Protocol of the Session on December 13, 2006

Wir haben, was das Europabüro angeht, eine gute Basis. Das Büro ist zu loben. Die Präsenz des Landtags dort sollte sich verstärken.

Wir haben eine schwierige Rolle bei den prononcierten und den konturierten Aufgaben, die das Land Baden-Württemberg in Europa wahrnimmt. Der frühere Ministerpräsident Lothar Späth hat die „Vier Motoren für Europa“ kreiert. Wir haben heute in Baden-Württemberg nichts Vergleichbares an Aktivitäten, mit denen wir in Europa herausgehoben agieren. Das ist nicht gut, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Deshalb sage ich zum Stellenwert von Europa: Derzeit ist das allenfalls in der Schwebe. Man kann vermuten, dass unser Land beim Stellenwert in Europa derzeit eher einbüßt, als dass es dazugewinnt. Das ist in dieser Phase Europas nicht gut.

Ich komme zu den konkreten Schwachpunkten und Verbesserungsnotwendigkeiten, die wir sehen. Ich will das nur in Kürze anführen, damit Zeit für das Nach-vorne-Blicken bleibt.

Bodenschutzrichtlinie: Ich habe nicht geglaubt, dass dieses Thema noch einmal kommt. Die Begründung dafür war ja: „Wir können unsere starke Haltung nicht durchhalten, weil die anderen da sowieso nicht mitmachen.“ Das ist doch keine Grundhaltung. Wir können doch nichts abwehren! Wir müssen doch sagen: „Wir wollen eine aufnehmende Rolle in Europa spielen und unsere Standards tatsächlich da durchsetzen, wo wir von ihnen überzeugt sind.“ Deswegen ist das auch an dieser Stelle viel zu zaghaft.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Bernd Mur- schel GRÜNE)

Thema EU-Erweiterung: Kroatien wird selbstverständlich unterstützt. Wir müssen hier mehr tun. Wir wollen dies auch tun, auch mit dem Ausschuss.

Zur Türkei gibt es, wie immer, Zwischentöne. Ich habe gestern ein Gespräch mit dem türkischen Konsul in Stuttgart geführt. Das türkische Konsulat in Stuttgart ist von der

Bevölkerungszahl her, die es betreut, das größte der deutschen Konsulate. Die türkische Volkswirtschaft ist für die baden-württembergische Volkswirtschaft ein interessanter Partner. Wir müssen ein Interesse daran haben, dass die Türken und die Türkinnen, die bei uns in Deutschland leben, ein Heimatland haben, das näher an die europäische Modernisierung herangerückt und nicht auf Distanz dazu gehalten wird. Wir müssen ein Interesse daran haben, dass baden-württembergische Betriebe in der Türkei investieren und dort ein gutes Investitionsland haben. Deswegen ist die Türkeiposition der Landesregierung an dieser Stelle viel zu abwehrend. Wir sind dagegen. Wir haben ein anderes Verständnis.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Thema Lissabon-Prozess: Ich habe bereits gesagt, dass das zusätzlicher Anstrengungen bedarf und dass es nicht ausreicht, nur das, was man tut, noch einmal aufzulisten.

Thema Strukturfonds: Bei den ESF- und den EFRE-Mitteln können wir Steigerungen erwarten. Leider werden die Komplementärmittel des Landes dafür nicht in genügender Höhe bereitgestellt. Man hofft eben auf den tertiären Sektor und auf die Kommunen.

Leider ist kein eigenständiger Beitrag der Landesregierung mehr zur Arbeitsmarktpolitik vorhanden. Man leitet nur noch europäische Mittel durch. Das ist keine aktive Politik im Umgang mit den europäischen Strukturfondsmitteln.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Bürokratieabbau: Herr Minister, wir haben im Ausschuss darüber diskutiert, dass die Bürokratie in Europa natürlich eingedämmt werden muss. Aber nicht immer ist Subsidiarität das richtige Mittel. Sie kann es sein, muss es aber nicht immer sein. Oft potenzieren aber unsere eigenen Bürokraten das Problem im Bund und im Land noch einmal, weil sie immer präsent sind, weil sie immer noch eigene Themen haben und weil sie oft europäische Themen nicht europäische Themen sein lassen. Deswegen ist es auch wichtig, festzulegen, worauf wir uns in der Zusammenarbeit mit der EU konzentrieren, statt ganze Kavalkaden von unseren Leuten hinzuschicken, die die Dinge am Ende noch weiter komplizieren. Das muss auch einmal gesagt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Umsetzung der europäischen Vogelschutzrichtlinie hat gezeigt, dass wir weniger ein Problem des guten Willens der EU als ein Problem der Umsetzungsschwäche der baden-württembergischen Landesregierung haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Thomas Blenke CDU: Jetzt aber!)

Natürlich, lange geschlafen.

Bei den sozialen Standards sind wir froh, dass die Dienstleistungsrichtlinie besonders durch den Einsatz der Europaabgeordneten Evelyne Gebhardt in einer Großen Koalition der beiden Hauptströmungen im Europäischen Parla

ment jetzt sinnvoll gestaltet wird. Das Herkunftslandprinzip ist ausgeschaltet. Wir hätten uns mehr Einsatz auch der CDU-Abgeordneten aus Baden-Württemberg im Europäischen Parlament gewünscht. Aber wir hoffen, dass künftig alle in Gesamtheit den jetzigen Kompromiss mittragen.

(Zuruf der Abg. Ute Vogt SPD)

Die Lobpreisung der Deregulierung, die wir hier heute gehört haben, ist nicht die letzte Antwort für Europa, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das war es in der ersten Runde. Das, was wir in Zukunft machen müssen, folgt in der zweiten Runde.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Walter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im nächsten Jahr jährt sich die Ratifizierung der Römischen Verträge zum 50. Mal. Dies sollte uns Anlass sein, darüber nachzudenken: Wie sieht eine Vision für ein zukünftiges Europa aus, wie wollen wir Europa zukünftig gestalten? Die Römischen Verträge waren für die damalige Zeit ein Aufbruchsignal für Europa. Sie waren eine Vision. Wenige Jahre nach dem Krieg haben sich Nationen zusammengetan, die sich teilweise jahrzehnte-, ja jahrhundertelang bekämpft hatten.

Heute stiftet die EU Frieden. Wer käme heute noch auf die Idee, dass es in Europa Kriege geben kann? Die EU hat die Menschen einander nähergebracht. Die EU hat dafür gesorgt – auch die Bürokratie hat hier etwas Gutes geschaffen –, dass die Grenzkontrollen weggefallen sind. Sie hat dafür gesorgt, dass wir eine gemeinsame Währung haben. Wer wollte das heute noch missen? So haben wir das Gefühl, tatsächlich in einem vereinten Europa zu leben. Das, meine Damen und Herren, ist 50 Jahre nach dem Abschluss der Römischen Verträge ein enormer Fortschritt, den wir feiern sollten.

(Beifall bei den Grünen)

Wir sollten eine Vision entwickeln, weil wir uns in der Tat in einer extrem schwierigen Phase des europäischen Einigungsprozesses befinden. Das Vorhaben, eine europäische Verfassung einzuführen, ist gescheitert, was ich sehr bedauert habe, weil diese Verfassung im Gegensatz zu dem, was oft über sie transportiert wird, uns allen ein Mehr an Transparenz der Entscheidungen durch das Parlament gebracht hätte. Sie hätte uns ein Mehr an Demokratie gebracht.

Deswegen muss es das erste Ziel sein – da müssen wir auch die Ratspräsidentschaft Deutschlands nutzen –, in den nächsten Jahren eine europäische Verfassung zu verabschieden. Nur dann haben wir tatsächlich ein vereintes Europa. Ein demokratisch legitimierter Staat oder ein Staatengebilde kann ohne eine Verfassung nicht existieren. Das hat die Geschichte gelehrt. Deswegen muss es unser

Ziel sein, so schnell wie möglich eine Verfassung zu verabschieden.

Natürlich, meine Damen und Herren, gibt es bei allem Zuspruch für Europa ein großes Misstrauen gegenüber der Bürokratie. Das wurde schon angesprochen. Nur, Herr Kollege Lusche von der CDU: Wir sollten nicht immer dazu beitragen. Ich war etwas enttäuscht von dem, was Sie dazu gesagt haben. Sie hatten noch keine drei Sätze über Europa gesagt, und schon hatten Sie etwas Negatives gefunden. Immer wird das Negative herausgestellt: „diese Bürokratie“.

Ich nenne Ihnen jetzt einmal ein schönes Beispiel, wie die Diskussion dann im Ausschuss läuft. Es wird groß berichtet, was es alles an bürokratischen Vorschriften gibt. Sie haben die Seitenzahl genannt usw. usf. Dann bringe ich das Beispiel, das ich gern anführe, weil es für mich ein Beispiel dafür ist, wie die nationalen Regierungen dafür sorgen, dass Brüssel überreguliert. Herr Stoiber, der in irgendeiner Weise auch der Union nahe steht,

(Zurufe von der SPD)

hat einheitliche Sitze für Traktoren gefordert. Das war ganz wichtig; das hat Europa vorangebracht. In Klammern: Die Firma, die diese Sitze baut, ist in Bayern angesiedelt.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Das war uns klar! – Abg. Thomas Blenke CDU: Die Geschichte hat in- zwischen aber auch schon einen langen Bart, Herr Kollege!)

Sie haben heute wieder die Bodenschutzrichtlinie angesprochen. Während bei dieser Debatte vonseiten der Regierungsfraktionen kritisiert wurde, dass es eine FFH-Richtlinie gab, wurde gleichzeitig die Verordnung zu Traktorensitzen verteidigt. Da sage ich mir: Darauf kann ich verzichten. Aber am Beispiel eines solch wichtigen Instrumentariums wie der FFH-Richtlinie, die in Baden-Württemberg im Übrigen nicht nur für Mensch und Natur Vorteile bringt, sondern auch ökonomische Vorteile für den Tourismus, kritisieren Sie Europa. Da sind Sie, meine Damen und Herren, auf der völlig falschen Spur.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Nikolaos Sa- kellariou SPD – Abg. Thomas Blenke CDU: Mäßi- ger Applaus!)

Ich habe schon gesagt: Wir brauchen eine europäische Verfassung. Der Entwurf für eine europäische Verfassung ist einerseits auch deswegen gescheitert – da sind wir uns alle einig –, weil in Frankreich und in den Niederlanden auch über die Politik der nationalen Regierungen abgestimmt wurde, und zwar negativ. Die Verfassung ist aber auch gescheitert, weil die Menschen das Gefühl hatten und es auch oft noch haben, dass Europa vor allem ein Binnenmarkt, ein ökonomisches Produkt ist und dass Europa sozusagen kein soziales und ökologisches Produkt ist.

Deswegen müssen wir jetzt die Aufgabe angehen, Europa sozial zu gestalten. Wir brauchen einheitliche Standards – der Kollege Hofelich hat dies schon angesprochen –, und wir brauchen ein ökologisches Europa. Europa hat aufgrund der Schwäche der amerikanischen Regierung – mit dem gegenwärtigen Präsidenten wird diese Schwäche noch zwei

Jahre anhalten – in vielen Fragen eine Vorreiterrolle zu übernehmen, beispielsweise beim Klimaschutz. Darauf werde ich in der zweiten Runde noch eingehen.

Danke.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Peter Hofe- lich SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Theurer.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Schon wieder eine neue FDP-Krawatte?)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gerade in der aktuellen Diskussion rückt Europa verstärkt in den Blickpunkt, weil die Staats- und Regierungschefs z. B. morgen zu ihrem Gipfel zusammenkommen und dabei die Frage diskutieren: Wie weit soll die Europäische Union eigentlich erweitert werden? Da ist es, glaube ich, richtig, wenn sich ein Landesparlament am Vorabend der Übernahme der Ratspräsidentschaft durch die Bundesrepublik Deutschland noch einmal vergegenwärtigt – das hat auch Kollege Walter im Hinblick auf 50 Jahre Römische Verträge, auf das 50-jährige Bestehen der Europäischen Union angesprochen –, wie dieses Europa entstanden ist, wie es gebaut wird und wo wir heute stehen. Dabei sollte vor allem eine Standortbestimmung vorgenommen werden: Wo steht eigentlich Baden-Württemberg als Bundesland in Deutschland, im Herzen Europas?

Hier kann man, wenn man die Geschichte kurz Revue passieren lässt, von großen Fortschritten berichten, die wir alle heute genießen und die glücklicherweise alltäglich geworden sind. Beispielsweise kann man in der Rheinschiene ohne Passkontrolle in unser Nachbarland Frankreich fahren. Man kann die gemeinsame Währung nutzen und muss nicht mehr mit zwei Geldbeuteln mit den vielen unterschiedlichen Währungen durch Europa fahren. Das sind praktische Beispiele, die zeigen, dass auch wir in Baden-Württemberg von dem immer stärker zusammenwachsenden, vereinten Europa profitieren können.