Protocol of the Session on November 10, 2011

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der CDU und Stellungnahme des Jus tizministeriums – Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem S-21-Kündigungsgesetz – Drucksache 15/673

(Unruhe)

Ich darf Sie um Ihre Aufmerksamkeit bitten.

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Rede zeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Das Wort zur Begründung erteile ich Herrn Abg. Müller.

(Anhaltende Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Herr Präsident, meine sehr geehr ten Damen und Herren! Dass die Fragestellung auf dem

Stimmzettel für den 27. November unverständlich ist und ei ne Zumutung für die Bürger bedeutet, ist mittlerweile allseits bekannt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Widerspruch bei den Grünen – Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Dass die Fragestellung darüber hinaus aber eine hypotheti sche ist, ist den wenigsten bekannt. Die Frage lautet nämlich ganz einfach: Wenn wir das Recht haben sollten, zu kündigen, sollen wir es dann tun?

(Zuruf von den Grünen: Ja, freilich!)

Die Landesregierung behauptet nicht, dass sie ein solches Recht hat. Sie sagt wörtlich: Die Landesregierung wird nur kündigen,

wenn sie nach dem Ergebnis der abschließenden Prüfung vom Bestehen eines Kündigungsrechtes... überzeugt ist.

Das ist eine hypothetische Frage.

Jetzt will ich zunächst einmal ganz einfach Folgendes fest stellen: Drei Viertel dieses Hauses und den demoskopischen Umfragen zufolge eine Mehrheit der Bevölkerung wollen nicht kündigen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Muh terem Aras GRÜNE: Schauen wir mal! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Wovor haben Sie dann Angst? – Ge genruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Wer hat denn gerade Angst? – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜ NE: Alles Kaffeesatzleserei!)

Sie wollen nicht kündigen, weil der Vertrag zu Stuttgart 21 ein guter Vertrag ist, weil er uns sehr viel mehr bringt, als er kostet, und weil der Ausstieg einen gewaltigen politischen, verkehrlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Schaden für das Land bedeuten würde.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ob es – vielleicht – ein Kündigungsrecht gibt, meine Damen und Herren, hängt von der Rechtslage und von der Faktenla ge ab. Die Regierung beschreibt die Rechtslage grundsätzlich zutreffend – Herr Justizminister, das will ich Ihnen gern be scheinigen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Sie klatschen an der falschen Stelle.

(Heiterkeit bei der CDU – Zuruf von den Grünen: Seien Sie froh, dass Sie überhaupt Beifall bekom men!)

Das Dumme ist nur: Die Argumentation, die das Justizminis terium liefert, liefert sehr viel mehr Argumente gegen das Vor liegen eines Kündigungsrechts als Argumente, die dafür spre chen würden.

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Warum haben Sie dann nicht geklagt? Das wäre Ihre Pflicht gewesen! – Gegenruf: Wieso?)

Denn es ist ganz einfach: Wenn man aus einem Vertrag aus steigen will, gibt es entweder im Vertrag selbst ein Kündi gungsrecht – ein solches Kündigungsrecht steht ausdrücklich nicht im Vertrag, im Gegenteil –,

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Was ist das für ein Vertrag? – Gegenruf von der CDU: Ruhe!)

oder man beruft sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundla ge.

(Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Für Letzteres gibt es außerordentlich hohe Hürden. Diese sind vom Justizministerium zutreffend beschrieben worden. Ich will sie jetzt im Einzelnen gar nicht aufführen, sondern viel leicht nur einen einzigen Gedanken nennen.

Was Vertragsrecht ist, kann nicht Geschäftsgrundlage sein. Auf gut Deutsch: Es gibt eine Vertragsklausel darüber, was zu geschehen hat, wenn es je zu Kostensteigerungen käme. In sofern kann man sich nicht auf den Wegfall der Geschäfts grundlage berufen. Es ist interessant, Herr Justizminister – das spricht für Ihre intellektuelle Redlichkeit –, dass Sie auch an keiner Stelle behaupten, dass es dann, wenn man die vorge nannten und von Ihnen richtig beschriebenen Grundsätze auf den konkreten Fall anwendet, ein solches Kündigungsrecht gäbe. Das behaupten Sie nicht. Insofern stimme ich Ihnen zu.

Selbst wenn es so wäre, dass es den Wegfall der Geschäfts grundlage gäbe, dann hätte das nicht zur Folge, dass es eine Kündigung gäbe, sondern es wäre eine Vertragsanpassung vor zunehmen.

(Abg. Winfried Mack CDU: So ist es!)

Wenn es aber keine Mehrkosten gibt oder man, wie das im Koalitionsvertrag geschehen ist, ausschließt, dass man Mehr kosten tragen will, dann hat man kein Kündigungsrecht, denn die Lage hat sich nicht geändert.

Vor allem aber, meine Damen und Herren, müssten auch noch entsprechende Tatbestände vorliegen. Nicht nur die Rechtsla ge spielt eine Rolle, sondern es müssten Tatbestände vorlie gen, die die Geschäftsgrundlage entfallen lassen würden. Be hauptet – das sind keine Tatbestände – werden von Herrn Mi nister Hermann gigantische Mehrkosten. Abgesehen davon, dass er damit nicht recht hat,

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Aber Sie haben recht! – Lachen bei den Grünen)

schaffen Herrn Hermanns Behauptungen keine neuen Tatbe stände, sondern die Bahn müsste auf das Land zukommen, müsste von Mehrkosten sprechen und müsste die Mittel vom Land verlangen. Nur dann kann man überhaupt in die Prüfung dieser Frage einsteigen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Genau das, meine Damen und Herren, tut die Bahn nicht. Sie hält den Kostenrahmen ein.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Renkonen?

Jetzt nicht, danke.

(Oh-Rufe von den Grünen – Abg. Manfred Kern GRÜ NE: Wann dann?)

Genau das tut die Bahn nicht. Sie hält den Kostenrahmen ein.

(Zuruf: Wo?)

Sie gibt eine gute Prognose. Die Geschäftsgrundlage ist schon von den Tatsachen her nicht weggefallen. Sie ist intakt – of fensichtlich intakter, als es den Grünen lieb ist.

Jetzt prüft das Justizministerium noch einen für mich sehr fern liegenden Gedanken, nämlich ob man vielleicht durch die Volksabstimmung selbst zu einem Kündigungsrecht kommen könnte, nach dem Motto „Der Souverän hat gesprochen“. Da zu möchte ich ganz einfach zwei Dinge sagen.

Erstens: Auf das Land Baden-Württemberg als Vertragspart ner muss man sich verlassen können. Sonst haben wir bald keine Vertragspartner mehr.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Andreas Stoch SPD)

Und zweitens: In der Volksabstimmung wird gar nicht danach gefragt, ob wir aussteigen sollen, sondern es wird gefragt, ob wir von einem Kündigungsrecht Gebrauch machen sollen, das es möglicherweise geben könnte. Die Volksabstimmung schafft also kein eigenes Kündigungsrecht; sie fragt nur nach ihm.