Die erste Herausforderung ist die Vermittlung des Wertes der Pflege. Jeder Generation muss immer wieder neu die Bedeu tung der Pflege bewusst gemacht werden. Es ist eine dauer hafte gesellschaftliche Aufgabe, ein Gespür für den Wert al ter und kranker Menschen zu vermitteln und weiterzugeben. Bei uns Menschen ist es eben nicht so wie in der Natur. Drau ßen im finsteren Wald mögen sich manche den Wolf herbei sehnen,
(Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Wir haben ihn schon! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Baden-Württemberg ist Wolferwar tungsland!)
der, wie wir es bei einer Veranstaltung in der vergangenen Wo che im Foyer des Landtags erfahren haben und wie wir es von den Naturschützern lernen, die alten und kranken Tiere frisst.
Der alte und der kranke Mensch hat eine würdige Behand lung, eine kompetente Pflege und hingebungsvolle Fürsorge verdient. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist nicht selbstverständlich, dass die Würde des Alters geachtet wird und dafür Sorge getragen wird, dass der alte Mensch nicht ver elendet und der kranke Mensch nicht auf der Strecke bleibt. Deshalb gibt es das uralte biblische Gebot: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass dir’s wohl ergehe auf Erden.“
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU – Staatssekretär Ingo Rust: Sehr gut!)
Diese soziale Verantwortung ist nicht selbstverständlich. Für gebrechliche Menschen, für die gebrechlich gewordene Ge neration müssen wir etwas tun, und wir müssen in Wertever mittlung investieren. Das wollte ich durch den Vergleich mit dem Wolf deutlich machen. Auch wenn das jetzt erst klar wird, denke ich, dass dieser Vergleich trotzdem Zustimmung findet.
Wenn wir heute über Pflege sprechen, dann gilt es, den Wert und die Bedeutung der Pflege hervorzuheben, für uns selbst immer wieder neu und aktuell wie auch für die folgenden Ge nerationen.
Menschen, die in der Pflege arbeiten, verdienen eine hohe An erkennung. Herr Rüeck hat es vorhin gesagt: Den Pflegenden und ihrem Einsatz gebührt unsere Wertschätzung. Das müs sen wir, die Politiker, immer wieder gemeinsam und noch öf ter und deutlicher zeigen, als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Wir müssen stärker darauf eingehen, was diese Menschen tun, sei es ehrenamtlich oder hauptamtlich.
Daran schließt sich die zweite Herausforderung, nämlich der Pflegekräftemangel, an. Die vorliegenden Zahlen des Minis teriums sprechen eine eindeutige Sprache. Sie zeigen: Der Be darf an Pflege ist so groß und wird zukünftig so groß sein, dass wir in den nächsten Jahren sehr viele neue Pflegekräfte brau chen. Unsere Sozialministerin hat davor nicht die Augen ver schlossen, sondern hat bereits mit der Informations- und Imagekampagne für die Pflegeberufe und für die Pflege ins gesamt die Initiative ergriffen.
Es ist ihr nämlich gelungen, ein breites Bündnis zusammen zubekommen: Die Kirchen mit Diakonie und Caritas, die Ge werkschaften – ver.di –, alle namhaften Kranken- und Pflege kassen, das Rote Kreuz, die AWO, die Agentur für Arbeit – insgesamt 20 Organisationen wirken zusammen; sie machen sich allesamt für den Wert der Pflege und für die Bedeutung der Pflegeberufe stark. An der Spitze steht eine Ministerin, die weiß, wovon sie spricht: Katrin Altpeter. Jawohl, wir haben eine Ministerin, die den Pflegeberuf erlernt hat, die weiß, wo von sie spricht, und der man abnimmt, wofür sie wirbt.
Bei aller Werbung müssen wir unser Augenmerk auf die Ar beitsbedingungen der Pflegenden richten. Dass viele im Pfle gebereich Tätige nach einiger Zeit in ein anderes Tätigkeits feld wechseln, müssen wir sehr ernst nehmen.
Stimmt die Entlohnung? Wie lassen sich die Arbeitsbedingun gen verbessern? Wo liegt das Potenzial für attraktivere Ar beitszeiten? Die Tätigkeit in der Pflege braucht Bedingungen, mit denen sie mit der Konkurrenz um Arbeitskräfte mithalten kann.
Hier ist der Blick nach Berlin zu richten, gerade im Zusam menhang mit der dritten Herausforderung, die heißt: gute Rah menbedingungen. Aber die guten Rahmenbedingungen lassen auf sich warten, weil die Bundesregierung den großen Wor ten keine entsprechenden Taten folgen lässt. Exgesundheits minister Rösler rief das Jahr 2011 zum „Jahr der Pflege“ aus – und enttäuschte alle, die pflegenden Angehörigen, die Pfle gekräfte und die Pflegeeinrichtungen.
Begriff der Pflegebedürftigkeit am Körperlichen orientiert ist und den demenzkranken Menschen nicht gerecht wird.
Über eine Gesetzesinitiative zur Reform des Pflegeheimge setzes wollen wir aus diesen Herausforderungen, die wir se hen, etwas Neues schmieden. Ein Anfang ist gemacht. Wir sind auf einem guten Weg, auch für Baden-Württemberg et was auf die Beine zu stellen, was tragfähig und zukunftsfähig ist.
Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Zuge des demo grafischen Wandels ist das Thema Pflege eine der wichtigsten Herausforderungen unserer Gesellschaft, gerade auch in Ba den-Württemberg.
Schauen wir uns die Entwicklung der Zahlen an. Dazu bezie he ich mich auf die Stellungnahme zu einem Antrag der FDP/ DVP-Landtagsfraktion. Von 1999 bis 2009 stieg in BadenWürttemberg die Zahl der Menschen im Alter von mindestens 80 Jahren um über 46 %. Ich glaube, daran kann man schon erkennen, vor welchen Herausforderungen wir stehen.
Es geht darum, dass die hohe Qualität der Versorgung der äl teren Menschen sichergestellt ist. Ich glaube, wir stehen vor zwei Herausforderungen: zum einen die Gewinnung von Fachkräften im Pflegebereich und zum anderen die Sicherstel lung der finanziellen Ressourcen für eine qualitativ hochwer tige Pflege sowie die Bezahlbarkeit der Pflege für die Betrof fenen.
Ich beziehe mich noch einmal auf den Antrag, den die Frak tion der FDP/DVP im vergangenen Jahr gestellt hat. Daraus geht hervor, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in den letz ten zehn Jahren auf 246 000 gestiegen ist. Es gab einen An stieg der Zahl der Pflegebedürftigen in vollstationären Ein richtungen um 31 %. Ich glaube, das deutet schon darauf hin, vor welchen Herausforderungen wir bisher gestanden haben und vor welchen Herausforderungen wir noch stehen.
Die alte Landesregierung hat von 2001 bis 2010 mit Förder mitteln von über 500 Millionen € insgesamt 23 600 Pflege plätze im Rahmen von 420 Pflegeprojekten gefördert, sodass man einen Stand erreicht hatte, bei dem davon gesprochen werden konnte, dass das damalige Problem der Unterversor gung bei Pflegeheimplätzen gelöst wurde. In Baden-Württem berg gibt es knapp 1 500 Pflegeheime.
Man kann davon sprechen, dass der Pflegebereich ein richti ger Jobmotor in Baden-Württemberg war. Von 2001 bis 2009 ist die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pflegebe rufen um 40 % auf 80 000 gestiegen. Der Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen – ich hatte die Zahl genannt – auf 246 000 im Jahr 2009 wird sich fortsetzen. Für das Jahr 2020 erwar ten wir 300 000 und für das Jahr 2030 rund 348 000 Pflege bedürftige. Dieser Anstieg zeigt, vor welchen Herausforde rungen wir stehen.
In der Stellungnahme des Sozialministeriums wurde auch an gegeben, dass die Zahl der Menschen, die zu Hause gepflegt werden, geringer wird, weil sie weniger Unterstützungsleis tungen von Angehörigen erhalten und die entsprechenden fa miliären Strukturen immer weniger vorhanden sind.
Die Maßnahmen im Bereich der Pflegeausbildung wurden von Frau Kollegin Mielich und von Herrn Kollegen Rüeck schon intensiv angesprochen. Ich will nur noch erwähnen, dass man auch darüber nachdenken sollte – teilweise wurden die ersten Schritte schon getan –, ausländische junge Menschen zu ge winnen, nach Baden-Württemberg zu kommen, um solche Tä tigkeiten auszuüben. Wenn man z. B. mit Vertretern der Liga der freien Wohlfahrtspflege spricht, stellt man fest, dass das durchaus begrüßt wird. Es wird allerdings auch darauf hinge wiesen, dass man darüber nachdenken sollte, vielleicht dort im Einzelfall nicht die üblichen hohen Sprachhürden gelten zu lassen, sondern das auch ein Stück weit zu vereinfachen. Hier haben wir also, glaube ich, eine Herausforderung, deren Bewältigung auch in Baden-Württemberg helfen kann, zusätz liche Menschen für die Ausbildung in diesen Berufen zu fin den.
Ferner brauchen wir neue Wohnformen. Dieses Thema wird jetzt im Zuge der aktuellen Gesetzesänderungen angegangen. Ich glaube, wir brauchen da mehr Flexibilität, beginnend beim Mehrgenerationenhaus über die Familienstrukturen, über die Wohngruppenmodelle bis hin zu den stationären Pflegehei men.
Wir müssen auch auf der Hut sein und die Prüfkriterien sowie die Qualitätsmerkmale, die die Institutionen, die Einrichtun gen heute haben, überprüfen. Wir müssen immer wieder prü fen, ob das vom Standard her in Ordnung ist, ob wir verein fachen können, ob wir optimieren können. Genauso sollten wir, glaube ich, bei den Standards für die Vorgaben für Pfle geheime den Trägern wieder mehr Zutrauen entgegenbringen. Aber auch hier müssen wir die Standards immer wieder über prüfen.
Nach dem Wegfall der Pflegeheimförderung entsteht jetzt die Situation, dass die Träger zunehmend Schwierigkeiten haben, die Finanzierung noch zu stemmen. Hier wäre die Anregung, darüber nachzudenken, ob das Land Baden-Württemberg die Träger vielleicht auch mit Bürgschaften unterstützen kann.
Ich will noch auf ein Stichwort eingehen. Das ist das Thema „Alltagsunterstützende Technik“, das – so lautet der Fachbe griff – „Ambient Assisted Living“. Wir tun schon viel in For schungsprojekten. Jetzt geht es, glaube ich, noch darum, den Schritt aus der Forschungsphase heraus in die alltagstaugli che Unterstützung zu gehen. Wenn man mit Unternehmen spricht, die diese Technik einsetzen, dann erfährt man gute Ansätze dafür, was man tun kann, um aus dem Stadium des Forschungsvorhabens heraus in die Praxis zu gehen. Ich glau be, es ist ganz wichtig, dass wir hier in die Umsetzung kom men und nicht immer nur im Bereich der Forschung tätig sind.
Sehr geehrte Frau Präsi dentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute das Thema Pflege auf der Tagesordnung haben, dass wir dieses Thema hier miteinander diskutieren. Ich freue mich auch, dass das weitgehend in großer Einigkeit geschieht. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass das Thema ganz oben auf die Agenda der Landespolitik gehört.
Wir haben in diesem Haus schon viel über den demografischen Wandel und seine Auswirkungen gesprochen. Ich denke – ich will es nicht wiederholen –, das sollte uns allen bekannt sein.
Viel wichtiger ist die Frage: Was kommt in der Pflege auf uns zu? Fakt ist, dass die Anzahl der Pflegebedürftigen und damit der Bedarf an Beschäftigten in der Pflege in den nächsten Jahr zehnten weiter zunehmen wird. Das Statistische Landesamt geht davon aus, dass sich die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2030 um 43 % erhöhen wird. Im gleichen Maß wird der Bedarf an Pflege kräften steigen, nämlich bis zum Jahr 2030 um 54 %. Wenn man sich überlegt, dass es bis dahin nur noch weniger als 20 Jahre sind und wir eine 54-prozentige Steigerung brauchen, dann sieht man, wie groß die Herausforderung ist.
Daraus resultiert dann die entscheidende Frage: Wie kann es uns gelingen, genügend Menschen zu gewinnen, die sich für einen Pflegeberuf entscheiden?
In der Antwort auf die Große Anfrage – Sie haben es gesagt, Herr Rüeck – wurde die Entwicklung der Beschäftigtenzah len in den vergangenen Jahren detailliert dargestellt. So ist z. B. die Zahl der Beschäftigten in der stationären Pflege von 58 000 im Jahr 2001 auf 81 000 im Jahr 2009 gestiegen. In der ambulanten Pflege stieg im gleichen Zeitraum die Zahl der Beschäftigten von rund 20 000 auf 25 000.
Diese Zahlen mit Steigerungsraten von 40 % bzw. 25 % zei gen, dass wir in Baden-Württemberg noch in einer vergleichs weisen guten Situation sind, und sie zeigen auch, dass die Pfle ge bereits heute ein Berufsfeld mit Zukunft ist.