Antrag der Fraktion der CDU und Stellungnahme des Mi nisteriums für Arbeit und Soziales – Entwicklung der ge setzlichen Krankenversicherung (GKV) – Drucksache 14/1974 (geänderte Fassung)
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Antrags fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute eigentlich einen erstaunlichen Vorgang vorliegen: Alle Parteien waren sich im Sozialausschuss einig, dass das Thema Gesundheitsreform, insbesondere der ab 1. Januar 2009 in Kraft tretende Gesundheitsfonds, noch einmal im Plenum diskutiert werden sollte.
Der Änderungsantrag, der heute vorliegt, dem wir alle miteinander zustimmen wollen, zeigt, worum es geht. Es geht vom Ziel der Debatte her darum, noch einmal auf die Risiken aufmerksam zu machen, die ein Gesundheitsfonds auf unsicherer Basis für Baden-Württemberg haben könnte.
Dieser zentrale Punkt der Gesundheitsreform – nur um diesen geht es heute – hat mehrere Aspekte, die für die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg eine Rolle spielen. Man kann sie im Grunde in zwei Wirkungen zusammenfassen: Das ist zum einen die Wirkung des Fonds auf Baden-Württemberg und die Versorgungssituation. Zum Zweiten geht es darum, wie der neue Einheitsbeitrag ab dem 1. Januar 2009 kalkuliert wird, was alles darin eingerechnet ist oder was nicht eingerechnet ist.
Zum ersten Punkt: Wie wirkt sich der Gesundheitsfonds auf Baden-Württemberg aus? Ich will die schlichten Fakten darstellen, die, glaube ich, in Baden-Württemberg unstrittig sind. Die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg leben im Durchschnitt länger als die Bürgerinnen und Bürger in anderen Bundesländern. Sie sind gesünder. Sie haben ein höheres Einkommen. Die Lebenserwartung ist höher, und das höhere Einkommen resultiert aus dem Fleiß der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie aus dem Erfolg unserer heimischen Wirtschaft.
Es kommt noch etwas ganz Wichtiges hinzu: Baden-Würt temberg ist in Sachen Gesundheitsversorgung sehr gut aufgestellt.
Ich wage zu sagen, dass Baden-Württemberg die Schweiz Deutschlands ist, was die Versorgungsqualität in Deutschland betrifft.
(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Einem Konstanzer sei das erlaubt! – Gegenruf des Abg. Dr. Klaus Schü- le CDU: Stimmt aber so!)
Aufgrund unseres höheren Einkommensniveaus fließen künftig mehr Mittel an andere Bundesländer ab als heute. Jetzt ist die Frage interessant: Was kostet uns dieser Gesundheitsfonds? Baden-Württemberg hat zu Beginn der Diskussion ein Gutachten in Auftrag gegeben. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran. In diesem Gutachten steht, dass mindestens 390 Millionen €, die heute noch für Gesundheitsleistungen im Land zur Verfügung stehen, künftig nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Dieses Geld fehlt für ein ausdifferenziertes Gesundheitssystem.
Ich will das noch einmal in einzelnen Punkten nennen. Die meisten kennen das bereits. Wir haben in Baden-Württemberg Schwerpunktbildungen, z. B. im Bereich der Unfallchirurgie und bei der Neurologie. Wir haben Schlaganfall-Sofortversorgungseinheiten. Wir haben auch ein Geriatriekonzept für unsere ältere Bevölkerung. Wir haben neue Brustkrebszentren. Diese vorbildlichen Versorgungsformen können jetzt durch den Gesundheitsfonds in die Gefahr geraten, sich nach und nach aufzulösen. Dem Grunde nach gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder fallen diese Versorgungsformen weg – das wird niemand von uns wollen –, oder wir sparen Geld bei der Grundversorgung – das will erst recht niemand. Beide Lösungen, die im Raum stehen, sind keine Lösungen.
Für uns stellt sich die Situation durch den Gesundheitsfonds jetzt so dar: Wer gesünder ist, bekommt weniger Geld. Wer weniger Geld bekommt, kann seinen bisherigen Standard nicht aufrechterhalten. Jetzt darf man die rhetorische Frage stellen, ob wir erst alle wieder kränker machen müssen, um am Ende wieder ein Versorgungssystem zu haben, das wir heute schon erreicht haben. Sicherlich nicht.
Der zweite Punkt bedingt die Frage nach einem bundeseinheitlichen Beitragssatz, der ab 1. Januar 2009 gilt. Wir machen uns – ich glaube, das kann man sagen – miteinander, parteiübergreifend ernsthafte Sorgen, wie dieser Einheitsbeitragssatz zu kalkulieren ist. Ich will einige wenige Parameter nennen, über die wir uns konkret Sorgen machen.
Punkt 1: Es ist nach wie vor unklar, ob es gelingen wird, bis zum 31. Dezember 2008 eine Schuldenfreiheit aller Kassen herzustellen. Was überhaupt noch nicht diskutiert worden ist – das Argument ist mir auch noch nie begegnet –: Ich fürchte, wir müssen unsere Bundestagskollegen darauf aufmerksam machen, dass sie, wenn sie eine Fehlkalkulation machen, möglicherweise einen Rechtsbruch begehen. Im SGB steht, dass 25 % der Monatsausgaben in der Krankenversicherung als Mindestrücklage gelten. Das ist überhaupt nicht diskutabel; das steht im Gesetz. Das sind 2,9 Milliarden €, und es steht nirgends, dass diese Mindestrücklage Gegenstand dieses allgemeinen Beitragssatzes sein wird. Es geht also um einen möglichen Rechtsbruch. Ich kann dem Bundestag nur raten, da noch einmal nachzuschauen.
Nächste Frage: Wir alle waren und sind uns einig, dass im Bereich der niedergelassenen Ärzte eine Honoraranpassung erfolgen muss. Diese Honoraranpassung ist für 2009 mit rund
2,5 Milliarden € geplant. Die Frage ist allerdings, ob sie in diesem Gesundheitsfonds berücksichtigt wird. Denn sie tritt ja erst im Jahr 2009 in Kraft und wirkt noch nicht im Jahr 2008.
Das nächste Problem ist ein sehr aktuelles – Sie lesen alle Zeitung –: Die finanzielle Lage der Krankenhäuser wird, auch im Zusammenhang mit den derzeitigen Tarifverhandlungen, allmählich zu einem echten Problem. Neben den Tarifsteigerungen sowie den explodierenden Energie- und Sachkosten gibt es Sanierungsaufgaben, die zu leisten sind. Den Krankenhäusern fehlen im Jahr 2008 – nicht 2009 – 2,2 Milliarden €. Jetzt dürfen wir die Frage stellen: Wollen wir die Krankenhäuser in dieser Situation mit diesem Betrag alleinlassen, oder wollen wir dafür sorgen, dass diese Werte, die den Häusern fehlen, in die Kalkulation des Beitragssatzes einfließen?
2,2 Milliarden € klingt interessant. Aber wenn man das Ganze auf Personen umrechnet, wird es erst richtig interessant. 2,2 Milliarden € entsprechen in den Krankenhäusern dem Finanzbedarf für 40 000 Klinikärzte oder 66 000 Pflegekräfte. Ich wünsche der Bundespolitik, aber auch der Landespolitik viel Spaß, wenn die wirklich abgebaut werden und unsere Krankenhäuser durch diese neue Gesundheitsreform in die Situation kommen, dass sie die Leistungen weiter einschränken müssen. Wir sind der Meinung, dass dies nicht hinnehmbar ist,
dass die Kosten in die Kalkulation eingehen müssen. Andernfalls verursacht man hier im Grunde eine fast unheilbare, nicht mehr zu kalkulierende Situation.
Das nächste Problem ist: Wir haben einen morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich. Kein Mensch kennt ihn. Nur drei Leute verstehen ihn – wir zwei vielleicht, lieber Uli Noll.
(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Teile habe ich schon wieder vergessen! – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)
Es gibt noch drei andere, die sich dabei auskennen: Einer ist in Rente, einer ist gestorben, und einer arbeitet noch im Ministerium. Spaß beiseite: Dieser Fonds liegt inzwischen auf dem Tisch. Es sind 80 Krankheiten kalkuliert, die jetzt zwischen den Krankenkassen ausgeglichen werden. Aber dieses Gutachten bereitet uns Probleme. Es gibt darin Punkte, die uns einfach nicht einleuchten. Z. B. wurde die Häufigkeit dieser Erkrankungen überhaupt nicht gewichtet. Vielmehr wurden Krankheiten genommen, deren Behandlung besonders teuer ist. Kein Mensch fragt, wie oft sie vorkommen. Dafür hat man chronische Krankheiten wie Asthma, Rheuma und zum Teil auch Herzkrankheiten erst gar nicht kalkuliert und herausgenommen.
Das nächste Problem: Wenn man im Gesundheitswesen steuern kann, dann kann man präventiv steuern. Was für ein Blödsinn – ich sage das deutlich –, Krankheiten, die durch Prävention beeinflusst werden können, oder Krankheiten mit hohem Präventionspotenzial, also Krankheiten, bei denen man durch
Wir meinen – das war die Meinung aller vier Fraktionen im Sozialausschuss; deswegen der heutige Antrag –: Es wäre fahrlässig, den Gesundheitsfonds auf dieser Basis einzuführen. Ich habe es einmal ausgerechnet: Bei 135 Millionen € haben wir im Moment allein durch die Punkte, die ich vorgetragen habe, rund 10 % Unsicherheit. Das bringt dann eine Beitragssatzhöhe von rund 15 %, wenn man das alles einbezieht. Wenn die drin sind, wird es teurer. Wenn sie nicht drin sind, bekommen wir gesundheitspolitisch eine Notversorgungssituation. Das kann niemand wollen. Deswegen unser gemeinsamer Appell, diesen Fonds erst dann in Kraft zu setzen, wenn diese Fragen geklärt sind.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Baden-Württemberg leistet bereits jetzt einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung des gesamtdeutschen Gesundheitswesens. Das von der Landesregierung in Auftrag gegebene Wasem-Gutachten kam im letzten Jahr zu dem Ergebnis, dass Baden-Württemberg der mit Abstand höchste Nettozahler im bestehenden Ausgleichssystem ist. Der Gesamttransfer beträgt pro Jahr rund 890 Millionen € und ist damit doppelt so hoch wie der aus Bayern.
Es ist problematisch, dass dies durch den Gesundheitsfonds noch weiter ausgeweitet wird. Das geht zulasten der medizinischen Versorgung in diesem Land, meine Damen und Her ren. Dieser Gesundheitsfonds ist ein nach zähem Ringen zwischen CDU/CSU und SPD gefundener Kompromiss, nicht mehr.
Ehrlicherweise muss man eingestehen, dass es sehr schwierig sein wird, aus landespolitischer Sicht wünschenswerte Korrekturen durchzusetzen. Veränderungen sind umso schwieriger, als der Gesundheitsfonds nur deshalb in seiner jetzigen Ausgestaltung zustande gekommen ist, weil die völlig unterschiedlichen Konzepte der Union zur Kopfpauschale und das Modell der SPD mit der solidarischen Bürgerversicherung nicht unter einen Hut zu bringen waren.
Die CDU hat mit ihrem unsozialen Konzept einer bundeseinheitlichen Kopfpauschale den Weg hin zu einer weiteren Zentralisierung der Gesundheitspolitik vorbereitet. Der im Gesundheitsfonds vorgesehene Zusatzbeitrag, falls die Zuweisungen dieses Fonds nicht ausreichen, ist faktisch eine kleine Kopfpauschale – von der Union so durchgesetzt.
Im SPD-Modell der solidarischen Bürgerversicherung hätte man regionalen Belangen, z. B. den Belangen Baden-Würt tembergs, wesentlich besser Rechnung tragen können,
Es ist zwar zutreffend, wenn die CDU im Land jetzt darauf verweist, dass sie dem Gesundheitsfonds skeptisch gegen übersteht. Diese Skepsis ist aber unglaubwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen, solange CDU und Landesregierung sich nicht von den CDU-Plänen zur Einführung einer Kopfpauschale verabschieden.
Das wäre unseres Erachtens die Voraussetzung, um auf Bundesebene gemeinsam andere, bessere Lösungen zu finden.
Am 30. Januar letzten Jahres hat die Landesregierung die Ergebnisse eines von ihr in Auftrag gegebenen Gutachtens über die Auswirkungen der Gesundheitsreform auf unser Land der Öffentlichkeit vorgestellt. Damals hat die Landesregierung eine Reihe von bemerkenswerten politischen Aussagen getroffen, die es wert sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass man sie sich in dieser Debatte nochmals in Erinnerung ruft. Ich zitiere:
Die für uns wichtige Frage, ob die Zuweisungen aus dem Fonds ausreichen werden, um das hohe Versorgungsniveau in Baden-Württemberg aufrechtzuerhalten, lässt sich nach dem jetzt vorliegenden Gutachten deutlich mit „Ja“ beantworten. … Die Zusatzbelastung aus der Einführung des Gesundheitsfonds für Baden-Württemberg dürfte danach deutlich geringer ausfallen, als bisher befürchtet.