Protocol of the Session on September 30, 2015

Bitte, Herr Abgeordne ter.

Herr Kollege Kern, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben den Realschullehrerverband mit seiner Kritik angeführt und ha ben ihn sozusagen als die zentrale Institution dargestellt. Ist Ihnen bekannt, dass die GEW, die das Vorhaben der Landes regierung ausdrücklich unterstützt, 5 000 Mitglieder im Be reich der Realschulen repräsentiert, während der Realschul lehrerverband nur über ca. 400 Mitglieder verfügt?

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Vereinzelt Beifall – Abg. Claus Schmiedel SPD: Ui! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Herr Kern ist überrascht!)

Sehr geehrter Herr Kolle ge Fulst-Blei, im Gegensatz zu Ihnen mache ich den Wahr heitsgehalt einer Aussage nicht ausschließlich an der Größe und an der Quantität eines Verbands fest.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Es geht um Repräsentanz, Herr Kollege!)

Vielmehr prüft die FDP Aussagen von Lehrerverbänden un abhängig davon, aus welcher Richtung diese kommen, und unabhängig davon, wie viele Mitglieder dort repräsentiert werden. Es kommt auf die Inhalte an und nicht auf die Mit gliederzahlen.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Die GEW ist Ihnen unsympathisch!)

Für die Landesregierung erteile ich das Wort Herrn Minister Stoch.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich möch te die Gelegenheit im Rahmen der heutigen zweiten Lesung nutzen, um nochmals auf die Ausgangsbedingungen zu spre chen zu kommen, vor die wir uns im Bereich der weiterfüh renden Schulen gestellt sehen. Deshalb möchte ich nochmals – wie bereits heute Morgen – darauf hinweisen, dass die Wei terentwicklung unserer Schullandschaft hin zu einem Zwei säulensystem zum einen aus Gründen der Verlässlichkeit und der Stabilität, was die Schulstrukturen angeht, zum anderen aber auch aus Gründen der Qualität unserer Schulen unaus weichlich ist. Die Weiterentwicklung der Realschule ist daher ein zentrales Element dieser Weiterentwicklung unseres Schul systems im Interesse der Schülerinnen und Schüler dieses Landes.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie wissen alle, meine sehr geehrten Damen und Herren – wir haben hierfür bereits zahllose Beispiele angeführt –, dass uns die Zahlen und die Herausforderungen im Bildungsbereich keine Wahl lassen. Es ist faktisch die Notwendigkeit vorhan den, dass wir mit dem Thema Heterogenität an den Schulen in unserem Land anders umgehen. Denn die Aufgabenstellun gen, vor die sich die Schulen und das Bildungssystem insge samt gestellt sehen, werden vielfältiger.

Wir werden bestimmte Aufgaben, Themen und Herausforde rungen – ich nenne als Beispiel die Integration von Kindern,

die aus anderen Ländern zu uns kommen; ich nenne als wei teres Beispiel das Thema Inklusion – pädagogisch nur dann erfolgreich umsetzen, wenn akzeptiert wird, dass Kinder in einem Klassenzimmer, in einem Raum, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten Lerninhalte – auch unterschiedlicher Art – verinnerlichen dürfen. Dies ist Inhalt einer zukunftsorien tierten Bildungspolitik und keiner rückwärtsgewandten Bil dungspolitik, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Was stellen wir denn im Bereich der weiterführenden Schu len fest? Wir haben in den vergangenen Jahren – auch davon war heute Morgen die Rede – gerade im Bereich der Haupt- und der Werkrealschulen einen deutlichen Rückgang der Schülerzahlen zu verzeichnen. Wir sind um mehrere Hundert Schulstandorte schwächer aufgestellt, als dies noch vor gut zehn, 15 Jahren der Fall war. Wenn ich Ihnen gleich zwei Zah len nenne, werden Sie merken, dass Sie nicht die Augen vor dieser Entwicklung verschließen können: Im Jahr 2001 gab es an über 1 200 Standorten noch 40 000 Schülerinnen und Schüler in der fünften Klasse der Hauptschule. Im Jahr 2011 – da gab es noch eine verbindliche Grundschulempfehlung – waren es noch 23 000 Schülerinnen und Schüler in der fünf ten Klasse dieser Schulart.

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es doch zwingend, dass wir Antworten darauf suchen, wie wir die Schüler in ihrer Unterschiedlichkeit, in ihrer unterschied lichen Leistungsfähigkeit bestmöglich fördern. Deswegen ist es auch richtig, auf die Veränderungen, gerade auch nach dem Wegfall der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung, pä dagogische Antworten zu suchen. Nichts anderes als eine pä dagogische Antwort auf die Veränderungen in unseren Schu len, insbesondere an den Realschulen, ist das Konzept zur Weiterentwicklung der Realschule in Baden-Württemberg.

Dieser Aussage möchte ich noch Folgendes hinzufügen: Eine schulstrukturelle Entwicklung ist ohne eine gleichzeitig da mit einhergehende pädagogische Weiterentwicklung nicht denkbar. Deswegen ist es für die Realschulen wichtig – das haben wir in langen Verhandlungen, insbesondere mit den Schulleiterinnen und Schulleitern an Realschulen, ermittelt, aber auch mit den Lehrerverbänden im Land, im Besonderen mit der GEW –, dass wir gemeinsam ein Konzept entwickelt haben, das es ermöglicht, die Schüler auf ihren unterschiedli chen Leistungsniveaus zu fördern.

Deswegen passt das Konzept der Weiterentwicklung der Re alschule auch sehr gut in die Konzeption des neuen Bildungs plans. Wir akzeptieren nämlich, dass Schülerinnen und Schü ler – möglicherweise auch bezogen auf unterschiedliche Fä cher – ein unterschiedliches Leistungsvermögen haben, und wir wollen, dass ein Schüler nicht überfordert, vor allem aber auch nicht unterfordert wird. Deswegen muss an allen Schul arten auch eine nach Niveaus differenzierende, binnendiffe renzierende pädagogische Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer möglich sein.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden natürlich auch die pädagogischen Mittel an diesen Schulen andere sein müssen als noch in der Vergangenheit. Die Päda gogik wird sich weiterentwickeln müssen, und natürlich wird

an den Schulen – wie es in den vergangenen Jahren auch zu nehmend der Fall war – auch das Thema „Individualisierte Lehr- und Lernformen“ eine immer wichtigere Rolle spielen. Natürlich werden auch kooperative Lernmodelle eine wichti ge Rolle spielen.

Aber an dieser Stelle sage ich eines ganz deutlich: Diese Er kenntnis gibt es nicht erst seit 2011 in unserem Bildungssys tem. Wir haben bereits zuvor solche Erkenntnisse gewonnen. Solche Schulformen wurden von Ihnen, von der CDU, sehr häufig als Vorzeigeobjekte dargestellt. Ich nenne als Beispiel die Schule in Friesenheim, die ich besuchen durfte – bei die sem Besuch war auch Kollege Rau dabei –,

(Zuruf: Frau Boser war auch dabei!)

eine Schule, die schon seit Jahren kooperative Modelle zwi schen den Schülern der Realschule und der Hauptschule durch führt und in der man sehr gute Erfahrungen damit gemacht hat, Schülerinnen und Schüler nicht auf die Annahme eines bestimmten Leistungsniveaus einzugrenzen, sondern sie mit dem Anspruch bestmöglicher Förderung zu einem möglichst sehr guten Abschluss zu führen.

Ich glaube, das Beispiel Friesenheim zeigt in besonderem Maß, was das Konzept der Weiterentwicklung der Realschu le leisten soll. Hier, an diesem Platz, stand im Rahmen der An hörung Herr Klein, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Realschulrektoren. Er sagte, dass dieses Konzept aus sei ner Sicht – er kann dies an seiner Schule ablesen – auch zum Inhalt hat, dass viele Schülerinnen und Schüler durch die leis tungsstärkeren Mitschülerinnen und Mitschüler selbst auch einen Leistungsanreiz erfahren und mitgezogen werden. Des wegen ist dieses Konzept der Weiterentwicklung der Real schule aus meiner Sicht die richtige Antwort auf die Heraus forderungen, vor denen wir heute bei den Realschulen in Ba den-Württemberg stehen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Es zählt zu den zentralen Elementen guter Pädagogik – auch dies ist nichts Neues –, Innovation zu ermöglichen, sich auf neue Entwicklungen einzulassen und bei Bedarf auch neue Wege zu gehen. Deswegen vertrauen wir darauf, dass die Leh rerinnen und Lehrer – mit denen gemeinsam dieses Konzept erarbeitet wurde – diese Herausforderungen annehmen. Wir werden dies auch im Rahmen von Fortbildungskonzeptionen unterstützen, damit sowohl in der Schul- als auch in der Un terrichtsentwicklung eine Umsetzung erfolgen kann.

Dabei ist ein zentrales Anliegen des Kultusministeriums und der Landesregierung, die Qualität des Unterrichts an unseren Schulen kontinuierlich und im Hinblick auf die tatsächlichen Herausforderungen im Klassenzimmer weiterzuentwickeln. Auch deswegen sammeln wir die Erkenntnisse aus den Ver änderungsprozessen und wollen sie anderen Schulen zugäng lich machen.

Dabei spielt natürlich auch die Ressourcenausstattung eine zentrale Rolle. Herr Kollege Wacker, wenn Sie so tun, als wä ren zehn Poolstunden für die Realschulen quasi nichts, dann würde ich Ihnen empfehlen, einmal an die Schulen zu gehen; das wäre vielleicht ganz hilfreich.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Es wird mal Zeit!)

Die Realschulen – die Kollegien genauso wie die Schulleite rinnen und Schulleiter – sagen: Mit der von der Landesregie rung gewährten Ausstattung haben die Realschulen endlich die Möglichkeit, mit ihren Schülerinnen und Schülern auf de ren Leistungsniveau zu arbeiten.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es!)

Sie sagen auch, dass es eine solche Ausstattung der Realschu len in Baden-Württemberg noch zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte dieses Landes gab, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es!)

Lassen Sie mich bezüglich Ihrer Änderungsanträge noch auf einen Punkt eingehen. Ich würde in diesem Zusammenhang vielleicht doch zu der Überlegung raten, ob man einen dieser Anträge nicht ganz heimlich in der Schublade verschwinden lässt. Sie haben in Ihrem Entschließungsantrag nämlich tat sächlich folgende Formulierung verwandt: Sie wollen die Lan desregierung ersuchen,

auch in Zukunft an der Realschule das erweiterte Niveau im Unterricht zu erlauben,...

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir hatten in der Sys tematik der bisherigen Schularten verschiedene Bildungsplä ne für die verschiedenen Schularten. Mir persönlich ist keine einzige Realschule bekannt, an der der Bildungsplan des Gym nasiums angewandt worden wäre. Nichts anderes ist aber in der Diktion des neuen Bildungsplans mit dem Begriff „erwei tertes Niveau“ gemeint.

Ich möchte eines an dieser Stelle auch klarstellen: Die Real schulen werden von diesem neuen Bildungsplan – dies auch als Antwort auf den entsprechenden Antrag der FDP/DVP – in erheblichem Maß profitieren. Denn sie haben mit diesem Bildungsplan die Möglichkeit, die Schüler auf ihren unter schiedlichen Niveaustufen – dem grundlegenden, dem mitt leren, aber auch dem erweiterten Niveau, dort, wo dies an der Realschule notwendig ist – zu fördern. Wenn Sie jetzt so tun, als ob bereits bisher – das ergibt sich aus Ihrer Formulierung – eine Anwendung des Bildungsplans des Gymnasiums an den Realschulen möglich gewesen wäre, dann ist das schlicht – es tut mir leid, wenn ich es so hart sage – Ausdruck bildungspo litischer Inkompetenz.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es!)

Bitte gestatten Sie mir einen abschließenden Satz. In der all gemeinen Debatte um viele Themen, insbesondere um das Flüchtlingsthema, ging ein Satz Ihres Fraktionsvorsitzenden Wolf ein wenig unter. Was Sie in Heilbronn zum Thema G 9 verkündet haben, bedeutet für die Schullandschaft in BadenWürttemberg, dass zwischen den Schularten ein neues Hau en und Stechen um Schülerströme starten wird. Das wird zur Folge haben, dass die Realschule, die Sie verbal so hoch hal ten, einen ganz erklecklichen Teil der Schülerinnen und Schü ler, nämlich insbesondere die besonders leistungsstarken Schü lerinnen und Schüler, verlieren wird.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Blödsinn! So ein Quatsch!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Gesamtkonzept Ihrer bildungspolitischen Aussagen – so wenige, wie Sie ge troffen haben – ist die Aussage, die Sie zu G 9 getroffen ha ben, ein Angriff auf die Realschulen in Baden-Württemberg.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Lächerlich! – Glo cke der Präsidentin)

Herr Minister, gestatten Sie noch eine Nachfrage des Abg. Wacker?

Ja, gern.

(Zuruf)

Okay. Er will noch ein mal reden.

Das Wort erteile ich für die CDU Herrn Abg. Wacker.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Der Totengräber der Realschule!)