Protocol of the Session on January 23, 2013

Sie können nicht immer ein Feindbild aufbauen und versu chen, die Leute in irgendeine Ecke zu drängen. Das versuchen Sie, um sie von der mageren Leistungsbilanz des Integrations ministeriums abzulenken. Selbstverständlich.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Da können Sie auch persönliche Angriffe fahren. Das ist über haupt kein Thema. Das prallt an mir ab, weil ich weiß, dass ich ein toleranter Mensch bin. Aber ich habe auch klare Prin zipien.

Deswegen sage ich: Lassen Sie uns eine vernünftige Diskus sion über das Thema Mehrstaatigkeit führen. Lassen Sie uns nicht einfach nur mit Schlagworten kommen und sagen: Das fordern wir jetzt einmal generell, weil es en vogue ist.

(Beifall bei der CDU)

Nein, das ist ein historischer und politischer Prozess, der letz ten Endes zur Vergabe von Staatsangehörigkeiten führt. Da zu möchte ich gern in der zweiten Runde noch mehr sagen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Herrn Abg. Lede Abal das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol legen! Herr Lasotta, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die Un terschriftenkampagne aus dem Jahr 1999 angesprochen ha ben. Ich kann mich noch gut erinnern, als seinerzeit der frü here Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Oettinger, zum Auftakt der Unterschriftensammlung in Ba den-Württemberg in Tübingen war. Damals kamen Menschen an den Stand, die ganz erhebliche Vorbehalte gegen ausländi sche Mitbürgerinnen und Mitbürger hatten und fragten: „Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?“ Als Herr Oet tinger mit dieser Frage konfrontiert wurde, hat er sich schnell stillschweigend vom Acker gemacht. Das war die Debatte, die damals gelaufen ist, und die haben wir noch sehr gut in Erin nerung.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir haben im Koalitionsvertrag die Zwischenüberschrift „Ein bürgerung erleichtern“, und dieses Ziel haben sich Grüne und SPD gesetzt. Das setzen wir auch Schritt für Schritt um. Wir tun das hier auf Landesebene im Rahmen des Möglichen, bei spielsweise durch eine Einbürgerungskampagne, aber wir ge hen auch den gesamtstaatlichen Weg auf der Ebene des Bun desrats.

Deutschland hat sich in vielen Jahren der Zuwanderung ver ändert. Auch Baden-Württemberg hat sich verändert. Deshalb war es in der Vergangenheit notwendig, das Staatsangehörig keitsrecht zu verändern und anzupassen. Es ist jetzt an der Zeit, weitere Verbesserungen anzugehen und das endlich in Angriff zu nehmen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

In Deutschland leben rund 7,5 Millionen Ausländerinnen und Ausländer, davon ungefähr 1,3 Millionen in Baden-Württem berg. Viele von ihnen leben seit vielen Jahren in Baden-Würt temberg, viele länger als acht Jahre, sodass sie damit eine we sentliche Voraussetzung für eine Einbürgerung erfüllen.

(Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Trotzdem lässt sich folgende Beobachtung machen: Obwohl in Baden-Württemberg, wie Sie auch selbst immer wieder be tonen und wie wir es auch gern zugestehen, ein gutes Integ rationsklima herrscht und im Vergleich zu anderen Bundes ländern viele ausländische Menschen – viele seit vielen Jah ren – hier leben, liegen unsere Einbürgerungszahlen und Ein bürgerungsquoten unter denen anderer Bundesländer. Uns würde schon interessieren, warum dies der Fall ist.

Wir halten es daher für unbedingt notwendig, die Hürden ab zubauen, die eine Einbürgerung erschweren, und den Men schen endlich eine Einbürgerung zu erleichtern. Zu den ver einfachten Voraussetzungen, die wir an dieser Stelle fordern, gehört z. B. eine Verkürzung der erforderlichen Aufenthalts dauer. Derzeit liegt die erforderliche Aufenthaltsdauer bei acht Jahren, und wir fordern von der Bundesregierung, dass sie hier endlich den Weg geht, den auch andere Parteien fordern und den auch die FDP-Bundestagsfraktion fordert, nämlich eine Reduzierung auf fünf Jahre anzugehen.

Wir fordern beispielsweise auch eine Überarbeitung der Ge bühren. Die Gebühren für eine Einbürgerung sind außeror dentlich hoch und können sich für Familien sehr schnell in ei nem vierstelligen Bereich bewegen, weil es nicht nur um die Gebühren geht, die hier in Deutschland erhoben werden, son dern auch viele abgebende Staaten Gebühren erheben, wenn sie aus der Staatsbürgerschaft entlassen.

(Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Ja, aber es ist einfach die Frage, wie wir hier in Deutschland Gebühren reduzieren können und den Menschen entgegen kommen können.

(Zuruf des Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU)

Wir haben von der Landesregierung verlangt – das hat die Landesregierung auch gemacht –, dass sie die Verwaltungs abläufe überprüft und angeht sowie den Zustimmungsvorbe halt bei den RPs abschafft, der in der Vergangenheit im Übri gen auch zu Untätigkeitsklagen betroffener Personen geführt hat. Wir haben erreicht, dass Schulzeiten und andere Ausbil dungszeiten endlich angerechnet werden, und wir haben, wie bereits erwähnt, den Gesprächsleitfaden abgeschafft.

Ich komme an dieser Stelle noch einmal zur Frage der Mehr staatigkeit. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, warum Sie am bisherigen Prinzip festhalten; denn es ist keine Ausnahme

mehr. Sie behaupten immer, es sei eine Ausnahme. Wir müs sen nur einmal die Einbürgerungszahlen der letzten Jahre für Baden-Württemberg anschauen, dann stellen wir fest: Es ist keine Ausnahme. Die Hinnahme der Mehrstaatigkeit erfolgte im Jahr 2002 in 31 % der Fälle und im Jahr 2003 in 24 % der Fälle. Das Ganze gipfelte darin, dass im Jahr 2009 in 49,9 % aller Fälle bei der Einbürgerung eine Hinnahme von Mehr staatigkeit erfolgte. Da frage ich: Sind diese 49,9 % Ausnah mefälle, bei denen die Mehrstaatigkeit hingenommen werden muss? Das, was Sie hier machen, ist Beliebigkeit, wenn Sie in der Hälfte der Fälle bereits Mehrstaatigkeit gewähren und sie den anderen vorenthalten. Daran müssen wir endlich ar beiten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: „Beliebigkeit“ hat er gesagt!)

Ich möchte auch noch etwas zu diesem Loyalitätskonflikt sa gen, der perfiderweise allen Menschen mit Integrationshinter grund unterstellt wird, indem gesagt wird, sie könnten sich nicht entscheiden, wo sie leben wollen. Dieser Vorwurf wird auch von Ihrer Partei erhoben. Ich beziehe das jetzt nicht auf Sie persönlich, Herr Lasotta, aber er wird erhoben. Hier in die sem Landtag gibt es Abgeordnete, die zwei Staatsangehörig keiten haben. Hat irgendjemand einmal ein Loyalitätsbekennt nis von denen gefordert? Ich meine damit im Übrigen nicht mich. Ich hätte zwar einen Anspruch darauf, aber ich habe ihn nicht geltend gemacht. Ich frage Sie: Worin bestehen diese Loyalitätskonflikte?

Wir hätten gern, dass endlich einmal eine Abkehr von diesem alten, überkommenen Denken erfolgt, damit wir auf die Le benssituation der Menschen eingehen und dem Umstand Rechnung tragen können, dass diese Menschen auch andere Bindungen haben, familiäre und emotionale Bindungen an ih re Herkunftsländer. Wir schaden niemandem, wenn wir das akzeptieren und den Menschen die doppelte Staatsangehörig keit ermöglichen.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile Herrn Abg. Glück das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer ein Haus bauen will, braucht mehr als nur ein Werkzeug; er braucht eine große Werkzeugkiste, und er braucht vor allem eines: Zeit. Gleiches gilt bei der Integration. Die Aussicht auf eine frühe Einbürge rung kann allenfalls e i n Instrument einer breiten Werk zeugpalette sein.

Was braucht man sonst noch, um Integration betreiben zu kön nen? Zunächst einmal gibt es eine grundlegende Forderung, über die hoffentlich Konsens besteht: Die Debatte über Inte gration sollte nicht vom Rand her, sondern in der politischen Mitte geführt werden. So wie wir in vielen anderen Bereichen Konsens haben, haben wir auch in diesem Punkt Konsens. Wo wir keinen Konsens haben – darauf kommen wir nachher noch zu sprechen –, ist die doppelte Staatsbürgerschaft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein anderes wichti ges Werkzeug sind die Orientierungs- und Sprachkurse für Migranten. Da ist schon bemerkenswert, dass im Vergleich

zum Jahr 2009, also im Vergleich zur Großen Koalition, die Mittel für Orientierungs- und Sprachkurse drastisch erhöht wurden. Offensichtlich macht es doch einen Unterschied, ob die FDP mit an der Regierung ist oder nicht. Um immerhin 44 Millionen € auf 218 Millionen € wurde bundesweit aufge stockt. Das ist die FDP-Handschrift, meine sehr geehrten Da men und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ein weiterer ganz, ganz wichtiger Punkt ist die Integration durch Arbeit. Nirgendwo kann Integration besser geschehen als am Arbeitsplatz, im Verein und in der Schule. Migranten müssen auch im öffentlichen Dienst vertreten sein; natürlich ist auch darauf ein Augenmerk zu legen. Migrantenkinder müssen Kitas besuchen. Da ist Baden-Württemberg nach wie vor vorbildlich, weil bei uns mehr Kinder von Migranten in die Kitas gehen als irgendwo anders in der Bundesrepublik Deutschland. Auch den Fachkräftemangel durch transparen te Zuwanderungskriterien zu beheben und hierbei eine klare Linie zu fahren ist eine Möglichkeit. In Baden-Württemberg haben wir einen ausgeprägten Fachkräftemangel. Die Integ rationsministerin ist gefragt, hier anzusetzen, möglicherwei se sogar in Kooperation mit dem Wirtschaftsministerium.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Ein biss chen mehr muss man da schon sehen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen aber nicht nur an Migranten arbeiten, sondern die Integrationsmi nisterin muss eine Ministerin aller Menschen sein, die in Ba den-Württemberg leben.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig!)

Sie muss sich für eine höhere Bereitschaft für Integration ein setzen.

Die Aussicht auf eine beschleunigte Einbürgerung kann allen falls e i n Instrument sein, um Menschen zu motivieren. Sie haben es vorhin bereits gesagt: Wir setzen uns auch auf Bundesebene dafür ein, dass bei ausgezeichneten Integrati onsleistungen eine Einbürgerung bereits nach vier Jahren möglich ist. Aber von vornherein, einfach so, frühzeitig einen deutschen Pass auszugeben und dann zu sagen: „Jetzt ist ja al les wunderbar!“, das ist einfach nicht richtig. Es ist doch ein Schuss nach hinten, wenn möglichst schnell ein deutscher Pass ausgegeben wird, gleichzeitig jedoch wenig Integrations arbeit geleistet wird und die Migranten sich selbst überlassen bleiben.

Zum Thema „Doppelte Staatsbürgerschaft“: Eine neue Staats bürgerschaft weist doch irgendwie auch die Richtung, in die sich ein Mensch orientieren möchte. Man kann sich aber nicht gleichzeitig in mehrere Richtungen bewegen; zumindest geht das nicht auf Dauer. Deswegen ein ganz klares Nein zu einer generellen Ermöglichung der doppelten Staatsbürgerschaft.

Herr Lede Abal, um zu dem, was Sie vorhin gesagt haben, noch etwas klarzustellen: Wir wollen und wir brauchen – spe ziell bei uns in Baden-Württemberg – Zuwanderung. Das ist für mich keine Frage. Aber jetzt so vorzugehen, wie Sie es vorhin getan haben, und zu behaupten, dass dies aufgrund der Haltung der Bundesregierung nicht klappt, ist unangemessen. Diese Aussage stimmt nicht. Auch Sie sagen in Ihrem nächs

ten Satz doch selbst: „Wir haben 2011 einen deutlichen An stieg der Migrantenzahlen gehabt.“ Das passt doch soweit.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Das habe ich gar nicht gesagt!)

Dann war es Frau Grünstein.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das liegt an uns und nicht an der Bundesregierung!)

Frau Grünstein, zu Ihnen möchte ich auch noch etwas sagen. Sie haben vorhin gesagt, Migranten ließen sich besser integ rieren, wenn sie einen deutschen Pass hätten. Damit zäumen Sie aber das Pferd von hinten auf. Es muss doch zuerst inte griert werden, bevor eingebürgert wird.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Rich tig! Sehr richtig! Man muss zuerst das Autofahren lernen, und dann kann man den Führerschein ma chen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Übrigen muss ich mich wundern, dass die SPD diese Debatte beantragt hat. Es gibt so viele Aufgaben im Integrationsministerium, die zu lö sen wären. So ist u. a. seit Langem die Novellierung des Flüchtlingsgesetzes angekündigt. Ein entsprechender Gesetz entwurf ist jetzt noch nicht einmal in der Anhörung. Die Haus haltsmittel hierfür stehen bereit. Das Ministerium hinkt hin terher.