Protocol of the Session on June 4, 2014

Ich komme zum Schlusssatz. – Sehr geehrte Damen und Herren, auch wenn heute noch kei ne Abstimmung ansteht, sondern erst in der Zweiten Beratung, fordere ich Sie doch heute schon dazu auf, zuzustimmen. Stel len Sie einmal Ihre taktischen Spielchen hintenan, tun Sie das, was Sie denken; denn im Grunde sind auch Sie überzeugt: Dies ist ein gutes Gesetz, auf das wir gemeinsam stolz sein können.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Kern.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Ein guter Leh rer!)

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ich habe mir bei der Vorbereitung meiner Rede lange überlegt, ob ich tatsächlich mit dem Ein stieg, den ich jetzt wählen werde, beginnen soll. Aber nach der Rede, die Kollege Käppeler gerade eben gehalten hat, fin de ich diesen Einstieg besser denn je. Im Neuen Testament ist zu lesen:

Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie Schafe; in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe.

Matthäus 7 Vers 15.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Denn die von Grün-Rot behauptete Wahlfreiheit bei Ihrem Gesetzentwurf dürfte ungefähr so viel mit einer echten Wahl freiheit zu tun haben,

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Jetzt kommt der Mythos wieder! Ich dachte, jetzt kommt einmal et was Neues!)

wie der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz auch ein echtes Schaf ist, liebe Kolleginnen und Kollegen – auch wenn Sie von Grün-Rot jetzt laut murren und vielleicht meinen, der Ver gleich sei etwas übertrieben;

(Zuruf der Abg. Helen Heberer SPD)

gegen eine Ganztagsschule könne man im Grunde nichts ha ben.

Ich gebe der Koalition in einem Punkt recht, meine Damen und Herren: Den Ausbau der Ganztagsschulen gilt es beherzt anzugehen. Das ist auch der Grund, warum die FDP/DVPFraktion bereits im vergangenen Jahr einen Gesetzentwurf zur Verankerung der Ganztagsschule im Schulgesetz vorgelegt hat.

Nachdem unser Gesetzentwurf allseits und anfänglich auch von den Regierungsfraktionen begrüßt wurde, befanden die Grünen ihn dann doch für zu freiheitlich.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Dabei hätte er bis zum Ende der Legislatur allen Schulen er möglicht, offene Ganztagsschulen zu werden, und zwar ohne Zustimmungsvorbehalt der Schulaufsichtsbehörde und frei ausgestaltet entsprechend der örtlichen Bedarfslage.

Wenn man jetzt den grün-roten Gesetzentwurf liest, dämmert einem, warum die Grünen damals ihr Veto einlegten: GrünRot konnte der dirigistischen Versuchung nicht widerstehen, den Bürgerinnen und Bürgern die Ganztagsschulform über zustülpen, die man sich in Regierungskreisen als die allein se lig machende vorstellt, nämlich die verpflichtende Ganztags schule für alle.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Richtig!)

Damit man nachher ähnlich wie bei der Gemeinschaftsschu le sagen kann, die Menschen hätten sich doch aus freien Stü cken dafür entschieden, werden mehrere Modelle zur Alter native gestellt. Da aber die verpflichtende Ganztagsschule mit den meisten Ressourcen ausgestattet ist,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Logisch!)

wird alles in die gewünschte Richtung rutschen wie auf einer schiefen Ebene.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Wer rutscht denn gerade auf einer schiefen Ebene? – Zu ruf des Abg. Jörg Fritz GRÜNE)

Wer sich gegen die Gesetze der Schwerkraft stemmt, bei dem hilft dann die Schulverwaltung in Beratungsgesprächen nach. Schließlich hat die Verwaltung das letzte Wort, und die Re gierung hat keinen Zweifel daran gelassen, dass Rhythmisie rung und verpflichtender Ganztagsbetrieb die alleinige Ziel vorstellung sind.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! Genau! Das ist die ganze Wahrheit!)

So könnte man das Motto dieses Gesetzentwurfs auch zusam menfassen: mit viel Bürokratie zur grün-roten Zwangsbeglü ckung mit einer einheitlichen Pflichtganztagsschule, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Meine Damen und Herren, das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns:

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Wir bringen etwas Neues! Wir wiederholen nicht immer wieder das Gleiche!)

Sie wollen Zwangsbeglückung. Sie geben vor, zu wissen, was für andere gut ist. Wir aber wollen Angebote, die die Men schen wahrnehmen können, wenn sie wollen, die sie aber nicht wahrnehmen müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Es ist jetzt schade, dass der Ministerpräsident nicht da ist, denn – Zitat –: „Der Sinn von Politik ist Freiheit.“ Diesem Satz von Hannah Arendt ist vollumfänglich zuzustimmen, und Sie von der Koalition sollten Hannah Arendt nicht nur zitie ren, sondern auch einmal ernst nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Mythenbil dung!)

Es gibt beim grün-roten Gesetzentwurf aber noch eine weite re schiefe Ebene zu beklagen. Sie, Herr Minister Stoch, ha ben durch Ihr unbegründetes zweischrittiges Vorgehen bei den Kooperationsvereinbarungen mit den außerschulischen Part nern diese Schieflage verursacht. Dass Sie die Sprinter des Sports rund zwei Monate früher starten ließen als die Musi ker, Künstler, kirchlichen Jugendarbeiter und andere Institu tionen, lässt sich gerade mir als Sportbegeistertem schwer er klären. Im Sport wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen kommt es uns Liberalen immer auf gleiche Chancen und ins besondere auch auf gleiche Startbedingungen an. Wir von der FDP/DVP-Fraktion begrüßen, dass Sie jetzt spät, aber immer hin doch noch die Kurve gekratzt haben und die zweite Ko operationsvereinbarung zustande gebracht haben. Denn an der Zusammenarbeit mit den außerschulischen Partnern und de ren Engagement entscheidet sich wesentlich, ob eine Schule

in die sie umgebende Gesellschaft eingebunden bleibt oder als ein monolithischer Block dasteht.

Mit dem Blick auf den Gesetzentwurf insgesamt fragt man sich, warum die grün-rote Landesregierung zwei so wichtige bildungspolitische Anliegen in ein Gesetzespaket schnürt. Nach Auffassung der FDP/DVP-Fraktion hätte sowohl die Ganztagsschule als auch die geänderte Schulverfassung je weils eine eigenständige parlamentarische Behandlung ver dient. Es steht zu vermuten, dass wir es heute mit Ihrem ängst lichen Versuch zu tun haben, eine vollmundig angekündigte, aber dann doch enttäuschend mickrig ausgefallene Reform schamvoll im Schatten des Großthemas Ganztagsschule zu verstecken, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich zitiere hier mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem grünroten Koalitionsvertrag:

Wir wollen das Berufsbild Schulleitung entlang seiner veränderten Anforderungen weiterentwickeln. Des Weite ren gilt es, das Verfahren zur Besetzung von Schullei tungsstellen neu zu gestalten. Ziel ist es, der Schulkonfe renz und dem Schulträger mehr Mitentscheidungskompe tenz zu übertragen.

(Abg. Wolfgang Raufelder GRÜNE: Was ist falsch daran?)

Meine Damen und Herren von Grün-Rot, so weit ist es mit Ih rer Bildungspolitik schon gekommen. Jetzt muss Ihnen schon ein Oppositionspolitiker Mut zusprechen, damit Sie sich auf Ihre eigenen Vorsätze aus dem Kooperationsvertrag zurück besinnen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Zuruf von der SPD: Das ist grotesk!)

In diesem Fall handelt es sich aus liberaler Sicht um vielver sprechende Vorsätze, die eine echte Schulentwicklung ermög licht hätten – was aber ein ganz anderer Ansatz gewesen wä re als der, den Sie gewählt haben, nämlich das verbohrte und eindimensionale Umwälzen eines gesamten und zudem über aus erfolgreichen Bildungssystems in Baden-Württemberg.

Entwicklung hat nach liberaler Auffassung etwas damit zu tun, dass etwas bereits in der Anlage Vorhandenes sich selbst aus wickeln, das heißt sich selbst entfalten kann. Die Schulen so wohl mit echten Mitwirkungsrechten als auch mit echten Mit entscheidungsrechten auszustatten – das Königsrecht ist hier bei die Schulleiterwahl –, das wäre für die Regierung ein mu tiger Schritt gewesen; denn er hätte die Schulen in die Frei heit und Eigenverantwortung entlassen. Sie aber haben sich für ein mutloses und halbherziges „Reförmchen“ entschieden.

Dabei wissen Sie genau: Paritätische Besetzung der Schul konferenz allein ohne zusätzliche Rechte bleibt letztlich ein unbefriedigendes, ja unvollständiges Stückwerk. Ich fürchte allerdings, bei Grün-Rot war weniger die fehlende Courage ausschlaggebend als vielmehr die Erkenntnis, dass eine selbst bewusste und eigenständige Schule möglicherweise resisten ter gegen bildungspolitische Utopien sein könnte, die den Pra xistest kaum bestehen werden.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Dass Sie den politischen Daumen draufhalten wollen, zeigt vor allem der Umstand, dass die Letztentscheidung über die Schulleiterbesetzung bei der Schulverwaltung bleibt. Spätes tens hiermit haben Sie die Berechtigung verspielt, zu behaup ten, mit Grün-Rot werde Bildung von unten wachsen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Wacker das Wort.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Ich habe versucht – auch wenn das jetzt so nicht bei allen Kolleginnen und Kollegen hier im Haus ange kommen ist –, auch Konsenslinien aufzuzeigen. Ich denke, wenn man das Thema Flexibilität ernst nähme, dann hätte man durchaus auch die Chance, ein solches Gesetz in großem Kon sens zu verabschieden. Genau diese offenen Fragen bleiben aber auch nach den Ausführungen der Kolleginnen und Kol legen von den Regierungsfraktionen. Ich sage dies mit gro ßem Ernst.

Frau Kollegin Boser, der Minister hat sich so deutlich nicht aus gedrückt. Er hat das Thema Wahlangebot etwas „umschifft“. Aber er wird ja noch Gelegenheit haben, sich dazu im Zuge der konkreten Beratungen im Bildungsausschuss zu äußern.