Protocol of the Session on May 24, 2007

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU sowie Abge- ordneten der SPD und der Grünen – Zuruf von der CDU: Jawohl!)

In diesem Punkt sind wir uns ja alle einig. Sie haben das genauso zitiert. Wir sind uns in diesem Punkt alle einig, nur über den Weg dorthin haben wir sehr unterschiedliche Vorstellungen.

Wir bleiben dabei: Heute ist mehrfach und nachdrücklich ausgeführt worden, welche Entwicklungschancen unser Bildungssystem hat. Ich habe vorhin gesagt und betone es noch einmal: Es muss sich weiter öffnen. Das sehen wir genauso wie Sie. Das, was Sie jetzt an Modellschulen einfordern, ist – das sehen Sie, wenn Sie einmal die Augen aufmachen – auf dem richtigen Weg. Sie kennen genauso wie wir die Vereinbarung, das Eckpunktepapier der kommunalen Landesverbände und des Kultusministeriums.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! Ja!)

Dort werden erste Schritte, die unsere volle Zustimmung finden, in Richtung enger Zusammenarbeit zwischen Hauptschule und Realschule gemacht,

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

um diesen Bildungsgang Realschulabschluss weiter zu ermöglichen. Wir wünschen uns – und da sind wir wirklich auch mit den Verfassern dieses Briefes d’accord – in der Tat, dass neue Ideen wirklich auch die Chance haben, auch einmal ausprobiert zu werden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Daran müssen wir noch ein Stück weiterarbeiten.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich noch habe, Herr Präsident.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Nicht nachfragen! Einfach reden! Kretschmann hat auch überzogen!)

Ich rede einfach. Okay.

Es ist das Ausland angesprochen worden. Schauen wir uns einmal Kanada an, meine Damen und Herren. Kanada gehört zu den Ländern, in denen es die geringsten Unterschiede im Bildungsgang gibt, bezogen auf die soziale Herkunft und den Migrationsstatus. Aber bei Kanada muss man etwas genauer hinschauen; denn dort gibt es eigentlich nur Migranten. Dort gibt es eine Urbevölkerung – das sind die Eskimos und die Indianer –,

(Heiterkeit des Abg. Gustav-Adolf Haas SPD)

und der Rest sind Einwanderer.

(Beifall bei der FDP/DVP – Lebhafte Unruhe)

Und, meine Damen und Herren, Kanada hat seit Jahrzehnten eine ganz gezielte Einwanderungspolitik gemacht.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Die Menschen, die in dieses Land wollen und dort leben wollen, werden genau ausgesucht, und zwar nach einem Punktesystem. Da wird genau geschaut, welche Ausbildung sie haben, ob sie im Arbeitsmarkt gebraucht werden usw. Ferner müssen sie auch Geld mitbringen. Sie müssen nämlich finanziell auf eigenen Füßen stehen, um überhaupt in dieses Land hineingelassen zu werden, meine Damen und Herren.

(Abg. Michael Theurer FDP/DVP: Das ist auch eine Selektion!)

Wie sieht es in Deutschland aus? Wir hatten hier bisher in der Tat keine gezielte Einwanderungspolitik. Das ist die Hypothek, mit der wir jetzt umgehen müssen. Und das liegt nicht am Bildungssystem, sondern ist eine soziologische Entwicklung; das sind Wanderungsbewegungen. Wir haben viele Menschen durch Nachzüge ins Land geholt. Jedes dritte Kind unter fünf Jahren, meine Damen und Herren, kommt heute aus einer Migrantenfamilie oder einer Familie mit Migrationshintergrund. Das ist die Realität in unserem Land. Die jungen Importbräute aus der Türkei kommen hierher. Die Türken heiraten nicht hier, sondern sie holen sich ihre Frauen aus der Türkei.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: D i e Tür- ken machen das nicht! Das machen manche Tür- ken!)

Nein, nicht manche. Die Mehrzahl der jungen Männer macht das so. Hören Sie sich einmal um! Die bringen junge Frauen ins Land, die kein Wort Deutsch sprechen.

Diese Frauengeneration müssen wir erreichen. Die müssen wir heranholen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die müssen wir motivieren, an dem Bildungserfolg ihrer Kinder ein Interesse zu haben, gemeinsam mit den Kindern für einen guten Bildungserfolg zu sorgen. Und die Sprache muss gelernt werden; das habe ich ja vorhin schon gesagt.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das ist das A und O! – Zuruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Noch einmal: Wir wissen es alle: In der Hauptschule sind heute sehr viele Kinder, die aus Familien mit Migrationshintergrund kommen – aus den Gründen, die ich eben beschrieben habe. Nur in diesem gegliederten Schulsystem, das wir haben, mit der differenzierenden Schulstruktur ist es wirklich möglich, jedes einzelne dieser Kinder gezielt zu fördern. Das ist die Aufgabe der Zukunft, und der stellen wir uns. Die packen wir auch an, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Ich möchte abschließend noch drei Aspekte ansprechen: Herr Minister, Sie wollen die Kernkompetenzen in der Hauptschule stärken. Da sind wir voll d’accord, da gehen wir sofort mit. Profilbildung ist ganz wichtig, auch eine Angebotsbildung vonseiten der Hauptschule. Aber hierzu möchte ich auch an dieser Stelle sagen: Wenn wir hier Ressourcen in die Hand nehmen, sollten wir – das wünschen wir uns – ein Stück weit ein Personalbudget für die Hauptschulen realisieren, damit sie ihr eigenes Profil bilden können.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das ist für die Hauptschule in ihrem Überlebenskampf wichtig.

Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte – und auch da sind wir ja miteinander auf dem richtigen Weg –, ist die Stärkung des Praxiszugs. Wir haben uns neulich, Herr Minister, in Heidelberg getroffen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist richtig!)

und zwar bei einer Arbeitsmarktkonferenz der Metropolregion Rhein-Neckar. Dort wird etwas ausprobiert, und das wünsche ich mir im ganzen Land. Eine ganze Region tut sich dort zusammen – die Arbeitsagenturen, die Schulen, die Schul ämter, die Wirtschaft, alle die, die am Arbeitsmarkt beteiligt sind.

(Zuruf der Abg. Ute Vogt SPD)

Das Projekt heißt KÜM: Kooperatives Übergangsmanagement.

(Abg. Dr. Frank Mentrup SPD: 15 Hauptschulen, Frau Kollegin!)

Das bedeutet im Klartext: Feststellung der Talente der Kinder in Klasse 7 der Hauptschule. Talentcheck! Nicht Schwächencheck, sondern Talentcheck!

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Auf der Grundlage dieses Talentchecks wird in Klasse 8 ein erstes Berufsfeld herausgefiltert, in das zu gehen die Kinder sich vorstellen können. Es werden Anforderungen aufgezeigt, die dieses Berufsfeld ihnen abverlangt. Sie erhalten dadurch die Motivation: „Ich will da hin, also muss ich etwas tun.“ In der Klasse 9 bewerben sie sich schon gezielt. Das ist der Weg der Zukunft, meine Damen und Herren. Dann werden wir auch wieder eine höhere Akzeptanz für die Hauptschule erreichen. Wir müssen das Ganze zusammen sehen.

Die große Aufgabe heißt: Integration durch Bildung. Das ist unsere Aufgabe, die wir leisten können. Da hat die Hauptschule eine wichtige Funktion in unserem Bildungssystem.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Kein Schüler darf verloren gehen. Ich sage es noch einmal: Individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes muss das Herzstück einer neuen Bildungspolitik sein. Dazu gehören gerade die Migranten, denn sie sind für unsere Gesellschaft auch eine Chance, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich dem Minister für Kultus, Jugend und Sport Helmut Rau.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will nur noch einmal dem Kollegen Kretschmann antworten. Eine Kleinigkeit vorweg: Den Begriff „Einheitsschule“ habe ich nicht als einen Kampfbegriff gebraucht, sondern als eine Zustandsbeschreibung für das, was hier in die Debatte eingeführt worden ist. Sie haben selbst gesagt, bei den Waldorfschulen sei das Ganze gang und gäbe. Ich gebrauche den Begriff auch weiterhin, weil er eine Tatsache beschreibt.

Herr Kollege Kretschmann, Sie haben die entscheidende Frage für diese Debatte und für den weiteren Weg gestellt, nämlich ob Strukturen die innere Reform behindern oder ob Reformen in einem anderen Zusammenhang besser durchgeführt werden können oder nicht. Ich sehe genau, dass wir eine sehr gute Basis und gute Handlungsoptionen haben, um die notwendigen Weiterentwicklungen im gegliederten Schulwesen voranzubringen. Wir müssen eben nicht auf ein alternatives System ausweichen, das ganz sicher viele strukturelle Veränderungen und Risiken mitbringen würde. Wir haben keine verlässliche Antwort darauf, dass es uns damit besser ergehen würde.

Ich habe an den Anfang und das Ende meiner vorherigen Ausführungen nicht umsonst ein Zitat des Bundespräsidenten und ein Zitat des KMK-Präsidenten gestellt, in denen sie sich zum Thema Förderung klar äußern. Denn diese Aussagen entsprechen auch meiner Position. Es geht darum, dass wir die Zukunftschancen der jungen Menschen in unserem Land bestmöglich sichern. Deswegen sind wir dabei, unser Schulwesen laufend weiterzuentwickeln.

Ich habe Ihnen die Bildungspläne von 2004 genannt. Nicht ein einziges anderes Land in Deutschland hat es bisher gewagt, seine Bildungspläne durchgängig auf Standards und Kompetenzbeschreibungen umzustellen. Die anderen Länder begnügen sich damit, das Ganze auf der KMK-Ebene für die

Abschlüsse zu definieren. Wir haben Standards und Kompetenzbeschreibungen konsequent zur Grundlage der Unterrichtsplanung, der Qualitätsentwicklung im Unterricht gemacht. Ich glaube, dass wir damit weiter sind als alle anderen. Wir können in diesem Prozess große Chancen sehen. Wir sollten von diesem Prozess nicht auf Strukturdebatten hin ablenken. Auch dafür habe ich Zeugen aufgeführt.