Liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam werden wir – Land, Hochschulen, Bund, Wirtschaft – es schaffen,
(Abg. Ursula Haußmann SPD: Jetzt einmal zur Sa- che, Martin! – Gegenruf des Abg. Helmut Walter Rü- eck CDU: Frau Haußmann ist auch aufgewacht! – Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Aus Sicht der SPD-Fraktion ist anzumerken, dass wir den Bologna-Prozess als solchen nach wie vor unterstützen.
Die Ziele des Bologna-Prozesses, nämlich u. a. einen einheitlichen europäischen Hochschulraum herzustellen, werden von uns nach wie vor für richtig gehalten. Aber die politischen und die politisch motivierten handwerklichen Fehler bei der Umsetzung dieser Vorgaben sind mittlerweile so gravierend, dass sie die Leistungsfähigkeit unserer Hochschullandschaft infrage stellen.
Wenn es, meine Damen und Herren, noch weiterer Beweise bedurft hätte, wie zugespitzt, wie dramatisch die Lage an unseren Hochschulen in der Zwischenzeit ist, dann wird jetzt der Beweis von den Rektoren der Universitäten geliefert.
Wann ist es jemals in der Geschichte unseres Landes passiert, dass Universitätsrektoren ausdrücklich die Motive der Studierenden für Hörsaalbesetzungen, für Streiks gutheißen und sie sozusagen noch darum bitten, ihnen zu helfen, gegen die Landesregierung und die Vorgaben, die hier gemacht worden sind, anzukämpfen?
Was sind die Kritikpunkte an diesem Bologna-Prozess, die von den Studierenden, von den Rektoren, von den Hochschulen vorgebracht werden? Ich will vier Punkte herausgreifen.
Zum Ersten: Durch den Bologna-Prozess haben sich Studium und Lehre verschlechtert und nicht verbessert.
Der zweite Punkt: Das Studium wurde massiv verschult. Die breite Ausbildung, die früher an der Universität möglich war – das Studieren nicht nur des Hauptfachs, sondern sich auch für anderes zu interessieren –, ist aufgrund der Zwangsvorgaben, die gemacht worden sind, nicht mehr möglich.
Der dritte Punkt: Die Flexibilität geht auf null zurück. Eigentlich wurden Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt, um flexibler zu sein, um auszutauschen, um Auslandssemes ter machen zu können, um später andere Studiengänge dranzuhängen. In der Zwischenzeit haben wir in der Bundesrepublik fast 12 000 Studiengänge. Wo soll da noch eine Flexibilität und ein Austausch möglich sein? Diese Flexibilität ist durch die Umsetzung dieses Prozesses, durch die Ausführung, auf null gegangen. Das ist schädlich für die Ausbildung der Studierenden an unseren Hochschulen.
Was ist das? Die Studienzeiten wurden massiv verkürzt, aber die Inhalte wurden nicht geändert. Das geschah übrigens aus Gründen – da gebe ich Ihnen durchaus recht –, die von den Universitäten ausgehen: Eitelkeiten von Professoren, die von ihrem Stoff nicht loslassen wollen, die nicht kürzen wollten. Da sind sicher Prozesse zu verändern.
Aber der Effekt ist: kurze Studienzeiten, gleicher Stoff. Das heißt, man lernt schnell und viel auf die Prüfung
Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Die SPDFraktion teilt ausdrücklich die Kritik an der Umsetzung des Bologna-Prozesses, aber nicht am Prozess selbst.
Auf welche Fehler sind diese Zustände an unseren Hochschulen zurückzuführen? Vor fast fünf Jahren haben wir hier zusammengesessen und über die Einführung des Bologna-Prozesses diskutiert und darüber entschieden. Damals hat der Landtag die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen als Zwangsprozess beschlossen.
Wir – die SPD-Fraktion – hatten damals beantragt, Diplom- und Magisterstudiengänge in begründeten Ausnahmefällen beizubehalten. Die Freiheit, darüber zu entscheiden, wie Bachelor und Master eingeführt werden und ob sie eingeführt werden, sollte den Hochschulen überlassen werden. Mein Kollege Gunter Kaufmann hat diesen Änderungsantrag damals begründet. Ich zitiere auszugsweise:
verhindern, dass mit diesem Hinweis auf den BolognaProzess... den Hochschulen eine Uniformierung der Studienstruktur diktiert wird. Genau das haben Sie
an dieser Stelle vor. Wir geben die Entscheidung an die Hochschulen zurück. Dort kann kompetent entschieden werden...
Dieser Antrag wurde in einer namentlichen Abstimmung am 9. Dezember 2004 in diesem Haus abgelehnt. Die Annahme dieses Antrags hätte bedeutet, dass den Hochschulen Freiheit und Selbstbestimmung bei der Einführung des Bologna-Prozesses eingeräumt worden wären.
Was musste sich mein Kollege Kaufmann alles anhören! Ich habe einen Zuruf aus dem Protokoll herausgesucht. Herr Kollege Schebesta hat dazwischengerufen:
Meine Damen und Herren, hätten Sie damals zugehört und wären Sie unseren Änderungsvorschlägen gefolgt, hätten wir das Chaos an unseren Hochschulen heute nicht.
Der zweite große Fehler war die mangelhafte Finanzierung der Umsetzung des Bologna-Prozesses an den Hochschulen. Die Rektoren haben mit ihrer Unterschrift unter den Solidarpakt zugesagt, dass sie den Bologna-Prozess kostenneutral umsetzen werden. Das heißt, der höhere Aufwand wird nicht zusätzlich entgolten.
Die Hochschulrektorenkonferenz hat festgestellt, dass der Bologna-Prozess etwa 15 % mehr Kosten verursacht, die nun von den Hochschulen zu tragen sind, die hinsichtlich ihrer Finanzmittel eh schon völlig klamm sind.
Dies sind zwei Gründe für die jetzige Situation an unseren Hochschulen: erstens die starre und unflexible Struktur dieses Zwangsprozesses und zweitens die mangelhafte Finanzausstattung der Hochschulen gerade in Bezug auf diesen Prozess. Hierfür tragen die Regierungsfraktionen im Landtag von Baden-Württemberg die Verantwortung.