Protocol of the Session on December 3, 2008

Die kurzfristige Förderung, die dem einen oder anderen betriebswirtschaftlich vielleicht sogar unsinnig erscheinen mag, zahlt sich volkswirtschaftlich aus. Wir haben keine riesigen Wanderungsbewegungen zwischen Stadt und Land. Die Stadt Stuttgart hätte noch größere soziale Konflikte, wenn hier statt 600 000 Einwohnern 1 Million Einwohner leben würden. Die Kriminalität ist in den ländlichen Räumen deutlich niedriger. Das sind alles volkswirtschaftliche Randkosten, die zuguns ten der ländlichen Räume sprechen.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, gern.

(Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Von wem?)

Von wem?

(Abg. Fritz Buschle SPD begibt sich zu einem Saal- mikrofon. – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ah ja! Das wollen wir gelten lassen! – Unruhe)

Kollege Buschle.

Ja, natürlich. Habe ich das nicht gesagt?

Nein.

Bitte, Herr Abg. Busch le.

Vielen Dank, Herr Präsident, für die Aufmerksamkeit.

Herr Minister, eine Frage: Sind Ihnen die Berechnungen bekannt, wonach die durchschnittlichen Einkommen in den ländlichen Bereichen deutlich niedriger sind als in den Ballungszentren, während die Lebenshaltungskosten besonders für Familien dort deutlich höher liegen?

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Dieter Hillebrand: Das ist neu!)

Herr Kollege Buschle, das ist mir so nicht bekannt.

(Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Mir auch nicht! – Weitere Zurufe von der CDU)

Allerdings muss man dabei in beiden Punkten durchaus differenzieren. Betrachten Sie einmal die Arbeitslosigkeit in der Region, aus der Sie stammen, die Sie eigentlich kennen müss ten. Die Arbeitslosigkeit dort ist relativ niedrig. Die Kaufkraft und die Einkommen in der Region Tuttlingen sind nicht am niedrigsten in Baden-Württemberg, um dies einmal ganz vorsichtig zu sagen. Dort haben wir also höchste Lebensqualität, weil die Lebenshaltungskosten verhältnismäßig gering sind, während die Einkommen relativ hoch sind. Dasselbe gilt für Hohenlohe, das gilt für Biberach, das gilt für die Bodenseeregion, um nur einmal einige Räume zu nennen.

Dann kann man noch etwas weiter differenzieren. Dort haben wir allerdings größere Probleme. Das trifft auf den Schwarz

wald oder auch auf andere Teilräume des Landes zu. Deshalb gibt es da keine Patentrezepte. Vielmehr brauchen wir die regionale Betrachtung.

Meine Damen und Herren, vorhin wurde gesagt, vieles habe mit Infrastruktur und mit dem Thema Bildung zu tun. Ich will das nur deshalb noch einmal als Stichwort aufgreifen, Herr Kollege Dr. Murschel, weil Sie es wie eine Monstranz vor sich hergetragen haben, dass dies das zentrale Problem der ländlichen Räume sei. Überhaupt nicht!

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Schauen Sie sich doch einmal an, wo wir Probleme in BadenWürttemberg haben – die geringen Probleme, die wir haben, wenn wir überhaupt welche haben.

(Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Ja! – Abg. Dr. Fried- rich Bullinger FDP/DVP: Die muss man suchen!)

Die haben wir doch nur dort, wo wir viele Menschen mit Migrationshintergrund haben, die zum Teil in Konglomeraten, sage ich einmal, nämlich in bestimmten Stadtteilen leben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Das ist doch unserer eigentliches Problem. Nur dort haben wir doch echte Probleme.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Wir haben doch keine Probleme im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit. Schauen Sie sich einmal die entsprechenden Statis tiken an.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: 100 % Vermitt- lung!)

Mit Kindern und Jugendlichen, die in den ländlichen Räumen eine Bildungsbiografie durchlaufen haben, haben wir doch gerade keine Probleme.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! Richtig! Bravo! 100 % Vermittlung im Arbeitsmarkt!)

Meine Damen und Herren, zum Thema „Wohnortnahe Schule“: Schon heute ist es auch im Bereich der Bildung, im Bereich von Unternehmen etc. normal: ein Unternehmen – mehrere Dächer. So wird es auch im ländlichen Raum hinsichtlich der Werkrealschule und der Hauptschule gleichermaßen sein: eine Schule, in der Regel zweizügig, aber doch nicht überall Neubauten, um die Zweizügigkeit zu ermöglichen, sondern mehrere Dächer, und das heißt mehrere Standorte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Das Einzige, was wir dabei unseren Kommunen in den nächs ten zwei, drei Jahren abverlangen werden, ist die Bereitschaft zur Kooperation.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Das ist ein Prozess, meine sehr verehrten Damen und Herren, den wir im Kabinettsausschuss Ländlicher Raum ohnehin be

gleiten werden. Denn das Thema „Kooperation der Gemeinden untereinander“ ist ein ganz zentraler Baustein, wie wir die Dienstleistung der Bürger gerade in den ländlichen Räumen seitens der Kommunalverwaltung noch einmal verbessern und wie wir Kosten senken können. Nicht jede Gemeinde muss alles selbst machen, sondern man kann sich zusammenraufen. Das trifft für die Mehrzahl der kleineren Gemeinden in den ländlichen Räumen zu. Denn wir wollen natürlich nicht, dass die Menschen, nachdem 30 Jahre seit der letzten Kommunalreform vergangen sind, über solche Dinge nur aus Kostengründen erneut diskutieren müssen, sondern die Menschen brauchen eine kommunale, eine gemeindliche Identität, und die muss erhalten bleiben. Aber gleichermaßen notwendig ist, dass wir auch an dem Effizienzprozess im kommunalen Sektor weiterarbeiten, das heißt, auch dort mehr kommunale Zusammenarbeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Strukturstärke entwickelt sich nicht von allein. Sie ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen integrierten Strukturpolitik, und die muss man hin und wieder neu justieren, weil sich in der Zwischenzeit gesellschaftspolitische Veränderungsprozesse ergeben haben. Dabei ist die erste und höchste Priorität das Thema Arbeitsplätze. Ich habe es vorhin schon erwähnt und will es noch einmal betonen: Wir bekennen uns auch klar zur Subventionierung von Unternehmen in den ländlichen Räumen, weil wir wollen, dass dort investiert wird,

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

weil dies auch volkswirtschaftlich gesund ist. Das schlägt vielleicht manchem Betriebswirt und der Konkurrenz auf den Magen, hat sich aber volkswirtschaftlich für unser Land nicht nur bewährt, sondern ist gesund.

Das Zweite: Wir brauchen die Infrastruktur. Der ländliche Raum muss sowohl als Wohnort als auch als Arbeitsplatzstandort interessant bleiben. Das ist umfassend. Dazu gehört das Thema Bildung, und dazu gehört das Thema Kleinkindbetreuung. Hierzu noch kurz einen Satz: Sicherlich werden wir in den ländlichen Räumen quantitativ nicht denselben Umfang an Betreuung für kleine Kinder, für Kinder unter drei Jahren, oder an Ganztagsbetreuung brauchen wie in den Ballungsräumen, aber Angebote werden wir auch dort brauchen. Das ist der ganz entscheidende Punkt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir wollen den Familien aber nicht vorschreiben, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Bri- gitte Lösch GRÜNE: Wir auch nicht!)

Deshalb gibt es Angebote. Das, was wir seitens der Landesregierung gemeinsam mit den Regierungsfraktionen zum Thema Kleinkindbetreuung entworfen und beschlossen haben, gilt natürlich, egal ob Stadt oder Land. Nur wird es halt in den Städten quantitativ stärker angenommen.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Wichtig ist die Flexibili- sierung! – Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Kipfer zu?

Gern.

Ich darf Sie gedanklich wieder ein paar Sätze zurückversetzen.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Das schafft er!)

Sie haben gesagt, Sie bekennen sich zur Subventionierung der Unternehmen im ländlichen Raum. Ist das EU-konform?

Ja, natürlich. Frau Kollegin Kipfer, Sie müssen bedenken: Es geht nicht um die Dauersubventionierung, sondern es geht um die Investitionsdauer.