Sie haben uns von der CDU im vergangenen März in diesem Haus abgebügelt, als wir den naheliegenden Vorschlag ge macht haben, man möge sich doch erst einmal die Erfahrun gen im Nachbarland Bayern anschauen. Sie taten das mit der Begründung, die dortigen Umsetzungskosten in Höhe von 100 Millionen € seien nicht mit den Kosten vergleichbar, die bei uns entstehen würden.
Kurz darauf, wenige Tage später, sagten Sie, Sie schätzten die Kosten in Baden-Württemberg auf 120 bis 170 Millionen €. Wenigstens, Herr Minister Gall, wissen wir jetzt, was Sie da mit meinten, als Sie sagten, dass es nicht vergleichbar sei.
Ich will einfach noch einmal den Zeitablauf in Erinnerung ru fen: Im Januar hieß es, noch nicht einmal annähernde Kosten schätzungen – Schätzungen! – seien möglich. Im Februar hiel ten Sie Ihre Regionalkonferenzen ab. Ich habe einmal in die Protokolle, die es davon gab, hineingeblickt; man kann sie
Die Reform darf unter dem Strich nichts kosten. Damit ich nicht missverstanden werde: Sie wird eine Anschub finanzierung erfordern.
Ich frage Sie: Wie refinanzieren Sie 170 Millionen € durch diese Reform? Wundern Sie sich doch nicht, Herr Minister, dass bei uns alle Alarmglocken läuten. Wie sollen wir Ihnen „120 bis 170 Millionen €“ glauben? Sind es vielleicht bald 200, 250 Millionen € oder noch mehr? Sie machen es nicht wie die schwäbische Hausfrau. Vielmehr geht es bei Ihnen eher zu wie an der schwäbischen Wursttheke nach dem Mot to: Darf es ein bisschen mehr sein?
Wir werfen Ihnen, Herr Minister, nicht vor, dass die Kosten nicht schon jetzt exakt bis zum letzten Euro berechnet wer den können. Aber wir werfen Ihnen vor, dass die Kosten Sie offensichtlich überhaupt nicht interessieren. Sie wollen die Reform – koste es, was es wolle. Standorte und Bezirke wur den hektisch kurz vor knapp noch einmal durcheinanderge wirbelt mit Ergebnissen, die kein Mensch nachvollziehen kann.
Nur zwei Beispiele: Wie sonst käme man auf die Idee, Freu denstadt im Nordschwarzwald Tuttlingen in Südbaden zuzu schlagen? Wie sonst käme man auf die Idee, fast ganz Ober schwaben Konstanz zuzuschlagen? Was steckt dahinter?
Auf Anfrage meiner oberschwäbischen Kollegen heißt es in der Stellungnahme, bei der Entscheidung für Konstanz als Präsidium für Oberschwaben sei „zwingend zu berücksichti gen, dass die Polizeidirektion Konstanz die mit Abstand per sonalstärkste Dienststelle“ sei. Okay. Aber warum dann ein Präsidium in Tuttlingen, obwohl die dortige PD die zweit kleinste im künftigen Bezirk ist? Warum dann ein Präsidium in Reutlingen, obwohl die PD Esslingen wesentlich größer ist und in Tübingen sämtliche räumlichen Voraussetzungen schon geschaffen sind?
und auch noch keinerlei Umsetzungs- oder Finanzierungsbe schlüsse. Fragen über Fragen und keine Antworten. Wir fürch ten, dass hier ein riesiger ungedeckter Wechsel auf den Lan deshaushalt eröffnet wird.
Ich möchte jetzt noch kurz zum zweiten Thema kommen, nämlich zur Rolle der Belange der Bediensteten. Sie spielen bei Ihnen – diesen Eindruck hat man manchmal – erst ab A 16 aufwärts eine Rolle.
Ca. 4 000 Beschäftigte werden von der Reform unmittelbar betroffen sein, am stärksten die Kriminalbeamten und die Be schäftigten der Verwaltung. Deren Dienststellen werden alle aufgelöst. Der Grundsatz „Personal folgt Aufgabe“ ist grund sätzlich nicht zu beanstanden. Das Problem ist: Sie zentrali sieren die Aufgaben, die Arbeit in einer Art und Weise, dass ganze Landstriche von Kriminalpolizei und Polizeiverwaltung entleert werden. Dass es sich ausschließlich um den ländli chen Raum handelt, verwundert da schon nicht mehr.
Eine Ausnahme gibt es: In Ihrem – so muss man fast schon sagen – Zentralisierungswahn machen Sie selbst vor der Groß stadt Pforzheim nicht Halt. Wenn es nicht so ernst wäre, könn te ich als Calwer sagen: Ich freue mich, dass unser Oberzen trum Pforzheim künftig polizeilich auf Augenhöhe mit Calw ist. Aber diese Augenhöhe ist ziemlich weit unten. Man könn te fast sagen: auf Hühneraugenhöhe.
Die Mitarbeiter sollen mit ihren Stellen wechseln. Erwarten Sie im Ernst, dass die alleinerziehende Mutter, die bei der Po lizeidirektion Freudenstadt teilzeitbeschäftigt ist, künftig für vier Stunden täglich nach Tuttlingen ins Präsidium fährt, weil ihre Stelle jetzt dort ist? Erwarten Sie im Ernst, dass die teil zeitbeschäftigte Kriminalbeamtin aus Tauberbischofsheim je den Tag nach Heilbronn in die dortige Kriminalpolizeidirek tion fährt?
Übrigens wird im Norden des Landes, im Main-Tauber-Kreis, die hoch erfolgreiche Akademie der Polizei in Wertheim er satzlos gestrichen, geschlossen – in einem Gebiet, das so strukturschwach ist, dass dies dort ein bedeutender Arbeitge ber ist.
4 000 Personen sind direkt betroffen. Kann sich der Rest ent spannt zurücklehnen und sagen: „An mir wird der Kelch schon vorübergehen“? Überlegen wir uns einmal ein fiktives Bei spiel. Wenn sich ein top bewerteter Hauptkommissar z. B. aus der Landespolizeidirektion Tübingen – die Landespolizeidi rektionen werden bekanntlich ersatzlos aufgelöst – als Leiter eines kleinen Polizeipostens in der Umgebung bewirbt, weil er sagt: „Wenn mein Spezialwissen nicht mehr gefragt ist, dann brauche ich es mir nicht mehr anzutun, in meinen letz ten Dienstjahren jeden Tag nach Ulm oder nach Friedrichsha fen zu fahren“, muss dann vielleicht ein Polizeipostenchef für den hoch qualifizierten, altgedienten Hauptkommissar wei chen?
Der Wechsel einer Beamtin oder eines Beamten... kann allerdings insbesondere im Führungsbereich aufgrund der hierarchischen Struktur im Einzelfall zu einem Ver änderungseffekt führen.
Reden Sie doch einmal Deutsch. Sagen Sie Ihren Mitarbei tern endlich einmal, was auf sie zukommt. Sie warten darauf, endlich einmal Klartext zu hören.
Meine Damen und Herren, den dritten Antrag zu diesem Ta gesordnungspunkt haben Sie von der SPD eingebracht. Er klingt ein bisschen wie das Ergebnis einer Auftragsarbeit aus dem Innenministerium.
Sie beschäftigen sich mit dem Positionspapier des CDU-Lan desverbands. Ich nehme dazu in der zweiten Runde Stellung, weil ich erst einmal hören möchte, was Sie dazu zu sagen ha ben.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol legen! Leider Gottes gibt es von Ihnen, Herr Kollege Blenke, wieder nur Panikmache. Sie müssten es doch allmählich bes ser wissen.
Die Fragen, die Sie in Ihren Anträgen stellen, beziehen sich auf Auswirkungen, die Sie durch diese Reform erwarten. Sie blenden aber völlig aus, was auf uns zukäme, wenn wir nichts machen würden und das Ganze gerade so fortführen würden wie bisher.
Die Polizei ist absolut unterfinanziert: Die Unterdeckung beim Digitalfunk, ausstehende Zahlungen und Personalabbau sind das Problem. Deswegen müssen wir die Reform durchführen. Es gibt auch keine – so etwas hat Herr Kollege Röhm heute Morgen schon angedeutet – grün-rote Wolllust an der Durch führung von Veränderungsprozessen. Nein, das, was hier ge plant wird, ist zwingend erforderlich und dringlich. Wir müs sen es machen.
Sie hatten selbst Planungen in der Hinterhand, die Sie durch führen wollten, weil Sie wussten, dass wir hier Probleme ha
ben werden. Es ist klar: An der einen oder anderen Stelle wird es auch schmerzen. Aber wenn wir nichts machen, wird es richtig schmerzhaft.
Ich will noch einmal auf die Ausgangsvoraussetzungen ein gehen, damit klar wird, worum es geht: In zehn Jahren sind 40 % der Polizeibeamten, die jetzt noch im Amt sind, in Pen sion. Diese müssen wir ersetzen. Wir müssen eine Struktur vorhalten, sodass wir die Menschen, die dann auf dem Ar beitsmarkt benötigt werden, auch finden.
Wir haben eine Sondersituation, weil wir, anders als die an deren Bundesländer, keinen demografischen Vorteil haben. Vielmehr wird die Bevölkerungszahl im Land Baden-Würt temberg in der gleichen Größenordnung wie bisher bleiben bzw. wird nicht so stark abnehmen. Das heißt, der Bedarf an Polizei wird wachsen bzw. zumindest genauso groß bleiben. Gleichzeitig gehen 40 % der Polizeibeamten innerhalb der nächsten zehn Jahre in den Ruhestand. Daher können wir mit den bisherigen Strukturen nicht weitermachen. Das wissen al le, die sich auskennen. Das, was Sie erzählen, kann man all mählich nicht mehr hören.