Ist es gerecht, wenn einem beamteten Chefarzt einer Universitätsklinik eine Abfindung von brutto fast 2 Millionen € angeboten wird, damit er auf seine Leitungsfunktion mit dem Anspruch auf Privatliquidation verzichtet und der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zustimmt?
Immerhin wurde dieser Arzt wegen fahrlässiger Körperverletzung in drei Fällen und einer vorsätzlichen Körperverletzung rechtskräftig zur Zahlung einer Geldstrafe von 24 300 € verurteilt. Im Körper eines Patienten ließ er wissentlich eine Bohrerspitze stecken. Dafür wäre auch eine Gefängnisstrafe auf Bewährung möglich gewesen. Faktisch wäre das Ergebnis dann vergleichbar mit dem Fall der Kassiererin, die Flaschenpfand unterschlagen hatte. Vielleicht hätte ein strengeres Urteil unser Gerechtigkeitsgefühl gestärkt. Zumindest beamtenrechtlich wäre der Fall dann klar.
Aber unsere Gerichte sind unabhängig. Sie sind die dritte Gewalt im Staat. Wir haben ihre Entscheidung zu respektieren, ob wir wollen oder nicht.
Was wir nicht wollen, ist, dass ein solcher Arzt in unserer Klinik weiterhin Menschen operiert und als Ordinarius für Chirurgie junge Studenten oder Assistenzärzte ausbildet.
Ärztliche Kunstfehler – zumal, wenn sie vorsätzlich begangen werden –, mangelnde Führungsqualitäten gegenüber dem Pflegepersonal, Manipulationen von OP-Berichten und Verstöße gegen den hippokratischen Eid sind keine Kavaliersdelikte, sondern ein Ausschlusskriterium.
(Abg. Ursula Haußmann SPD: Sagen Sie das Herrn Frankenberg! – Gegenruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Ulla, jetzt pass auf!)
Chirurgische Eingriffe von Menschen an Menschen bergen ein hohes Risiko. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit geht von jährlich 680 000 Kunstfehlern in deutschen Kliniken aus. 17 000 Menschen überleben die Fehlbehandlung nicht, eine erschreckende Zahl. Nur zum Vergleich: Im Straßenverkehr kamen im vergangenen Jahr in Deutschland 5 000 Menschen ums Leben.
Es ist daher richtig, wenn sich das Land und die Universitätsklinik nicht hinter einer Omertà, einer Mauer des Schweigens, verstecken und Behandlungsfehler vertuschen.
(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Im Wissenschaftsminis terium, da ist die Omertà! – Lebhafte Unruhe bei der SPD – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Sie müssen selbst lachen! – Glocke des Präsidenten)
Leider verfestigt sich der Eindruck, dass unser Gesundheitswesen mit seinen Fallpauschalen und DRGs Menschen als betriebswirtschaftliche Kostenfaktoren und weniger als Patienten betrachtet.
Es gilt, Fehlerquellen zu identifizieren und ein effizientes medizinisches Qualitätsmanagement voranzutreiben.
(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Die Fehlerquellen spru- deln da drüben! – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)
Sieben Jahre lang stritten sich das Land und die Universitätsklinik mit dem entlassenen Chefarzt um Statusfragen aus dem Beamten- und Chefarztverhältnis sowie um Bezüge und Versorgung. Eine Kürzung der Beamtenbezüge lehnte der VGH Mannheim ab. Er hob in seinem Beschluss vom 10. September 2002 gar den Zeigefinger mit der Bemerkung, es sei fraglich, ob das zur Last gelegte Verhalten für sich genommen die Höchststrafe, nämlich die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, rechtfertigen könne.
Das war ein klarer Hinweis für das Disziplinarverfahren. Bei der Suspendierung als Leitender Chefarzt konnte sich die Universitätsklinik vor dem Verwaltungsgericht durchsetzen. Gegen diese Entscheidung legten die Anwälte des ehemaligen Chefarztes aber Rechtsmittel ein. Land und Klinik haben viel zu verlieren.
Neben dem Verlust der medizinischen Reputation müssen einem 47-jährigen Professor 30 Jahre lang Beamtenbezüge und anschließend Pensionen gezahlt werden, ein Betrag, der in der Summe leicht 4 Millionen € ausmachen kann und auch dann fällig ist, wenn keine ärztliche Leistung erbracht wird.
Hinzu kommt, dass bei einer erfolgreichen Berufung gegen die Suspendierung Schadensersatzansprüche in zweistelliger Millionenhöhe gedroht hätten. Klar, dass die Anwälte taktieren und das Verfahren hinauszögern, auch wenn dieses Verhalten für ihren Mandanten faktisch ein Berufsverbot wäre.
Der Fall ist so komplex wie ein Gordischer Knoten. Ich kann bei Abwägung aller Risiken, die zum damaligen Zeitpunkt absehbar waren, nachvollziehen, dass dieser Gordische Knoten durch ein Abfindungsangebot – netto sind das nach Abzug der Steuern 1 Million € – gelöst werden sollte. Ich glaube sogar, dass dieser Vergleich nicht unvorteilhaft für das Land war.
Nicht umsonst haben sich die Anwälte des Chefarztes nicht an den Vergleich gehalten und bewusst seine Wirksamkeit aufs Spiel gesetzt. Sie wollten noch mehr für ihren Mandanten herausholen.
Die Anwälte haben sich verzockt. Der VGH hat die Suspendierung bestätigt. Damit ist die Grundlage des Vergleichs entfallen.
Wer einen Prozess gewinnt, hat – zumindest unter Anwälten – alles richtig gemacht. Wer hier von „Fehlleistung“ spricht, „roten Karten“ oder „schallenden Ohrfeigen“, hat noch nie die Qualen forensischer Arbeit gespürt.
(Lachen bei der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: Der wollte doch gar kein Urteil! Das ist doch lächer- lich!)
Land und Universitätsklinik können sich auf dem Teilerfolg nicht ausruhen. Die FDP/DVP und die CDU haben einen Antrag gestellt, dieses Verfahren jetzt in einem Disziplinarverfahren weiterzuführen.
Wenn das Disziplinarverfahren nicht zu einer Entlassung aus dem Beamtenverhältnis führen sollte, war es nur ein Pyrrhussieg. Vielleicht wären wir dann froh, wir hätten den Streit im Vergleichsweg aus der Welt geschafft. Die Welt ist ungerecht, aber wir haben keine andere.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Oh-Rufe von der SPD – Abg. Ursula Haußmann SPD: Aber ande- re Minister könnten wir haben! – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Das war eine rechtsphiloso- phische Wolke! – Unruhe)