Herr Hoffmann, Sie haben eben zu Recht den Risikostrukturausgleich angesprochen. Auch unsere ganz zentrale Kritik geht dahin, dass das natürlich für Baden-Württemberg bedeutet, dass erheblich mehr Mittel abfließen werden. Ich bin froh darüber, dass Sie das ansprechen, weil ich in dieser ganzen Debatte das Gefühl habe, dass genau diese Risiken auf Bundesebene überhaupt nicht benannt werden.
Ich finde, man muss schon fragen: Wollen wir diesen Risikostrukturausgleich? Wir meinen ganz klar, dass wir einen Risikostrukturausgleich brauchen. Wir müssen eine gewisse solidarische Leistung erbringen, um gerade auch in den strukturschwachen Gegenden Ostdeutschlands tatsächlich eine Versorgung sicherzustellen. Dann muss man das aber auch so genau benennen und politisch die Frage diskutieren: Wollen wir das, und wollen wir tatsächlich auch in Baden-Württemberg diese Mehrkosten stemmen?
Das nächste Thema sind die Arbeitsplätze. Insgesamt wird gesagt, mit dieser Struktur werde die Möglichkeit geschaf
fen, dass dieser Gesundheitsfonds tatsächlich Geld einziehen könne. Das habe ich ja eben schon einmal ganz deutlich ausgeführt.
Ich gehe jetzt einmal auf das Thema Einheitspauschalen ein. Es ist ja so – auch das wurde eben schon deutlich gesagt, und zwar sowohl von Herrn Noll als auch von Herrn Hoffmann –, dass die Einheitspauschalen natürlich dazu führen werden, dass dieses Geld insgesamt bundesweit eingezogen wird. Ich befürchte – Frau Kollegin Haußmann, Sie haben gesagt, es sei gelungen, den Leistungskatalog nicht zu minimieren –, dass diese Einheitspauschalen genau dazu führen werden, dass der Leistungskatalog minimiert werden muss, und zwar deswegen, weil sich die Krankenkassen in einem gewissen negativen Wettbewerb befinden und dann natürlich gezwungen sind, keinen Zusatzbeitrag zu erheben, was dann bedeuten würde, dass sie insgesamt Leistungen kürzen müssten.
Mit den anderen Punkten, die ich noch zu kritisieren habe, aber auch mit unseren ganz konkreten positiven Vorstellungen von einer umfassenden Gesundheitsstrukturreform werde ich mich in der zweiten Runde auseinander setzen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die Auswirkungen der geplanten Gesundheitsreform auf Baden-Württemberg. Das ist richtig und notwendig. Aber wir dürfen dabei nicht aus dem Auge verlieren, dass die wesentlichen politischen Rahmenbedingungen auf Bundesebene gesetzt werden.
Zum Zweiten dürfen wir bei der Diskussion auch nicht aus dem Auge verlieren, dass es in keinem anderen Bereich zwei so unterschiedliche ordnungspolitische Zielvorstellungen gab, die zu einem Kompromiss zusammengeführt werden mussten, wie in der Gesundheitspolitik. Aber darüber hinaus denke ich, egal, wer regiert – da muss ich auch den Grünen sagen: Sie hätten ja auch sieben Jahre Zeit gehabt, eine patente Lösung auf den Weg zu bringen; auch da ist es nicht gelungen –, dass es in keinem anderen Bereich so schwierig ist wie im Gesundheitsbereich, bei der Vielfalt der Interessen, die hier berücksichtigt sein wollen und auch berücksichtigt sein müssen, eine Patentlösung auf den Tisch zu legen.
Jetzt ist ein Kompromiss gefunden worden, der sich darauf konzentriert, das jetzt Machbare anzupacken, Leistungen zu verbessern, Verfahrensabläufe zu straffen und auch transparenter zu machen und auch den Einstieg in die Steuerfinanzierung des Krankheitsrisikos von Kindern zu beginnen. In diesem vorgegebenen bundespolitischen Rahmen gilt es nun die Auswirkungen auf Baden-Württemberg, die Chancen und Risiken für das Land zu bewerten. Dabei müssen wir immer im Auge behalten, lieber Herr Kollege Noll, dass es sich um Eckpunkte handelt; es handelt sich noch nicht um eine Gesetzesvorlage. Ich denke, wir werden noch sehr
viel Raum haben, über Gesetzesvorlagen und über die Umsetzung dieser Eckpunkte in Gesetzesform auf dem parlamentarischen Weg zu reden. Deswegen ist heute auch nur eine erste Einschätzung der geplanten Gesundheitsreform möglich.
Unbestritten ist, dass die vorgesehenen Leistungsverbesserungen eine Chance für Baden-Württemberg darstellen. Wir haben eine Erweiterung des Pflichtkatalogs im Hinblick auf Palliativmedizin, im Hinblick auf die geriatrische Rehabilitation, im Hinblick auf Mutter-Kind-Kuren. Das sind all die Bereiche, die wir hier in unseren Versorgungsstrukturen in Baden-Württemberg als wichtig erachtet und auch ausgebaut haben.
Ich denke, es ist eine gute Sache, dass diese Versorgungsstrukturen ihre entsprechende Honorierung gefunden haben und auch ihre Anerkennung finden werden. Für mich als Ärztin ist auch die Impfverpflichtung positiv, wobei ich dazu sagen muss, dass in Baden-Württemberg diese Impfleistungen immer übernommen wurden.
Dass die Versicherten bei Folgekosten, beispielsweise bei Schönheitsoperationen, stärker in die Verantwortung genommen werden, ist sicher ein erster Schritt in die richtige Richtung, auch ein erster Schritt in eine Diskussion über Einzelverantwortung, die sicher nicht ganz einfach ist. Aber es ist ein erster Schritt, der uns die weitere Diskussion erleichtert.
Positiv sehe ich auch die Erweiterung der Wahlmöglichkeiten der Versicherten. Es besteht Konsens, dass die Möglichkeit zur Wahl der Kostenerstattung entbürokratisiert und flexibler gestaltet werden muss. Eine Neuordnung findet auch bei der Wahl der Versicherungssysteme zwischen GKV und PKV statt. Hier wird endlich auch im Bereich der privaten Krankenversicherung ein Wettbewerb zwischen den verschiedenen Versicherungsunternehmen möglich, da auch künftig Altersrückstellungen mitgenommen werden können. Dass es noch eine knackige Diskussion wird, wie das geht, steht auf einem anderen Blatt.
Für die Kassen ist der Abschluss von Hausarzttarifen zwingend. Aber die Versicherten können wählen, ob sie sich an diesen Tarif binden wollen oder nicht. Sie haben auch weiterhin die freie Arztwahl, was uns auch sehr wichtig ist. Anreize gibt es auch für eine verbesserte Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen mithilfe von Boni. Das ist auch ein Schritt in die richtige Richtung.
Die größten Veränderungen – das ist hier schon angesprochen worden – sind natürlich im Gesundheitsfonds zu sehen. Dort müssen wir die Auswirkungen auf Baden-Württemberg auch kritisch sehen. Ich verhehle nicht, dass auch für die Landesregierung noch eine ganze Reihe von Punkten klärungs- und diskussionswürdig sind. Vorgesehen ist ja, dass die Kassen nicht mehr über die Höhe der Beiträge entscheiden und diese auch nicht mehr einziehen. Die Beitragshöhe wird per Gesetz festgelegt.
Die Kasse ist dann im Rahmen ihrer Möglichkeiten gefordert, mit diesem Geld im Interesse der Patienten umzugehen und zu wirtschaften, und hat auch größere Vertrags
rechte, wie sie mit diesem Versichertengeld umgeht. Für die Versicherten besteht dadurch eine größere Transparenz von Einnahmen und Ausgaben.
Über die praktische Ausgestaltung des Fonds wissen wir derzeit noch nichts. Da ist zunächst auch der Bundesgesetzgeber am Zug. Die Kassenverbände erklären unisono, dass der vorgesehene zentrale Beitragseinzug in der kurzen Frist – also bis Anfang 2008 – nicht funktionieren kann. Darüber will ich mir im Moment gar kein Urteil anmaßen. Aber wir müssen diese Argumente sehr ernst nehmen, und wir werden das auch tun.
Ein anderer Punkt – das ist hier schon von allen angesprochen worden – ist natürlich einer, der das Land in der Tat zentral tangiert: Durch die bundesweite Festsetzung des Beitrags für Arbeitgeber und Arbeitnehmer für alle Krankenkassen ist zu befürchten, dass Länder mit einer hohen Finanzkraft stärker an der Finanzierung dieses Fonds beteiligt werden als Länder mit einer geringeren Finanzkraft. Hier könnte uns ein ähnliches und ein, sage ich, fast gewohntes Schicksal wie beim Länderfinanzausgleich ereilen. Bei allem Stolz auf unsere guten wirtschaftlichen Leistungen und auf unsere Situation
wehren wir uns natürlich gegen gesetzgeberische Mechanismen, die uns immer wieder dafür bestrafen, dass wir unsere Hausaufgaben hier im Land gut machen.
Ich würde sagen: Hören Sie mir zunächst einmal ein paar Minuten zu. Dann dürfen Sie Ihre Frage gern stellen.
Wir werden den Gesundheitsfonds prinzipiell mittragen. Wir werden aber im Zuge der parlamentarischen Beratungen darauf dringen, dass regionale Belange stärker, als es bisher vorgesehen ist, berücksichtigt werden. Nach überschlägigen Berechnungen unserer Kassen werden durch den Gesundheitsfonds – zusätzlich zu der schon jetzt erfolgten Umverteilung im Rahmen des Risikostrukturausgleichs – mehrere Hundert Millionen Euro aus Baden-Württemberg abfließen.
Hierzu könnte noch ein weiterer Mittelabfluss kommen, wenn, wie es offenbar angedacht ist, entschuldete Krankenkassen Ende 2007 für nicht entschuldete Krankenkassen innerhalb ihres Systems haften müssen. Dies kann eigentlich nicht sein. Denn das hieße, dass Kassen, die mit Unterstützung ihrer Aufsichtsbehörden ihre Hausaufgaben gemacht haben, nachträglich dafür bestraft werden.
Nicht nur die Kassen, sondern auch die Ärzte befürchten erhebliche finanzielle Einbußen, da bundesweit festgelegte
Vergütungen deutlich niedriger sein dürften als nach dem jetzigen Vergütungsniveau im Land. Wie viel es unter dem Strich letztlich ausmacht, lässt sich zum derzeitigen Zeitpunkt aber noch nicht sagen. Das kann erst gesagt werden, wenn die Ausgestaltung des Fonds klar sein wird.
Entscheidend werden hier die risikoadjustierten Zuschläge sein, die die Krankenkassen entsprechend ihrer Versichertenstruktur erhalten sollen. Hier kommt es ebenso wie bei dem geplanten zentralen Beitragseinzug auf die konkrete Ausgestaltung im Gesetz an. Wir werden auch daran mitarbeiten, dass gerade bei diesem Gebühreneinzug und der konkreten Ausgestaltung kein Bürokratiewust entsteht, sondern dass vorhandene Ressourcen optimal genutzt werden.
Sie sehen, es ist noch einiges ungeklärt und noch vieles im Fluss. Wir treten jetzt in eine Diskussion über die Chancen und Risiken dieser Reform ein. Dabei ist es für mich selbstverständlich, auch mit allen Beteiligten im Gesundheitswesen Gespräche zu diesen Eckpunkten zu führen. Ich möchte von den Beteiligten genau über die Auswirkungen der Reform auf Baden-Württemberg informiert werden. Da erwarte ich eigentlich nicht nur unisono Kritik. Vielmehr erwarte ich vor allem konstruktive Lösungsansätze, konstruktive Gestaltungsansätze und konkrete Hinweise, in welchen Bereichen wir hier regionale Belange auch aktiv einbringen müssen.
Ich räume gern ein, dass ich mir bei diesen Eckpunkten einiges auch anders gewünscht hätte. Aber ich habe anfangs schon gesagt: Bei diesem komplexen Thema wird es nie Patentlösungen geben. Ich denke, wir sollten in eine konstruktive Diskussion über diese Eckpunkte eintreten, damit wir für unser Land und vor allem für die Bürgerinnen und Bürger im Land das Beste herausholen.
Frau Ministerin, wäre dieser ungeheure Mittelabfluss aus Baden-Württemberg in andere Länder nicht eigentlich ein guter Grund, diese Reform abzulehnen?
Herr Kollege, so einfach können wir uns das leider nicht machen, weil wir das Problem, dass Mittel aus BadenWürttemberg abfließen, in vielen Bereichen haben. Auch beim Risikostrukturausgleich haben wir einen starken Mittelabfluss aus Baden-Württemberg.
(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Da wollen Sie doch klagen! Da war doch schon das Bundesverfas- sungsgericht im Gespräch! Dann könnten Sie das verhindern!)
Ich denke, ein einfaches Ablehnen mit einfachen Lösungen werden wir in diesem Bereich nicht hinbekommen. Wir müssen jetzt erst einmal über die Auswirkungen diskutieren, vor allem über die konkrete Ausgestaltung und darüber,
welche Möglichkeiten wir haben, diese konkrete Ausgestaltung im Interesse des Landes so voranzutreiben,