Protocol of the Session on July 28, 2010

Der Atomkonsens ist keine willkürliche Abschaltnummer,

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Doch!)

sondern ein Kompromiss, der einen planbaren Ausstieg und den Umstieg zu erneuerbaren Energien befördert.

Wer jetzt darangeht, diesen gesellschaftlichen Konflikt um die Atomkraft wieder aufzumachen, der benachteiligt erneuerba re Energien und wird wieder Polizisten in Einsätze schicken, um Castortransporte zu schützen. Das ist ein Thema, das mit Schröder schon lange erledigt war.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Völlig absurd wurde es dann, Herr Mappus, als Sie angefan gen haben, die Kohlekraft hier im Land plötzlich wieder in frage zu stellen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Ach so, sind Sie dafür? – Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜ NE)

Wir haben im Land eine saubere Ausgangslage. Wir haben zwei im Bau befindliche Ersatzkraftwerke – die kommen –, und mit diesen Ersatzkraftwerken, meine sehr verehrten Da men und Herren, können wir den geplanten Ausstieg und das geplante Abschalten von AKWs nach dem Atomkonsens auch in Baden-Württemberg durchführen, ohne dass hier die Lich ter ausgehen.

(Ministerpräsident Stefan Mappus: Das ist interes sant! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Ist Klimaschutz nicht mehr so wichtig? – Unruhe bei der CDU)

Wenn Sie sich dann hinstellen und moderne Kohlekraftwer ke infrage stellen, Regierungsvertreter aber gleichzeitig beju beln, dass endlich neue gebaut werden, dann ist das ein Wi derspruch, den Sie den Menschen erst einmal erklären müs sen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Ich komme zum zweiten zentralen Handlungsfeld, das Sie im Gutachten sehr ausführlich beschrieben bekommen haben, das Sie aber hier nicht weiter aufgefächert haben: Das ist das The ma Fachkräftemangel. Es gibt zwei wichtige Stellschrauben, um dem Fachkräftemangel in den nächsten Jahrzehnten zu be gegnen; diese sind in dem Gutachten auch aufgeführt worden. Sie haben nämlich nicht die Empfehlungen für den Bereich des Arbeitsmarkts in Bezug auf Frauen und Kinderbetreuung aufgegriffen, sondern nur Allgemeinplätze von sich gegeben.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Ich zitiere aus dem Gutachten:

Auch bei der Ganztagsbetreuung der 3- bis 6-Jährigen herrscht derzeit ein Nachholbedarf in Baden-Württem berg.

Gleiches gilt, wenn man das Ganztagsschulangebot betrach tet. Auch das ist im Bundesdurchschnitt noch immer nicht be sonders berauschend.

Wer will, dass wir das Frauenerwerbspotenzial gerade in un serem Land endlich für unsere Unternehmen und für die Be schäftigung hier im Land aufschließen, wer qualifizierte Frau en nicht nur als Arbeitsmarktreserve sieht, sondern als integ ralen Bestandteil eines modernen Arbeitsmarkts, der muss endlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hier beför dern. Wir brauchen verlässliche Betreuungszeiten von der Kinderkrippe bis zum Schulabschluss.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wir müssen uns auch der Frage zuwenden, wie wir qualifi zierte Zuwanderer nach Deutschland und insbesondere nach Baden-Württemberg holen. Ich freue mich, wenn die Erkennt nis wächst, dass der Bundesgesetzgeber Änderungen vorneh men muss, wenn man da neue Spielräume eröffnen will. Gern. Willkommen im Klub!

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Wie bei Schröder!)

Ich sage Ihnen aber ganz deutlich eines: Wir sollten uns auch Gedanken darüber machen, wie wir die Ausländer, die hier hergekommen sind oder sich hier haben ausbilden lassen, stär ker für unseren Arbeitsmarkt nutzen können.

(Abg. Albrecht Fischer CDU: Das tun wir doch!)

Hier leben viele Ausländer, die ausländische Berufsabschlüs se haben und darum kämpfen müssen, dass diese Abschlüsse endlich anerkannt werden. Sie werden häufig unterhalb ihrer Qualifikation eingesetzt. Ich sage Ihnen: Dieses Potenzial von hier lebenden Ausländern müssen wir stärken, indem wir die Gleichwertigkeit von ausländischen Berufsabschlüssen er leichtern.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wir haben in unserem Land zahlreiche Erwerbsfähige, deren Potenzial noch nicht voll ausgespielt wird. Das sind diejeni gen, die in unserem ungerechten Schulsystem benachteiligt werden. Wenn Sie, Herr Mappus, ausgerechnet jetzt vom Auf stieg durch Bildung reden,

(Lachen bei der SPD)

dann muss ich sagen: Sie stehen für ein Schulsystem, das im Bundesvergleich 6,6-mal mehr sozial diskriminiert als alle an deren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zurufe der Abg. Dr. Klaus Schüle und Albrecht Fischer CDU)

Solange Arbeiterkinder und Migrantenkinder so benachteiligt werden, ist der Aufstieg durch Bildung ein leeres Versprechen. Wir werden dieses ursozialdemokratische Versprechen ab März nächsten Jahres auch in Baden-Württemberg fruchtbar machen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Albrecht Fischer CDU: Siehe Hamburg! – Abg. Peter Hauk CDU: Sie haben aus Hamburg nichts gelernt! – Unruhe)

Sie haben in dieser Regierungserklärung etwas vermissen las sen, was auch die IHK in Gestalt von Herrn Müller eingefor dert hat. Die IHK sagt zur Pressekonferenz zur Vorstellung des McKinsey-Gutachtens:

Bisher aber fehlten Mut und Weitsicht. Umso mehr wün schenswert sei es, wenn der Ministerpräsident dieses The ma anders als seine Vorgänger offensiv angehen würde.

Wo war die Offensive bei diesem Thema, Herr Mappus?

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Sie in der CDU, aber auch Sie in der FDP haben das Problem, dass die Frage, wie wir qualifizierte Zuwanderer für das Land gewinnen können, eng damit zusammenhängt, wie die Gesell schaft insgesamt mit Zuwanderung und mit den ausländischen und den zugewanderten Talenten umgeht. Denn das eine kann man nicht vom anderen trennen. Diejenigen, die als hoch qua lifizierte Zuwanderer hierherkommen, schauen genau hin und spüren genau, ob Personen mit ausländischen Wurzeln hier willkommen sind oder nicht.

Deshalb brauchen wir nicht nur bundesgesetzliche Änderun gen, sondern wir brauchen vor allem eine Kultur der Einla dung ausländischer Fachkräfte in diesem Land und nicht die ses Spiel mit Überfremdungsängsten.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Ich nenne einmal ein Beispiel. Die Sprachlehrerin, die ver sucht hat, mir Türkisch beizubringen, ist als qualifizierte Hochschulabsolventin hier ein paar Jahre tätig gewesen, aber letztendlich nach Istanbul zu diesem inzwischen berühmten „Rückkehrerstammtisch der Deutschländer“ zurückgekehrt. Sie ist hoch qualifiziert, hier ausgebildet, spricht fließend Deutsch – also kein Problem vom Arbeitsmarkt her. Warum ist sie zurückgegangen? Sie hat mir gesagt: Es ist in Deutsch land irgendwie so kühl; mir fehlt die menschliche Wärme.

(Oh-Rufe von der SPD – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rül ke FDP/DVP: Das lag wahrscheinlich an ihrem Schü ler!)

Dies sollten wir nicht unterschätzen. Die Frage der Willkom menskultur, ob wir diesen Menschen wirklich Heimat und nicht nur Arbeitsplätze bieten, wird zentral sein.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Andrea Krueger CDU: Wenn die SPD über Heimat spricht!)

Abschließend will ich sagen: Wir haben gesehen, wie Herr Mappus versucht hat, sich diesen Aufschwung ans Revers zu heften und ansonsten aus seiner Verantwortung für nachhalti ges Wachstum und für die Behebung des Fachkräftemangels wegzutauchen. Dieser Versuch ist misslungen. Wir müssen aufpassen, dass dieses Land nicht von der Substanz lebt, son dern weiterhin Substanz stärkt. Das wird die Herausforderung der nächsten Jahre sein.

Ich sage Ihnen, Herr Mappus: Besinnen Sie sich auf diese Auf gabe! Keine Ausflüge in die europäische Politik mit Besser wisserei, keine Ausflüge in diese unionsinternen Ränkespie le. Hier ist Ihre Aufgabe, hier werden Sie erwartet. Wir wol len da mehr sehen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hauk.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Jetzt wird wieder zur Sache gesprochen!)

Herr Präsident, meine sehr verehr ten Damen und Herren! Nach dieser Rede, lieber Kollege Dr. Schmid, gehen wir mit keinem neuen Erkenntnisgewinn, son dern mit der Wiederholung unseres bisherigen Erkenntnisge winns aus dem Plenarsaal.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Was ist denn der Erkenntnisgewinn der Regierungsseite? – Abg. Thomas Knapp SPD: Wir wissen jetzt, dass ihr bald weg seid!)

Wir wissen genau, was Sie nicht wollen. Aber was Sie wol len, bleibt uns allen schleierhaft.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Vor allem wissen wir nicht, wie Sie sich positionieren.