Protocol of the Session on September 28, 2011

Das Erste ist: Wir brauchen die Ertüchtigung des Rettungs fonds EFSF. In dieser Ertüchtigung muss auch eine Überfüh rung zum ESM geregelt sein.

Der zweite Punkt ist: Wir sollten die Rolle der Europäischen Zentralbank, der EZB, wieder zurückführen, und wir sollten klären, was notwendig ist, damit diese neutral ist und Stabili tät garantiert.

Der dritte Punkt ist: Wir müssen die demokratische Mitwir kung der Parlamente in allen Phasen sichern. Dies gilt nicht

nur in der heutigen Finanzierungssituation. Wir müssen die Mitwirkung der Parlamente heute weitestgehend sichern, weil die Kommission selbst eine Exekutive ist, die keiner weiteren demokratischen Kontrolle unterliegt. Deswegen muss dies ge stärkt werden.

Der vierte Punkt ist: Wir müssen darauf abheben, dass wir – das ist nicht nachrangig, nur weil es der vierte Punkt ist – über die Griechenlandhilfe reden müssen und darüber, was über das Finanzielle hinaus wirklich notwendig ist. Auch das ist et was, was im Konsens erfolgen sollte.

Das Fünfte ist, dass wir in den Staaten in der Tat, Herr Kolle ge, die Schuldenbremsen mit verankern sollten. Wir sollten sagen: Die Schuldenbremse ist in allen Ländern ein Gebot der Zeit.

Ein letzter Punkt, der zeitlich nicht nachrangig, aber als sechs ter Punkt aufzuzählen ist, ist, dass wir auch mit Eurobonds in der Lage sind, aus dem starken Deutschland heraus eine wei tere Stabilisierung für Europa zu leisten. Das hat einen einfa chen Grund – das will ich aus meiner Sicht sagen –: Natürlich entsteht mit Eurobonds eine riesige Belastung für Europa und müssen wir, wie Sie es geschildert haben, einen Beitrag leis ten, den wir ohne Eurobonds vielleicht nicht leisten müssten.

Es gibt aber bei Eurobonds auch andere Funktionen. Meine Frau kam gestern zu mir und sagte, sie habe sich „Report“ an geschaut: Schon Kleinanleger spekulierten gegen den Euro usw. Die Leute hören und lesen das doch. Deswegen sind für mich die Eurobonds nicht der alleinige Weg, kein Allheilmit tel, aber sie eröffnen uns die Chance, die Autorität der Natio nalökonomie über Einzelinteressen wiederherzustellen. Dar um geht es.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Deswegen meine ich, man sollte die Einführung von Euro bonds konstruktiv prüfen.

Ich komme zu meiner zweiten Frage, nämlich der Frage, wel che Möglichkeiten des Einflusses auf den Rettungsschirm wir als Parlamentarier haben können. Natürlich verfahren wir bei der Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte auf dem Weg, wie ihn auch Herr Minister Friedrich vorgeschlagen hat. Ich freue mich auch, dass es im Bundestag gelungen ist – ich höre, auch durch einen harten Einsatz der SPD-Fraktion –, dort die par lamentarischen Rechte auch im Prozedere deutlich auszuwei ten.

Wir haben auch eine Kultur im Landtag von Baden-Württem berg, dass wir uns dafür interessieren, was im Bundesrat in europäischen Angelegenheiten geschieht. Ich begrüße deshalb die heute von allen gemachte Ankündigung. Überhaupt brau chen wir – ich habe es gesagt – eine demokratische Kontrol le, die weiter geht als die bisherige. Auch können wir bei den Größenordnungen, um die es geht – der Minister hat es gesagt –, davon ausgehen, dass dann, wenn etwas schiefläuft, die Länder auf jeden Fall betroffen sein werden. So ist es eben. Das gehört zur Darstellung der Haushaltssituation nach au ßen.

Ich möchte zu den Möglichkeiten des Einflusses auf die jet zige Situation auch auf die Finanzwirtschaft verweisen. Aber es gibt etwas, worauf man jetzt eben auch abheben muss. Wir

brauchen in Europa nämlich eine europäisch gedachte Wirt schaftspolitik. Das ist ein Schritt, den bisher einige nicht ge hen wollten; er kommt dann auch mit Begriffen wie dem von der europäischen Wirtschaftsregierung schrittweise.

Es ist aus meiner Sicht falsch, dass wir keine harmonisierte Steuerpolitik in Europa haben, dass wir keinen Korridor für Körperschaftsteuersätze haben, dass wir keine Harmonisie rung bei den Steuerpolitiken haben. Darüber wurde in diesem Haus auch kontrovers diskutiert. Ich finde, die Plausibilität, dass so etwas notwendig wird, rückt immer näher.

Richtig ist: Wir brauchen Sozialstandards in Europa, damit kein Dumping auf unfaire Weise erfolgt. Richtig ist auch: Wir brauchen kraftvolle Technologieprogramme in Europa.

Ich habe kein Problem damit, dass sich dieser Kontinent in 20, 30 oder 40 Jahren mit China oder Indien messen muss und dass dieser Kontinent auch wirtschaftspolitisch gemeinsam auftritt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte das sogar für notwendig.

(Beifall bei der SPD)

Damit komme ich zu meiner dritten Frage: Wie bewerten wir die Aktionen der Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt? Ich will an dieser Stelle sagen – ich bin ja auch Vorsitzender des Europaausschusses –: Es geht nicht darum, dass wir uns hier auseinanderdividieren, dass wir den Akteuren – Herrn Schäuble oder wem auch immer in Berlin – einen Mangel an Ernsthaftigkeit konstatieren wollten. Das ist nicht so. Die Fra ge ist: Welche Spur wird gezogen, was wird gemacht, und was wird am nächsten Tag gemacht? Ich weiß natürlich, Herr Kol lege Reinhart, von der Aufweichung der Maastricht-Kriteri en. Natürlich haben Sie recht. Es gilt immer das Lied von Wil ly Millowitsch: Wir sind alle kleine Sünderlein.

(Heiterkeit)

Ja, das war immer so. Aber es gibt in der jetzigen Situation ei nes, was mich ärgert: Man kann einmal etwas falsch ansetzen, aber dass sich eine ganze Reihe Schritt für Schritt über die letzten zwei Jahre durchsetzt – – Ich kann nur auszugsweise sagen: Frau Merkel wurde im Februar 2010 gefragt, ob es deutsche Milliardenhilfen geben wird. Antwort: „Das ist aus drücklich nicht der Fall.“ Am 7. Mai 2010 beschließt der Deut sche Bundestag auf Antrag der Bundesregierung, dass sich Deutschland mit 22,4 Milliarden € am ersten Rettungspaket für Griechenland beteiligt. Das geht so weiter bis hin zu der Frage, ob es denn notwendig ist, eine Verlängerung des Ret tungsschirms mit Deutschland zu machen. Da wird am 28. Sep tember 2010 gegenüber „Spiegel online“ Nein gesagt. Tat sächlich beschließen am 24. März 2011 die Staats- und Re gierungschefs natürlich eine Ausweitung der Griechenland hilfe.

Es wird gefragt: „Brauchen wir eine Finanztransaktionssteu er?“ Dann wird gesagt: „Jawohl, wir schauen einmal um die Ecke. Das könnte schon sein.“ Im Bundestag passiert über haupt nichts, bis heute Herr Barroso ankündigt: „Selbstver ständlich machen wir das, und wir wollen, dass neben der Bür gerschaft jetzt auch die Branche ihren Beitrag erbringt.“

Es ist immer eine Art Hinterherlaufen. Dieses Hinterherlau fen verstört nicht nur mich, es verstört die Leute. Sie sehen

nicht, dass hier eine Orientierung gegeben wird. Sie sehen nur, dass reagiert wird, aber nicht, dass agiert wird. Das ist schlecht, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf von der SPD: Bravo!)

Deswegen sage ich einfach: Man sollte Einfluss darauf neh men – ich habe die Punkte genannt –, dass in einer klaren Marschtabelle aufgezeigt wird, was jetzt in Deutschland für Europa und gemeinsam mit Europa gemacht wird.

Ich komme zu meiner vierten Frage: Wie helfen wir den Grie chen konkret? Man kann auch einmal darüber reden, was da rüber hinaus getan werden kann. Ich weiß, dass Baden-Würt temberg nicht der Nabel der Welt ist. Aber unser Land hat ei ne lange Tradition, und wir können sagen: Wir leben in einem wirtschaftsstarken und sozial starken Land.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Genau!)

Deswegen meine ich, man sollte auch von Baden-Württem berg aus versuchen, mit den Möglichkeiten, die wir haben – da schaue ich zur Regierung –, den Griechen konkret zu hel fen.

Ich will einen Punkt nennen – ich komme nachher noch ein mal darauf zurück –, wie wir den Griechen wirklich helfen können.

(Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Ich habe heute Morgen mit jemandem gesprochen, der oft in Griechenland ist und als Deutscher Meinungen dazu hat, die sehr differenziert sind. Ich finde, dass man den Griechen auch helfen kann – das ist auch ein Stück weit ein Blick in den Spie gel der letzten 20 Jahre und auf die Diskussion seit der Mau eröffnung –, indem man das Bewusstsein weckt, dass ein Ver ständnis von Staat, bei dem es nur darauf ankommt, etwas zu nehmen und nicht zu geben, am Ende den Staat selbst erodiert. Das Geben und Nehmen im Staat ist etwas, was in Griechen land – bei aller Sympathie für unsere Freunde, von den Gast stätten bis hin zu den Urlaubsregionen – nicht gut gelaufen ist.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: So ist es!)

Deswegen geht es in Europa insgesamt um die prinzipielle Frage, wie diese europäischen Gesellschaften zum Staat ste hen. Wir hatten in Europa und transatlantisch in den letzten 20 Jahren eher eine Demolierung des Staates. Deswegen hat manches, was wir jetzt in Griechenland ausbaden, auch damit zu tun, wie man in den europäischen Gesellschaften insge samt mit der Frage, was „Staat“ ist, umgegangen ist.

Ich will nicht, dass sich der starke Staat überall einmischt. Aber ich will, dass der Staat keine fremde Instanz ist, kein Staat, dem man als Steuerbürger oder als was auch immer et was vorzuenthalten hat. Wir brauchen wieder das Verständ nis, dass man dem Staat etwas gibt, weil man von ihm auch etwas bekommt. Das ist der Grundsatz, den man in Griechen land und auch an anderen Plätzen wieder stärker hochhalten müsste.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen sowie der Abg. Arnulf Freiherr von Eyb und Dieter Hillebrand CDU)

Ich will zu Griechenland auch sagen, dass man sich natürlich darüber Gedanken machen muss, wie die wirtschaftliche Hil fe aussieht. Ich lese auch, dass meine eigene Fraktion in Ber lin den Aufbau einer industriellen Substanz fordert. Dazu muss aber auch eine industrielle Substanz vorhanden sein, die weiterentwickelt werden kann. Ganz so einfach wird es nicht werden.

Deswegen brauchen wir einen Prozess, bei dem wir die Stär ken in Griechenland stärken. Dazu müssen wir zunächst fra gen: Was sind die Stärken, die man in der jetzigen Situation tatsächlich stärken kann? Die Auflage eines Programms für Raumfahrttechnologie würde vermutlich nicht den Durch bruch für Griechenland bringen. Eher würden die Mittel ver sickern. Deswegen ist die Frage – das sollte man wirklich ein mal intellektuell sauber reflektieren –, wie man mit dem, was in Griechenland heute vorhanden ist und sinnvollerweise auf gebaut werden kann, tatsächlich Wachstum induzieren kann.

Das Dritte ist – davon bin ich überzeugt –, dass wir auch Ver waltungskompetenz aus Baden-Württemberg und anderen Ländern exportieren können. Ich würde mich freuen, wenn Finanzämter in Griechenland in den Punkten, in denen sie von uns Verwaltungshilfe bekommen können, entsprechende Hil fen erhalten würden. Warum nicht? Ich meine, dass dies ge rade unter dem Stichwort „Funktionierender Staat“ nicht so schlecht wäre.

Am Ende dieser Ratschläge möchte ich sagen: Nach allem, was man sieht und hört, brauchen die Griechen vor allem ei ne gewisse Zurückhaltung und nicht ein donnerndes Eingrei fen. Sie brauchen vor allem auch Respekt und Zuwendung. Ich finde, damit sollten wir Griechenland auch helfen, Kolle ginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Damit komme ich zur fünften und letzten Frage: Was sind die Lehren, die man in Baden-Württemberg, in ganz Deutschland und darüber hinaus aus der Situation ziehen sollte? Ich will noch einmal auf das zurückkommen, was ich vorhin zum The ma Staat gesagt habe. Mein Großvater, Eugen Funk, Werk zeugmacher bei der Württembergischen Metallwarenfabrik in Geislingen, hat manchmal, wenn etwas schieflief, gesagt: „Dass der Staat so etwas zulässt!“ Erinnert sich jemand dar an, in den letzten zehn Jahren den Satz gehört zu haben: „Dass der Staat so etwas zulässt, darf eigentlich nicht sein“? Ich fin de, wenn man hört, was heute in den Debatten gesagt wird, dann stellt man fest, dass wir wieder näher an dieser Denk weise sind.

Ich finde, in der Weltwirtschaft geht es nicht um weniger Frei heit für unternehmerische Tätigkeit, sondern darum, dass wir wieder Ordnung schaffen. Es gibt zu wenig Ordnung in die ser Weltwirtschaft, Kolleginnen und Kollegen. Deswegen ist es notwendig, dass es auch Instrumente wie etwa eine Finanz transaktionssteuer gibt.

Deswegen ist es wichtig, dass wir – wie es Kollege Frey ge sagt hat – auch Standards einführen, mit denen wir uns Auto rität verschaffen. Deswegen kann es sein, dass die G-8- bzw. die G-9-Staaten nicht mehr alles abdecken, sondern dass die G-20-Staaten wichtiger werden. Grundsätzlich gilt, dass wir in diesem gesamten Gemenge in der Lage sein müssen, wie

der eine Wirtschaftsordnung aufzustellen, bei der alle wissen, welche Rollen sie haben.

Letztendlich geht es darum, dass die Menschen die reine He gemonie des Ökonomischen in ihrem Leben nicht wollen. Sie schauen sich abends um ca. 22:38 Uhr in der ARD Frau An ja Kohl an. Dann hören sie: „die Märkte“.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wer ist denn das?)

Sie ist eine sehr interessante Berichterstatterin von der Bör se. Ich dachte, sie wäre Ihre Favoritin.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Da bin ich noch nicht zu Hause!)

Dann hören sie Frau Anja Kohl an. Sie spricht dann von „den Märkten“. Wer sind eigentlich die Märkte? Oder sie spricht davon, dass die Märkte nervös seien. Wer ist nervös? Oder sie spricht davon, dass man auf dem Parkett Folgendes flüstere. Wer ist eigentlich „das Parkett“? Man stellt sich schon fast Bertolt Brecht vor: „Fragen eines lesenden Arbeiters“. Wer ist das eigentlich, der das gemacht hat?

Deswegen finde ich, dass man wieder zu einer Situation kom men muss, in der man fragt – so schwierig das auch gewor den ist, weil das Kapital nicht mehr so leicht als jemand mit Zylinderhut und Zigarre personalisierbar ist –: Wer ist eigent lich verantwortlich für das, was gerade passiert? Tatsache ist, dass man darüber reden muss, welche Rhetorik drei Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers in diesem Land wieder ein gerissen ist, obwohl wir alle uns geschworen haben, dass wir das nicht mehr wollen.