Protocol of the Session on June 25, 2008

Sie ignorieren, dass es in diesem Land eine gesellschaftliche Mehrheit gibt

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die Mehrheit ist für das gegliederte Schulwesen! Das wissen Sie ganz genau!)

und dass es eine breite Unzufriedenheit gibt; dies wahrzunehmen sind Sie nicht bereit.

Mit Ihren Statistiken kommen Sie nicht weiter.

(Abg. Stefan Mappus CDU: Sie leben in einer ande- ren Welt!)

Damit können Sie sich vielleicht als Abteilungsleiter in der Behörde von Frau Brenner bewerben. Aber als Bildungspolitiker versagen Sie, wenn Sie die Probleme verschweigen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Fragen Sie doch einmal die Realschullehrer! – Abg. Volker Schebesta CDU: Haben Sie eigentlich zugehört und gemerkt, dass ich von Herausforde- rungen gesprochen habe? – Gegenruf des Abg. Ste- fan Mappus CDU: Nein, der kann nicht zuhören! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Fragen Sie einmal die Eltern von Realschülern, ob sie das gegliederte Schulwesen wollen oder nicht! – Gegenruf der Abg. Ursula Haußmann SPD: Herr Schulleiter Röhm, seien Sie endlich einmal ruhig!)

Sie sollten endlich zur Kenntnis nehmen, was die Eltern, was Schulleiter, was die Wirtschaft, was der Landesfamilienrat und unglaublich viele andere – auch die Diakonie hat es jetzt in ihrer Jahrestagung beschlossen – vorbringen. Sie fordern: Dieses Land braucht endlich ein besseres Bildungsangebot für alle. Es nützt nichts, immer nur im Durchschnitt zu denken. Sie lassen eine nicht unbeträchtliche Zahl unserer jungen Menschen im Stich, und das ist unerträglich.

(Zuruf des Abg. Stefan Mappus CDU)

Deshalb, Herr Rau: Treten Sie zurück!

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ha, ha! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Jetzt haben Sie zum fal schen Tagesordnungspunkt gesprochen! – Heiterkeit bei der CDU)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Welchen Sinn hat diese von Ihnen beantragte Debatte heute Morgen?

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Keinen!)

Wie immer ist der Sinn, wieder einmal zu beweisen und zu behaupten, dass Baden-Württemberg in der Bildungspolitik spitze ist, dass alles richtig gemacht wird.

(Beifall bei den Grünen – Zurufe der Abg. Karl-Wil- helm Röhm und Stefan Mappus CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber gerade der neue Bundesbildungsbericht wie auch der Bildungsbericht des Landes Baden-Württemberg beweisen uns, dass kein Land in Deutschland einen Grund hat, sich zurückzulehnen, dass kein Land einen Grund hat, zufrieden zu sein. Diese Bildungsberichte zeigen in klarer Weise, dass wir zwar Stärken, aber auch große Schwächen im Bildungssystem haben, und zwar auch in Baden-Württemberg. Der baden-württembergische Bildungsbericht beweist, dass eine Hauptschwäche die unzureichende Förderung von Schülern aus sozial benachteiligten Verhältnissen ist und dass insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund in unserem Bildungswesen massiv benachteiligt sind. Das heißt, Jubelarien sind hier fehl am Platz. Der Bildungsbericht mit den dort dargestellten Stärken und Schwächen zeigt, dass wir auch die Schwächen in den Blick nehmen müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wenn Sie schon – zu Recht – den Schulen auferlegen, dass sie in einem Evaluationsbericht ihre Stärken, aber auch ihre Schwächen aufzeigen müssen, dann kann auch von Ihnen zu Recht verlangt werden, dass Sie nicht nur betonen, wo die Schulen hier im Land ihre Stärken haben, sondern dass auch offengelegt und eingeräumt wird, wo die Schwächen liegen. Denn nur dann gibt es eine Chance für eine Modernisierung des Bildungswesens.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Ich sage ganz offen: Wer unfähig ist, die Schwächen und Probleme im Bildungswesen zu erkennen, wie es bei Ihnen der Fall ist, dem fehlen auch der Mut, die Kraft und der Weitblick für eine echte Reform des Bildungswesens.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf von der FDP/DVP: Ihnen fehlt noch mehr!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige Beispiele: Drei Jahre lang hat Kultusminister Rau die gravierenden Probleme im Zusammenhang mit dem Konzept des G 8 geleugnet. Erst der extreme Druck von Eltern, die inzwischen auf die Barrikaden gegangen sind und riesige Demonstrationen im Land organisieren, hat dazu geführt, dass Sie jetzt Reparaturmaßnahmen einleiten. Es sind und bleiben jedoch Reparaturmaßnahmen. Es sind deshalb Reparaturmaßnahmen, weil Kultusminister Rau immer noch – das ist auch in einem neuen Brief an die Eltern dieses Landes so der Fall – behauptet, das Konzept sei richtig, nur an den Schulen würde es nicht umgesetzt werden.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es, Frau Ra- stätter!)

Was wird mit diesem Brief jetzt gemacht? Mit diesem Brief werden die Eltern sozusagen aufgefordert, die Lehrer zu kontrollieren und sie unter Druck zu setzen. Wie soll da ein Vertrauensverhältnis zwischen Schule und Elternhaus entstehen, wie es zur Stärkung der Bildung in Baden-Württemberg dringend notwendig ist?

(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wer unsinnige Hausaufgaben gibt, muss auch die Verantwortung dafür übernehmen!)

Dieser Starrsinn ist kennzeichnend für die Bildungspolitik in diesem Land. Der Starrsinn ist auch im Bereich der Vergleichsarbeiten zu erkennen. Im Land gibt es bei Bildungsexperten bis hinein ins Landesinstitut für Schulentwicklung sowie über alle Verbände, über die Öffentlichkeit und über die Eltern hinweg die Meinung, dass man den Druck herausnehmen kann, wenn Vergleichsarbeiten nicht benotet werden. Auch das wird jedoch verweigert, ohne dass es dafür stichhaltige Gründe gibt. Denn der Begriff der Evaluation besagt geradezu, dass wir keine Benotung damit in Verbindung bringen dürfen. Das ist bildungspolitischer Starrsinn auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler und der Schule.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das zweite Beispiel sind die neuen Schulmodelle. Die Krise des dreigliedrigen Schulsystems spitzt sich in Baden-Würt temberg immer mehr zu. Wir haben aufgrund der demografischen Entwicklung das Problem, dass Hunderte von Schulstandorten wegbrechen werden. Wir haben vor Ort mutige und engagierte Bürgermeister und Schulleiter, die gemeinsam Konzepte für neue Schulmodelle entwickeln, bei denen zusammenkommt, was zusammengehört, nämlich eine innovative Lernkonzeptentwicklung mit individueller Förderung und einer Weiterentwicklung der Schulstruktur.

Das ist Schulentwicklung von unten im besten Sinne. Aber auch diese Entwicklung wird nicht akzeptiert und genehmigt. Auch das nenne ich bildungspolitischen Starrsinn. Hinzu kommt noch die ideologische Verbohrtheit, das altherge brachte, überkommene Schulsystem aus dem vorletzten Jahrhundert auf Biegen und Brechen mit aller Gewalt beibehalten zu wollen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Folge dieser Bildungspolitik in diesem Land ist ein dramatischer Sinkflug ihrer Akzeptanz. Das ist für unsere Gesellschaft fatal. Denn es ist so, dass unsere Gesellschaft nichts dringender braucht als die Erhöhung des Stellenwerts der Bildung und ein größeres Vertrauen in die Bildung. Deshalb sagen wir: Wir müssen wegkommen von dieser Bildungspolitik.

Kollege Mappus – er ist gerade gegangen –

(Abg. Stefan Mappus CDU: Nein, ich bin da! – Zu- ruf: Der hört aber nicht zu!)

hat einen geradezu zynischen Vorschlag unterbreitet,

(Zuruf: Was?)

indem er in einem Interview erklärt hat, wir brauchten eine bessere Vermarktung unserer Bildungspolitik. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir brauchen keine verbesserte Vermarktung; wir brauchen eine bessere Bildungspolitik in diesem Land. Dafür werden wir uns mit allem Nachdruck einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst einige wenige Anmerkungen zu dem Begriff „Bildungsrepublik“ und zu dem, was dabei im Hintergrund ein wenig mitschwingt. Die Begriffe „Bildungsrepublik“ oder „Bildungsgipfel“ hören sich gut an. Man muss es Frau Merkel schon lassen: Sie hat mit sicherem Gespür frühzeitig ein Wahlkampfthema besetzt. So gipfelerfahren wie sie ist, wird sie, denke ich, dies im kommenden Herbst auch sehr medienwirksam umsetzen.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Aber auch von der Sa- che her!)

Aber ich bin ihr schon dankbar, dass sie den Fokus des öffentlichen Interesses wieder auf das Thema Bildung gelenkt hat. Das ist gut so.

Was wir allerdings nicht brauchen, meine Damen und Herren, ist, dass Bildungspolitik zur Chefsache der Kanzlerin wird. Eher sollte das Thema Bildung zur Chefsache für jeden Ministerpräsidenten werden. Das wäre schon etwas besser.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir bleiben dabei: Bildung ist Ländersache. Dort gehört sie hin, und dieses Ergebnis der Föderalismusreform wollen wir uns nicht nehmen lassen. Wir halten daran fest.

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Wir wollen keinen bildungspolitischen Zentralismus, wir wollen keine bundesweiten Bildungspläne und auch kein bundesweites Abitur. Denn das würde unter dem Strich für BadenWürttemberg eine Verschlechterung bedeuten.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! – Wider- spruch bei der SPD – Gegenruf des Abg. Karl-Wil- helm Röhm CDU: Wenn die sich unserem Niveau an- passen würden, wäre das in Ordnung!)

Wer das nicht glaubt, der sollte einmal einen Blick in die derzeit laufende TOSCA-Studie werfen. Darin wird als erstes Ergebnis festgestellt, dass die Abiturienten in Baden-Württemberg verglichen mit den Abiturienten in Hamburg 78 Punkte Vorsprung haben. Das entspricht einem Lernfortschritt von einem Schuljahr. Diese Qualität, meine Damen und Herren, wollen wir uns nicht nehmen lassen. Wir wollen einen echten Bildungsföderalismus. Denn nur durch den Wettbewerb der Länder ist es möglich, neue Wege auszuprobieren, neue Konzepte zu erproben, von den Besten zu lernen und die Misserfolge zu begrenzen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

In diesem Sinne, im Sinne eines echten Bildungsföderalismus, hat Baden-Württemberg in den letzten Jahren in der Tat Beachtliches geleistet.