Kurz- und mittelfristig müssen wir jedoch Instrumente entwi ckeln und umsetzen, mit denen wir hoch verschuldeten Euro staaten helfen und Finanzmärkte dauerhaft beruhigen, und wir alle müssen aus der Staatsverschuldung aussteigen. Die bis herigen Maßnahmen zur Rettung des Euro und auch die zö gerliche Haltung der Bundesregierung haben bekannterma ßen zu keiner Beruhigung der Finanzmärkte geführt, Herr Reinhart.
Meine Damen und Herren, wir haben ein Vermittlungs- und ein Akzeptanzproblem bei den Bürgerinnen und Bürgern. Denn nur wenige Experten durchdringen noch die hochkom plexen Details der Eurorettung. Die Euro- und Finanzmarkt krise hat sich deshalb längst zu einer Vertrauenskrise ausge wachsen. Die Krisenursachen müssen wir deswegen genau analysieren, um aus den Konstruktionsfehlern der Währungs union und der Freizügigkeit des Kapitals neu zu lernen. Da bei stehen nicht nur Griechenland, Portugal, Italien, Belgien oder Spanien am Pranger, sondern auch wir selbst.
Die größte Aufmerksamkeit muss der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts gelten. Wir brauchen eine neue Stabili tätskultur in Europa.
Dazu braucht Europa an erster Stelle eine Koordination der Finanz- und Haushaltspolitiken, die übermäßige Verschuldung vermeidet. Die Mitgliedsstaaten müssen solide wirtschaften; daran führt kein Weg vorbei.
Wir unterstützen hier ausdrücklich die Vorschläge der Europä ischen Kommission zur Stärkung des Stabilitäts- und Wachs tumspakts. Es ist notwendig, dass der Stand der Gesamtver
schuldung und die Außenhandelsbilanz überwacht werden. Allerdings war die Konzentration auf das 3-%-Kriterium bei der Neuverschuldung ein Irrweg. Ein Staat, dessen Neuver schuldung bei unter 3 % des BIP liegt, kann trotzdem finanz politisch auf der schiefen Bahn sein und sich im Hinblick auf Europa destruktiv verhalten. Deshalb ist es richtig, dass die Kommission nun die finanzpolitische Lage in einem Land erst dann abschließend beurteilt, wenn sie sich ein Gesamtbild ge macht hat.
Der Weg zu einer gesunden Wirtschafts- und Währungsunion führt über starke, wettbewerbsfähige Mitgliedsstaaten. Hier müssen alle ihre Aufgaben machen, nicht nur die im Süden, sondern auch die im Norden. Das heißt konkret: Die Europä ische Kommission hat in Zukunft auch ein Auge darauf zu werfen, dass ein Land nicht dauerhaft mehr Waren einführt, als es ausführt, und umgekehrt. Die Außenhandelsungleich gewichte in Europa müssen abgemildert werden. Dabei ist klar: Niemand will exportstarke und wettbewerbsfähige Staa ten schwächen. Aber ob es sinnvoll ist, dass es nun ausdrück lich die Schwachen sein sollen, die Schwache retten, wage ich zu bezweifeln, Herr Reinhart.
Die Stärke der exportstarken Nationen darf jedoch nicht mit Lohndumping und Schuldenfinanzierung erkauft werden. Al le müssen ihre Hausaufgaben machen. Das bedeutet, dass auch Deutschland seine Hausaufgaben machen muss. Die Stärkung der Binnennachfrage und das Ende künstlicher Lohnzurück haltung auf Kosten unserer neuen Nachbarn müssen ein En de haben.
Meine Damen und Herren, der Rettungsschirm EFSF, über den Bundestag und Bundesrat in dieser Woche entscheiden, ist kein reiner Akt der Nächstenliebe. Wir übernehmen als wirtschaftsstärkstes EU-Mitglied immerhin ein Viertel der Ga rantien. Das liegt aber auch im ureigenen deutschen Interes se; denn die politischen und wirtschaftlichen Kosten eines Scheiterns des Euro wären gerade für Deutschland nicht nur in monetärer Hinsicht desaströs. Die Vorteile des Euro sind für uns enorm – sie wurden von Europaminister Friedrich zum Teil bereits erwähnt –: Wir profitieren wie kein anderes Land vom EU-Binnenmarkt, und der Löwenanteil unserer badenwürttembergischen Exporte geht nach wie vor ins europäische Ausland. Im Jahr 2010 blieben zwei Drittel unserer Gesamt ausfuhren in Europa, davon 53 % in der Europäischen Union, 38 % in der Eurozone.
Die Europäische Union an sich steht für Frieden, Sicherheit und Solidarität genauso wie für Demokratie und Rechtsstaat lichkeit. Sie hat ihre Mitgliedsstaaten von der Bedrohung durch aggressiven Nationalismus und Krieg befreit. Sie hat autoritäre Regime und Diktaturen in Europa überwunden. Sie ermöglicht eine neuartige Zusammenarbeit in immer mehr Gesellschafts- und Politikbereichen innerhalb der EU und mit ihren Nachbarn. Wollen wir das aufs Spiel setzen?
Wenn es in Zukunft also darauf ankommt, die Haushalts-, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitiken auf europäischer Ebene stärker zu koordinieren, dann muss dies effizient und verbindlich organisiert und demokratisch legitimiert werden. Ich bin froh, hier auch von Herrn Reinhart ein eindeutiges Vo tum für mehr Beteiligung des Bundesrats feststellen zu kön nen.
Der Geburtsfehler des Euro, dass trotz Währungsunion jeder Mitgliedsstaat in der Eurozone seine eigene Wirtschafts-, Fi nanz-, Haushalts- und Sozialpolitik betreibt und in der Folge die Volkswirtschaften auseinanderdrifteten, muss korrigiert werden. Deswegen setzen wir uns für eine europäische Wirt schaftsregierung ein, die gewisse Leitplanken in den genann ten Politikfeldern vorgibt und gegen Länder, die dagegen ver stoßen, auch Sanktionen verhängen kann. Dabei bin ich hier für pazifistischere Methoden als die, jemandem das Messer an den Hals zu setzen.
Wichtig für das Funktionieren ist, dass eine europäische Wirt schaftsregierung demokratisch legitimiert ist. Eine europäi sche Wirtschaftsregierung, wie sie Kanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Sarkozy vorschwebt, ist letztlich undemokratisch, da sie allein auf Abmachungen zwischen den nationalen Regierungen setzt und die Parlamente außen vor lässt. Stattdessen sprechen wir uns dafür aus, dass die Wirt schaftsregierung bei der Europäischen Kommission angesie delt und von ihr koordiniert wird, weil die Kommission als supranationale europäische Institution das Wohl aller EU-Mit gliedsstaaten im Blick hat.
Damit die EU im Bereich der Haushalts-, Wirtschafts-, Fi nanz- und Sozialpolitik mehr Kompetenzen wahrnehmen kann und gleichzeitig das Europäische Parlament gestärkt wird, werden langfristig auch Änderungen der Europäischen Ver träge nötig sein. Diese Vertragsänderungen müssen aus unse rer Sicht von einem hierfür eingesetzten Verfassungskonvent erarbeitet werden. Denn nur so ist eine größtmögliche Trans parenz gewährleistet.
Meine Damen und Herren, wir alle wollen, dass die Eurokri se möglichst schnell beendet wird und der Euro und somit auch die Europäische Union stabilisiert werden. Dafür brau chen wir einen breiteren Lösungsansatz: den Rettungsschirm, die umfassende Beteiligung privater Gläubiger, eine europa weite Finanztransaktionssteuer und weitere Instrumente. Wir Grünen haben uns von Anfang an für starke und umfassende Informations- und Beteiligungsrechte des Bundestags einge setzt und einen funktionsfähigen Rettungsschirm eingefordert. Es bedurfte erst des BVG-Urteils vom 7. September 2011, um deutlich zu machen, dass die Regierungsfraktionen in diesen Fragen der Beteiligung des Deutschen Bundestags in europä ischen Angelegenheiten nacharbeiten müssen.
Neben dem Bundestag wirken auch die Länder über den Bun desrat in Angelegenheiten der EU mit. Der grünen Landtags fraktion geht es darum, über wichtige Maßnahmen des EuroRettungsschirms unterrichtet zu werden. Der Landtag ist über das Gesetz über die Beteiligung des Landtags in Angelegen heiten der Europäischen Union, das wir im vergangenen März verabschiedet haben, informiert und beteiligt. Wir danken dem Minister auch dafür, dass er uns hier im September informiert hat. Wir werden diese Beteiligung vonseiten des Europaaus schusses je nach Fall und Bedarf auf Landesebene nutzen und über den Bundesrat die Europapolitik aktiv mitgestalten.
Der Euro-Rettungsschirm als vorübergehendes Notfallinstru ment soll spätestens im Jahr 2013 durch den Europäischen
Stabilitätsmechanismus ersetzt werden. Er soll EU-Staaten im Krisenfall dauerhaft weiterhelfen – nicht unbegrenzt, aber nachhaltig. Die Bundesregierung hat sich monatelang öffent lich als Gegner eines dauerhaften Rettungschirms dargestellt und hat behauptet, eine Verlängerung des Euro-Rettungs schirms würde es mit ihr nicht geben. Letztendlich musste die Kanzlerin aber wie so oft in dieser Krise nachgeben, weil sie von den vorauszusehenden Entwicklungen überholt wurde. Die Bundesregierung muss nun endlich mit einer Stimme und ohne Polemik sprechen
Wir Grünen wollen den Stabilitätsmechanismus perspekti visch in einen europäischen Währungsfonds überführen, der klare Regeln für Finanznotfälle schafft und spekulative Wet ten gegen die Eurostaaten unterbindet. Wir sehen in dem schon erwähnten BVG-Urteil vom 7. September einen Rah men, der auch die Möglichkeiten für Eurobonds absteckt. Wir meinen, dass Eurobonds unter bestimmten Bedingungen ei nen Beitrag zur dauerhaften Stabilisierung des Euro leisten können. Viel hängt allerdings davon ab, wie sie ausgestaltet werden. Da fordere ich Herrn Reinhart auf, konstruktiv mit zuarbeiten und nicht danach zu suchen, wie man sie verhin dern kann.
Selbst wenn nur eine Gruppe von Ländern die Einführung von Eurobonds forcieren und diese einführen würde, würden die se Bonds den größten Anleihemarkt in Europa darstellen und demnach bevorzugt werden. Wer dort nicht mitmachte, liefe dann Gefahr, von den Investoren bestraft zu werden. Daher müssen wir dies vorbehaltlos prüfen und die richtigen Leit planken für diese Bonds setzen.
Griechenland hat sich, meine Damen und Herren, um die Kre dithilfe überhaupt zu bekommen, zur Umsetzung eines harten Anpassungsprogramms verpflichten müssen. Weitere Tran chen der Finanzhilfe werden nur ausgezahlt, wenn die Bedin gungen von Griechenland erfüllt werden. Wir brauchen dafür keine Messer, und es geht auch nicht um die Entscheidung zwischen Pest und Cholera, Herr Reinhart. Es ist aber auch ausgesprochen wichtig, dass Maßnahmen zur Haushaltskon solidierung maßvoll und sozialverträglich gestaltet werden.
Im Einsatz von bisher nicht abgerufenen Mitteln, z. B. aus dem Europäischen Strukturfonds, besteht aus unserer Sicht ei ne wirkungsvolle Möglichkeit, Investitionen in innovative In frastrukturmaßnahmen in den Arbeitsmarkt, in Bildung und erneuerbare Energien zu tätigen und perspektivisch auch nach haltiges Wachstum zu generieren. Hier müssen wir den be drohten Staaten bei der oft fehlenden Komplementärfinanzie rung entgegenkommen.
Die Lasten der Haushaltskonsolidierung müssen wir auf alle Schultern verteilen. Wir schlagen deshalb vor, dass die Euro pa-2020-Ziele mit ihren Schwerpunkten Armutsbekämpfung, Klimaschutz und Bildung genauso verbindlich werden wie die Vorgaben an die Mitgliedsstaaten zur Senkung ihrer Schul
den. Die Lage in den Krisenstaaten verdeutlicht, dass Sparen allein nicht aus der Krise führt, sondern Generalstreiks pro voziert, die den sozialen Frieden gefährden. Investitionen in die Schlüsselsektoren der Strategie Europa 2020 und soziale Balance sind dringend angesagt.
Eine konservativ-liberale Mehrheit lehnt diesen Vorschlag der Gleichrangigkeit von Europa-2020-Zielen und Defizitkriteri en jedoch bislang ab und verhindert damit eine nachhaltige Reform zur effektiven Lösung dieser Krise. Ich bitte deswe gen die Landesregierung, sich am Freitag in Berlin und natür lich darüber hinaus für den beschriebenen ganzheitlichen An satz einzusetzen und sich nachhaltig für Europa zu engagie ren, damit wir mit Zuversicht in die Zukunft gehen können, mit einem gemeinsamen Europa und einem starken Euro.
Sehr geehrter Herr Präsident, Kol leginnen und Kollegen! Ich darf für die heute leider nicht an wesende Kollegin Rita Haller-Haid ein paar Sätze zur Positi on der SPD-Fraktion bei dieser wichtigen Debatte äußern. Ich freue mich, dass die heutige Debatte als Europadebatte unter Einbezug der Öffentlichkeit in diesem Hohen Haus stattfin det. Ich habe mir vorgenommen, einige Fragen zu beantwor ten bzw. diese Fragen mit einigen Kommentaren zu versehen.
Die erste Frage lautet: Was erwarten die Bürger unseres Lan des in dieser Parlamentsdebatte heute eigentlich von uns? Dies ist eine wichtige Frage, wenn man weiß, wie die Einstellung der Bevölkerung ist, wie der Tenor unserer Debatte ist und dass es dazwischen Lücken gibt. Deswegen denke ich, dass die Erwartungshaltung der Bevölkerung für uns einen wich tigen Aspekt darstellt, über den man nachdenken sollte.
Ich glaube, dass die Bevölkerung von uns erwartet, dass wir die Positionen auf den Tisch legen. Aber ich glaube nicht, dass die Bevölkerung von uns erwartet, dass wir alternativlos Po litiken vorschlagen. Die Einigung Europas – so wichtig der Einfluss der Eurokrise auf das europäische Projekt auch ist – darf nicht praktisch auf knebelnde Weise mit der Krise des Euro verbunden werden. Wir brauchen keinen Druck um des Drucks willen, sondern wir brauchen in dieser Situation eine politische Führung in unserem Land, und wir brauchen mehr davon, Kolleginnen und Kollegen.
Das Zweite, was erwartet wird, ist, dass man an dieser Stelle ein paar eigene Einsichten hat. Die wichtigste Einsicht ist – man kann das überall lesen; man kann dazu die „Zeit“ oder andere gute Publikationen aufschlagen –: Wir müssen klar sa gen, dass es nicht so war, dass mit der Aufgabe der D-Mark und der Einführung des Euro die politische Union mitgekom men wäre. Das ist nicht so.
Jetzt gibt es die Situation, bei der sich das Ganze von hinten aufdröselt. Denn bestimmte Instrumente stehen nicht zur Ver
fügung. Weil das so ist, kommen wir hinterher immer mit Hilfskonstruktionen. Das bemerken alle, auch die Menschen. Sie sehen überhaupt nicht die lange Linie, nicht das Ziel, nicht den vorhandenen roten Faden. Im Gegenteil: Sie werden zu sätzlich mit Worten wie „Sixpack“, die 99 % der Bevölkerung nicht verstehen, zugemüllt.
Aber Tatsache ist, dass die meisten Menschen mit solchen Worten nicht sehr viel anfangen können. Das bedeutet auch, dass die demokratische Einflussnahme, die allein durch das Verstehen der Debatte vorhanden ist und die über die Parla mente hinausreicht, schwierig geworden ist. Die Menschen hören die Worte, bilden sich ihre Meinung, aber diese Mei nung hat sehr wenig damit zu tun, wie der politische Diskurs in dieser Republik gestaltet wird. Das muss aufhören. Wir brauchen ein Zusammengehen von politischem Diskurs in den Parlamenten und dem, was die Bürgerschaft empfindet.
Dazu gehört auch – Herr Kollege Reinhart, wir setzen uns da grundsätzlich produktiv auseinander – unsere eigene Einsicht. Abraham Lincoln hatte von Amerika aus vor 150 Jahren si cherlich einen guten Einblick in Europa. Aber Tatsache ist auch, dass wir heute feststellen müssen, dass in einem inter dependenten Europa die Summe von subjektiv wahrgenom menen Eigenverantwortlichkeiten der Länder noch keine Ei genverantwortlichkeit für Europa konzipiert. Deswegen brau chen wir eine Situation, in der wir eine europäische Verant wortlichkeit leben und tatsächlich auch in der Politik prakti zieren.
(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Claus Schmiedel SPD: Sehr richtig! – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)
Weil das so ist, denke ich, dass wir für die Orientierung der Bevölkerung einfach ein paar Meilensteine, ein paar Wegmar ken brauchen. Dabei muss man sagen, dass diese in nächster Zeit vorhanden und nachvollziehbar sein müssen. Sie liegen bei dieser Debatte und dem, was man in dieser Republik heu te als vernünftig ansieht, auch auf dem Tisch.
Das Erste ist: Wir brauchen die Ertüchtigung des Rettungs fonds EFSF. In dieser Ertüchtigung muss auch eine Überfüh rung zum ESM geregelt sein.