Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Übrigen muss ich mich wundern, dass die SPD diese Debatte beantragt hat. Es gibt so viele Aufgaben im Integrationsministerium, die zu lö sen wären. So ist u. a. seit Langem die Novellierung des Flüchtlingsgesetzes angekündigt. Ein entsprechender Gesetz entwurf ist jetzt noch nicht einmal in der Anhörung. Die Haus haltsmittel hierfür stehen bereit. Das Ministerium hinkt hin terher.
(Abg. Andreas Deuschle CDU: Ein großes Ministe rium! – Gegenruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Was heißt hier Ministerium? Das ist eine Abteilung!)
Kommen Sie da einmal zu Potte. Wenn Sie alle landespoliti schen Aufgaben erledigt haben, wenn Sie tatsächlich eine In tegrationsministerin für alle in Baden-Württemberg lebenden Menschen sind, und wenn Sie dann noch Kapazitäten haben, dann dürfen Sie sich auch bei bundespolitischen Themen ein mischen.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Die FDP entscheidet nicht, was eine Ministerin tut oder lässt!)
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Glück, Sie hatten sechs Jahrzehnte Zeit, um alles in diesem Land besser zu ma chen und ein humanes Flüchtlingsaufnahmegesetz zu gestal ten.
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Dr. Bernhard Lasotta: So alt ist Herr Glück noch gar nicht! Das ist ein ganz junger Kerl! – Unruhe)
Nach sechs Jahrzehnten sind wir mit einem kleinen Haus und mit wenig Personal endlich dabei, all die Dinge umzusetzen, die Sie leider sehr vernachlässigt haben.
Ich würde gern wieder auf das Thema der Aktuellen Debatte zurückkommen. Ich kann ja verstehen, dass Sie gern auf an dere Themen ausweichen; das ist Ihre Taktik. Ich kann Ihre Taktik verstehen. Aber das Thema heute ist ein anderes, und daher würde ich nun gern zum Thema „Bessere Integration durch erleichterte Einbürgerung“ sprechen.
Dass es dabei unmittelbare Zusammenhänge gibt, belegen Studien. Nehmen Sie etwa die Schulstatistik, oder nehmen Sie die Erwerbslosenstatistik. Wenn Sie diese Statistiken anschau en, fällt Ihnen sicherlich etwas auf. Es fällt nämlich auf, dass Eingebürgerte in der Schule, aber auch im Erwerbsleben sehr viel erfolgreicher sind als andere. Aktuelle Studien belegen, dass die Einbürgerung eine unmittelbare Katalysatorfunktion für das Einkommensniveau und für den wirtschaftlichen Sta tus der Migranten hat.
Die OECD-Studie des renommierten Wirtschaftswissenschaft lers Max Steinhardt belegt, dass unmittelbar nach der Einbür gerung bei Nicht-EU-Bürgern eine signifikante Verbesserung der Einkommenssituation eintritt. Das gilt auch für die Folge zeit. Der Studie zufolge hat die Einbürgerung unzweifelhaft eine integrationsfördernde Wirkung. Genau deshalb wird Deutschland empfohlen, die Einbürgerungshürden zu senken und für die Einbürgerung zu werben. Genau das tun wir. Wir senken die Hürden, und wir werben für den deutschen Pass. Etwas anderes machen wir nicht.
Genau deshalb habe ich gleich am Anfang meiner Amtszeit den sogenannten Gesprächsleitfaden abgeschafft. Dieser hätte näm lich nur bei wahrheitsgemäßer Beantwortung Sinn gemacht. So, wie er eingesetzt wurde, machte er keinen Sinn. Das war auch die Einschätzung der Verfassungsschutzbehörde. Sicherheits politisch hatte er keine Relevanz. Die Sicherheitsabfrage erfolgt natürlich weiterhin. Wenn es Anhaltspunkte für Extremismus gibt, dann erfolgt auch keine Einbürgerung.
Ich schaue gerade in die Richtung des innenpolitischen Spre chers. Wir hatten auch schon Fälle, in denen die Staatsbürger schaft entzogen wurde. Auch solche Fälle gab es. Sie sehen, wir sind durchaus wachsam, und das wird auch so bleiben.
Was wir im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten anders ma chen, ist, dass wir nun auch Studienzeiten in Deutschland auf die Aufenthaltszeit bzw. die Frist, die eingehalten werden muss, anrechnen. Der deutsche Pass wird den Personen nicht hinterhergeworfen, sondern sie müssen gewisse Fristen ein halten, bevor sie eingebürgert werden. Wir werden nun also auch Studienzeiten auf diese Einbürgerungsfrist anrechnen. Denn es sind gerade die Hochqualifizierten, die wir hier im Land brauchen, die wir gern einbürgern wollen.
(Abg. Andreas Glück FDP/DVP: Alles in Ordnung! Geschenkt! – Abg. Peter Hauk CDU: Im Winter schneit’s! – Gegenruf des Abg. Claus Schmiedel SPD: Was motzen Sie denn herum? – Zuruf des Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU – Unruhe – Glocke des Präsidenten)
Genau. – Wir kom men auch denen entgegen, die als sogenannte erste Gastarbei tergeneration keine Möglichkeit hatten, die deutsche Schrift sprache in der Schule zu lernen. Bei den über 65-Jährigen ver zichten wir in Zukunft auf den schriftlichen Sprachtest. Der andere Test erfolgt weiterhin.
Um die Verfahren zu beschleunigen, wollen wir in Zukunft auf den Zustimmungsvorbehalt der Regierungspräsidien ver zichten. Sie wissen, dass die Verfahren unterschiedlich lange dauern. Das werden wir nachher wahrscheinlich auch im In tegrationsausschuss hören. Es gibt da eine Sicherheitsabfrage und verschiedene andere Dinge. Die Verfahren dauern lange, sie dauern auch manchmal zu lange. Auch das ist ein Hemm nis.
Meine Damen und Herren, ein weiteres Hemmnis, ein gravie rendes Hemmnis für viele ist, dass wir von den Menschen ver langen, ihren alten Pass, also den Pass des Ursprungslands, abzugeben. Die CDU argumentiert mit einseitigen Loyalitä ten, die FDP verlangt ein Bekenntnis. Abgesehen davon, dass das populistische Worthülsen sind, frage ich mich, warum die ses Bekenntnis nicht auch David McAllister abverlangt wur de oder Christian Freiherr von Stetten, CDU-Abgeordneter im Bundestag,
Roland Theis, CDU-Generalsekretär im Saarland, oder Jorgo Chatzimarkakis, FDP-Abgeordneter im Europäischen Parla ment. Soviel ich weiß, hat Ernst August von Hannover zwei Pässe – wahrscheinlich hat er sogar drei Pässe –, und Otto von Habsburg hatte bis zu seinem Tod vier Pässe. Da hat niemand nach Loyalität und nach einem Bekenntnis gefragt. Deswe gen frage ich mich, warum Sie das nur von einer Gruppe ver langen.
Nach Ihrer Logik, Herr Lasotta, bin ich eindeutig loyaler als David McAllister; denn ich habe nur einen Pass, er hat zwei, und Sie sagen, man kann nur einem Land gegenüber loyal sein. Sie sehen, Ihre Argumente sind nicht wirklich gut; Sie müssen das noch einmal überdenken.
Übrigens: Ein Bekenntnis verlange ich von allen Bürgern die ses Landes, nicht nur von den Migranten. Wir akzeptieren Mehrstaatigkeit in vielen Fällen: bei EU-Bürgern, bei Schwei zern und bei Kindern, die in binationalen Ehen auf die Welt kommen. Von anderen jungen Menschen verlangen wir, dass sie sich mit ihrem 18., spätestens aber mit ihrem 23. Lebens jahr für eine Staatsangehörigkeit entscheiden, und das, ob wohl sie hier auf die Welt gekommen sind, hier aufgewach sen sind, mit der Geburt den deutschen Pass erworben haben und nichts tun, was den Entzug des Passes rechtfertigen wür de. Wir schaffen damit nicht nur Bürger erster und zweiter Klasse, wir schaffen vor allem Rechtsunsicherheit.
Der renommierte Rechtsexperte Kay Hailbronner kritisiert das; er spricht ebenfalls von Rechtsunsicherheit und von „Bür
gern auf Zeit“. Deshalb folgt die Bertelsmann Stiftung seinen Empfehlungen und fordert, die sogenannte Optionspflicht wie der abzuschaffen. Sie wissen, Professor Hailbronner oder auch die Bertelsmann Stiftung sind wahrlich keine Linken. Aber sie nehmen das Thema Integration ernst, genauso wie der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration; auch er fordert genau wie wir die Abschaffung der sogenannten Optionspflicht.
Für viele Migranten ist diese Ungerechtigkeit nicht hinnehm bar. Viele wollen oder können ihren alten Pass gar nicht ab geben. Neben emotionalen und rationalen Gründen gibt es ei ne Reihe anderer Gründe, die die Aufgabe der ursprünglichen Staatsangehörigkeit unmöglich oder unzumutbar machen. Manche Länder entlassen ihre Staatsangehörigen aus Prinzip nicht aus der Staatsangehörigkeit, beispielsweise der Iran; manche entlassen sie erst, wenn der Wehrdienst abgeleistet wurde – und das, obwohl jemand den Wehrdienst vielleicht gar nicht ableisten möchte oder es auch gar nicht kann.
Manchmal ist die Aufgabe der Staatsangehörigkeit mit zu ho hen Kosten verbunden, oder sie dauert einfach viel zu lange.
In all diesen Fällen wollen wir den Menschen entgegenkom men und Mehrstaatigkeit zulassen. Die Menschen, die sich mit unserem Land, unserer Verfassung und unserer Rechts ordnung identifizieren, sollen sich einbürgern lassen können, ohne dass wir ihnen Steine in den Weg legen. Das heißt, je der, der mindestens acht Jahre dauerhaft in Deutschland ge lebt hat, unbescholten ist und ein eigenes Einkommen nach weisen kann, ist berechtigt, einen Antrag auf Einbürgerung zu stellen.
Genau. Es geht um geltendes Recht. Es geht nicht um die Verkürzung irgendwelcher Fristen, sondern um Spielräume, die wir auf Länderebene umsetzen. Das machen nicht alle Länder. Deswegen ist das auch ein landespolitisches Thema.
Den Zusammenhang zwischen Integration und Einbürgerung habe ich eingangs dargestellt. Nach jetziger Rechtslage könn ten sich sehr viel mehr Migranten einbürgern lassen, wenn es die Hürden nicht gäbe. Wir versuchen, das zu ändern.
Wir wollen das auch deshalb ändern, weil wir nicht wollen, dass Baden-Württemberg weiterhin eines der Bundesländer mit der niedrigsten Einbürgerungsquote ist. Die Quote beträgt bei uns 1,09 %. Hinter uns liegen nur noch Thüringen, Sach sen und Bayern. Aber wir können mehr. Bei einer anderen Rechnung, nämlich beim Ländervergleich bezogen auf Aus länder mit mindestens zehn Jahren Aufenthalt in Deutschland, liegen wir sogar ganz hinten.
Unser Einbürgerungspotenzial schöpfen wir also kaum aus. Das will ich ändern, gerade weil die Einbürgerung unmittel bar positive Effekte auf die Integration, den Schulerfolg, das Einkommensniveau usw. hat.
Es geht uns aber vor allem auch um mehr Teilhabe. Deshalb werben wir für die Einbürgerung. Im Sommer haben wir ei nen Wettbewerb für eine Einbürgerungskampagne initiiert, an der wir übrigens auch die Oppositionsfraktionen beteiligt ha
ben. Ich danke hier an dieser Stelle noch einmal Frau Schütz, die in der Jury war, aber auch Ihnen, Herr Glück. Es war schön, dass Sie daran mitgewirkt haben.
Ich würde mich freuen, wenn wir alle zusammen daran arbei ten könnten, die Integration in Baden-Württemberg voranzu bringen. Dadurch können wir alle nur gewinnen, und dann können wir auch sagen: „Wir können alles. Auch Integration.“
So viel Zeit muss sein. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es verkürzt die Debatte, wenn man sie mit der Aussage führt, die Einbür gerung sei das Entscheidende für die Integration. Die Einbür gerung ist wichtig, weil sie ein Signal gibt, dass gleiche Rech te und gleiche Pflichten für jeden vorhanden sind – selbstver ständlich.
Wir wollen das. Wir wollen, dass sich Leute, die die rechtli chen Voraussetzungen erfüllen, hier einbürgern lassen. Das ist völlig klar. Aber die Debatte auf die Aussage zu verkürzen, die Einbürgerung sei das Entscheidende, hielte ich für falsch.
Es sind ganz viele Punkte, die im Integrationsprozess wichtig sind: die Sprache, die Elternbildung, die schulische und die berufliche Weiterentwicklung. Deswegen kann eine Einbür gerung ein Schub und ein Bekenntnis sein und dazu beitra gen, dass man sich gleichwertig fühlt. Auch das ist selbstver ständlich wichtig. Aber es ist eben nicht alles.