Protocol of the Session on February 4, 2015

Jetzt haben wir Gelegenheit dazu, genau. – Ich möchte ei nes noch vorwegschicken: Es geht nicht um irgendwelche ideologischen Abgrenzungsgefechte. Mir geht es eigentlich um etwas ganz anderes. Da die Wurzeln des Geschehens über zehn Jahre zurückliegen, bin ich fast sicher, dass viele Mit glieder dieses Gremiums nicht wissen, nicht wissen können, wie die Situation damals war und warum wir dies mit der al ten Landesregierung gemacht haben. Nur wenn man das weiß, kann man, wie ich meine, jetzt zu einem richtigen Urteil kom men.

Ich kann Ihnen den Zustand der Bewährungshilfe im Land, wie er vor über zehn Jahren, vor zwölf, 13 Jahren, ausgese hen hat, schildern. Er war äußerst reformbedürftig. Zwischen Kiel und Konstanz wusste man, dass die Bewährungshilfe re formiert werden musste. Dies war klar. Man hat nur nach We gen gesucht, wie man sie reformiert.

Warum war sie reformbedürftig? Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter waren ein versprengtes Häuflein an den Land gerichten. Niemand hat sich um sie gekümmert. Die Präsiden ten waren dazu nur bedingt in der Lage, weil es hier um eine andere Fachlichkeit der Juristen ging. Im Grunde hat man sie ihrem Schicksal überlassen, was für sie natürlich auch positi ve Seiten hatte. Organisatorisch war das Ganze aber abenteu erlich. Es gab keine Standards, keine Transparenz, keine Su pervisionen, keine Fortbildungen. Es wurde über die hohe Ar beitsbelastung geklagt. Wir wussten nicht, wie die Fälle je weils beschaffen waren, weil es keine Transparenz und keine ausreichende Dokumentation gab.

Als ich gefragt habe, ob es nicht möglich wäre, für die leich teren Fälle ein paar ehrenamtlich Tätige einzubeziehen, bin ich auf glatte Ablehnung gestoßen. Hierüber war absolut kei ne Gesprächsbereitschaft vorhanden. Wir waren daher ein bisschen ratlos. Unser erster Versuch, bei den Landgerichten auch nur eine Person zu installieren, die uns als Ansprechpart ner, sozusagen als eine Art Primus inter Pares, zur Verfügung steht, stieß dermaßen auf Gegenwehr, dass wir damals wirk lich nicht wussten, wie das Problem gelöst werden könnte.

Es gibt aber nun manchmal auch Zufälle: In diesem Moment haben wir ein anderes Modell entdeckt; man muss es schon

so sagen. Es gab eine enge Zusammenarbeit mit Österreich, weil die österreichische Justiz etwa so groß ist wie die badenwürttembergische. Da haben wir uns über viele Themen im Bereich der EDV-Organisation ausgetauscht und haben auf einmal festgestellt, dass die Österreicher seit 50, 60 Jahren ein bestens funktionierendes Modell in freier Trägerschaft hatten mit allen Merkmalen, die wir wollten: Qualitätsstandards, Transparenz, Fortbildung, Supervision und vor allem einer er heblichen Beteiligung von ehrenamtlich Tätigen.

Da ist die Idee entstanden, diese Tätigkeit auszuschreiben. Das fand ich weder neu noch revolutionär; denn sicherlich 80 bis 90 % der Sozialarbeit finden bei uns im Land in freier Träger schaft statt. Das ist eigentlich ganz normal, und die Sozialar beiter selbst haben auch immer betont, sie seien nicht nur der verlängerte Arm des Staates.

Wir haben die Sache ausgeschrieben, und NEUSTART, ein deutscher Ableger von NEUSTART in Österreich, hat den Zu schlag bekommen. Das waren heiße Auseinandersetzungen. Da ging es im Internet gegenüber den Österreichern ziemlich wüst zu. Ich habe auch sehr viele sehr böse Briefe bekommen – übrigens auch der Art, dass ich mich manchmal gefragt ha be, ob Menschen anderen Menschen Grenzen vermitteln kön nen, wenn sie selbst keine Grenzen kennen, wenn sie sich im Internet über Österreicher äußern

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

oder mir Briefe schreiben. Das war teilweise schon erschre ckend. Es wurde prophezeit, dass wir keine Ehrenamtlichen finden würden. Die ersten 60 Ehrenamtlichen haben wir des halb extra offiziell begrüßt. Mittlerweile sind dort 650 Ehren amtliche für die leichteren Fälle tätig. Ich bin mehrfach an die sem Pult oder im Plenarsaal des Landtagsgebäudes gestanden und habe gesagt: Wenn die Reform einigermaßen durch ist, dann wird es für alle Beteiligten besser sein: für die Mitarbei terinnen und Mitarbeiter, für die Probanden und für die Ge sellschaft, also für alle Beteiligten.

Jetzt, meine Damen und Herren, darf man sagen: Wir haben diesen Punkt erreicht. Lesen Sie den Evaluationsbericht. Wir haben den Punkt erreicht. Es ist für alle Beteiligten besser: für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für die Probanden und für die Gesellschaft. Und ausgerechnet jetzt wird darüber dis kutiert, ob man es nicht rückgängig machen soll.

Es gibt Einwände, die wir immer wieder hören. Da fällt das Wort von der Privatisierung. Meines Erachtens ist das ein schiefer Begriff. Ich sage es noch einmal: Sozialarbeit in Ba den-Württemberg ist zu 80 bis 90 % in freier Trägerschaft. Wenn Sie jetzt bei NEUSTART von Privatisierung reden wol len, dann ist natürlich auch in Bezug auf die ganze Liga der freien Wohlfahrtspflege von Privatisierung zu sprechen.

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Das ist einfach ein schiefer Begriff. Dann kam natürlich re flexartig auch wieder das Argument: Die können nur billiger sein, weil sie ihre Leute schlecht behandeln.

Wissen Sie: Was mich diesmal schon ein bisschen erschreckt hat, ist, dass dieses Argument von einem Finanz- und Wirt schaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten kam, ohne dass man sich vorher einmal die Mühe gemacht hat, zu

prüfen: Stimmt das eigentlich auch? Es ist dann schon ein bisschen peinlich, wenn am nächsten Tag ver.di erklärt: „Nein, stimmt nicht.“

(Lachen des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

NEUSTART bezahlt seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sogar besser, als das Land sie bezahlt hat.

Nun hatte ver.di zwar die Befürchtung: Wenn neu ausgeschrie ben wird, dann gibt es Unsicherheiten, was passiert. Ich kann Ihnen sagen, die Unsicherheiten sind doch arg begrenzt. Als wir damals ausgeschrieben haben, war das ein sehr spezielles Geschäft. NEUSTART in Österreich war weit überlegen, und daneben gab es nur einen einzigen Bewerber, der die vorge gebenen Kriterien aber natürlich nicht erfüllen konnte. Die Angst, dass Sie da etwas Schlechteres bekämen, was Sie dann nehmen müssten – Sie müssen es ja nicht nehmen –, ist also abstrakt. Da braucht man keine Angst davor zu haben, diese Sache fortzusetzen.

Vorhin hat Herr Schmid gesagt, es gehe in anderen Bereichen darum, eine Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. Wenn Sie ei ne Erfolgsgeschichte fortschreiben wollen, dann haben Sie hier eine ganz einfache Gelegenheit, indem Sie den Vertrag neu ausschreiben.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Jetzt wird natürlich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts herangezogen. Das ist sehr ernst zu nehmen. Auf der anderen Seite geht es im Grunde genommen nach meiner Einschät zung doch nicht um die grundsätzliche Frage, ob man so et was machen darf, sondern um Fragen der technischen Durch führung. Denn so neu ist es nicht, dass im Zuge von Reform prozessen auch Beamte vorübergehend, während des Über gangs, in anderen Organisationen in freier Trägerschaft mit arbeiten. Da geht es nach meiner sicheren Einschätzung nicht um das Grundsätzliche. Insofern ist das halt auch ein bisschen ein vorgeschobenes Argument. Ich gehe getrost davon aus, dass man auch den nächsten Vertrag rechtlich wasserdicht hin bekommen könnte, wenn man will.

Umgekehrt: Ein Erfolgsmodell dieser Art jetzt infrage zu stel len, das muss man schon als einigermaßen fahrlässig bezeich nen. Es ist gegen jede Vernunft, und es ist auch nicht gerade fair, wenn man denjenigen, die die Reform gemacht haben, nun sagt: „Jetzt könnt ihr wieder gehen.“ Denn die Reform war die eigentliche Herausforderung, und die Reform – das steht heute klar im Raum – haben wir kostenlos bekommen. Die Evaluation – darin werden sogar Zahlen genannt – zeigt sehr deutlich auf, dass die Reform, die wir durch die Übertra gung kostenlos bekommen haben, das Land ohne die Über tragung viel Geld gekostet hätte. Jetzt die Leute wieder weg zuschicken, nachdem diese das Entscheidende geleistet ha ben, finde ich also auch nicht besonders fair, auch nicht ge genüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die neuen Un sicherheiten ausgesetzt werden, und auch nicht gegenüber den ehrenamtlich Tätigen, die man vorher ja abgelehnt hat. Ich fürchte da mittelfristig auch wieder den Rückfall in die alten Zustände.

Eines gebe ich noch zu bedenken: Die organisatorische Ver änderung, wenn man das zum Land zurückholen wollte, ist

natürlich auch eine richtige Herausforderung. Es ist eine He rausforderung, den Prozess zu gestalten – und das in einer Zeit, in der die Notariats- und Grundbuchamtsreform im kri tischsten Abschnitt ist. Wer das macht, wer da jetzt an eine er folgreiche, an eine laufende Geschichte rührt, der schafft sich selbst Probleme, die man sich nicht schaffen sollte. Der wäre in gewisser Weise selbst daran schuld, wenn damit ein Fass aufgemacht wird und die Situation in der Justiz noch schwie riger gemacht wird, als sie durch die größte Reform der Nach kriegsgeschichte ohnehin schon ist.

Deswegen darf ich zum Schluss an diese Worte anknüpfen und darf auch von hier aus einmal sagen: Wenn Sie Erfolg im Sinn haben, wenn Sie wollen, dass es eine bessere Sache ist für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, eine bessere Sache für die Probanden, eine bessere Sache für die Allgemeinheit, dann müssen Sie von dem Gedanken Abstand nehmen, die Übertragung auf den freien Träger rückgängig zu machen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank. – Für die CDUFraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Zimmermann.

Herr Präsident – Gratulati on auch von meiner Seite –, werte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema beschäftigt uns ja schon zwei Legislaturperioden lang.

(Abg. Walter Heiler SPD: Mindestens!)

Ich muss Ihnen sagen: Anfänglich gab es Protest bei den Hauptamtlichen, auch bei Gerichten. Dann wandelte sich das Ganze in Duldung und Akzeptanz, und – das muss ich Ihnen sagen – zum Schluss eigentlich – Lob wäre zu viel gesagt – in Anerkennung dessen, was NEUSTART und die ehrenamt lich Tätigen leisten.

(Abg. Sascha Binder SPD: Stellt niemand infrage!)

Herr Kollege Binder, ich bewundere Ihren Mut, für die SPD nach außen zu gehen und die Botschaft zu vermitteln: „Ihr 200 Vollzeitbeschäftigten bei NEUSTART, ihr über 650 ehrenamt lich Tätigen, wir wollen das Ganze wieder zurückdrehen.“ Die arbeiten wirklich mit Herzblut. Was da geleistet wurde – –

(Abg. Sascha Binder SPD: Das bestreitet niemand!)

Herr Kollege, Sie dürfen nachher reden,

(Abg. Sascha Binder SPD: Ich nehme mir ein Bei spiel an Ihnen!)

und wenn Sie Glück haben, werde ich Ihren Einwendungen auch schon noch entgegentreten.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Er nimmt sich ein Bei spiel an Ihnen! – Abg. Sascha Binder SPD: Ich eife re Ihnen nach bei den Zwischenrufen!)

Ich sage Ihnen: Wir verzeichnen als Strafvollzugsbeauftragte – der Kollege von den Grünen wird, wie ich mitbekommen habe, nachher auch noch reden – kontinuierlich – das mag

jetzt Zufall sein – seit 2007 einen Rückgang der Zahl der Strafgefangenen um rund 900. Niemand weiß genau, Herr Mi nister Stickelberger, woran das liegt. Aber mit Sicherheit liegt es an einem:

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Wisst ihr das?)

daran, dass die Zahl der Widerrufe bei ausgesprochenen Be währungen enorm zurückgegangen ist. Ein erklecklicher An teil entfällt da auch auf die erfolgreiche Arbeit in der Bewäh rungshilfe. Da sind die Fälle, wenn wir die Zahlen von 2005 nehmen, von rund 2 100 auf unter 1 800 gesunken – also ein Rückgang um 14 %.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Aha!)

Die ehrenamtliche Bewährungshilfe hat die Klientenzahl der Betreuung auch gesenkt.

Herr Minister a. D. Professor Dr. Goll, Ihren Ausführungen kann man ja nichts mehr hinzufügen; sie spiegeln die Reali tät wider. Ich sage Ihnen, Kollege Binder: Auch in der Justiz ist die Akzeptanz gegeben. Wir finden hier tatsächlich erfolg reiche Arbeit vor.

Ich brauche nun die Erlaubnis, etwas vorzutragen. Der neue Präsident gibt sie mir sicherlich.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Ich habe hier ein Schreiben

(Abg. Walter Heiler SPD: Ich habe mehrere Schrei ben!)

auf meinem Tisch liegen lassen,