Protocol of the Session on October 2, 2008

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Vorsitzender des Finanzausschusses muss ich zwei Aussagen von Herrn Schlachter richtigstellen.

Erstens: Er hat behauptet, wir hätten im Finanzausschuss das Thema am 18. September nicht auf die Tagesordnung genommen, obwohl er darauf gedrängt habe. Zum anderen hat er behauptet, das Finanzministerium sei einen Tag vorher davon informiert worden, dass er das Thema Finanzmarktkrise ansprechen will.

Richtig ist: Im Einvernehmen mit den Grünen wurde bereits über eine Woche vorher besprochen, dass das Thema vor Eintritt in die Tagesordnung angesprochen wird.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Noch schlim- mer!)

Das Finanzministerium und die Fraktionen wurden darüber informiert, dass es angesprochen werden soll.

Zweitens: Das Finanzministerium hat zugesagt, dass der Finanzminister dazu vor Eintritt in die Tagesordnung Stellung nimmt.

Drittens: Wenn ich drei Stunden vor Beginn der Sitzung gebeten werde, den Vorstandsvorsitzenden der LBBW in den Ausschuss vorzuladen, dann verstehe ich, wenn das Finanzministerium sagt: Das ist einfach zu kurzfristig.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Debatte unter Tagesordnungspunkt 1 ist damit erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Keine Erbschaftsteuerreform gegen die Familienbetriebe! – beantragt von der Fraktion der FDP/ DVP

Es gelten die üblichen Redezeiten von zweimal fünf Minuten, die ich einzuhalten bitte.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Wetzel.

Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat am 30. November 2006 entschieden, dass unser derzeit noch gültiges Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz verfassungswidrig ist. Wer nun erwartet hat, dass die Bundesregierung rasch ein neues Gesetz schaffen wird, sieht sich arg enttäuscht.

(Unruhe)

Seit diesem Zeitpunkt herrscht diesbezüglich Stillstand. Das ist problematisch, weil spätestens zum 31. Dezember 2008 ein neues Gesetz geschaffen werden muss. Andernfalls läuft das noch gültige Gesetz aus, und wir wären erbschaftsteuerfrei.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sehr gut!)

Das wäre natürlich das Allerbeste für Deutschland.

(Vereinzelt Heiterkeit – Beifall des Abg. Dr. Hans- Ulrich Rülke FDP/DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Wovor habt ihr denn Angst? – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Das Zeitalter des Neolibera- lismus ist vorbei, Herr Kollege! – Unruhe)

Herr Kollege Kretschmann, Sie sollten sich ein bisschen erkundigen: Länder, die keine Erbschaft- und Schenkungsteuer haben – da können Sie gucken –, prosperieren stärker als die Länder, die eine Erbschaftsteuer haben.

(Lachen der Abg. Christine Rudolf SPD)

Da gibt es zwischenzeitlich einige Länder, die keine Erbschaftsteuer mehr haben: Österreich, Schweden, Kanada, Neuseeland, Australien – sie alle haben keine Erbschaftsteuer.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Wir können doch auch die Steuern ganz abschaffen!)

Der Gesetzentwurf trägt das Datum vom 15. Februar 2008. Seitdem ist diesbezüglich nichts passiert.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, nach den Landtagswahlen in Bay ern kann jetzt auch die CSU unbelastet die anstehenden Probleme lösen und beweisen, dass sie nach der Wahl das macht, was sie vor der Wahl versprochen hat, nämlich den jetzt auf dem Tisch liegenden Murks abzulehnen.

Die Große Koalition kann insbesondere unter Beweis stellen,

(Anhaltende Unruhe)

dass sie noch in der Lage ist, ein verfassungskonformes Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz zu erlassen, das insbesondere die Interessen der Familienbetriebe und des Mittelstands berücksichtigt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Dass es bald so weit kommt, zweifeln nicht nur die führenden Wirtschaftsverbände, sondern auch einige führende Verfassungsrechtler an, die der Meinung sind, dass der Bund für den Erlass eines Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes gar nicht zuständig ist. Das wird aus der Tatsache gefolgert, dass diese Steuereinnahmen den Ländern zukommen und demzufolge auch die Länder bestimmen müssten, wie das Gesetz gestaltet wird.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU)

Der CSU-Abgeordnete Peter Ramsauer nennt den jetzigen Gesetzentwurf einen „Rohling“. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Ludwig Georg Braun, befürchtet, dass es zu massivem Arbeitsplatzabbau kommen wird, wenn die geplante Reform so umgesetzt wird. Verfassungsrechtler sehen Gesetzesverstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz, gegen den Schutz der Familie, gegen die Erbrechtsgarantie und gegen das Übermaß- und Willkürverbot.

Besonders problematisch ist diese Situation, meine Damen und Herren, weil wir befürchten, dass unsere baden-württembergischen Familienunternehmen besonders benachteiligt wer

den, und weil wir befürchten, dass es zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten kommen wird. Statt Familienunternehmen bei der Betriebsfortführung zu belasten, sollten wir nach Möglichkeiten suchen, um diese zu entlasten.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Die jetzigen Reformpläne führen jedoch zu einer weiteren Benachteiligung des Mittelstands und gefährden bei schlechter Konjunkturlage zusätzlich in ganz erheblichem Maß Arbeitsplätze.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass das Betriebsvermögen für die Steuerbemessung zukünftig mit dem Verkehrswert angesetzt wird. Die geplante Vorschrift führt dazu, dass die Verkehrswerte dieser Unternehmen möglicherweise um 300 bis 400 % steigen.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Gegenüber jetzt!)

Gegenüber jetzt. – 15 % des dann ermittelten Wertes sollen versteuert werden. Bei 85 % soll zunächst eine Steuerstundung erfolgen, wenn der Betrieb 15 Jahre lang fortgeführt wird und die Lohnsumme in den zehn Jahren nach der Übertragung jeweils mindestens 70 % der durchschnittlichen Lohnsumme der letzten fünf Jahre beträgt. Wenn diese Werte unterschritten werden, wenn der Betrieb aus irgendwelchen Grün den aufgegeben wird, wird die gesamte Steuer fällig. Das ist die sogenannte Fallbeillösung.

Man muss sich vorstellen, dass es dem Unternehmen – aus welchen Gründen auch immer – schlecht geht. Es muss Mitarbeiter entlassen. Dann kommt zusätzlich noch die Erbschaftsteuer. Man braucht nicht viel von der Materie zu verstehen, um zu wissen, dass das natürlich absolut schädlich ist.

Meine Damen und Herren, die Familienunternehmen haben durch die Erbschaftsteuer natürlich auch einen erheblichen Nachteil gegenüber den anonymen Konzernen. Die Lohnsummenregelung führt ferner zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand und zur Fehlsteuerung bei der Beschäftigung von Mitarbeitern. Die Neubewertung des Betriebsvermögens kann auch dazu führen, dass erhebliche stille Reserven aufgedeckt werden und im Falle der Betriebsaufgabe nicht nur Erbschaftsteuer, sondern zusätzlich auch Einkommensteuer anfällt.

Die Erbschaftsteuer trifft im Wesentlichen Mittelstand und Familienunternehmen. Denn DAX-Unternehmen werden von der Erbschaftsteuer überhaupt nicht berührt. Wenn ein Aktionär stirbt, dann müssen die Erben Erbschaftsteuer bezahlen. Das DAX-Unternehmen wird davon nicht berührt. Wenn aber ein mittelständischer Unternehmer stirbt, der 90 % seines Gewinns in das Unternehmen investiert hat, dann wird Erbschaftsteuer fällig. Das führt natürlich dazu, dass die Liquidität ganz erheblich beeinträchtigt wird. Das führt weiter dazu, dass möglicherweise Arbeitsplätze gefährdet werden, und das führt insbesondere dazu, dass der Betrag, der an Erbschaftsteuer bezahlt werden muss, natürlich nicht für dringend notwendige Reformen, für Forschung und Entwicklung und für die Weiterführung des Betriebs zur Verfügung steht.

Die Bundesregierung sollte meines Erachtens ganz schnell mit dem begonnenen Murks aufhören.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Na, na, na!)

Sie sollte entweder das Gesetzgebungsverfahren gar nicht weiter betreiben und über den 31. Dezember hinaus nichts machen. Dies würde bedeuten, dass wir keine Erbschaftsteuer hätten. Das wäre für Deutschland das Allerbeste.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Und wie kompensieren Sie die 700 Millionen € Ausfall im Landeshaushalt? – Zurufe der Abg. Edith Sitzmann und Franz Untersteller GRÜNE)

Das kann ich Ihnen gleich noch sagen. – Oder, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die Gesetzgebungskompetenz sollte auf die Länder übertragen werden. Das wäre für BadenWürttemberg das Allerbeste. Wir in Baden-Württemberg könn ten dann selbst entscheiden, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe wir Erbschaftsteuer erheben wollen.

Ich fordere also die Landesregierung auf, im Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Erbschaftsteuer abzulehnen. Ferner fordere ich Herrn Ministerpräsidenten Oettinger auf, in der Föderalismuskommission dafür zu sorgen, dass die Länder die Gesetzgebungskompetenz erhalten. Ein entsprechendes Gesetz könnte dann verfassungskonform erlassen werden. Außerdem wäre auch die Kompetenz der Bundesländer dadurch erheblich gestärkt.

(Zuruf der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE)

Der größte Vorteil wäre: Baden-Württemberg könnte ein Erbschaftsteuer- oder ein Schenkungsteuergesetz erlassen – wenn es überhaupt ein Gesetz erließe –, das unseren Familienbetrieben und unseren Mittelständlern gerecht wird.