Herr Kollege Schmiedel, die Forderung „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ wäre bei diesem Projekt meines Erachtens eher angebracht als bei manch anderen politischen Fragen.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Zurufe der Abg. Claus Schmiedel und Reinhold Gall SPD sowie Dr. Klaus Schüle CDU)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vorzüge dieses Projekts wurden hinreichend geschildert und werden von meiner Fraktion auch so gesehen. Es ist überhaupt keine Frage, dass dieses Projekt ein wichtiges Infrastrukturprojekt für das Land Baden-Württemberg ist. Es ist auch keine Frage, dass sich die wirtschaftlichen Interessen der bayerischen Industrie in diesem Projekt legitim widerspiegeln, ebenso wie die wirtschaftlichen Interessen der rheinland-pfälzischen Wirtschaft. Sie haben völlig recht: Das gilt auch für unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen im Chemiedreieck zwischen Karlsruhe und Mannheim.
Zu Recht wurde auch darauf hingewiesen, dass dieses Projekt ökologisch sinnvoll ist. Denn es ist weit besser, das Ethylen in einer Pipeline durch Baden-Württemberg zu bringen als über Gefahrguttransporte, die mit entsprechenden Unfallgefahren verbunden sind.
Deshalb spricht wirtschaftspolitisch und ökologisch alles für dieses Projekt. Allerdings stellt sich die Frage, wann es realisiert werden soll.
Nicht möglichst schnell! Denn wir müssen auf der anderen Seite natürlich auch berücksichtigen, dass es legitime Eigentumsinteressen der Bevölkerung gibt.
Die Regierungskoalition in Baden-Württemberg aus Union und FDP/DVP fühlt sich den wirtschaftlichen Interessen des Landes sehr verpflichtet. In dieser Verpflichtung werden wir von den Kollegen der Sozialdemokratie sicherlich nicht übertroffen.
Was uns im Gegensatz zu Ihnen aber auch sehr wichtig ist, sind die Freiheitsrechte der Bürger und die legitimen Interessen der Bürger.
Sie freuen sich über jede Gelegenheit, die Sie bekommen, um die Bürger möglichst rasch mit irgendwelchen Gesetzen zu gängeln.
Für uns gibt es aber eine legitime Abwägung zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Landes und denen der Industrie mit den Freiheitsrechten der Bürger. Deshalb glauben wir, dass es am Ende des Tages durchaus zu einem Wegerechtsgesetz kommen wird.
Ganz sicher wird es so sein, dass der eine oder andere, mit dem im Guten gesprochen wurde, oder – der Kollege Untersteller hat ja Beispiele genannt – Erbengemeinschaften, die vielleicht schwer erreichbar sind, am Ende des Tages über ein Wegerechtsgesetz möglicherweise dazu gezwungen werden, diese Ethylen-Pipeline passieren zu lassen.
Die Frage, die sich aber stellt, ist, wann „am Ende des Tages“ ist. Dieser Zeitpunkt ist für uns noch nicht gekommen. Denn uns wurde zugetragen, dass mit manchen Grundstücksbesitzern überhaupt noch kein Kontakt aufgenommen wurde. Das soll zunächst einmal geschehen, und mit denen soll verhandelt werden. Dann soll man zu einer vernünftigen Lösung kommen.
Wenn eine solche Lösung dann nicht gefunden wird, weil ein geringer Prozentsatz an Grundstückseigentümern dazu nicht bereit sind, wird mit Sicherheit kein Weg an einem Wegerechtsgesetz vorbeiführen.
Es wäre aber falsch, dem Betreiberkonsortium zum jetzigen Zeitpunkt zuzurufen: Es funktioniert auf jeden Fall, und zwar jetzt. Was wir ihm zurufen können, ist: Die Ethylen-Pipeline wird kommen, aber auf den genauen Zeitpunkt werden wir uns nicht festlegen. Herr Kollege Prewo, wir werden auch keinen genauen Prozentsatz nennen, nicht z. B. 90 %, sodass die sich zwischen 89,9 und 90,0 % auf ein Kartell festlegen könnten. Wir werden auch nicht genau sagen, wann dieses Wegerechtsgesetz kommt.
Denn wir wollen das Betreiberkonsortium dazu motivieren, mit den Leuten zu reden, um dann zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen.
Ich höre in meinem eigenen Wahlkreis, durch den die Ethylen-Pipeline führt, von keinen Problemen. Insofern könnte ich aus wahlkreisegoistischen Interessen jetzt schon zustimmen. Aber – die Zahlen wurden genannt – es gibt andere Regionen in diesem Land, und dort sollte eben zunächst noch einmal verhandelt und mit den Leuten auf dem Verhandlungsweg eine vernünftige Lösung gesucht werden. Am Ende wird dieses Wegerechtsgesetz kommen, aber heute ist es dafür mit Sicherheit zu früh.
Sehr geehrter Herr Kollege Rülke, ist Ihnen bekannt, dass sich die EPS gemäß dem bayerischen Rohrleitungs-Enteignungsgesetz für die Enteignung oder für dieses Wegerecht, das da eingetragen werden soll, „nachweislich ernsthaft bemüht“ haben muss, „das Grundstück oder das in Artikel 2 Abs. 1 Satz 2 bezeichnete Recht“, also das Wegerecht, „zu angemessenen Bedingungen freihändig zu erwerben“? Ist Ihnen weiter bekannt, dass die EPS glaubhaft machen muss, sich in freihändigen Verhandlungen bemüht zu haben, dieses Wegerecht zu erwerben, und dass sie dafür vor Gericht auch nachweispflichtig ist? Daher kann es nicht sein, dass sozusagen einfach von Staats wegen verordnet wird: Es wird enteignet. Vielmehr muss es darum gehen, dass die EPS selbst nachweist, dass sie in ausreichender Weise in Verhandlungen versucht hat, das Grundstück oder das Wegerecht freihändig zu erwerben. Ist Ihnen das bekannt?
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Unstrittig ist auch nach der Debatte, dass Baden-Württemberg an dieser Ethylen-Pipeline interessiert ist und aus vielfältigen wirtschaftspolitischen Gründen, die hier genannt worden sind, auch interessiert sein muss. Unstrittig ist, dass eine Pipeline ökologisch die umweltfreundlichste Lösung ist, jedenfalls gegenüber Straße, Schiene oder anderen Transportwegen. Unstrittig ist also, dass wir alle – alle! – ein Interesse daran haben müssen, dass diese Pipeline kommt. Unstrittig ist, dass die Betreiber, das Konsortium, in der Vergangenheit Fehler gemacht haben. Auch ich finde es nicht in Ordnung, dass Baden-Württemberg in dieser Sandwichposition viel zu spät
in die Dinge involviert worden ist. Unstrittig ist, dass es noch erheblich Luft gibt, in Verhandlungen zu freiwilligen Ergebnissen bezüglich der Grundstücke zu kommen. Auch dies ist unstrittig.
Unstrittig ist deshalb, dass wir gut daran tun, auf der einen Seite festzuhalten, dass wir diese Ethylen-Pipeline wollen, auf der anderen Seite aber die nächsten Wochen noch dafür zu nutzen, um intensiv zu versuchen, das zu erreichen, was Bay ern und was auch Rheinland-Pfalz erreicht haben, nämlich ohne Schwingen der Gesetzeskeule, ohne Gesetzesanwendung
(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Franz Unter- steller GRÜNE – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/ DVP: Jawohl! Sehr schön!)
Unstrittig ist schließlich aber auch – das muss man der Ehrlichkeit halber sagen; Herr Dr. Rülke hat zu Recht darauf hingewiesen –: Wenn wir all diese Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft haben, dann werden zum Schluss trotzdem Totalverweigerer übrig bleiben.
Da können Sie sich auf den Kopf stellen, da können Sie machen, was Sie wollen: Sie werden diese Totalverweigerer nicht überzeugen können, weil sie entweder sagen „Wir sind mit der Entschädigung nicht zufrieden“ oder „Mir passt die ganze Pipeline nicht in den Kram“ und verschiedene andere Gründe anführen.
Wenn wir die Pipeline wollen, dann bleibt in dieser Situation überhaupt nichts anderes übrig, als ein Wegerechtsgesetz auf den Weg zu bringen. Deshalb kündige ich für die Landesregierung an:
Erstens: Wir werden alles tun, um auf dem Freiwilligkeitsweg jetzt noch so viele Grundstücke wie möglich zur Verfügung stellen zu können.
Da sind noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgereizt. Ich sage noch einmal: Bayern hat es geschafft, 90 % der Grundstücke zur Verfügung zu stellen, ohne die Gesetzeskeule schwingen zu müssen, und in Rheinland-Pfalz war es ähnlich. Wir liegen im Augenblick bei 77 %. Ich finde übrigens, dass das eine großartige Marke ist. Ein Anteil von 77 % kann sich sehen lassen. Damit ist ja im Grunde auch der Beweis erbracht worden, dass von allen Seiten durchaus mit Nachdruck gearbeitet worden ist. Aber ich halte es schon für möglich, den Anteil von 77 % auf dem Freiwilligkeitsweg noch zu steigern. Dies muss in den nächsten Wochen im Vordergrund stehen,