Sie haben zu Recht, Herr Ministerpräsident, erwähnt, dass Sie stolz auf das bürgerschaftliche Engagement in unserem Land sind. Aber: Bürgerschaftliches Engagement braucht gerade einen starken Staat. Das Ehrenamt ist eine Art Mäzenatentum der einfachen Leute, die keine großen Gelder spenden können, die jedoch ihre Arbeitskraft einbringen. Aber dafür bedarf es verlässlicher Rahmenbedingungen. Wer Ehrenamt für staatliche Pflichtaufgaben missbraucht, Herr Ministerpräsident, wie Sie es unter dem Etikett der Jugendbegleiter jetzt zum Beispiel tun,
um Lehrerinnen und Lehrer zu ersetzen, der leistet dem Ehrenamt einen Bärendienst und erreicht am Ende nur, dass die Menschen überfordert werden.
(Beifall bei der SPD – Unruhe bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist eine Frechheit! Haben Sie überhaupt schon etwas ehrenamtlich ge- macht? Wissen Sie überhaupt, was Ehrenamt ist?)
Haben Sie, Herr Ministerpräsident, eigentlich einen Moment darüber nachgedacht, was Ihre jüngste Forderung, Sportunfälle aus dem Leistungskatalog der Krankenversicherung auszugliedern, für den Ehrenamtsbereich im Breiten- und Freizeitsport in unserem Land bedeutet? Natürlich: Kinder, die vor dem Fernseher sitzen, sind nicht in Gefahr, sich zu verletzen. Aber es geht doch darum, dass auch diejenigen, die nicht Vereinsmitglieder sind, aber viele Angebote eines Vereins nutzen, eine Absicherung haben.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wie bitte? – Abg. Ursula Haußmann SPD: Röhm, hören Sie zu! – Zuruf von der CDU: Das haben wir ja! Sie sind schlecht informiert!)
Das Heil der Krankenkassen darin zu suchen, dass Sie vom Sport abschrecken, ist der falsche Weg, Herr Ministerpräsident.
Deshalb schlage ich Ihnen vor: Kehren Sie lieber zu Ihrer ursprünglichen Reformidee zurück. Nehmen Sie die priva
ten Krankenkassen mit in den gemeinsamen Fonds der Krankenversicherungen – dann haben Sie die sozialdemokratische Landtagsfraktion fest an Ihrer Seite, und dann haben Sie auch die Kraft, der anderen Ansicht Ihres Fraktionsvorsitzenden Mappus die Stirn zu bieten.
Sie haben – und das will ich als letztes Thema ansprechen, Herr Ministerpräsident – ganz, ganz wenig wirklich konkret benannt. Der Punkt, an dem Sie wirklich konkret geworden sind, das war Ihre Idee, einen Volksentscheid für die Länderneugliederung einzuführen. Ich sagen Ihnen: Sie haben eine Verfassungsänderung vorgeschlagen, und Sie haben bundesweit endlich einmal wieder Schlagzeilen gemacht. Das war sicherlich auch vorrangig Ihre Absicht.
Zu diesem Vorschlag hat Stoiber gegenüber der dpa gesagt, es gehe doch nicht an, dass der Chef eines starken Landes daherkomme und anderen vorschreibe, wie sie – als schwächere Länder – zusammenzugehen hätten. Ihr CDU-Kollege Peter Müller sagte: „Ach, wir sind bereit, Baden-Württemberg zu übernehmen.“
(Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Ich möchte wissen, wie er das bezahlen will!)
Ihr Kollege Carstensen aus Schleswig-Holstein sagte Ihnen: „Solche Ideen verunsichern nur die Menschen.“
Was werden Sie tun, Herr Ministerpräsident, um Ihre Unionsfreunde Stoiber, Müller und Carstensen zu überzeugen? Welche Initiativen werden Sie jetzt innerhalb der CDU ergreifen, um aus den Schlagzeilen endlich einmal Taten werden zu lassen?
Das Thema Länderneugliederung ist ein wichtiges, und auch wir halten es für notwendig, dass es künftig weniger Bundesländer gibt. Das ist doch gar keine Frage.
Aber glauben Sie im Ernst, dass dieses Thema vorangebracht wird, wenn man überheblich daherkommt und von oben herab anderen ihre Selbstbestimmung nimmt?
Um Schlagzeilen zu machen, hat er hier viel, viel Porzellan zerschlagen und kommt nicht zu dem gewünschten Erfolg.
Das Gleiche, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, gilt für Ihren Vorschlag zur Reform des Finanzausgleichs. Dazu haben Sie hier erklärt, Sie verbündeten sich mit Bayern, mit
Hamburg, mit Hessen, mit Nordrhein-Westfalen und mit Sachsen, um Ihre Vorschläge umzusetzen. Das klingt schneidig, aber die Strategie kann nicht aufgehen. Sie können doch auch ein bisschen zählen. Selbst dieses Bündnis hätte keine Mehrheit im Bundesrat, ganz zu schweigen davon, dass Sie nie eine verfassungsändernde Mehrheit erreichen würden. Das Ergebnis ist wiederum zerbrochenes Porzellan.
Deswegen sage ich auch hier: Es muss einen anderen Weg geben. Wie Sie bin auch ich der Meinung, dass der heutige Finanzausgleich den modernen Anforderungen nicht gerecht wird. In Wahrheit nutzt er auch den ärmeren Ländern in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse nichts.
Mehr Eigenverantwortung und weniger Kompensationsautomatik, das sind Dinge, die am Ende auch in diesen Ländern tatsächlich Früchte tragen würden.
Werben wir doch gemeinsam dafür, dass es zum Beispiel auch bei der Föderalismusreform darum geht, einen nächsten Schritt zu machen, was die Finanzen angeht! Werben wir dafür, dass wir eigene Gestaltungsmöglichkeiten bekommen, dass wir im Steuerrecht auch eigene Einnahmen der Länder organisieren können! Das ist unsere Aufgabe.
Nehmen Sie einmal Ihre vielen CDU-Kollegen, die derzeit in den Ländern regieren, und fangen Sie konkrete Diskussionen an! Machen Sie lieber erst einmal weniger Schlagzeilen und leisten dafür harte Arbeit im Stillen! Das zahlt sich bei solchen Themen, bei denen man ein bisschen Gespür und Diplomatie braucht, mit Sicherheit eher aus als das, was Sie, weil es populär erscheint, hier nach vorn bringen wollen.
Sie haben, Herr Ministerpräsident, am Ende Ihrer Rede den Bundestrainer Jürgen Klinsmann als ein großes Vorbild dargestellt, der konsequent und charmant seine Reformpolitik auch gegen Widerstände von Funktionären – sogar gegen das Gebrumme von Mayer-Vorfelder – durchsetzen konnte.
Es ist tatsächlich vorbildlich, wie sich Jürgen Klinsmann gegen die alten Seilschaften im DFB und gegen die verkrustete Funktionärsriege durchgesetzt hat. Er hat Erfolg, weil er Mut zum Risiko hatte, er hat Erfolg, weil er Mut zu unpopulären Entscheidungen hatte, er hat Erfolg, weil er den Mut hatte, einmal durchzuhalten, weil er bereit war, auch einmal Kritik und Häme einzustecken, weil er wusste, welchen Weg er gehen will, und weil er seine Linie verfolgt hat, auch wenn die Seinen um ihn herum zuweilen noch weit, weit hinterher gehinkt sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Gundolf Fleischer CDU – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Werden Sie doch Bundestrainerin!)
Und deshalb, verehrter Herr Ministerpräsident, möchte ich Ihnen im Sinne unseres Landes zurufen: Nehmen Sie den Wahlspruch „Attempto!“ an, wagen Sie etwas,
wagen Sie überhaupt etwas! Es ist an der Zeit. Denn wann, wenn nicht jetzt, hätten Sie die Chance dazu?
(Anhaltender Beifall bei der SPD und Abgeordne- ten der Grünen – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: „Preisend mit viel schönen Reden“!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie machen wir Baden-Württemberg im globalen Wandel fit, und wie gestalten wir diesen globalen Wandel mit?