Protocol of the Session on December 4, 2008

(Abg. Gustav-Adolf Haas SPD: Da hat sie recht, die Frau Ministerin!)

Das ist wohl wahr, Frau Ministerin. Aber man fragt sich, warum dieselbe Ministerin und dieselbe Landesregierung durch ihre Blockadehaltung im Bund entscheidenden Anteil daran hatten, dass die Pläne, für pflegende Angehörige einen bezahlten Pflegeurlaub einzuführen, nicht verwirklicht werden konnten.

(Beifall bei der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist ja unglaublich! Blockade! – Gegenruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Auch an dieser Stelle erlaube ich mir, die von Ministerin Stolz im letzten Jahr angeführte Begründung für die Ablehnung des bezahlten Pflegeurlaubs zu zitieren:

Es sollte jedem Einzelnen zumutbar und möglich sein, einen kurzfristigen Zeitbedarf zur Koordinierung der Pflege eines Angehörigen in den ersten Tagen nach Eintritt der Pflegesituation abzudecken – entweder mit noch vorhandenem bezahltem Resturlaub oder einem unbezahlten Urlaub bis zu zehn Arbeitstagen …

Mit anderen Worten: Geht es nach dem Willen der Landesregierung, sollen Familien die Pflege und die Erwerbsarbeit miteinander vereinbaren, aber bitte auf eigene Kosten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Enquetekommission „Demografischer Wandel“ hat vor drei Jahren einen umfangreichen Katalog von Handlungsempfehlungen vorgelegt. Bereits die Kommissionsarbeit hat sehr unter der Schwierigkeit gelitten, dass CDU und FDP/DVP konkrete landespolitische Handlungsempfehlungen zur Gestaltung der Herausforderungen des demografischen Wandels gescheut haben wie der Teufel das Weihwasser.

(Abg. Gustav-Adolf Haas SPD: Ja! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Mit beidem haben wir nichts zu tun!)

Das hat u. a. dazu geführt, dass sowohl der Landesseniorenrat als auch der Landesfamilienrat, der Landesjugendring und der Landesfrauenrat die Ergebnisse der Kommissionsarbeit völlig zu Recht wie folgt charakterisiert haben – ich darf zitieren –:

Wir haben mehr Konkretes und Verbindliches erwartet, von der Kinderbetreuung bis zur Geriatrie.

(Beifall bei der SPD – Abg. Ursula Haußmann SPD: Recht haben sie!)

Wenn wir uns nun den Umsetzungsbericht ansehen, müssen wir feststellen, dass die wenigen konkreten Handlungsempfehlungen, zu denen sich die Kommission dann mehrheitlich durchringen konnte, entweder ignoriert oder weiterhin verwässert wurden.

(Abg. Ingo Rust SPD: So ist es!)

Ich möchte das an einigen Beispielen verdeutlichen. In einer Gesellschaft, in der immer weniger Kinder geboren werden und in der immer mehr Kinder aus Elternhäusern stammen, in denen wenig oder gar nicht Deutsch gesprochen wird, kommt der Sprachförderung eine immer größere Bedeutung zu.

(Abg. Norbert Zeller SPD und Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr richtig! – Zuruf des Abg. Rainer Sti- ckelberger SPD)

Die Enquetekommission hat deshalb in ihren Handlungsempfehlungen die Landesregierung aufgefordert, die Sprachförderung in Baden-Württemberg flächendeckend umzusetzen, und zwar vom ersten Kindergartentag an.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Sehr gut!)

Nun wäre nach drei Jahren die Frage zu stellen: Wie setzt die Landesregierung diesen klaren Handlungsauftrag denn eigentlich um? Da muss ich Ihnen sagen, die simple Antwort lautet: gar nicht.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/ DVP: Wie bitte? – Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist eine Sauerei! – Abg. Reinhold Gall SPD: Die Staatsrätin hat versagt! – Weitere Zurufe)

Eine flächendeckende Sprachförderung vom ersten Kindergartentag an wird es in Baden-Württemberg nicht geben, obwohl sie dringend erforderlich ist.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das ist eine Diskri- minierung der Erzieherinnen!)

Die Landesregierung ist nicht bereit, die erforderlichen 35 Millionen € für eine flächendeckende Sprachförderung zur Verfügung zu stellen. Sie kann aber sehr wohl fast 60 Millionen € zur Rettung eines Not leidenden Adelshauses mobilisieren.

(Lebhafte Unruhe – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Blanker Populismus, Kollegin! Sprechen Sie einmal mit Ihren eigenen Kollegen!)

Besser kann man überhaupt nicht veranschaulichen, welche Bedeutung die Gestaltung des demografischen Wandels für die Landesregierung hat.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Wie gehen Sie mit historischem Erbe um? – Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Unruhe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht alle Menschen haben Kinder, aber alle haben Eltern. Sehr geehrter Herr Noll, viele dieser Eltern sind im Alter auf Hilfen angewiesen. Bei der Frage, wie diese Hilfen organisiert werden können, lässt die Landesregierung die Familien allein

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Und so etwas kommt aus dem Remstal! Ist ja unglaublich!)

und schiebt die Verantwortung auf die Kommunen und die Pflegekassen ab, obwohl das Land gemäß dem Landesgesetz eine Verantwortung für die Gestaltung des Vorfelds und des Umfelds von Pflege hat.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Da nützt die Staatsrä- tin nichts!)

Das Vor- und Umfeld der Pflege ist für die Frage, wie ältere Menschen und ihre Angehörigen ihren Alltag gestalten können und wie sie mit beginnender Pflegebedürftigkeit umgehen können, oft wichtiger als die Leistungen der Pflegeversicherung.

Die Enquetekommission hat die Landesregierung deshalb zu Recht aufgefordert, ein mittel- und langfristiges Gesamtkonzept zur Umsetzung dieses Auftrags aus dem Landespflegegesetz vorzulegen, um Maßnahmen im Vor- und Umfeld der Pflege zu fördern. Ich möchte sagen: Das war einer der wenigen Fälle, wo man sich dank des Abg. Döring mehrheitlich zu einer konkreten Handlungsempfehlung durchringen konnte.

Was sagt nun der Bericht der Landesregierung zu dieser Empfehlung? Da wird auf den Landespflegeplan verwiesen, es wird darauf verwiesen, dass dieser weiter fortgeschrieben werden soll, und es wird darauf verwiesen, dass man in diesem Bereich Gelder eingespart habe. Was wir bezüglich des Vor- und des Umfelds von Pflege vorgetragen bekommen haben, war nichts anderes als eine Bilanz dessen, wie Hilfen abgebaut und zurückgefahren werden können.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es! – Abg. Rein- hold Gall SPD: Da hat die Staatsrätin schon wieder versagt!)

Ich muss sagen, meine sehr geehrten Damen und Herren: In einer Gesellschaft, die älter wird, und in einer Regierung, die sich eine Demografiebeauftragte leistet, wäre es eine gute Tat gewesen, wenigstens ein Handlungsfeld konkret anzugehen und den Menschen im Land Verbesserungen und Hilfen zuteil werden zu lassen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE)

Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, der mich doch etwas verwundert hat. Frau Staatsrätin, in Ihrem Manuskript stand – Sie haben es in Ihrer Rede auch kurz erwähnt –, dass die Pflegeheimförderstrategie des Landes fortgeführt werden soll.

(Zurufe von der SPD, u. a. der Abg. Marianne Won- nay)

Das wäre ja nun ganz in unserem Sinne, aber es dürfte Ihnen doch sicher bekannt sein, dass die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen beabsichtigen, im Jahr 2010 die Pflegeheimförderung einzustellen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was gilt denn jetzt? – Zuruf des Abg. Reinhold Gall SPD)

Wenn sich da nun ein Sinneswandel ergibt, würden wir uns freuen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Bei uns stehen die Heime schon leer! – Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Sie werden einen Platz finden! – Weitere Zurufe)

Ein paar klärende Worte wären sicherlich hilfreich.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Pflegeheimförderung, im Vor- und Umfeld der Pflege, aber auch bei der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege gilt wie in allen anderen Zukunftsfragen des demografischen Wandels: Es braucht den politischen Mut und den politischen Willen zur Gestaltung. Dieser Landesregierung fehlt sowohl der Mut als auch der Wille.

(Lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Sie sind ganz schön frech!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Raab.

Herrn Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatsrätin, ich möchte mich zunächst für Ihre Feststellung bedanken – –

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Wofür denn? Jetzt wird es aber peinlich! – Abg. Reinhold Gall SPD: Wofür denn? Für Plattitüden braucht man sich nicht zu be- danken!)

Könnten Sie bitte warten, bis mein Satz zu Ende ist? – Auch wenn die Opposition hereinschreit, danke ich Ihnen herzlich für Ihre Feststellung, dass dieser Landtag überdurchschnittlich ist.

(Beifall bei der CDU)