlichen Mindestlohn. Sie rennen ir gendwann doch einmal los, weil Sie gemerkt haben, dass im September die Bundestagswahl stattfindet und dass die Mehr heit der Bevölkerung einen Mindestlohn will. Aber immer, wenn Sie ankommen, völlig außer Atem, sitzt der Igel schon da und sagt: Das Thema Mindestlohn bringen wir in den Bun destag ein.