Protocol of the Session on June 28, 2006

Lassen Sie uns das Berufsvorbereitungsjahr weiterentwickeln. Sie haben das ja selbst angesprochen. Aber lassen Sie es uns so weiterentwickeln, dass es nicht weiterhin ein Parken in einer Warteschleife bleibt. Wir wollen, dass das Berufsvorbereitungsjahr in der Schule den Schülerinnen und Schülern hilft; wir wollen, dass Sie das Geld, das wir heute in die Hand nehmen, um hinterher viel zu reparieren, einsetzen, wenn die Kinder in der Schule sind, und dort die Lehrerinnen und Lehrer stärken,

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

dort die Fachkräfte hinzuziehen und dort die Klassen kleiner machen. Das ist es, was wir von Ihnen erwarten. Das benötigte kein großes zusätzliches finanzielles Volumen, sondern es bedürfte einfach des Mutes, Schulen auch zu öffnen und viel mehr hineinzulassen, als Sie im Moment zu tun bereit sind.

(Beifall bei der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist Hintergrundwissen!)

„Keiner darf verloren gehen.“ Diesen Satz hat der Gründer der christlichen Jugenddörfer, Pfarrer Arnold Dannenmann von der Schwäbischen Alb, geprägt. Lassen Sie uns zeigen, dass dieser Satz auch für uns gilt. Lassen Sie uns mit den Hauptschülern und -schülerinnen und ihren Eltern einen Vertrag schließen: Niemand von denen, die sich anstrengen und die Hauptschule erfolgreich abschließen, darf ohne Chance und ohne konkretes Ausbildungsangebot sein.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Wenn das mehr kostet, dann müssen Sie auch beachten: Es gibt Investitionen, durch die uns, wenn man sie heute tätigt, in den nächsten Jahren jedenfalls viele Folgekosten erspart bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Dann wird unter dem Strich auch Geld eingespart, wenn vorsorglich für die Jugendlichen gesorgt wird.

Aber dazu, Herr Ministerpräsident, braucht es auch Ihren persönlichen Einsatz, und es braucht auch die Bereitschaft Ihrerseits, der Wirtschaft auf die Füße zu treten und ihr in Baden-Württemberg etwas abzuverlangen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Stefan Map- pus CDU)

Was für Ihre Politik insgesamt gilt, gilt sicherlich auch und besonders für die Bildungspolitik. Wer als eine der Kernaufgaben des landespolitischen Feldes Bildungspolitik machen möchte, braucht hier auch eine Idee von Bildung. Er braucht den Mut, sich auf Neues einzulassen. Wenn wir allen Kindern den Zugang ermöglichen wollen, dann müssen wir auch selbst bereit sein, dazuzulernen. Da reicht es nicht, Herr Ministerpräsident, dass es schon als Heldentat empfunden wird, wenn Sie vor der CDU das Wort Ganztagsschule aussprechen können, ohne dass Sie dafür ausgepfiffen werden.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU)

Es reicht nicht aus, dass Sie sich dafür feiern lassen, dass wir bei den PISA-Ergebnissen besser sind als das eine oder andere Bundesland.

(Unruhe bei der CDU – Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das eine oder andere? Mehr oder weniger alle!)

Von mir aus auch alle.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Also! Vor allem besser als die Gesamtschulländer!)

Diese kleinen Freuden gönne ich Ihnen.

(Unruhe – Abg. Ursula Haußmann SPD: Herr Prä- sident, sorgen Sie bitte für Ruhe!)

Aber trotzdem: Wenn Sie meinen, stolz darauf sein zu können, dass man in der zweiten Liga bei den Oberen mitspielt,

dann sage ich Ihnen: Eine solche Kleinkariertheit und Mutlosigkeit wird einem Land wie Baden-Württemberg nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Winfried Kretschmann und Brigitte Lösch GRÜNE – Zuruf von der CDU: Die SPD-Länder spielen in der Kreisliga!)

Solange Länder wie Finnland, aber auch Irland oder Schweden beispielsweise bei der Lesekompetenz der Schüler weit, weit bessere Ergebnisse erzielen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ohne Migran- ten!)

haben wir ein Problem. Und wenn wir in Baden-Württemberg im europäischen Maßstab an der Spitze stehen wollen, dann müssen wir zuvörderst in der Bildungspolitik an die Spitze gelangen und dürfen uns mit einem Spitzenplatz bloß in der zweiten Liga nicht zufrieden geben.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Werner Pfisterer CDU)

Deshalb fordere ich Sie auf, Herr Ministerpräsident: Denken Sie um! Halten Sie sich an die Wegweisung von Albert Einstein.

(Oh-Rufe von der CDU)

Der hat uns gesagt:

Der Wert der höheren Schulbildung liegt nicht in dem Erlernen von vielen Tatsachen, sondern in der Übung im Denken, die man durch Lehrbücher nie erlernen kann.

(Zurufe von der CDU: Oi!)

Das muss das vorrangige Ziel unserer Bildungspolitik sein. Und wenn eine Schulart hervorragend geeignet ist, Neues zu denken und andere Formen des Lernens möglich zu machen, dann ist das zum Beispiel die Ganztagsschule – die man dann aber auch richtig wollen muss, die mit pädagogischem Personal ausgestattet sein muss und die nicht funktioniert, wenn man nur Essen und Betreuung bereitstellt.

(Abg. Werner Pfisterer CDU: Nichts dazugelernt! – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das wissen wir doch!)

Es geht darum, inhaltlich etwas zu verändern. – Wenn Sie das wissen, dann tun Sie es doch, und machen Sie nicht den billigen Jakob! Sonst bleiben wir auch bei der Ganztagsschule nur Mittelmaß.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Abg. Werner Pfisterer CDU: Ziel ver- fehlt!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt ein paar Felder, bei denen man merkt, dass die Landespolitik zuweilen durchaus bereit ist zu sparen – aber wenn, dann doch eher auf Kosten anderer. Ein kräftiges Votum gab es hier an einer Stelle, die den Landtag nicht schmerzen wird: das kräftige Votum zur Abschaffung der Gewerbesteuer. Das

schädigt allein die Kommunen. Gerade bei uns in BadenWürttemberg – ich kann nicht nachvollziehen, dass Ihnen, Herr Ministerpräsident, das nicht bewusst ist – ist die Gewerbesteuer ein Garant für die Stärke der Gemeinden. Sie ist die Nabelschnur zwischen Rathäusern und der örtlichen Wirtschaft.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Ui!)

Deshalb haben wir so viele mittelständische Betriebe auch in den kleineren Gemeinden, weil die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, weil die Bürgermeister mit dieser ihrer eigenen Quelle sorgsam umgehen und sich um die Infrastruktur sorgen. Sie selbst haben eingeräumt, Herr Ministerpräsident, dass Sie zur Gewerbesteuer keine brauchbare Alternative vorliegen haben.

(Zuruf von der CDU)

Deshalb kann ich Sie nur auffordern: Seien Sie dabei, wenn es darum geht, die Gewerbesteuer weiterzuentwickeln, aber lassen Sie die Finger davon, den Kommunen den Anreiz zu nehmen, Arbeitsplätze zu schaffen und damit vor Ort für die Menschen Sorge zu tragen.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt einen Bereich, Herr Ministerpräsident, wo es mich besonders verwundert hat, dass Sie dazu gar nichts zu sagen hatten. Sie haben die Fußballweltmeisterschaft erwähnt. Klar, wer tut das in diesen Tagen nicht? Aber das fröhliche und gastfreundliche Land, die Bürgergesellschaft, die sich hier aufgeschlossen und offen zeigt, ist darauf angewiesen, dass die Polizei, dass Helferinnen und Helfer der Feuerwehr, der Rettungsdienste und des Katastrophenschutzes ihre Aufgaben erfüllen können. Dafür gebührt diesen Leuten vor allem ein besonderer Dank, auch von dieser Stelle, dem Landtag von Baden-Württemberg, aus.

(Beifall bei der SPD)

Leider schweigt aber die Regierungserklärung genau zu diesem wichtigen landespolitischen Standbein, der Polizei und der inneren Sicherheit. Was dürfen wir daraus schließen? Ist der Einsatz unserer Polizei bei der laufenden Fußballweltmeisterschaft keines Blickes wert? Bis zum Jahr 2012 stehen bei der Polizei rund 3 300 Pensionierungen an.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Alles hervorra- gend vorbereitet!)

Trotzdem haben Sie die notwendige Ausbildung zurückgefahren; nur 150 Polizeianwärter gab es 2004, und im letzten Jahr waren es nur 200. Haben Sie vielleicht deshalb das Thema ausgespart? Um die Aufgaben in den kommenden Jahren zu erfüllen, müsste man mindestens 400 bis 600 Polizeianwärterinnen und -anwärter jährlich einstellen. Als Fraktionsvorsitzender haben Sie zusätzlich mitgetragen, dass im Polizeidienst 1 102 Stellen bei der Verwaltung der Polizei gestrichen wurden. Jetzt machen Vollzugsbeamte, wie wir es vorhergesagt haben, diesen Bürodienst; sie fehlen dadurch auf den Straßen und sind nicht so ansprechbar, wie wir uns das wünschen würden.

Beim Gewerkschaftstag der Polizeigewerkschaft haben Sie – wie Sie übrigens ja gerne bei Gewerkschaften freundliche Worte finden und das Unbequeme lieber hier im Landtag lassen – vor wenigen Wochen ganz freimütig eingeräumt: Es war ein Fehler, an dieser Stelle die Verwaltungsreform so umzusetzen. Sie sagten selbst, dass es keinen Sinn macht, wenn die Vollzugsbeamten künftig am Schreibtisch sitzen. Sie haben angekündigt, das zu korrigieren. Dabei bauen Sie, wie Sie der Polizei mitgeteilt haben, auf die Mehrheiten im Landtag.

Aber, lieber Herr Ministerpräsident, wenn Sie dieses als Vorhaben umsetzen wollen, dann erwarte ich, dass es in der Regierungserklärung oder vielleicht jetzt im Anschluss ein klares Wort dazu gibt, wie Sie das umsetzen wollen, sodass Sie hier nicht wieder nur leere Versprechungen gemacht haben.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben zu Recht, Herr Ministerpräsident, erwähnt, dass Sie stolz auf das bürgerschaftliche Engagement in unserem Land sind. Aber: Bürgerschaftliches Engagement braucht gerade einen starken Staat. Das Ehrenamt ist eine Art Mäzenatentum der einfachen Leute, die keine großen Gelder spenden können, die jedoch ihre Arbeitskraft einbringen. Aber dafür bedarf es verlässlicher Rahmenbedingungen. Wer Ehrenamt für staatliche Pflichtaufgaben missbraucht, Herr Ministerpräsident, wie Sie es unter dem Etikett der Jugendbegleiter jetzt zum Beispiel tun,