Wir von der Landesregierung tun alles, um die Auswirkungen dieses Zentralismus für Baden-Württemberg abzumildern.
Ich halte allerdings sehr viel von der Selbstverwaltung. Das ist ein Ordnungsprinzip, das uns bisher eine gute Versorgung zugesichert hat, das vom Staatsdirigismus weggeht. Denn auf die Frage, was wäre, wenn wir die Selbstverwaltung nicht mehr hätten, ob der Staatsdirigismus dann besser wäre, sage ich eindeutig: Sicher nicht.
Heute geht es, wenn ich die Überschrift dieser Diskussion richtig verstehe, um den Landarzt und um die Versorgungslage auf dem Land. Ich möchte einfach darum bitten: Bleiben wir bitte bei diesem Thema.
Dazu habe ich den ganz aktuellen Versorgungsbericht vor mir. Da müssen wir einfach einmal feststellen, dass wir in keinem Bezirk in Baden-Württemberg einen Versorgungsgrad von unter 100 % haben. In den meisten Bezirken des Landes haben wir eine hausärztliche Versorgung von 110 %, 120 %, mindes tens aber von 100 %. Deswegen würde ich herzlich darum bitten, hier keine Panikmache zu betreiben und hier nicht zu suggerieren, dass die ärztliche Versorgung in einem Land wie Baden-Württemberg nicht gesichert sei. Wenn ich höre, dass in einem kleinen Ort in Oberschwaben – das ist kein Ballungsraum – mit 2 850 Einwohnern drei Hausärzte zur Verfügung stehen –
ich nehme einmal an, dass das bei diesen Zahlen kein Einzelfall in Baden-Württemberg ist –, dann denke ich, wir sollten etwas sensibler mit diesem Thema umgehen, anstatt pausenlos zu suggerieren, dass die Menschen hier nicht ausreichend versorgt wären.
Die zweite Feststellung ist, dass wir in der Tat Entwicklungen haben, die mit Ulla Schmidt – ich sage das jetzt einmal; ich nehme Ulla Schmidt eigentlich ungern in Schutz – nichts zu tun haben. Wir haben die Entwicklung, dass wir nun auch eine neue Ärztegeneration haben. Das sind nicht mehr die Ärzte wie vor 30 oder 40 Jahren, wie freitagabends – oder wann die se Sendung läuft – der smarte Landarzt, der ein Alleinkämpfer ist. Es ist eine neue Ärztegeneration da. 67 % der Medizinstudenten sind mittlerweile Frauen.
Wenn ich das so sagen darf: Frauen haben vielleicht einen breiteren Blick auf das Leben. Sie denken da vielleicht auch breiter: Wie kann ich Familie und Beruf vereinbaren?
(Beifall der Abg. Nicole Razavi CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Aber auch nicht alle, wenn man manche Rednerin heute gehört hat! – Abg. Thomas Blenke CDU: Das tut uns aber auch weh! – Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Unruhe)
Es gibt in diesem Beruf viele Frauen. Wir haben aber auch eine Ärztegeneration, die ganz eindeutige Vorstellungen hat. Wenn Medizinstudenten heute gefragt werden: „Wie stellt ihr euch euren Beruf vor?“, dann sagen sie durch die Bank überwiegend: „Wir wollen im Team arbeiten. Wir wollen nicht eine finanzielle Gesamtverantwortung übernehmen. Wir wollen unsere Arbeitszeit einteilen. Wir wollen mehr Freizeit haben.“
Das ist eine Realität, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Deswegen ist es natürlich gefährlich, jetzt so zu tun, als könnten wir dieses schöne Modell des Landarztes einfach in die nächsten Jahrzehnte perpetuieren.
Deswegen muss es natürlich Möglichkeiten geben, die ärztliche Versorgung der Menschen – darum geht es hier immer – auch unter diesen Bedingungen sicherzustellen. Da gibt es in der Tat Ansatzpunkte, die genutzt werden müssen. Das hat nichts mit der Landespolitik zu tun oder damit, dass wir nicht darüber reden würden. Wir haben mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz in der Tat Instrumente, die auf diese Entwicklungen eingehen können. Es können überärztliche Berufsausübungsgemeinschaften gegründet werden. Die Ärzte können andere Ärzte einstellen, was bisher nicht möglich war. Es ist also durchaus möglich, Frauen, die in Teilzeit angestellt arbeiten wollen, auch anzustellen. Und es gibt Vergütungszuschläge für Bereiche, die unterversorgt sind.
Es gibt also Möglichkeiten, hier einen finanziellen Anreiz zu setzen. Dabei bin ich zutiefst davon überzeugt, dass es nicht grundsätzlich und ausschließlich eine Sache der finanziellen Vergütung ist. Vielmehr stellt sich da auch die Frage, wie sich eine neue Generation von Ärzten ihre Arbeit vorstellt.
Das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz gilt noch nicht allzu lange. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Ärzteschaft selbst sind angehalten, diese Instrumente zu nutzen. Da brauchen wir keinen Dirigismus oder sonst etwas. Es sind Instrumente vorhanden, die genutzt werden sollten.
Weil sich die Zeiten ändern, müssen wir uns in der Tat auch auf neue Angebotsformen einstellen. Dazu gehören natürlich auch medizinische Versorgungszentren, wobei ich hinzufüge: in ärztlicher Trägerschaft. Denn es geht auch hier um Teambildung.
Da muss man auch sagen: Der Patient von heute will nicht nur irgendeinen Arzt oder den Arzt vor der Haustür haben. Er will auch eine hohe medizinische Qualität haben –
in der ganzen Differenziertheit, die die Medizin heute möglich macht. Da sind solche gemeinsamen Teams, Berufsaus übungsgemeinschaften, medizinischen Versorgungszentren – wie auch immer – sicher gut für die Versorgung der Menschen.
Wir haben unter Federführung des Ministeriums für Arbeit und Soziales eine interministerielle Arbeitsgruppe gegründet, weil wir diese Entwicklung ein Stück weit begleiten und vorantreiben wollen. Wir haben vereinbart, Modellprojekte zu starten.
Das ist zum einen das Modellprojekt Landarzt. Dabei geht es um die Weiterbildung des Arztes. Die Weiterbildung für Allgemeinmediziner ist gegenwärtig in der Tat etwas schwierig, zum Teil sicher auch weniger attraktiv. Wir wollen mit dem Kompetenzzentrum der Universität Heidelberg einen Weiterbildungsverbund modellhaft initiieren, bei dem Kliniken im ländlichen Raum im Verbund mit diesem universitären Kompetenzzentrum, im Verbund mit den Kommunen eine attraktive und qualitativ gute Weiterbildung anbieten, und auf diesem Weg durchaus den Versuch starten, eine verstärkte Identität auch für den im ländlichen Raum tätigen Arzt zu erreichen.
Ein zweites Projekt ist das Thema Landarzt-Taxi. Wir wollen Kommunen gewinnen, die einmal etwas Neues ausprobieren. Wir müssen ja ehrlich bleiben: Wir können und dürfen den Bürgern nicht versprechen, dass in jedem Ort dieses Landes Baden-Württemberg, in jeder kleinen Gemeinde ein Arzt seine Praxis haben wird. Das ist unrealistisch, das wird nie möglich sein – einmal abgesehen davon, dass der betreffende Arzt von dem erzielbaren Einkommen nicht leben kann. Wir brauchen also auch ein Stück weit Mobilität für die Menschen. Sie werden im Durchschnitt zunehmend älter. Hierfür ist das Modellprojekt Landarzt-Taxi auf den Weg gebracht worden. Dabei probiert man einmal aus, was ein Taxi, also ein Verbund von Mobilität, erreichen kann.
Ein Drittes, was wir gemeinsam mit den Gemeinden angehen, ist das Thema Landarztpraxis. Wir werden – das ist ein Ergebnis der interministeriellen Arbeitsgruppe – einen runden Tisch mit den Kommunen, mit der Kassenärztlichen Vereinigung, mit allen beteiligten Akteuren einrichten. Wir suchen nach Möglichkeiten, wie sich Kommunen im ländlichen Raum attraktiv machen können, damit sich Ärzte dort niederlassen.
Das sind die drei Maßnahmen, die wir ergreifen. Das Interesse der Kommunen an diesen Projekten ist aber umgekehrt proportional zu der Aufgeregtheit der Diskussion über den angeblichen Notstand in unserem ländlichen Raum. Das muss ich der Ehrlichkeit halber auch dazusagen.
Ich plädiere also dafür, bei diesem Thema etwas abzurüsten. Wir dürfen unsere Bevölkerung nicht verunsichern, vor allem nicht, wenn diese Bevölkerung nach wie vor gut versorgt ist. Wir müssen vielleicht wirklich öfter darüber reden, Frau Haußmann, was wir machen, damit nicht gesagt wird, wir würden nichts tun. Wir müssen vielleicht lauter klappern und zeigen, dass wir zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung und mit den kommunalen Landesverbänden versuchen, diese neuen Instrumente auch zur Wirkung zu bringen und einer Zeit gerecht zu werden, die neue Erfordernisse stellt. Ich gehe, wenn wir in die Zukunft blicken, davon aus, dass unsere medizinische Versorgung, auch was die Ausbildung derer betrifft, die Versorgungsleistungen erbringen, sicher noch differenzierter wird. Ich wage zu behaupten, dass wir in den nächsten Jahren auch an dieser Stelle über das Thema „Gemeindeschwester“ oder „Schwester Agnes“ diskutieren werden.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ging mir nicht um Panikmache und nicht um Aufrüsten.
Liebe Kollegin Haußmann, ich bin dankbar, dass das Thema von der Kollegin Mielich, aber derzeit auch sehr stark, ja massiv von den Medien, und zwar im ganzen Land, benannt wird.