Protocol of the Session on February 27, 2013

Dass es in einer Schule für junge Menschen auch Situationen gibt, in denen alle anderen Mittel nicht mehr fruchten, und dann als Ultima Ratio vielleicht sogar ein Wiederholen sinn voll ist, das schließe ich doch nicht aus.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Aha!)

Das habe ich nie ausgeschlossen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Glocke des Prä sidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwi schenfrage des Kollegen Röhm?

Herr Röhm.

Herr Minister Stoch, ich kann Ihnen in weiten Teilen recht geben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Jetzt!)

Sind Sie mit mir der Meinung, dass im Augenblick – wenn ich an die Bandbreite der Begabungen denke, stelle ich das fest; viele nennen es Heterogenität – in der Jahrgangsstufe 5

der Realschule die Heterogenität am größten ist? Ich kenne Äußerungen von Ihnen, in denen Sie das ausdrücklich zubil ligen. Welche Maßnahmen haben Sie geplant, um den Real schulen hier und heute eine Botschaft zukommen zu lassen, dass sie solche Ressourcen bekommen, dass sie den Kindern helfen können?

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Röhm, es ist exakt so, wie Sie sagen. Es bringt nichts, an den Zahlen, die das Statistische Landesamt ermit telt, irgendetwas zu kritisieren. Die Rückmeldungen der Lei ter der Realschulen sind genauso. Die Heterogenität, die schon in der Vergangenheit bestand, hat noch zugenommen. Wir ha ben Kinder mit sehr unterschiedlichen Leistungsprofilen an den Schulen. Deswegen – gestatten Sie mir, dass ich das nach knapp einem Monat im Amt sage – sind wir am Beginn des Weges.

Aber für mich besteht dringender Handlungsbedarf, dass wir an allen Schularten eine stärkere individuell ansetzende För derung von Kindern und Jugendlichen ausbauen. Ich möchte niemanden zwingen – auch das haben Sie von mir als Zitat gehört –, eine bestimmte Entwicklung durchzumachen. Ich möchte Angebote machen, damit wir auf die veränderte Land schaft, was die Schülerschaft angeht, adäquat reagieren kön nen.

Das betrifft im Übrigen nicht nur die Realschule, es betrifft auch das Gymnasium und auch die Hauptschule; dort ist die Situation die gleiche. Deswegen spreche ich immer von allen Schularten. Wir wollen an allen Schularten das Thema „Indi viduelle Förderung“ stärker forcieren. Das ist mein Ziel.

(Abg. Georg Wacker CDU: Aber nicht wieder nur bei der Gemeinschaftsschule!)

Daran können Sie mich dann auch messen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zurück zum Thema „Nicht versetzen“. Ich glaube, es ist unstreitig, dass wir das Sitzenbleiben nicht als, sage ich einmal, pädagogische Premi ummaßnahme betrachten. Wenn man jetzt einmal all die Äu ßerungen beiseitelässt, mit denen versucht wird, den neuen Kultusminister als bildungspolitischen Hardliner – Ihr Zitat –, als Ideologen oder Ähnliches darzustellen – das ist nicht förderlich für den Fortgang dieser Debatte –, sage ich – dar an können Sie mich ebenfalls messen –: Wir alle müssen ge meinsam darüber nachdenken, wie wir das Sitzenbleiben tat sächlich so weit es geht überflüssig machen können.

Da haben wir viele Zitate, und wir wissen, dass gerade in den Ländern, die im OECD-Vergleich bei PISA gute Bildungser folge haben, sehr stark auf individuelle Förderung gesetzt wurde. Wenn hier, in dieser Debatte, jetzt der Eindruck er weckt wurde, dass quasi am Anfang das Abschaffen des Sit zenbleibens stünde – wie gesagt, das stammt nicht von mir – und man sich erst danach Gedanken machte, wie man dahin kommen könnte, dann ist damit das Pferd von hinten aufge zäumt.

Wir müssen jetzt die entsprechenden Änderungen in unserer Schullandschaft durchführen. Wir müssen jetzt Verbesserun

gen für die Kinder und Jugendlichen, auch aus Sicht der El tern, in das Schulsystem implementieren. Wenn wir das schaf fen, dann werden wir es hoffentlich einmal erreichen, dass das Sitzenbleiben der Vergangenheit angehört; denn sehr häufig ist das Sitzenbleiben eben nicht eine leistungsfördernde Maß nahme, sondern sehr häufig ist das Sitzenbleiben aus persön licher Sicht eine Niederlage, ein demotivierendes Ereignis. Die Zahlen lügen uns auch nicht an, wenn wir sagen, dass die Schülerinnen und Schüler, die eine Klasse wiederholen, häu fig mittel- und langfristig nicht besser werden, sondern immer am unteren Ende der Leistungsskala sein werden. Daher macht es viel mehr Sinn, bereits beim Auftreten von Leistungsdefi ziten auf diese konkreten Leistungsdefizite gezielt einzuge hen. Das ist unser Ziel. Ich glaube, das sollte uns alle in die sem Haus verbinden.

Um vielleicht noch einmal kurz den Unterschied zwischen „überflüssig machen“ und „abschaffen“ zu zeigen: Lieber Herr Dr. Kern, als guter Demokrat würde ich nie auf die Idee kom men, die FDP/DVP abzuschaffen. Aber wenn Sie so weiter machen, werden Sie bis 2016 überflüssig sein.

Herzlichen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Kollege Dr. Kern.

Herr Minister Stoch, dass ein Oppositionspolitiker die Regierung kritisiert, ist für mich persönlich das Normalste von der Welt.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Dass ein Minister in seiner Replik unsachlich persönlich wird, ist etwas Neues in diesem Haus.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Wolf gang Drexler SPD: Wo denn? – Unruhe bei der SPD)

Herr Minister, ich lese im Übrigen nicht nur den „Mannhei mer Morgen“, sondern ich lese auch die Pressemitteilungen des Kultusministeriums. Da war kein einziges Dementi zu dem zu lesen, was all die bösen Zeitungen in den vergange nen Wochen geschrieben haben. Wo war denn Ihr Dementi, dass Sie das Sitzenbleiben nicht abschaffen wollen? Insofern sage ich: Ich hätte dazu sehr gern etwas gelesen, aber da war eben nichts. Alle Medien haben den Minister missverstanden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Man kann doch nicht alles dementieren! Das ist doch Unsinn! Mein Gott! – Zuruf der Abg. Muhterem Aras GRÜNE – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich bleibe dabei: Wer das Sitzenbleiben abschaffen möchte

(Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

oder überflüssig machen möchte,

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Aha!)

der muss mehr Ressourcen ins System geben. Das tun Sie je doch nicht. Sie machen das Gegenteil, und solange Sie das

Gegenteil dessen machen, was richtig wäre, so lange bleiben Sie scheinheilig. Das werde ich auch in Zukunft so sagen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Dann wurden einige Studien angesprochen. Haben Sie die Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschafts forschung aus dem Jahr 2004 gelesen, in der festgestellt wur de, dass bei 2 500 Schülerkarrieren 50 % derjenigen, die sit zenbleiben, vom Sitzenbleiben profitieren?

(Zuruf der Abg. Muhterem Aras GRÜNE)

Deshalb sollten diejenigen, die sich tatsächlich mit so etwas beschäftigen, dies lesen.

Ein letzter Punkt, der bei dieser Debatte noch entscheidend ist: Weder der Minister noch die Bildungspolitiker der Koali tion haben auch nur ein einziges Wort zu Professor Bohl ver loren. Darüber sind Sie alle hinweggegangen. Herr Professor Bohl hat es eindeutig in seinem Fazit geschrieben: Sie wollen die Bedingungen, die Pädagogik der Gemeinschaftsschule an allen Schulen. Dabei stören Realschulen und Gymnasien. Des halb ist es kein übertriebener Vorwurf, dass Sie die Schule für alle haben wollen.

(Glocke des Präsidenten)

Falls Sie die FDP/DVP zum Thema Sitzenbleiben – –

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Dr. Kern, ich darf Sie bit ten, zum Schluss zu kommen.

Ja, letzter Satz. – Herr Mi nister, wenn Sie die Politik Ihrer Vorgängerin so weiterfahren wie bisher, dann bleiben Sie nach der nächsten Landtagswahl nicht auf Ihrem Ministerplatz sitzen, sondern dann werden Sie dorthin versetzt, wohin Sie im Interesse der Kinder BadenWürttembergs gehören, nämlich auf die Oppositionsbänke.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Oh-Rufe von der SPD)

Für die CDU-Fraktion spricht die Kollegin Dr. Stolz.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will mit dem Bereich beginnen, bei dem wir große Übereinstimmung haben. In der Tat, Frau Boser, hat auch die Vorgängerregierung dieses Thema immer wieder be arbeitet. Niemand hat Interesse daran, dass es an einer Schu le hohe Wiederholerquoten gibt. Die Lehrkräfte müssen wei tergebildet werden, damit sie die diagnostischen Fähigkeiten haben, die Kinder zu begleiten. Nichtversetzungen fallen nicht vom Himmel. Vorher wird noch viel unternommen, um dies zu verhindern. Da gibt es eine Probeversetzung. In der Tat ist es der Vorgängerregierung durch viele Maßnahmen gelungen, die Quote der Wiederholer zu senken.