Was ich nicht verstanden habe, ist die absolut klischeehafte Betrachtungsweise von Wirtschaft, die ich hier vernommen habe.
Herr Kollege Paal, Sie haben von „Vorschriften“, „Gänge lung“ und „Besserwisserei“ gesprochen. Sie haben uns vor geworfen, wir konstruierten das Bild eines ausbeutenden Un ternehmers. Das hat kein Mensch getan. Wir beschäftigen uns mit der Realität. Diese müssen wir zur Kenntnis nehmen.
(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Er hat schon einmal für einen Mindestlohn gearbeitet! Das ist der Unterschied! – Gegenruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)
Die Lohnfindung hat sich in den letzten zehn Jahren in Ba den-Württemberg wie in ganz Deutschland einfach verändert. Wir sind global viel stärker eingebunden. Die Beschäftigten in ganz Europa sind mobiler. Das macht einen Unterschied. Die einen Beschäftigten können sehr gute Löhne durchsetzen, die auch hier in Baden-Württemberg gezahlt werden. Sie kön nen nachweisen: Ich bin unverzichtbar für die Weltmarktfä higkeit unseres Unternehmens. Andere Beschäftigte können das so nicht. Die Lohndifferenzen zwischen den Branchen und innerhalb der Betriebe steigen. Das wissen auch Sie. Es geht darum, was wir dagegen unternehmen können.
Der Wirtschaftsminister hat das Beispiel eines Friseurs zitiert, der nicht von Reutlingen nach China auswandern wird. Neh men wir doch einmal zwei Friseure als Beispiel.
Wie ist denn die Situation? Stellen Sie sich vor: Bei Ihnen zu Hause in der Straße bietet ein Friseur einen Herrenschnitt – ich habe gehört, dass dies recht günstig sein soll – für 20 € an. Er schreibt in sein Schaufenster: „Herrenschnitt 20 €“.
Hören Sie bitte zu. – Er schafft es, einen Lohn zu zahlen, mit dem der Beschäftigte leben kann, wenn dieser Herren schnitt für 20 € angeboten wird.
Ein neues Friseurgeschäft daneben schreibt in sein Schaufens ter: „Herrenschnitt 15 €“. Wie kommt das zustande? Wir ha ben mit dem Arbeitslosengeld II in Deutschland tatsächlich den Kombilohn geschaffen, wie ihn die CDU auch gefordert hat, aber – ich muss sagen, das ist tatsächlich etwas, was wir, Rot-Grün, in unserer Regierungszeit im Bund nicht gemacht haben – wir haben ihn nicht durch einen allgemeinen Min destlohn ergänzt.
Dadurch haben wir jetzt die Situation, dass der Friseur neben an legal, mit guter Berechtigung und weil auch er ein Unter nehmen führen will, sagen kann: „Bei mir gibt es einen Her renschnitt für 15 €, und meine Beschäftigten können ja auf stockendes Arbeitslosengeld II beziehen.“
Das ist die Situation, die wir als Gesetzgeber geschaffen ha ben. Wir haben einen unfairen Wettbewerb geschaffen. In den letzten Jahren gab es in Baden-Württemberg im Schnitt etwa 90 000 Erwerbstätige, die Arbeitslosengeld II beziehen, weil wir keine Lohnuntergrenze vorgegeben haben. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass es keinen unfairen Wettbewerb und kein Lohndumping gibt,
weil ein Kombilohn geschaffen wurde, der keine Grenze der Subventionierung setzt. Wir brauchen von staatlicher Seite aus eine Subventionierungsgrenze für niedrige Marktlöhne. Darum geht es.
Ich komme zum Schluss: Wir können etwas für faire Löhne und fairen Wettbewerb zugleich tun. Wir können im Bund da für sorgen, dass wir in Deutschland endlich eine allgemeine Lohnuntergrenze haben. Das wollen wir. Wir können gleich zeitig die Tarifpartner stärken, indem wir es einfacher machen, Tarifverträge für allgemein verbindlich zu erklären. Das Ge zerre bei der Zeitarbeitsbranche war dafür ein beredtes Bei spiel. Wir können hier im Land etwas für fairen Wettbewerb tun. Wir – der Landtag – sind der Landesgesetzgeber. Wir kön nen für unseren Mittelstand bei der öffentlichen Auftragsver gabe durch ein Tariftreuegesetz in Baden-Württemberg fairen
Wettbewerb schaffen. Das können und wollen wir tun. Ich fin de, das ist das Mindeste im Rahmen unserer Aufgabe als Lan desgesetzgeber. Wenn Sie das mitgestalten wollen, dann kann ich nur sagen...
Ich fasse zusammen: Jeder gute Marktwirtschaftler und jede gute Marktwirtschaftlerin ist für einen allgemeinen Mindest lohn. In diesem Sinn: Herzlich willkommen in der Wirt schaftspolitik.
Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Herr Wirtschaftsminister, sehr erhellend war das, was Sie neuerdings zur Wirtschaftspolitik beizutragen haben, nicht.
Die Rechnung ist schon beeindruckend: Ein allgemeiner ge setzlicher Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde bringt 7 Milli arden € für den Staat. Es würde mich schon interessieren, wie Sie das ausgerechnet haben. Ich hoffe aber, dass Sie sich zu mindest über diese Zahl in der Regierung einig sind und Kol lege Hermann nicht auch da etwas anderes ausgerechnet hat.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Zuruf von den Grünen: Oje! – Abg. Walter Heiler SPD: Der 11. 11. ist morgen! – Heiterkeit und Beifall bei den Grünen und der SPD)
Wenn Sie nun erklären, man müsse sich bei dem Ziel des Min destlohns an Robert Bosch orientieren, und dieses berühmte Zitat von Robert Bosch anfügen, ist das auch nicht gerade ein besonderer Ausweis Ihrer Kompetenz. Denn wie viele Be schäftigte gibt es denn bei Bosch, die ein Problem mit dem Mindestlohn haben?
Wenn Sie tatsächlich der Auffassung sind, dass wir einen Min destlohn brauchen, um die Beschäftigten von Bosch zu schüt zen, dann halte ich das für eine einigermaßen bemerkenswer te Aussage.
Dasselbe gilt für Ihr Beispiel mit dem Friseur aus Reutlingen. Ich weiß nicht, ob Sie Kunde bei ihm sind. Für diesen Friseur aus Reutlingen ist nicht das Thema China, sondern gegebe nenfalls die Schwarzarbeit das Problem. Das müssen Sie bei dieser Diskussion berücksichtigen.
Wenn Sie, Herr Kollege Hinderer, im Hotel schon vor dem Frühstück etwas für Ihre Bildung tun, halte ich das für begrü ßenswert.
Aber weil auch Frau Lindlohr erklärt hat, sie habe der Rede des Kollegen Paal und meiner Rede nicht entnehmen können, was wir wollten,
kann ich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Es ist mit Sicher heit nicht so – das will auch Rainer Brüderle nicht –, dass wir einen Mindestlohn generell ablehnten.
Wir haben eine Reihe von branchenspezifischen Mindestlöh nen mitgetragen, und wir sind auch bereit, darüber hinaus dort, wo es notwendig ist und wo es gute Argumente dafür gibt, zu sätzliche, branchenspezifische politische Mindestlöhne einzu führen.
Was wir aber nicht wollen und was wir nicht mittragen ist ein einheitlicher, branchenübergreifender politischer Mindestlohn. Bei allem Respekt, Frau Kollegin Lindlohr, halte ich Ihre Aus sage schon für sehr gewagt, ein solcher allgemeiner Mindest lohn sei Wirtschaftsförderung und öffne sozusagen das Tor in die Marktwirtschaft. Das sollten Sie noch einmal etwas über denken.
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aktuelle De batte beendet.