Protocol of the Session on October 28, 2015

Meine Damen und Herren, für die Aussprache hat das Präsi dium eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Ich darf für die CDU-Fraktion das Wort Herrn Abg. Professor Dr. Reinhart erteilen.

Herr Präsident, verehr te Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen waren wieder entsprechende Bilder zu sehen. Allein an der bayerischen Grenze sind in den vergangenen drei Tagen 30 000 Flüchtlin ge angekommen. Ehrenamtlich und hauptamtlich Tätige sind an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt.

Europa am Scheideweg. Sicher steht Europa vor einer Zer reißprobe. Deshalb geht es in diesen Tagen um den Zusam menhalt Europas. Europa steht vor der härtesten Bewährungs probe überhaupt.

Die Forderung, die in diesen Tagen zu Recht gestellt wird, lau tet: Wir brauchen eine Begrenzung in Deutschland und eine viel größere Solidarität aller 28 EU-Staaten, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU)

Denn wir haben im Moment einen Kontrollverlust auf euro päischer Ebene und auf der Ebene unseres Staates. Der große Zustrom von Flüchtlingen verlangt nach europäischen Ant worten und vor allem nach gemeinschaftlicher Übernahme von Verantwortung.

Bayern hat allein in den letzten sieben Wochen – so sagt der dortige Kollege Meyer, der dort früher Finanzstaatssekretär war und jetzt Landrat ist – 316 000 Flüchtlinge an der baye rischen Grenze in Passau aufgenommen. Die täglichen Bilder zeigen uns auch, dass hier die gesamte Verantwortungsge meinschaft gefragt ist. Denn die Grenzen der Hilfsbereitschaft und der Hilfsmöglichkeiten – so sagt man dort – sind wirk lich erreicht. Auch deshalb ist europäisches Handeln gefragt.

Die EU-Kommission – deshalb behandeln wir heute diesen Tagesordnungspunkt – hat bereits im Mai eine Europäische Migrationsagenda vorgelegt. Auch da muss man sagen: Euro

päische Programme allein helfen nichts, wenn nicht auch kon kretes Handeln damit verbunden ist.

(Zuruf von der CDU: Genau!)

Hierzu gehört vor allem die Schaffung eines verbindlichen Verteilmechanismus über eine Quote in Europa. Wir brauchen auch – davon bin ich überzeugt – ein gemeinsames europäisches Asylsystem mit gemeinsamen Standards, auch bei den Leistungen, um Fehlanreize zu vermeiden. Wir brauchen aber vor allem die Sicherung der EU-Außengrenzen als Kernbe standteil des Schengen-Systems.

Derzeit versagen eine Reihe von Mitgliedsstaaten wie noch nie. Selbst die schon beschlossene Verteilung von gerade ein mal 160 000 Migranten in der EU kommt nicht voran. Bis lang ist nicht einmal bei 1 000 Vollzug gemeldet worden. Ich halte das für einen echten europäischen Skandal.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir brauchen effektive Kontrollen an den EU-Grenzen. Wer in den Schengen-Raum einreist, der muss im Grunde genom men auch dort registriert werden.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: So ist es!)

Wir müssen deshalb Frontex stärken, um die Außengrenzen zu kontrollieren. Die Einrichtung von sicheren Hotspots ist ein wichtiger Schritt. Vor allem auch Menschen ohne Bleibe perspektive müssen direkt zurückgeführt werden können. Auch die Einrichtung von Asylzentren z. B. in Nordafrika und die Bekämpfung der Schleuserkriminalität gehören dazu. Ich habe in meiner letzten Rede zu diesem Thema gesagt: Wir können nicht nur den Fisch in Deutschland geben, wir müs sen vielmehr – wenn schon – vor Ort lehren, zu fischen. Das heißt, Hilfe zur Selbsthilfe muss einer der Lösungsansätze bei der Entwicklungszusammenarbeit sein. Ein weiterer Lösungs ansatz ist eine bessere Zusammenarbeit mit den Transit- und Herkunftsländern.

(Zuruf der Abg. Beate Böhlen GRÜNE)

Das unübersichtliche Nebeneinander bedarf einer Verbesse rung. Man sollte vor allem einmal die Frage stellen, ob bei diesen Flüchtlingsströmen die Prioritäten im aktuellen EUHaushalt noch richtig gesetzt sind. Auch das muss ein Thema sein, das wir hier diskutieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Am Sonntag fand ein Sondergipfel statt. Es gab Absprachen. Natürlich brauchen wir mehr Ordnung. Aber an den Taten fehlt es bisher. Fehlanzeige! Wichtig ist, dass am Beginn der Balkanroute deutlich mehr Aufnahmeplätze geschaffen wer den.

Es gibt viele abseits stehende Mitgliedsstaaten. Dort muss man deutlich machen – das gilt für alle 28 EU-Staaten –: So lidarität ist keine Einbahnstraße.

Meine Damen und Herren, wir hatten bisher immer Einigkeit, wenn Wohltaten verteilt wurden.

(Abg. Walter Heiler SPD: So ist es!)

Aber jetzt, wenn Lasten verteilt werden müssen, fehlt es an der geforderten Solidarität. Das darf nicht sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke und Niko Reith FDP/DVP)

In der Kommission ist angemahnt, dass auch die zuständigen Länder und Regionen alles tun müssen, um ausreisepflichti ge Personen tatsächlich zurückzuführen. Hier befindet sich auch die Landesregierung in der Pflicht.

Ein Problem ist auch, dass Reisedokumente weggeworfen werden. Wir müssen ein Verfahren haben, bei dem schneller Ersatzdokumente ausgestellt werden.

(Abg. Walter Heiler SPD: Wir brauchen ein System, das das Wegwerfen verhindert!)

Hier braucht man ein geeignetes Laissez-passer-Verfahren, damit man solche Probleme löst.

Nur gemeinsam können wir die Flüchtlingsfrage lösen. Des halb ist unser Vorschlag, dass Transitzonen eingerichtet wer den, wie es der Bundesinnenminister vorgeschlagen hat.

Wir müssen aber auch viel stärker bei der Bekämpfung der Fluchtursachen ansetzen. Wir brauchen eine einheitliche au ßen- und sicherheitspolitische Strategie in dieser Frage. Da zu gehören...

(Glocke der Präsidentin)

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

(Abg. Walter Heiler SPD: Er hätte noch so viel zu sa gen!)

... – ja, vielen Dank – Russland, die Türkei, der Iran genauso wie die arabischen Staaten.

Es zeigt sich – damit will ich zum Schluss kommen –, dass wir nach der Eurokrise, die Europa bereits gelähmt hat, ekla tante Schwachstellen feststellen; denn es fehlt an der Solida rität, die gerade hier nötig ist. Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen. Nur mit einer gesamteuropäischen Lösung, mit einem funktionierenden Schutz der Außengrenzen, mit einer solidarischen Verteilung werden wir wirklich verhindern kön nen, dass Europa scheitert.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Für das wichtigste Thema haben wir nur fünf Minuten!)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort Herrn Abg. Frey.

Sehr geehrte Präsidentin, sehr ge ehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir in zehn Jahren in die Jahre 2015/2016 zurückblicken, dann werden wir die heu tigen Flüchtlingsbewegungen als eine der größten Herausfor derungen für die EU,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Heute!)

aber auch eine der größten Migrationsbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg beurteilen. Damals waren 12 Millionen Menschen unterwegs, und wir wissen nicht, wie viele in die sen Jahren 2015 und 2016 zu uns kommen werden.

Aber eines ist sicher: Diese Flüchtlingsbewegungen sind der Lackmustest für die Europäische Union, für deren Werte und die Bewertung, ob die Europäische Union diese Migrations bewegungen gut handelt und damit auch als Projekt einer Uni on überlebt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Deshalb ist es wichtig, dass die Kommission Vorschläge un terbreitet – wie schon im Mai und auch jetzt wieder –, damit sie ihre Handlungsfähigkeit zeigt. Denn die Europäische Uni on braucht endlich eine gemeinsame Flüchtlingspolitik, sonst steht aus meiner Sicht das Projekt „Europäische Union“ in frage.

In der heute zur Beratung vorliegenden Mitteilung erscheinen mir einzelne Maßnahmen sehr sinnvoll. Sie müssen aber nun wirklich zügig umgesetzt werden, z. B. das Maßnahmenpaket zur legalen Migration einschließlich der Überarbeitung der Blue Card, der Vorschlag für ein strukturiertes Neuansied lungskonzept und die Aktualisierung der Strategie zur Be kämpfung des Menschenhandels.

Wir vermissen darin jedoch völlig die Bekämpfung der Flucht ursachen. Die EU muss nun endlich ihre Mittel für Entwick lungszusammenarbeit für die Länder in Asien und Afrika auf die ursprünglich einmal festgesetzten 0,7 % des Bruttonatio naleinkommens festlegen. Wir können die Länder dort nicht alleinlassen, sondern müssen alles auf den Prüfstand stellen, was im Augenblick dorthin fließt, aber auch unsere Investiti onen in den Ländern in Afrika und Asien deutlich erhöhen.

Die Kommunikation muss zwischen den Ländern der EU, aber auch der Balkanstaaten verbessert und institutionalisiert wer den, und es bedarf auch der Unterstützung des UNHCR, be sonders in Griechenland, um einen menschenwürdigen Um gang und die Registrierung der dort ankommenden Flüchtlin ge zu sichern. Wir brauchen einen gerechten, verbindlichen Verteilungsschlüssel der Flüchtlinge für alle EU-Mitglieds staaten je nach Bevölkerungsgröße, aber auch nach der Wirt schaftskraft.

Die Dublin-Regelungen müssen sofort novelliert werden und nicht erst im nächsten Jahr. Es ist doch offenkundig, dass das Dublin-System völlig versagt hat und sogar zu der Situation beigetragen hat, in der wir heute stecken.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)