Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Woche haben alle vier Fraktionen im Landtag von Baden-Württem berg anlässlich der Haushaltsberatungen einen gemeinsamen
Entschließungsantrag in den Landtag eingebracht, um auf den Bund einzuwirken, dass die Regionalisierungsmittel im Schie nenpersonennahverkehr angepasst werden, insbesondere auch von den Prozentwerten und von der Dynamisierung her. Da sind wir sicherlich auch einer Meinung.
Der Kollege Köberle hat auf die Erfolgsstory hingewiesen: Wenn man auf die Zeit seit der Bahnreform von 1994 einmal zurückblickt, stellt man eine positive Entwicklung im Land fest. Es gab eine Steigerung der Fahrgastzahlen um 60 % und eine Steigerung der Zahl der Zugkilometer um 35 % auf über 65,4 Millionen. Insofern kann man durchaus davon sprechen, dass sich das Land Baden-Württemberg immer sehr stark für den SPNV eingesetzt hat.
Das ist auch ein Thema, das die FDP/DVP-Landtagsfraktion sowohl im Schienenbereich als auch in Randbereichen – den ken wir an die Zusatzinvestitionen für Lärmschutzmaßnah men zum Schutz der Bevölkerung – immer mitgetragen hat.
Heute wird im Kabinett in Berlin beschlossen, dass die bishe rige Regelung mit einem Finanzvolumen von 7,4 Milliarden € beibehalten wird und dass eine Dynamisierung von 1,5 % ge währt wird. Das ist heute Beschlusslage im Kabinett der Gro ßen Koalition.
Im Koalitionsvertrag steht aber, dass das Ziel ist, eine lang fristige Sicherung der SPNV-Finanzierung und eine neue Grundlage zu schaffen. Der jetzige Gesetzentwurf – das kann man schon sagen – ist Schmalhanskost. Da könnte man sich durchaus wesentlich mehr versprechen. Man hat es auf die lange Bank geschoben. Man meint wohl, man müsse erst die konsumptiven Entscheidungen treffen, z. B. Rentengeschen ke machen, einen Mindestlohn einführen, der eine Bürokra tielawine nach sich zieht,
und – heute auch Beschlusslage – eine Dobrindt-Maut einfüh ren, die ein Murks sondergleichen ist, einen Riesenaufwand nach sich zieht und Ausländer diskriminiert.
(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Manfred Lucha GRÜNE)
Man hat den Eindruck, dass der Bund schon ein wenig darauf setzt, im Rahmen der Bund-Länder-Verhandlungen zum Fi nanzausgleich auch dieses Thema ein Stück weit einzubrin gen und in diesem Rahmen vielleicht auch über die Regiona lisierungsmittel zu verhandeln.
Herr Verkehrsminister, Sie sind ja am Freitag in Berlin und halten um 9:00 Uhr mit großem Bahnhof eine Pressekonfe renz
zum Thema Schienenpersonennahverkehr ab. Jetzt wissen wir ja, wie hoch die Mittel 2015 sein werden. Im Sinne des ge meinsamen Entschließungsantrags fordern wir mehr Mittel. Es würde uns deshalb schon heute im Landtag interessieren, was Sie denn dazu sagen, wie es 2015 weitergeht.
Kollege Haller hat darauf hingewiesen: 84 Millionen € sind aus dem Landeshaushalt für den SPNV eingestellt. Sie haben in diesem Jahr auch mitgeteilt: 98 % der Mittel werden für Zugbestellungen verbraucht. Deswegen würde uns interessie ren: Wie wirkt sich dieser Kabinettsbeschluss im Land BadenWürttemberg aus? Das können Sie am Freitag ankündigen, aber der Landtag von Baden-Württemberg hat auch das Recht, das vorher von Ihnen zu erfahren, und sollte es nicht erst über die Presse erfahren.
Sie haben in diesem Jahr das Zielkonzept 2025 vorgestellt. Ursprünglich war das ja die Angebotskonzeption 2020. Aber schon mit der fünfjährigen Verlängerung kam unseres Erach tens ein wenig zum Ausdruck, dass man nicht mehr ganz si cher ist, diese „Wünsch dir was“-Vorstellungen, dieses Ziel konzept 2025, schon früher umzusetzen. Es steht – das haben wir auch in der Pressemeldung mitgeteilt – eben auf tönernen Füßen. Denn was tun wir, wenn die Regionalisierungsmittel nicht in dieser Form dynamisiert werden und wenn die Antei le eben nicht so kommen? Dann ist das Zielkonzept 2025 in Baden-Württemberg Makulatur, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Insofern haben wir den Eindruck, dass auch der Verkehrsmi nister kalte Füße bekommt, weil das Zielkonzept 2025 weit über den Standard hinausgeht, den wir bisher haben. Es bleibt abzuwarten, ob die Ausschreibungsergebnisse tatsächlich die gewünschten Erträge und Ausschreibungsgewinne bringen. Es steht eben ein erhebliches finanzielles Risiko an.
Es geht uns nicht darum, den Schienenpersonennahverkehr nicht weiterzuentwickeln. Aber wir brauchen im Land einen gewissen Realismus. Das geht nur auf Grundlage der Mittel des Bundes. Die Bürgerinnen und Bürger haben kein Interes se daran, dass sich Land und Bund gegenseitig permanent die Verantwortung zuschieben. Wir müssen mit diesen Regiona lisierungsmitteln arbeiten. Deswegen würde uns an dieser Stelle auch interessieren, nachdem wir wissen, wie die Regi onalisierungsmittel 2015 vom Bund gewährt werden, wie sich das auf Ihre Angebotskonzeption in Baden-Württemberg aus wirkt.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her ren! Die Debatte ist tatsächlich sehr aktuell, weil zur gleichen Zeit das Bundeskabinett dieselbe Frage bearbeitet.
Herr Haußmann hat es gerade angesprochen und hat deutlich gemacht, dass er noch nicht genau nachvollzogen hat, was er letzte Woche beschlossen hat. Denn letzte Woche hat der Landtag erfreulicherweise einstimmig beschlossen, dass er das Konzept der Verkehrsminister der Länder unterstützt. Die ses Konzept besteht aus mehreren Elementen. Erstes Element: Die Mittel werden erhöht, um sozusagen die Defizite der ver
gangenen Jahre aufzuholen. Zweitens: Es gibt eine neue Län derquote. Drittens: Der Vertrag läuft ab 2015 über 15 Jahre.
Der letzte Punkt ist sehr entscheidend; denn das, was heute dem Bundeskabinett vorliegt, ist kein neues Gesetz, sondern die Verlängerung des laufenden Gesetzes um genau ein Jahr. Das ist eine völlig unangemessene Regelung, bezogen auf die tatsächlichen Probleme, die wir haben.
Es ist ja nicht so, dass meine Verträge oder Zukunftskonzep te bzw. diejenigen von Baden-Württemberg auf Sand gebaut wären, sondern es ist so, dass alle Bundesländer im Grunde genommen aufgrund der Annahme handeln, dass es vom Bund Geld gibt, obwohl wir keine Klarheit haben, ob und warum es das gibt. Wir hätten formal, wenn heute nicht der Beschluss im Kabinett gefasst würde, ab nächstem Jahr überhaupt kein Geld. Der Bund hatte ursprünglich vor, das Gesetz 2014 ein zufrieren – das war der Vorschlag Schäuble –, was faktisch bedeutet hätte, dass er ein Gesetz nachträglich korrigiert, denn das Gesetz hatte die 1,5-%-Dynamisierung enthalten. Das Ge setz enthält übrigens auch die Verpflichtung, dass der Bund rechtzeitig eine Nachfolgeregelung schaffen muss.
Da muss ich schon sagen: Angesichts dieser gesetzlichen Si tuation ist das, was da angeboten wird, weit weniger als nichts. Denn es wird einfach das Problem verschoben, das seit Jah ren dringend gelöst werden müsste.
Da können Sie über unser Ausschreibungsverfahren noch so viel schimpfen. Egal, wann wir die Ausschreibung machen, Sie gehen immer weit in die Zukunft und nehmen immer an, dass wir zukünftig Mittel vom Bund bekommen.
Wir müssen annehmen, wie viel wir bekommen. Was nehmen wir an? Auch das war eine Frage von Herrn Haußmann. Wir haben konservativ angenommen, dass das Gesetz im schlech testen Fall einfach mit einer Dynamisierungsrate von 1,5 % fortgeschrieben wird. Das wäre zu wenig, aber es ginge we nigstens weiter.
Wir haben nicht angenommen, dass es nicht weitergeht. In dieser Annahme gibt uns, glaube ich, das Grundgesetz auch recht. Denn der Bund ist verpflichtet, die Länder mit Finanz mitteln auszustatten, damit sie ihrer Verpflichtung, Schienen personennahverkehr zu bestellen, nachkommen können. Das ist in Artikel 106 a des Grundgesetzes geregelt. Deswegen bin ich und sind mit mir auch sehr viele Juristen ganz klar der Meinung – wir haben auch ein Gutachten des Justizministe riums eingeholt –: Der Bund ist verpflichtet, rechtzeitig eine auskömmliche Nachfolgeregelung zu schaffen, weil er den Ländern eine Aufgabe übertragen hat und auch zugesagt hat, dafür auskömmliche Mittel bereitzustellen. Das hat er bisher leider nicht getan.
Ich will mich ausdrücklich bedanken, dass alle im Landtag vertretenen Fraktionen dies so sehen und sagen: „Wir müssen gemeinsam zusammenstehen. Wir können uns das Ganze nicht gefallen lassen.“ Ich glaube auch: Da geht es um Länderinte
ressen, nicht um Parteiinteressen. Deswegen finde ich es gut, wenn wir da zusammenstehen. Denn ich habe niemanden hier im Parlament gehört, der nicht dafür gewesen wäre, den ÖPNV und den Schienenpersonennahverkehr zu verbessern und auszubauen. Insofern ist klar, dass wir dafür auch mehr Mittel brauchen. Dies geht nicht zum Nulltarif. Auch dies ha ben alle gesagt.
Auch wenn Sie unser Ausschreibungskonzept kritisieren, wer den Sie doch nicht bestreiten können – egal, wie die Aus schreibung verläuft –: Die Ansprüche, die überall gestellt wer den, werden wir nicht ausschließlich aus der Verbesserung der Ausschreibung finanzieren können. Dazu müssen wir immer auch auf Mehreinnahmen zurückgreifen.
Natürlich. Wir haben auch nie etwas anderes gesagt. Es wä re doch ein Witz, wenn man in 15 Jahren noch mit denselben Beträgen wie einst, wie anno dazumal, auskommen könnte. Das war immer klar.
Ich sage Ihnen auch noch einmal, warum. Das haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, obwohl es Herr Schwarz noch ein mal schön dargestellt hat. Wir verzeichnen seit mehreren Jah ren drastische Steigerungen bei den Energiekosten, den Tras senkosten, den Stationspreisen.
Nicht zu vergessen ist, dass auf der Grundlage eines Papiers von Koch/Steinbrück von der letzten Großen Koalition Kür zungen vorgenommen wurden, die fünf Jahre lang einen Rückgang der Mittel bedeutet haben. 2012 war faktisch wie der das Niveau von 2007 erreicht.
Jetzt will ich einmal eines sagen: Hätte diese Koalition nicht den Mut gehabt, zu sagen: „Wir nehmen Geld in die Hand, damit wir keine Züge abbestellen müssen“, dann hätten wir ziemlich viele Züge abbestellen müssen, und zwar deutlich mehr als Sie, Herr Köberle.
Ein weiteres Problem ist: Die Regelungen wurden in den frü hen Neunzigerjahren gemacht, als die östlichen Bundesländer eindeutig viel mehr Zugverkehr hatten als heute. Durch den demografischen Wandel und eine Änderung des Verkehrsver haltens hat der Zugverkehr dort inzwischen deutlich abgenom men. Umgekehrt sind in den alten Bundesländern, etwa in Ba den-Württemberg, aber auch in Nordrhein-Westfalen und Bay ern, in den letzten Jahren aufgrund des Einsatzes von Regio nalisierungsmitteln deutliche Zuwächse zu verzeichnen. Dies hat zu einer Verschiebung des Bedarfs geführt.