Protocol of the Session on September 23, 2015

Kollege Zimmermann, bitte.

Herr Ministerpräsident, herz lichen Dank für das Zulassen der Frage.

Ich unterstütze Ihr Anliegen der frühen Rückführung; die Asylverfahren müssen schnell beendet werden. Wie erklären Sie sich dann den Umstand – ich bin jetzt nahezu 15 Jahre im Petitionsausschuss, heute Nachmittag ist wieder eine Petiti onsausschusssitzung –, dass bei allen Aufenthaltsfragen, die gerichtlich schon entschieden sind – Zurückführung, Asyl ab gelehnt –, insbesondere die Vertreter der Grünen im Petitions ausschuss diese Fälle mit Petitionsverfahren verzögern?

(Widerspruch bei der SPD – Unruhe)

Heute Nachmittag stehen allein fünf Verfahren an, die die Re gierung beantwortet hat – freundlicherweise in der Regel vom Innenministerium – und die seit über einem Jahr nicht bear beitet wurden. Sie wurden verzögert, und diese Verzögerungs taktik stelle ich seit vier Jahren im Petitionsausschuss fest. Verfahren, zu denen z. B. das Innenministerium schon im Mai 2014 einen Bericht abgegeben hat, stehen erst heute auf der Tagesordnung. Berichte, die schon im Mai 2014 abgegeben wurden, werden erst heute im Petitionsausschuss behandelt. Wie erklären Sie sich diesen Umstand?

Herr Abg. Zim mermann, Sie werden nun vom Regierungschef nicht erwar ten, dass er sich in das Allerheiligste des Landtags begibt, nämlich den Petitionsausschuss.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Das wäre nun das Allerletzte, was mir einfiele, Vorgänge des Petitionsausschusses in irgendeiner Weise zu klären. Wenn Ih nen da irgendetwas nicht gefällt, was andere Mitglieder des Petitionsausschusses machen,

(Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Mitglieder der Fraktion!)

dann tragen Sie das denen persönlich direkt vor.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Thomas Blenke CDU: Sprechen Sie als Abgeordneter?)

Auf dieses Glatteis lasse ich mich wirklich nicht führen. Der Petitionsausschuss ist dazu da, Forderungen an die Regierung zu richten. Von diesen ist die Regierung manchmal begeistert, manchmal nicht. Jede Regierung ist gehalten – das ist eine lange Tradition –, immer den größten Respekt gegenüber dem Petitionsausschuss aufzuwenden. Diese Tradition möchte ich nicht brechen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, Herr Zim mermann.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ich will zum Schluss noch einmal sagen:

(Zuruf: Unglaublich!)

Baden-Württemberg ist ein tolerantes Land, aber unsere To leranz hat klare Grenzen. Wir akzeptieren Kritik. Jeder, Herr Abg. Wolf, kann hier sagen, was er denkt. Wir leben schließ lich in einem freien Land. Aber man muss sich natürlich nicht immer hinter dem, was andere denken, verstecken. Man muss schon auch selbst sagen, was man meint. Ich kann jedenfalls keine Politik machen, bei der ich mich hinter Überschriften von Zeitungen verstecke.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Man braucht auch nicht alles zu kommentieren, auch nicht als Minister präsident!)

Man muss schon selbst sagen, was die eigene Meinung ist, und nicht, was irgendwie andere meinen.

Also, sagen kann hier jeder, was er will.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie brauchen es aber nicht zu kommentieren!)

Die Figur, dass man in diesem Land nicht sagen dürfe, was man möchte, sollten wir bitte schön gar nicht aufnehmen. In diesem Land kann nämlich jeder sagen, was er möchte. Er kann selbst widerwärtige Sachen sagen. Das ist alles erlaubt in diesem Land. Bis zu einer bestimmten Grenze, wo es zur Volksverhetzung kommt, ist das erlaubt. Das wissen wir alle. Aber wir selbst müssen eine klare Sprache und eine klare Hal tung, Offenheit und Klarheit in dem, was wir sagen, haben. Wir müssen diese Dinge aufnehmen, mit den Menschen dis kutieren, gegebenenfalls auch hart, aber auch verständnis- und rücksichtsvoll. Es kommt immer darauf an, wie die Situation gerade ist.

Aber wir müssen darauf bestehen: Baden-Württemberg ist ein tolerantes Land. Wir akzeptieren Kritik, aber wir akzeptieren keine Gewalt gegen Flüchtlinge. Ich bin sehr dankbar, dass der Landtag hier einstimmig beschlossen hat, dass wir Angrif fe auf Asylbewerber in keiner Weise dulden werden, dass wir Brandanschläge auf Asylheime aufs Schärfste verurteilen. Wer Hass sät, wer Gewalt ausübt, Brandanschläge plant oder durchführt, gegen den gehen wir mit der ganzen Härte des Rechtsstaats vor. Auch das muss klar gesagt werden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Ich will noch einmal sagen: Dass Baden-Württemberg ein Land mit einer Willkommenskultur ist, zeigen die vielen Hel fer. Das zeigen aber auch – Sie haben sehr zu Recht darauf hingewiesen, Herr Abg. Rülke – die hauptamtlich Tätigen, die bis zum Anschlag arbeiten.

Ich will noch etwas zur Informationspolitik sagen. Wir infor mieren die Kommunen so zeitnah, wie wir können. Doch Sie müssen auch verstehen: Wenn nachts um zwölf ein Zug mit 700 Flüchtlingen ankommt, dann müssen wir diese unterbrin gen, und dann erreicht man vielleicht nicht jeden. Ansonsten tun wir, was wir können und so schnell wir können, aber alle diese Menschen arbeiten selbst am Anschlag. Das muss man auch sehen. Sie sind nachts um zwölf fertig, und dann kommt noch einmal ein Zug. Wir müssen uns einfach in die Lage die ser Mitarbeiter versetzen. Deswegen klappt mit der Informa tion nicht alles wie am Schnürchen. Das muss jeder verste hen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ich will einmal einen von den hauptamtlich Tätigen hervor heben. Das ist Landesbranddirektor Hermann Schröder.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Guter Mann!)

Ich danke Gott jeden Tag dafür, dass wir Hermann Schröder haben. Er ist nicht nur ein Organisationsgenie, sondern auch jemand, der bis zum Umfallen alles organisiert und als Leiter der operativen Stabsstelle des Lenkungskreises eine ganz wertvolle Kraft ist. Er ist ein hervorragendes Beispiel, dass nicht nur die ehrenamtlichen Helfer, sondern auch die haupt amtlich Tätigen in unserem Land viel mehr tun, als sie tun müssten. Auch denen möchte ich hier wirklich herzlich dan ken.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Die Flüchtlinge – ich danke dem Fraktionsvorsitzenden Schmiedel, dass er so klar darauf hingewiesen hat – sind auch eine Chance für uns. Er hat darauf hingewiesen, dass große Flüchtlingsströme auf der Welt immer auch positive Effekte haben. Auch das müssen wir sehen. Die Zahl der Menschen in unserer Gesellschaft wird immer geringer, die Menschen werden immer älter, und der Fachkräftemangel ist eines der ganz großen Probleme. Deswegen müssen wir die anerkannten Flüchtlinge gut inte grieren.

Natürlich ist es kein einfacher Weg. Der Weg ist mit Belas tungen und mit Stress für alle Beteiligten verbunden. Wir müs sen die Flüchtlinge, die hierbleiben, alle in den Wohnungs markt integrieren. Das ist die allererste und allergrößte Her ausforderung. Wir müssen sie in den Arbeitsmarkt integrie ren. Viele sind gut qualifiziert, andere natürlich weniger. Wir müssen sie in das Bildungssystem integrieren – was uns bis her sehr gut gelungen ist, indem wir die Fehler der Gastarbei tergeneration nicht wiederholen, sondern diese Kinder sofort integrieren. Aber natürlich müssen wir sie auch in unsere Rechtskultur integrieren.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Unsere Rechtskultur ist geprägt durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, eine hervorragende Verfassung. Jeden, der hierherkommt, können wir nur deswegen aufneh men, weil wir aufgrund dieser Verfassungsordnung ein wohl geordnetes Gemeinwesen haben und die Stärke und Kraft ha ben – auch wirtschaftlich –, diese humanitäre Verpflichtung überhaupt zu leisten. Von jedem, der hierherkommt, können wir erwarten – und tun das auch –,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

dass er sich in diese Rechtskultur integriert. Das möchte ich klar sagen. Da gibt es auch gar keine Rabatte.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir haben Geduld mit allen. Denn es geht natürlich nicht so schnell, sich zu integrieren, wenn man aus völlig anderen Kul turen kommt, wenn man aus Regionen kommt, in denen die Menschen nichts anderes als Diktaturen kennen und ein völ lig anderes Verhältnis zum Staat, zu den Freiheitsrechten ha ben.

Ich kann es nur am Beispiel der Religionsfreiheit sagen. Ja, bei uns herrscht Religionsfreiheit. Jeder kann die Religion ausüben, die er möchte. Das heißt aber, er muss auch die Re ligionsfreiheit anderer und auch derjenigen akzeptieren, die keiner Religion angehören und nichts von Religionen halten.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Genau!)

Man kann sich bei uns über Karikaturen aufregen, man kann sie auch geschmacklos finden, aber man darf deswegen keine Gewalt anwenden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Vereinzelt Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das ist ein klares Beispiel dafür, was ich meine: Wir integrie ren diese Menschen gern, wir nehmen sie auf der Grundlage unserer Werte, unserer Verfassungsordnung gern auf. Nur wenn alle diese Grundordnung achten, die ja jedem die mög liche Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit gibt, damit jeder seine Kultur leben kann, dann kann dieses Werk gut gelingen.

Ich bin überzeugt: Es ist eine große und schwierige Heraus forderung. Aber mit der Bundeskanzlerin bin ich der Meinung: Vorausgesetzt, Europa findet sich wieder, können wir es schaf fen.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Grünen und der SPD)

Gemäß § 82 Absatz 4 der Ge schäftsordnung erteile ich dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Wolf das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, zunächst einmal herz lichen Dank, dass Sie die von SPD und CDU beantragte Ak tuelle Debatte

(Heiterkeit bei den Grünen – Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Das wurde ja schon oft genug betont!)

zum Anlass genommen haben, selbst ans Pult zu gehen und Ihre Position darzulegen.

Um ehrlich zu sein: Den Schluss Ihrer Rede fand ich am stärksten, und zwar den klaren Appell, dass alle, die zu uns kommen, letztlich gefordert sind, weil es zwingend ist, sich an diese eine Rechtsordnung, nämlich an die unseres Landes, zu halten. In diesem Punkt will ich Ihnen ausdrücklich zustim men.