Protocol of the Session on July 8, 2009

Als zweite Komponente muss eine allgemeine Entlastung der Familien hinzukommen. Was damals mit der Einmalzahlung in Höhe von 100 € passiert ist, war fast eine Beleidigung. Nein, wir wollen, dass es für alle einen Steuerfreibetrag gibt, der, bevor überhaupt Steuer anfällt, abgezogen wird. Wir wollen einen Steuerfreibetrag in Höhe von 8 000 € für Erwachsene und Kinder. Dies wäre eine ganz einfache Regelung, würde den Familien aber eine deutliche Entlastung bringen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Ursula Haußmann SPD: Wie wollen Sie das finanzieren?)

Diese Entlastung wäre im Übrigen direkt konjunkturfördernd, weil sie weitgehend in breit gestreute Konsumnachfrage umgesetzt würde. Da würden nicht nur einzelne Branchen bevorteilt werden, wie das bei den Maßnahmen, die im Moment laufen, der Fall ist, sondern jede Familie würde woanders einen Schwerpunkt setzen. Das heißt, dass Handel und Handwerk und vor allem der Einzelhandel direkte Vorteile hätten. Wenn sie Vorteile haben, zahlt sich das in den steigenden Steuereinnahmen wieder aus.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Hühner mit goldenen Ei- ern!)

Meine Damen und Herren, Verbraucherausgaben – ich bin dem Kollegen Dr. Noll für diesen Hinweis ausdrücklich dankbar – sind genauso systemrelevant wie staatliche Stützun gen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Offensichtlich haben das manche aber noch nicht kapiert.

Der dritte Punkt ist die Umsatzsteuer für das Gastronomiegewerbe.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Runter damit!)

Der Ministerpräsident hat bei seiner Rede vor dem DEHOGA ganz deutlich ausgeführt – und das stimmt –, dass sich auch

die Senkung dieser Steuer massiv selbst finanzieren würde. Eines muss ich noch sagen – man traut sich fast nicht, das in den Mund zu nehmen, weil man indirekt Verdächtigungen ausspricht –: Gerade im Gastgewerbe ist die Gefahr – weil man glaubt, sonst überhaupt nicht mehr herauszukommen –, dass nicht alle Umsätze deklariert werden, besonders groß. Wenn man die Umsatzsteuer für diesen Bereich auf 7 % senken würde, würde sich keiner – wirklich keiner – mehr dieser Gefahr aussetzen, weil dies, wenn es entdeckt wird, massive Folgen hat. Das heißt, wir hätten allein dadurch, dass der Steuersatz niedriger ist, mehr Aufkommen;

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben? – Abg. Alfred Winkler SPD: Noch einmal! Das haben wir nicht verstanden!)

ein Teil wäre dadurch schon refinanziert.

Der nächste Teil der Refinanzierung geht dahin, dass es derzeit massive Umsatzeinbrüche in der Gastronomie an allen unseren Grenzen gibt, mit Ausnahme an der Grenze zu Bay ern. An den anderen Grenzen – zu Frankreich, zur Schweiz, zu Österreich – sind unsere Gastronomen heute nicht mehr wettbewerbsfähig. Deren Umsätze gehen also zurück. Das könnte man mit einer Senkung des Umsatzsteuersatzes verbessern. Dafür sind wir.

Den Rest, wie wir die Refinanzierung der Steuerreform machen wollen, erzähle ich Ihnen in der zweiten Runde.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich dem Herrn Ministerpräsidenten.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aktuelle Debatte, von der Fraktion GRÜNE beantragt, beschäftigt sich mit wichtigen Fragen der Haushalts-, der Steuer- und der Wirtschaftspolitik – auf Bundesebene, auf Länderebene, für die öffentliche Hand insgesamt. Gern nehme ich die Gelegenheit wahr, um eine Bewertung der Frage „Wo stehen wir, Bund und Baden-Württemberg?“ vorzunehmen und eine Perspektive aufzuzeigen, was die Interessen unseres Landes bei all diesen Themen sind. Während sich andere Länder und der Bund in diesem Jahr in eine Rekordverschuldung begeben oder begeben müssen

(Abg. Alfred Winkler SPD: Hat er das verstanden?)

ich sage das nicht mit Kritik –, hält Baden-Württemberg in diesem Jahr an dem Ziel der Nullneuverschuldung fest und wird durch Zugriff auf Rücklagen und durch Sparmaßnahmen alles tun, damit nach 2008 auch 2009 ein Haushaltsabschluss ohne neue Schulden gelingt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Klar ist aber: Die wirtschaftliche Entwicklung ist nicht gut und wird auf absehbare Zeit nicht gut sein. Die Wirtschaft schrumpft in diesem Jahr in Baden-Württemberg um mehr als 6,5 %. Wenn die Wirtschaft um 6,5 % schrumpft, schrumpfen auch die Steuereinnahmen, allerdings um deutlich mehr als 6,5 %. Warum? Die Steuereinnahmen des Staates sind auf zwei großen Säulen aufgebaut. Die eine Säule ist die Besteu

erung von Umsatz, und die andere Säule ist die Besteuerung von Ertrag. Wenn die Wirtschaft um 6,5 % schrumpft, schrump fen auch der Umsatz und damit die Umsatzsteuereinnahmen um 6,5 %. So weit, so schlecht.

Wenn aber die Wirtschaft um 6,5 % schrumpft, geht der Gewinn, der oftmals nur 2 %, 3 %, 5 % des Umsatzes ausmacht, auf null zurück, oder es tritt sogar eine Verlustentwicklung ein. Das heißt, die Ertragsteuereinnahmen gehen um deutlich mehr als nur 6,5 % zurück. Dies trifft zuallererst unsere Kommunen, weil sie in starkem Maß von Unternehmensgewinnen abhängig sind. Die Gewerbeertragsteuer ist die Steuerart dafür. Uns trifft die Entwicklung bei den Körperschaftsteuern, uns trifft die Entwicklung bei den Einkommensteuern auf unternehmerische Tätigkeit. Wir müssen also davon ausgehen, dass am 10. November dieses Jahres die Steuerschätzung für die nächsten Haushaltsjahre aufzeigt, dass sich die Steuereinnahmen gegenüber der schon schlechten Prognose vom Mai dieses Jahres eher noch schlechter entwickeln werden. So ist die aktuelle Lage.

Deswegen sind in der Tat kurzfristige Versprechen nicht sehr glaubwürdig. Deshalb enthalten wir uns bei diesen. Wir haben deswegen auf Bundesebene, auf Länderebene intensiv beraten. Ich glaube, dass unsere Reihenfolge richtig ist. Vorweg: Wir haben uns nicht auf ein Jahresdatum festgelegt, weil keiner weiß, wie lang in der Reihenfolge der erste Zeitraum, das Durchlaufen der Krise, dauern wird.

Es gibt durchaus Wirtschaftsfachleute, die sagen: „Schon im nächsten Frühjahr kommt wieder Wachstum auf uns zu.“ Aber aktuell sehen die Auftragseingänge in den Bereichen Nutzfahrzeuge, Maschinenbau und „Große Anlagen“ eher ernüchternd, eher negativ aus. Deswegen ist uns wichtig, dass für die Haushalts- und Steuerpolitik zunächst einmal die Bewältigung der Krise in der Reihenfolge ganz vorn steht.

Zweitens benötigen wir für die Krise und deren Bewältigung, ihre Abmilderung und vielleicht auch ihre Verkürzung Konjunkturpakete und Finanzmarktstabilisierungsmaßnahmen, die Sonderausgaben in Milliardenhöhe erfordern.

Diese Ausgaben – Stichwort Verschrottungsprämie und vieles andere mehr – werden über Sonderhaushalte finanziert. Die Tilgung der dazu aufgenommenen Schulden ist vom Deutschen Bundestag ausdrücklich beschlossen und von der Koalition in Berlin vorgesehen. Das heißt, wir müssen erreichen, dass die besonderen Schulden nicht zu den allgemeinen Schulden addiert, sondern innerhalb einer mittelfristigen Haushaltsplanung zurückgeführt werden. Das ist der Wille der Kanzlerin, der von Herrn Steinbrück und auch von der großen Mehrheit im Deutschen Bundestag.

Dann bauen wir darauf, dass die Wirtschaft 2010 oder 2011 wieder wächst. Wenn also Nutzfahrzeuge, Maschinenbau und Pkws eine Stärke Baden-Württembergs sind und die Zahl der Aufträge in diesen Bereichen derzeit weltweit stagniert oder gar zurückgeht, dann entsteht auch ein Nachholbedarf. Ich baue darauf, dass unsere Wirtschaft die Krise übersteht und mit unserer Hilfe, mithilfe der Bürgschaften auch ein Zukunftsbeitrag geleistet wird und dann in normalen Auftragsjahren die nachzuholenden Aufträge kommen. Ich schließe also ein besonders starkes Wachstum im Jahr 2011 nicht aus, sondern baue ausdrücklich darauf.

Die Verantwortung des neu zu wählenden Deutschen Bundestags und der Länder im Bundesrat, die Verantwortung der nächsten Bundesregierung beginnt 2009 und schließt den Haushalt für das Jahr 2014, der noch von der neuen Bundesregierung aufzustellen ist, ein. In dieser Phase von 2009 oder 2011 bis 2014 mit hoffentlich anhaltendem neuem Wachstum und daraus folgenden sinkenden Arbeitslosenzahlen, geringeren Arbeitsmarktkosten, Steuermehreinnahmen und keinen weiteren Konjunkturpaketen muss eine Perspektive, die neben Sparen und Haushaltssanierung auch Investitionen und Steuerentlastungen einbezieht, erlaubt sein. Nein, sie ist sogar ausdrücklich geboten und angezeigt.

Deswegen meine ich, dass in dieser dritten Phase, wenn die Krise überstanden ist, wenn nachhaltig Wachstum kommt, neben der Absenkung der Neuverschuldung auf Bundesebene – die Schuldenregel gilt für den Bund früher als für die 16 Länder; die Schuldenregel gilt bei ihm schon im Jahr 2016 und ist damit schon Gegenstand der mittelfristigen Finanzplanung der nächsten Bundesregierung –, neben der Konsolidierung der Haushalte auch Investitionen in die Forschung und Steuerentlastungen angezeigt sein müssen.

Ein zweiter Punkt kommt hinzu: Nach meiner festen Überzeugung haben wir im Steuerrecht erheblichen Reformbedarf.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Niemand kann erklären, warum an der Wurstbude oder bei McDonald’s der Verzehr im Lokal mit 19 % und die Mitnahme in der Tüte mit 7 % Mehrwertsteuer belegt ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wenn die Verkäuferin bei McDonald’s fragt: „Zum Mitnehmen oder zum hier Essen?“, entscheidet sich das Steuermaß. Das ist schlichtweg abwegig. Niemand wird behaupten können, dass jede Regel im Lohnsteuer- und Einkommensteuerrecht für den Bürger noch nachvollziehbar ist. Hier wäre neben einer Steuersenkung auch eine Steuervereinfachung

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

eine dringende Aufgabe, der sich kluge Köpfe im Deutschen Bundestag annehmen sollten.

Ich glaube nicht, dass der Steuergesetzgeber mit dem geltenden Steuerrecht in Zukunft beim Bürger auf Zustimmung wird stoßen können und glücklich wird.

Ein weiterer Punkt. Noch vor 20 Jahren haben nur 6 % der Bürger mit ihrem Einkommen den Spitzensteuersatz erreicht. Immer mehr Normalverdiener – der Tarifangestellte bei der Sparkasse, der Techniker bei Bosch, der Amtsrat beim Land – erreichen mittlerweile mit ihren letzten Einkünften den Spitzensteuersatz. Wenn der Spitzensteuersatz ernst gemeint ist – –

(Zurufe von der SPD, u. a. des Abg. Alfred Wink- ler)

Wenn seine Frau mitverdient, sind beide gemeinsam drin. Sie wollen ja, dass die Frau arbeiten kann.

(Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Claus Schmiedel: Dann verdoppelt es sich aber!)

Wir wissen doch, dass heute über ein Drittel der Bürger mit ihrer Einkommensspitze im Spitzensteuersatz sind. Die 52 000 € im Jahr sind da erkennbar leistungsfeindlich,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: So ist es!)

weil sich für immer mehr Bürger Mehrleistung, Aufstieg, Weiterbildung oder Überstunden nicht mehr lohnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das heißt, ich behaupte, der Spitzensteuersatz greift zu früh. Wenn man dann sieht, dass er mit über 40 % noch viele Jahre vom Soli ergänzt werden wird, und man will, dass die Mehrzahl der Bürger in Baden-Württemberg in den Kirchen bleibt, und man die Kirchensteuer zur Einkommensteuer hinzurechnet, dann muss man sagen, dass zu viele Bürger mit ihren Einkünften an der Spitze mit 50 % ankommen.

Das heißt, ich glaube schon, dass man hier einmal nachdenklich die Frage prüfen muss, ob der Spitzensteuersatz nicht wieder verstärkt für diejenigen, die besonders gut verdienen, für Spitzenverdiener, und nicht für Mittelverdiener angezeigt ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: So ist es!)

Wir legen uns nicht auf eine Jahreszahl fest. Aber ein Regierungsprogramm trifft eine Gesamtaussage für die gesamte Legislaturperiode und damit auch für die Haushaltsjahre 2011, 2012, 2013 und 2014. Ich baue darauf, dass in dieser Zeit durch Wachstum auch Maßnahmen der Steuerabsenkung möglich, wirtschaftlich richtig und haushaltspolitisch sehr vertretbar sind.