Denn hier schaffen wir diese Rahmenbedingungen. Wir brauchen überschaubare Klassen; das heißt, wir müssen den Klas
senteiler senken. Wir brauchen gute und mit dem entsprechenden Wissen ausgestattete Lehrer. Wir sind dabei, unsere Lehrerausbildung zu novellieren. Wir brauchen mehr Ganztagsbetreuung, um dieses motivierende Beziehungsgeflecht an den Schulen aufzubauen. Hier setzen wir unsere Ressourcen ein.
Das ist das, was wir unter verantwortungsvoller Bildungspolitik verstehen, und nicht das, was Sie darunter verstehen.
(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Drei Boten- stoffe gibt es nur im dreigliedrigen Schulsystem! War das Ihre Botschaft? – Gegenruf des Abg. Karl-Wil- helm Röhm CDU: Sie sind doch Biologe! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: An der Einheitsschu- le gibt es bloß einen Botenstoff!)
Wissen Sie, warum ein Mensch aggressiv wird? Aus der Hirnforschung wissen wir: Ein Mensch wird automatisch aggressiv, wenn ihm Schmerz zugefügt wird. Aber wenn sich ein Mensch sozial ausgegrenzt fühlt, reagiert interessanterweise dasselbe Areal im Hirn. Das heißt, Aggressionen entstehen nicht nur durch realen Schmerz, sondern auch durch soziale Ausgrenzung.
(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Soziale Ausgrenzung findet doch im gegliederten System statt! Durch frü- hes Sortieren entsteht Aggression! – Zuruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)
Darf ich meinen Satz zu Ende bringen? – Ich erinnere an die Debatte, die wir heute Vormittag über die Aggressivität auf unseren Straßen geführt haben.
Junge Menschen, die in einer Schule groß werden, in der sie motiviert werden – ich habe die Rahmenbedingungen genannt; wir sind dabei, diese Rahmenbedingungen zu verbessern –,
junge Menschen, die gern lernen, die gern zur Schule gehen und sich dort wohlfühlen, gehen nicht auf die Straße und machen Randale.
Deshalb ist eine gute Bildungspolitik auch unter gesamtgesellschaftlichen Aspekten unverzichtbar. Es ist genau richtig, was Innenminister Rech gesagt hat: Es geht nicht nur um mehr Polizisten oder mehr Geld, sondern ein Stück weit können wir in der Schule Prävention machen.
Deshalb ist Bildungspolitik für unsere Gesellschaft so wichtig, und wir machen davon keine Abstriche.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte führen wir ja nicht zum ersten Mal, aber ich bin gern bereit, mir das immer wieder von Ihnen anzuhören. Ich bitte Sie dann aber, auch unsere Argumente gut zu wägen.
Frau Rastätter, ich bin ja ganz froh, wenn wir Gemeinsamkeiten entdecken. Wenn wir über individuelle und differenzierte Förderung reden, dann haben wir überhaupt kein Problem, dort zueinander zu finden. Das ist hier in diesem Haus nicht umstritten. Umstritten ist nur das, was Sie uns als Rezept hierzu empfehlen. Ich glaube, es ist richtig, dass wir – das ist ein Zitat von Ihnen – den Blick auf das Kind richten und nicht auf die Struktur. Aber das Erste, was Sie tun, ist, Strukturdebatten zu führen. Bleiben Sie doch einfach Ihrer eigenen Argumentation treu, und richten Sie den Blick auf das Kind.
Sie wissen, dass von vielen Experten die Mahnung ausgesprochen wird, dass wir nicht in nutzlose Strukturdebatten verfallen, sondern uns überlegen sollten, welche Möglichkeiten der Schulentwicklung in den Schulen selbst angelegt sind. Sie haben das Beispiel Rheinau genannt. Ich kann Ihnen noch viele andere Beispiele nennen. Wir haben extra einmal Beispiele für Sie zusammengestellt. Ich glaube aber, Herr Zeller geht lieber zur Fortbildung in irgendeine Schule in der Schweiz, anstatt dass er sich einmal die Beispiele aus Baden-Württemberg dafür anschaut, was in unserem Land an Schulentwicklung, an Umsetzung pädagogischer Konzepte, die dem einzelnen Kind zugutekommen, möglich ist.
Deswegen bringen uns die Schulstrukturdebatten, die in Deutschland seit nunmehr 100 Jahren geführt werden, nicht wirklich weiter. Die Debatte, die Sie hier angezettelt haben, ist damit auch irgendwie gestrig.
Herr Minister, wenn es Ihnen auf Strukturen nicht ankommt, dann müssen Sie sich doch einmal Folgendes fragen lassen: Warum halten Sie denn so eisern an Ihrer Struktur fest, und zwar selbst gegenüber Kommunen und Schulträgern, die etwas anderes wollen, die eine andere Schule wollen? Was Sie machen, ist doch intellektuell nicht redlich. Sie halten eisern an Ihrer eigenen Struktur fest. Wenn Strukturen nicht so wichtig sind – wie Sie selbst sagen –, dann geben Sie doch einfach einmal bei den Schulen nach, in denen die Leute etwas anderes wollen.
Lieber Herr Kretschmann, ich habe es erst in der letzten Debatte zum gleichen Thema erklärt: In unseren Schulen ist viel Entwicklung möglich. Keine Schule ist wie die Nachbarschule. Jede Schule hat enorm große Gestaltungsspielräume.
das Transparenz und Vergleichbarkeit auch bei Bildungsergebnissen schafft. Solange die Ergebnisse, die unsere Schulen mit den Kindern, mit allen Lehrkräften, mit den Eltern erarbeiten, im nationalen und internationalen Vergleich so gut sind, wie sie sind,
so lange sehe ich keinen Grund dafür, an diesem Geländer so herumzuexperimentieren, dass am Ende etwas herauskommt, was nur Schaden anrichtet. Deswegen halten wir daran fest.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage bzw. eine Kurzintervention der Frau Abg. Rastätter?
Herr Kultusminister Rau, nachdem Sie erneut den Begriff des Geländers verwendet haben, möchte ich Sie einfach noch einmal Folgendes fragen. Wir haben 2004 mit der Bildungsplanreform ganz deutliche Qualitätssicherungsinstrumente in Baden-Württemberg eingeführt – es wurde auch von Ihnen immer besonders betont, wie innovativ Baden-Württemberg hier sei –: die Bildungsstandards, die Kerncurricula, die Schulevaluation – die schul interne Evaluation und die externe Evaluation, die ebenfalls stattfindet – und die zentralen Abschlussprüfungen. Hier haben wir also nicht nur ein Geländer, sondern fünf Geländer, an denen sich jede Schule nicht nur orientieren kann, sondern sich sogar orientieren muss; das wird auch überprüft.
Weshalb bezeichnen Sie ein Schulsystem, bei dem es gravierende Veränderungen gibt – die Hauptschule, die ursprünglich
für 70 % aller Kinder konzipiert worden war, wird nunmehr von nur noch 25 % der Schüler besucht, ist also längst durchlöchert; die Abstimmung mit den Füßen zeigt das deutlich; gleichzeitig findet ein erheblicher Druck in der Grundschule statt –, als Geländer und nicht die von Ihnen selbst so gelobten Qualitätssicherungsinstrumente, an die jede Schule gebunden ist?