Protocol of the Session on May 13, 2009

Herr Staatssekretär, liegen Ihnen Erkenntnisse darüber vor, wo und in welchem Umfang der Verfassungsschutz Untersuchungen bei dieser Religionsgemeinschaft hinsichtlich ihres repressiven Verhaltens bei Ausstiegswilligen durchgeführt hat?

(Zuruf von der CDU: Das ist Sache des Innenminis ters!)

Bitte, Herr Staatssekretär.

Herr Kollege Winkler, ich kann nur noch einmal die Bedenken zitieren, die wir zusammen mit den anderen Bundesländern in diesen Abstimmungsprozess eingebracht haben. Deswegen waren Bayern, Thüringen und Baden-Württemberg zunächst auch kritisch. Ich möchte zwei Beispiele auflisten, die wir als Einzelfälle auch zu Protokoll gegeben haben, die aber letztlich auch nicht maßgebend für die höchstrichterliche Entscheidung sein können.

Beispielsweise verstarb im Jahr 2001 ein fast 17-jähriger krebskranker Jugendlicher, weil ihm seitens der Eltern eine Bluttransfusion verweigert wurde. Des Weiteren ist ein Fall einer Kindsmisshandlung bekannt, bei dem ein 17-jähriger Jugendlicher eingestehen musste, dass er als Neunjähriger misshandelt wurde, weil er sich gerade wegen der Anhängerschaft zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas aus der Familie absetzen wollte. Das sind zwei Fälle.

Darüber hinaus sind uns keine Verfassungsverstöße der Zeugen Jehovas bekannt, die wir auch ins Feld hätten führen können. Ich sage noch einmal: Wenn wir handfeste Beispiele in der Hand hätten, um damit die Anerkennung zu umgehen, hätten wir sie im Zuge dieses Abstimmungsprozesses vorgebracht. Dies hätten im Übrigen auch die anderen Bundesländer getan. Das hat auch der Konsultationsprozess in den letzten Jahren ergeben.

Eine weitere Zusatzfrage, und zwar von Herrn Abg. Dr. Löffler CDU.

Herr Staatssekretär, die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht zur Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts aufgestellt hat, sind Kriterien, die das Gericht selbst festgelegt hat. Sie finden sich weder im Grundgesetz, noch finden sie sich in der Weimarer Reichsverfassung.

(Zuruf des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Wir sind noch nicht so weit, dass die Gerichte – auch nicht das Bundesverfassungsgericht – solche Regelungen festlegen können, wenn das Parlament bzw. die Parlamente solche Be

stimmungen aufstellen können. Warum werden wir nicht im Rahmen bundesgesetzlicher Tätigkeit aktiv, um die Frage der körperschaftlichen Anerkennung zu regeln? Befürchten Sie nicht, dass, wenn dieser Dammbruch mit den Zeugen Jehovas da ist, der nächste Dammbruch mit der Scientology Church vor der Tür steht und wir dann auch dagegen keine Verteidigungsmöglichkeit mehr haben?

(Beifall bei der SPD, den Grünen und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU – Abg. Sabine Fohler SPD: So ist es!)

Bitte, Herr Staatssekretär.

Es ist natürlich eine Sache des Parlaments, diesbezüglich initiativ zu werden. Aber gestatten Sie mir, Herr Kollege Löffler, dass ich noch einmal in Gänze – das ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch wichtig – zumindest die entscheidende Passage des Leitsatzes des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2000 zitiere. Wenn Sie gestatten, tue ich das gern:

Eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will …, muss rechtstreu sein.

a) Sie muss die Gewähr dafür bieten, dass sie das geltende Recht beachten, insbesondere die ihr übertragene Hoheitsgewalt nur in Einklang mit den verfassungsrechtlichen und sonstigen gesetzlichen Bindungen ausüben wird.

b) Sie muss außerdem die Gewähr dafür bieten, dass ihr künftiges Verhalten die in Artikel 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet.

Der letzte Punkt, aus dem ich eben schon zitiert habe – das ist mit der entscheidende Punkt –, lautet:

Eine darüber hinausgehende Loyalität zum Staat verlangt das Grundgesetz nicht. … Ob einer antragstellenden Religionsgemeinschaft der Körperschaftsstatus zu versagen ist, richtet sich

nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts –

nicht nach ihrem Glauben, sondern nach ihrem Verhalten. … Allerdings stellt nicht jeder einzelne Verstoß gegen Recht und Gesetz...

Ich wiederhole diesen Satz:

Allerdings stellt nicht jeder einzelne Verstoß gegen Recht und Gesetz die Gewähr rechtstreuen Verhaltens infrage.

Nach diesem Passus muss man sich sehr wohl überlegen, ob man als Gesetzgeber hier in eine andere Richtung gehen möchte. Als Gesetzgeber gegen das Bundesverfassungsgericht vorzugehen betrachte ich an dieser Stelle auch als problematisch.

Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Rastätter von der Fraktion GRÜNE.

Herr Staatssekretär Wacker, wenn die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt würden, hätten sie auch einen Rechtsanspruch auf Religionsunterricht an unseren Schulen. Sehen Sie nicht das Problem, dass dabei die Inhalte, die gerade mit Blick auf Aufrufe, nicht wählen zu gehen, wie sie Kollege Kretschmann erwähnt hat, in einem erklärten Widerspruch zu den Bildungs- und Erziehungszielen unserer Schulen stünden und dass auch dieses Problem, das dann entstünde, doch eher dafür sprechen würde, dieses Risiko eines Prozesses einmal exemplarisch in Baden-Württemberg auch mit Blick auf die anderen Bundesländer in Kauf zu nehmen angesichts dieser Folgen, die mit Sicherheit von niemandem hier in diesem Haus für die betroffenen Kinder und für die Schulen gewünscht sein können?

Herr Staatssekretär Wacker.

Sie wissen, Frau Kollegin Rastätter, dass die Erlaubnis zur Erteilung des Religionsunterrichts nicht so ohne Weiteres zu bekommen ist. Sie wissen auch, dass wir gerade im Zusammenhang mit dem islamischen Religionsunterricht festgestellt haben, dass es für den Antragsteller viele Hürden gibt, und vor allem natürlich, dass die Rechtsstaatstreue in diesem Zusammenhang genau zu hinterfragen ist. Selbst wenn den Zeugen Jehovas der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erteilt wird, ist das noch nicht automatisch ein Freibrief, der zur Erteilung des Religionsunterrichts hier in Baden-Württemberg führen kann.

(Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP – Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Nicht automatisch!)

Eine zweite Bemerkung, Frau Kollegin Rastätter: Im Zuge des sehr langen Gerichtsprozesses in Berlin mit dem am Ende erfolgten Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde der Wunsch zur Erteilung des Religionsunterrichts seitens der Zeugen Jehovas nicht thematisiert. In diesem Zusammenhang ist dieser Wunsch nicht geltend gemacht worden.

(Abg. Sabine Fohler SPD: Der kann ja noch kom- men!)

Weitere Zusatzfrage, Herr Abg. Bachmann für die FDP/DVP-Fraktion.

Herr Staatssekretär, anschließend an die Frage des Kollegen Löffler möchte ich, da ja das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz nur auslegt, fragen: Haben Sie denn mit den anderen Ländern – wenn ich auf die breiten Mehrheiten hier im Haus sehe – darüber nachgedacht, an dieser Stelle möglicherweise eine Rechtsänderung vorzunehmen?

Bitte, Herr Staatssekretär.

Der Weg einer Rechtsänderung ist natürlich sehr gewissenhaft geprüft worden,

(Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP: Im Grundge- setz!)

weil, wie ich gesagt habe, Herr Kollege, die wenigsten Bundesländer diesen Weg als Automatismus verstanden haben.

Ich sage noch einmal, dass es seit 2006 einen sehr intensiven Abstimmungsprozess zwischen allen Bundesländern gab und dass seit der Antragstellung in Baden-Württemberg im Jahr 2007 auch noch kein Freibrief erteilt wurde, sondern dass die Phase bis heute als ganz entscheidende Prüfungsphase genutzt wurde. In diesem Zusammenhang hat natürlich auch die Abwägung stattgefunden, ob es nicht neben der Anerkennung auch noch andere Möglichkeiten gibt, diese Situation zu umgehen. Ich denke, hier auch für die meisten anderen Bundesländer sprechen zu dürfen, die diesen Schritt auch nicht aus freiem Herzen und nicht aus gutem Willen gegenüber dieser Sekte unternehmen.

Weitere Zusatzfrage – es wird die letzte sein –, Herr Abg. Dr. Mentrup für die SPDFraktion.

Herr Staatssekretär, Sie hatten die Muslime und dabei den Religionsunterricht ins Feld geführt. Nun sind die Muslime aber noch nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt. Insofern wiederhole ich die Frage – Sie können das ja nachholen –, inwieweit da nicht auch die Verpflichtung unsererseits bestünde, die Schulen für Religionsunterricht zu öffnen, inwieweit es nicht die Verpflichtung gäbe, hier auch Kirchensteuer einzuziehen, und inwieweit wir damit nicht auch unter den Druck geraten, einen Staatsvertrag abschließen zu müssen. Ich denke, das sind alles Argumente, die der Initiative von Herrn Dr. Löffler vielleicht noch einmal Munition geben sollten, hier einen anderen Weg zu gehen.

Bitte, Herr Staatssekretär.

Die Erteilung des Religionsunterrichts ist natürlich an Hürden und feste Prinzipien gebunden, und im Falle eines solchen Antrags muss genau diese Prüfung vorgenommen werden, auch wenn die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts vollzogen wurde. Insofern sehe ich da keinen Automatismus. In diesem Falle würden wir natürlich sehr intensiv jeden Prüfungsweg nutzen, um diesen Prozess kritisch zu begleiten. Ob wir am Ende rechtlich dazu verpflichtet wären, weiß ich nicht. Aber, wie gesagt, in jedem Fall wird ein solcher Vorstoß auch geprüft werden.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Die können Religi- onsunterricht einklagen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegen weitere Wortmeldungen vor. Aber die Regierungsbefragung ist auf genau 60 Minuten begrenzt. Insofern muss ich die Regierungsbefragung jetzt abbrechen.

Vielen Dank, Herr Staatssekretär.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/ DVP)

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu der Mitteilung der Landesregierung vom 22. April 2009 – Finanzierungsverträge zum Bahnprojekt Stuttgart–Ulm – Drucksachen 14/4382, 14/4411

Berichterstatter: Abg. Winfried Scheuermann

Hierzu rufe ich noch den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP/ DVP, Drucksache 14/4438, auf.

Das Präsidium hat eine Aussprache mit einer Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.