Jedes gesellschaftliche Thema, jedes gesellschaftliche Problem wird reduziert auf den Mindestlohn. Es hat eigentlich nur gefehlt, dass Sie das Thema Mehrwertsteuer auch noch in diese Diskussion einbringen. Das ist wirklich ein Beleg dafür, dass die FDP auf diese gesellschaftlich wichtigen Fragen keine Antworten hat.
Herr Löffler, eines muss ich Ihnen sagen: Sie fordern – natürlich zu Recht – vom Einzelnen ein, dass er Verantwortung für sein berufliches Fortkommen, für seine Weiterbildung trägt. Das ist völlig richtig. Das unterstreiche ich völlig. Aber wenn eine ganze Menge junger Menschen – die in diesem Punkt offensichtlich schon viel weiter sind als die Landesregierung – sagen: „Wir wollen uns weiterbilden, wir wollen nicht in die Arbeitslosigkeit gehen“, dann müssen wir denen das auch ermöglichen. Das ist unser Part in dieser Diskussion.
Wir können doch nicht sagen: „Wir müssen dann halt einmal schauen, wie wir das irgendwie mit der Agentur für Arbeit organisieren.“ Das Land hat hier einen Auftrag.
Ich habe gestern in der „Financial Times Deutschland“ einen sehr treffenden Satz gelesen. Er hat mich wirklich sehr zum Nachdenken gebracht.
(Minister Ernst Pfister: Was? – Gegenruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD: Ein Sturz von einem Hoch- haus ist von beschränkter Dauer!)
Die wirklich interessante Frage ist somit nicht: „Wann ist die Rezession zu Ende?“, sondern: „Was kommt danach?“
Ich glaube, das ist auch die Frage, die wir uns heute stellen müssen. In der Krisensituation wird immer nur sehr hektisch gehandelt, aber eigentlich macht sich keiner Gedanken dar über, was danach kommt.
Zum Thema Weiterqualifizierung: Die Antwort auf die Frage, welche Zukunft der Industriestandort Baden-Württemberg hat, hängt wirklich existenziell davon ab, wie wir mit der Qualifizierung von jungen Menschen und mit denen, die qualifiziert sind, umgehen. Das ist die zentrale Frage.
Im Herbst des vergangenen Jahres hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag mitgeteilt: „Wir werden in BadenWürttemberg bis zum Jahr 2015“ – das ist auch statistisch belegt – „einen Facharbeitermangel in der Größenordnung von 260 000 haben.“ 260 000! Heute lassen Sie es zu, dass junge Leute nicht in eine Berufsausbildung hineinkommen. Heute lassen Sie es zu, dass junge Menschen nach einer Berufsausbildung in die Arbeitslosigkeit fallen. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Da müssen wir handeln.
Jetzt möchte ich noch etwas zu dem sagen, was wir tun können. Das ist, denke ich, jenseits der „normalen“ Kategorien auch machbar. Für mich ist es unfassbar, Herr Rau, dass das Verzahnungsmodell der Berufskollegs schlichtweg jetzt im Sommer dieses Jahres ausläuft, da man sich offensichtlich mit dem Koalitionspartner in der Frage der Anrechnung nicht einigen kann. Wir steuern auf einen Mangel an Ausbildungsplätzen zu – allein in diesem Jahr wird der Rückgang der Zahl der Ausbildungsplätze zwischen 5 % und 10 % betragen –, und wir leisten es uns, das Verzahnungsmodell auslaufen zu lassen. Wir brauchen die Anrechnung in diesem Bereich. Herr Pfister, ich erwarte von Ihnen als Wirtschaftsminister, dass Sie angesichts dieser Krisensituation bei den Gesprächen, die Sie am Montag führen werden, mit den Betrieben auf Augenhöhe reden und ihnen klarmachen, dass sie eine Verantwortung für Ausbildung haben.
Eine ideologische Sperre gegen die Weiterführung der hochgelobten Arbeit, wie sie jetzt im Verzahnungsmodell geleistet wird, dergestalt, dass diese Jahre nicht auf eine berufliche Ausbildung angerechnet werden, ist in der Krisensituation ein Skandal.
Wenn wir schon wenig Ausbildungsplätze haben, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Qualifikationen, die bereits erlangt worden sind, in der beruflichen Ausbildung nicht noch einmal erworben werden müssen. Alles andere versteht kein junger Mensch. Sie treiben die jungen Menschen aber doppelt in die Krise hinein, weil Sie die Leistung, die sie erbracht haben, nicht anerkennen.
Für die jungen Menschen, die nicht in eine Weiterqualifizierung gehen können, weil die Plätze hierfür nicht vorhanden sind, brauchen wir aber ebenfalls eine Perspektive. Hier sind auch Politik und Wirtschaft gefragt. Wir brauchen Lösungen
für Auszubildende, die dieses Jahr fertig werden. Nach ihrem Abschluss muss es, auch wenn der Betrieb nicht in Kurzarbeit geht, Lösungen geben, etwa durch Beschäftigungsbrücken mit einer Laufzeit von einem Jahr bis zwei Jahren. Politik ist hier gefragt, und Politik muss hier handeln.
Mein letzter Punkt: Ich erwarte von der Landesregierung, dass sie eine Bundesratsinitiative zum Berufsbildungsgesetz mit dem Ziel einleitet, die Beschränkungen, die beim Verzahnungsmodell zwischen den Berufskollegs und der dualen Ausbildung bestehen, zurückzunehmen. Das ist extrem wichtig, um alle Ressourcen, die wir haben, in der krisenhaften Situation überhaupt ausnutzen zu können. Wenn das nicht gemacht wird, versündigt man sich an unserer Jugend und an unserer eigenen Zukunft.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rede war von Defiziten im System der beruflichen Bildung.
Sie haben versucht, dies mit der unbestreitbaren Tatsache zu belegen, dass es geringer qualifizierte Jugendliche gibt, die nicht aus der Warteschleife herauskommen. Allerdings stellt sich die Frage, ob das tatsächlich ein Beleg für Defizite der beruflichen Bildung ist oder ob wir nicht vielmehr darüber nachdenken müssen, was zunächst bei der primären Bildung und was vielleicht in den Elternhäusern abläuft.
(Abg. Gunter Kaufmann SPD: Dass sie selbst schuld sind! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Sie müssen dort hinüberschauen!)
Ja, ich schaue dort hinüber. Ich weiß, wie Herr Rau aussieht; aber Sie sind wesentlich schöner, Herr Schmiedel. Das ist wesentlich anziehender.
(Beifall und Lachen bei Abgeordneten der SPD – Oh- Rufe von der CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Vermutlich hat er sich zuvor qualifiziert!)
Sie haben die immer gleiche Patentlösung: Wir müssen nur das gegliederte Schulsystem abschaffen und es durch die Einheitsschule ersetzen; dann werden all diese Probleme gelöst. Andere Themen, wie z. B. die Migration oder „Soziale Probleme in Elternhäusern“, werden in dieser Diskussion von Ihnen in aller Regel vernachlässigt.
Wenn wir uns die Frage stellen, was wir für die geringer qualifizierten Jugendlichen tun können, damit sie in Arbeit kom
men, dann müssen wir sehr wohl auch über das Thema der Mindestlöhne reden. Denn wir werden in dieser Gesellschaft weiterhin gering Qualifizierte haben, die sich eben schwertun, wenn nur Arbeitsplätze, für die eine hohe Qualifikation erforderlich ist, angeboten werden.