Protocol of the Session on December 9, 2015

Mit dem Projekt „Chancen durch Vielfalt“ wollen wir die be rufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen fördern.

Ein weiteres Beispiel, das manchen vielleicht kleinräumig er scheinen mag: Wir werden sogenannte „Toiletten für alle“ mit höhenverstellbarer Liege und elektrischen Personenliften schaf fen. Denn auch dies ist für das Bewegen von Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Raum eine sehr wichtige Maß nahme, ein wichtiges Bedürfnis. Dies soll insbesondere den jenigen Menschen mit schweren Behinderungen helfen, die weder eine allgemeine noch eine Behindertentoilette benut zen können, weil sie Assistenz oder eine Liege brauchen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen aber auch darauf dringen, dass im Bund entsprechende Vorausset zungen für bessere Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderungen geschaffen werden. Deswegen sind wir nicht nur im Land, sondern auch auf Bundesebene aktiv. BadenWürttemberg hat beispielsweise auf der Arbeits- und Sozial ministerkonferenz einen Antrag eingebracht mit Vorschlägen, wie man die Beschäftigungssituation für Menschen mit Be

hinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbessern und dauerhaft sichern kann.

Ich glaube, eines dürfte ganz klar sein: Der Übergang aus der schulischen Struktur, egal ob Sonderschule oder inklusive Be schulung, in Richtung Ausbildung und Arbeitsmarkt ist eine der Schlüsselaufgaben in diesem Themenfeld.

Wir waren mit dem Schulausschuss des Landtags vor weni gen Monaten in Südtirol. Dort wird seit über 40 Jahren das Thema Inklusion im Bildungsbereich umgesetzt. Aber eines wurde uns allen klar: Gerade an dieser wichtigen Nahtstelle hin zur Ausbildung, hin zum Arbeitsmarkt haben auch dort die Verantwortlichen jedes Jahr große Herausforderungen zu bewältigen.

Das erscheint mir als das wichtigste Handlungsfeld, um tat sächlich Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu errei chen. Dann hilft es aber auch nicht, darüber zu lamentieren, dass die Komplexeinrichtungen, die größeren Einrichtungen jetzt an Zulauf verlieren. Das ist letztlich zwingende Folge verstärkter Inklusion. Wir dürfen also darüber nicht lamentie ren, sondern müssen versuchen, die Struktur aufrechtzuerhal ten, aber gleichzeitig auch die inklusiven Maßnahmen sehr positiv zu bewerten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Gerade die Teilhabe am Ausbildungs- und am Arbeitsmarkt ist für die Selbstwahrnehmung der Menschen mit Behinde rungen ein zentraler Schlüssel, um sich als vollwertiges Mit glied der Gesellschaft zu fühlen. Deshalb ist es so wichtig, dass Erwerbstätigkeit Grundlage für ein selbstbestimmtes Le ben sein kann und damit auch Anerkennung und soziale Kon takte ermöglicht.

Der Antrag Baden-Württembergs wurde nach einiger Über zeugungsarbeit im Vorfeld von allen Ländern mit 16 : 0 Stim men beschlossen. Der Bund hat auf unsere Forderung, eine Rechtsgrundlage für die Weiterfinanzierung von Berufsorien tierungsmaßnahmen für junge Menschen mit Behinderungen zu schaffen, schnell reagiert. Aller Voraussicht nach wird die Finanzierung von Berufsorientierungsmaßnahmen auch nach dem Auslaufen der „Initiative Inklusion“ bereits ab dem Schul jahr 2016/2017 ermöglicht – ein schöner, aber auch sehr not wendiger Erfolg.

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, setzen wir uns zudem auch für eine echte Stärkung der Rechte für Menschen mit Behinderungen im Rahmen eines Bundesteil habegesetzes ein. Baden-Württemberg hat sich dabei aus drücklich für die Einführung eines Bundesteilhabegelds durch den Bund stark gemacht. Denn nach wie vor sehen wir in ei nem Bundesteilhabegeld ein besonders geeignetes Mittel, um Autonomie und Selbstbestimmung bei Menschen mit Behin derungen zu stärken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das heißt, wenn wir Inklusion, also die volle Teilhabe von Menschen mit Behin derungen, wirklich erreichen wollen, müssen wir auf allen Ebenen des Lebens und damit auch der politischen Entschei dung – auf kommunaler, auf Landes- und auf Bundesebene – alles dafür tun, dass Menschen mit Behinderungen näher an unsere Gesellschaft herankommen und wirklich in allen Be

reichen, in denen wir das irgendwie schaffen, barrierefrei Zu gang erhalten können.

An dieser Stelle danke ich Gerd Weimer herzlich, der hier im Land bei Menschen ohne Behinderungen oft den Blick wei tet für das, was Menschen mit Behinderungen im alltäglichen Leben an Barrieren empfinden.

Deswegen danke ich Ihnen herzlich für die Debatte und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wird in der zweiten Runde das Wort gewünscht? – Kollegin Wölfle für die SPD, bitte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein paar Anmerkungen möchte ich gern noch machen.

Herr Haußmann, wir brauchen keine Belehrung darüber, dass es „Menschen mit Behinderungen“ heißt. Der Titel der Aktu ellen Debatte bezieht sich auf den Originaltext vor 40 Jahren. Damals haben die Vereinten Nationen die Erklärung über die Rechte der Behinderten verabschiedet. Ich habe in meiner Ein gangsrede erwähnt: Später wurde daraus die UN-Behinder tenrechtskonvention, das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Unser Titel bezieht sich also auf den Originaltext.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: Jetzt hat er es verstanden!)

Kollege Raab, ich kann Sie leider zu zwei Punkten nicht ver schonen. Sie haben soeben gesagt, Sie hätten im Ausschuss verhindert, dass wir die Investitionskostenrichtlinien ausge setzt haben. Das stimmt so nicht.

(Abg. Werner Raab CDU: Nein, nein! Die Zuschüs se!)

Ja. – Nichtsdestotrotz haben wir die Förderrichtlinien hin zu mehr Inklusion geändert. Danach ist erst einmal noch nach dem alten Prinzip ausgezahlt worden, weil wir in der Zwi schenzeit mit den Einrichtungen sprechen mussten.

(Zuruf des Abg. Werner Raab CDU)

Ja, das kam aber eben doch ein bisschen anders rüber.

Als Letztes noch: Sie haben gesagt, der Staatenbericht zur Umsetzung beinhalte sechs Zeilen positive und zig Seiten ne gative Aspekte. Die negative Bewertung basierte aber auf der Kritik, dass es zu wenig ambulante Wohnformen und zu vie le Sonderschulen statt Inklusion gibt. Beides haben wir in Ba den-Württemberg anders gemacht.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Kollege Raab für die CDU-Frak tion zum Schlusswort.

(Lachen des Abg. Thomas Poreski GRÜNE)

Das hat sich auf die Zeit bezogen, Kollege Poreski.

Meine Damen und Herren! Wir wollen doch jetzt nicht über solche Formalitäten streiten.

(Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Moment, Herr Schmiedel, Sie waren doch gar nicht dabei. Was reden Sie denn? Sie waren nicht dabei.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Aber ich weiß alles! – Zuruf: Herr Schmiedel weiß alles!)

Sie können es gar nicht wissen. Dann wären Sie der liebe Gott, wenn Sie alles wüssten. Gehen Sie schon so weit?

(Abg. Walter Heiler SPD: Wir reden noch miteinan der! Nicht wie ihr!)

Jetzt zurück zur Wahrheit: Die LAG:WfbM – Sie wissen, was ich meine, Herr Schmiedel; ich sehe es Ihrem Gesicht an –

(Heiterkeit der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

ist auf uns zugekommen und hat klipp und klar erklärt, dass das Geld trotz Förderzusagen nicht ausbezahlt wurde. Das ha be ich im Sozialausschuss moniert. Die Ministerin sagte, sie hätte keine rechtliche Möglichkeit. Danach habe ich als ehe maliger Beamter des Sozialministeriums darauf hingewiesen, dass man solche Fälle auch auf dem Erlassweg in Einzelent scheidung regeln kann. Dann hat sie es getan – Sie sehen, dass Ganze geht doch auf meine Initiative zurück –, und daraufhin haben sich alle gefreut.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Claus Schmiedel SPD: Heißt das, alle Beamten im Sozial ministerium sind Deppen, oder wie? – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Das war eine Bewerbungsrede, oder?)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich dem Kollegen Poreski das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Raab – das muss man vielleicht bilateral klären –, bei der LAG:WfbM geht es um die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und nicht um den Wohnbereich. Aber das kriegen wir bilateral ge regelt, was tatsächlich Thema war.

(Abg. Werner Raab CDU: Sie waren doch dabei, Herr Poreski!)

Entscheidend ist wohl ein Punkt, den Kollege Haußmann zu Recht angesprochen hat, nämlich dass Selbstbestimmung ein Freiheitsthema ist. Das Problem ist – deswegen haben Sie als einzige Fraktion gegen das Landes-Behindertengleichstel lungsgesetz gestimmt –, dass Sie einen verkürzten Freiheits begriff haben. Denn Freiheit erfordert – das sieht die UN-Be hindertenrechtskonvention sehr wohl – einen Nachteilsaus gleich. Dazu gehört unabhängige Beratung, dazu gehört Om budschaft. Dann gegen die Behindertenbeauftragten zu pole misieren ist einfach unlogisch, oder Sie haben es nicht verste hen wollen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

In diesem Sinn glaube ich, dass wir, das Land, mit dem Geld, das wir für die regionalen Behindertenbeauftragten angelegt haben, eine sehr gute Investition getätigt haben, weil dies Menschen erstmals auf Augenhöhe mit Behörden bringt, aber auch die Kooperation von Behörden und Betroffenen erleich tert und es den Menschen mit Behinderungen in der Folge wiederum leichter macht, sich tatsächlich die volle Teilhabe auch auf dem Arbeitsmarkt zu erstreiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, es lie gen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Damit ist die Aktuelle Debatte beendet und Punkt 1 der Ta gesordnung erledigt.