Protocol of the Session on October 12, 2006

(Unruhe bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Stefan Mappus CDU: Das sagt der Richtige! – La- chen bei Abgeordneten der CDU)

sondern endlich einmal das tun, was notwendig ist, und hier nicht irgendeinen Popanz aufbauen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ja interessant: Ich könnte Ihnen – Herr Kleinmann wird das wahrscheinlich gleich bestätigen müssen – einmal aufzeigen, wie viele Anträge Sie gestellt haben, mit denen Sie Daten abgefragt haben. Sie als FDP/DVP waren diejenigen, die immer wissen wollten, wie dies und jenes sich statistisch verhält.

(Zuruf des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Man muss ganz, ganz vorsichtig sein, wenn man hier irgendetwas aufgreift, was man selbst bisher anders praktiziert hat.

Nun haben Sie versucht, Frau Arnold, E-Stat als unproblematisch darzustellen. Aber genau das ist es doch: Der Landtag hat in der letzten Legislaturperiode dem entsprechenden Gesetzentwurf einstimmig zugestimmt. Auch wir haben dem zugestimmt, weil wir erkannt haben, wie wichtig eine fundierte Datengrundlage ist.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Und genau bei E-Stat werden personenbezogene Daten erhoben. Logischerweise müssten Sie auch hier dagegen sein.

Es wird deutlich, was Sie wollen: Es ist eine populistische Luftnummer, die die FDP/DVP vorhat, oder es ist eine Ablenkung von der bildungspolitischen Bedeutungslosigkeit,

(Zuruf von der FDP/DVP: Och!)

in der Sie sich befinden.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst, liebe Kollegin Arnold, ein Wort zu Ihrem Problem mit der KMK. Wenn Sie hier ein Problem haben, hätten Sie in einem ersten Schritt als FDP/ DVP-Fraktion längst die Chance gehabt, unseren Forderungen und Anträgen zuzustimmen, das Hamburger Abkom

men zu streichen. Das Hamburger Abkommen regelt detailliert, wie in einzelnen Bundesländern Schulabschlüsse, Kursbildungen, Schulformen usw. organisiert sind. Für die Streichung dieses Abkommens könnten Sie sich einsetzen, damit nur noch zentrale Vorgaben gemacht werden, die für Gesamtdeutschland als Bildungsland wichtig sind.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die informationelle Selbstbestimmung, also das Recht, über die eigenen Daten zu verfügen, ist ein sehr wichtiges verfassungsrechtliches Gut. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil von 1983 festgestellt und dabei angemerkt, dass Eingriffe in dieses Selbstbestimmungsrecht nur dann gerechtfertigt sind, wenn ein großes, ein wichtiges öffentliches Interesse vorliegt.

Es ist aber von großem und wichtigem öffentlichen Interesse, dass unser Bildungswesen besser und leistungsfähiger wird und die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen in den Schulen erhöht werden. Deshalb halten wir Grünen eine umfassende Datenerhebung für gerechtfertigt und sinnvoll, die allein diesem Zweck dient.

Mit der groß angelegten PISA-Studie sind wir in die umfassende, empirische Bildungsforschung eingestiegen. Die bisherigen Datenerhebungen über die PISA-Studie und andere Studien, z. B. IGLU, haben lediglich wichtige Momentaufnahmen geliefert, einen aktuellen Stand abgefragt, z. B. den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler, die Leistungsstreuung, abhängig von der sozialen Herkunft. Sie haben uns aber recht wenige Erkenntnisse geliefert, wo z. B. die Ursachen der massiven sozialen Ungerechtigkeit in unserem Bildungswesen liegen. Sie konnten auch keine klaren Handlungsempfehlungen geben, wie das Bildungswesen weiterentwickelt werden muss.

Es ist nun das Ziel des bundesweiten Bildungsregisters, hierüber genauere Informationen zu bekommen, indem auch eine individuelle Entwicklungsbiografie, ein Bildungsverlauf der Schüler in Deutschland dokumentiert werden kann. Das ist ein Beispiel für moderne Bildungspolitik, in der wir auf der einen Seite selbstständige Schulen mit hoher Eigenverantwortung haben wollen, in der wir dieses Ergebnis auch evaluieren wollen und wozu wir sowohl einen Landesbildungsbericht als auch einen Bundesbildungsbericht brauchen. Auf der anderen Seite brauchen wir Daten, die dazu die Grundlage liefern.

Meine Damen und Herren, Sie wissen aber, dass es Jahre dauern wird, bis aus einer solchen Datenerhebung auch verlässliche Informationen vorliegen, die dem Zweck der Verbesserung und genaueren Steuerung des Bildungswesens dienen. Deshalb ersetzt ein Einstieg in ein solches Bildungsregister auf keinen Fall sofortiges und aktives Handeln.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Deshalb muss das, was wir wissen, konsequent umgesetzt werden. Wir wissen z. B., dass Schulsozialarbeit wirkt. Wir wissen, dass wir Ganztagsschulen mit gutem pädagogischen

Personal brauchen. Wir wissen, dass Sprachförderung für Migrantenkinder weit in die Sekundarstufe I hineinreichen sollte. All das wissen wir. Das muss sofort getan werden und darf nicht mit der Bemerkung, wir hätten nicht die erforderlichen Daten, auf die lange Bank geschoben werden.

Zweitens: Klar ist natürlich auch, dass ein solches Bildungsregister datenschutzrechtlich absolut wasserfest ausgestaltet werden muss. Es darf absolut keinen Missbrauch dieser Daten geben. Das muss mit dem Datenschutz eindeutig einvernehmlich geregelt werden. Sonst kann das in dieser Form nicht umgesetzt werden. In diesem Bereich haben die Kultusminister ihre Hausaufgaben bisher noch nicht gemacht.

Ich bedanke mich für das Zuhören.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Karl-Wil- helm Röhm CDU)

Das Wort hat jetzt der Minister für Kultus, Jugend und Sport Helmut Rau.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Arnold hat als Grund für diese Debatte unter anderem das grundsätzliche Misstrauen der FDP gegenüber der Kultusministerkonferenz der Länder angegeben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Hört, hört!)

Dann, liebe Frau Arnold, müssten Sie die ganze Wahrheit über die Position der FDP zu diesem Punkt sagen. Die FDP auf Bundesebene will nicht nur die KMK abschaffen, sondern auch die Zuständigkeit der Länder für die Bildungspolitik. Das können Sie einem Landtag nicht zumuten.

(Beifall bei der CDU und der SPD sowie Abgeord- neten der Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das werden wir nicht zulassen! – Abg. Dr. Birgit Arnold FDP/DVP schüttelt den Kopf. – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das stimmt nicht! Das ist eine Einzelposition!)

Deswegen gehen wir natürlich diesen Weg, so mit der KMK umzugehen, auch nicht mit.

Jetzt zu dem Thema, das Sie hier auf die Tagesordnung gesetzt haben. Die „Zeit“ nennt Bildungspolitik ohne belastbare wissenschaftliche Untersuchungen einen „Blindflug“. Was wir aber in diesem Bereich haben, sind Stichtagsuntersuchungen oder für mich ärgerliche Datensammlungen wie „Education at a Glance 2006“,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

denen aber leider hohe Bedeutung zugemessen wird. Ich messe PISA auch eine hohe Bedeutung bei; „Education at a Glance 2006“ verfälscht die Realitäten

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

der Ergebnisse der Bildungspolitik in Baden-Württemberg und in Deutschland. Deswegen möchte ich nicht weiter von solchen Erhebungen abhängig sein.

(Minister Helmut Rau)

Was wir wirklich brauchen – und das ist unter den Experten der Bildungspolitik und den Wissenschaftlern, die uns begleiten, völlig unumstritten –, sind Längsschnittstudien, die Daten zu Bildungsbiografien aggregieren und uns Zusammenhänge erschließen, die wichtig für die weitere Entwicklung des Bildungswesens sind. Es ist einfach fundamental wichtig, zu wissen, welche Laufbahnen Schüler in ganz unterschiedlichen schulischen Zusammenhängen absolvieren können und welches Ergebnis für sie am Ende der Bildungsbiografie steht. Es nützt dabei nichts, Punktaufnahmen zu machen, die die Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt erfassen, aber nicht den ganzen Verlauf erschließen lassen. Das ist bisher bei uns nicht möglich gewesen, und wir schließen mit diesem Vorhaben eine ganz wichtige Lücke in der Bildungsforschung. Wir werden dafür verwertbare Daten auf Landesebene erheben.

Die Änderung des Schulgesetzes, der Sie alle zugestimmt haben, hat dafür die Voraussetzungen geschaffen. Die Umsetzung erfolgt durch eine Verwaltungsverordnung, die wir natürlich wieder mit dem Datenschutzbeauftragten abstimmen werden. Es geht uns überhaupt nicht darum, irgendwelche geltenden Regeln des Datenschutzes außer Kraft zu setzen, sondern es geht uns darum, mit den Daten, die wir erlangen können, vernünftige Grundlagen für die weitere Entwicklung des Bildungswesens zu schaffen.

Brauchen wir eine Auswertung solcher Daten, wie wir sie auf Länderebene erheben können, auch auf der Bundesebene? Ich glaube, ja. Wir haben eine nationale Bildungsberichterstattung beschlossen. Der Bundestag wird am 27. Oktober zum ersten Mal einen nationalen Bildungsbericht debattieren. Er wird das aber nur auf der Basis der Auswertung vorhandener Sammlungen von Daten, aber noch nicht der Auswertung eigener Erkenntnisse tun können. Wichtig ist für uns, was im Vergleich der Länder herauskommt, und zwar nicht nur, ob wir da jetzt auf Platz 1 oder auf Platz 16 stehen – Gott sei Dank ist das Letztere nie und das Erstere häufig der Fall –, sondern was man auch aus den Erfahrungen anderer lernen und für sich selbst und die eigene Weiterentwicklung verwerten kann. Wir brauchen eine stärkere eigene Bildungsforschung. Sie ist bei uns in Deutschland auch aufgrund des mangelnden Interesses über Jahrzehnte hinweg leider etwas unterentwickelt. Es gibt nur wenige Schwerpunkte der Bildungsforschung in Deutschland. Dafür brauchen wir eine solche Möglichkeit, Daten, die für wissenschaftliche Arbeiten notwendig sind, zu erheben und zusammenzuführen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Berroth?

Ja.

Bitte schön, Frau Abg. Berroth.

Herr Minister, es ist ja nachvollziehbar, was Sie hier darstellen. Aber können Sie mir bitte erklären, warum Sie dazu eine Vollerhebung brauchen? In der Wissenschaft wird doch in aller Regel für solche Dinge nur eine Stichprobe erhoben.

Ich sage Ihnen, wie der Stand der Dinge ist. Vielleicht erklärt es sich dann daraus.

Wir haben einen Beschluss der KMK aus dem Jahr 2003, dass ein Institut für Qualitätssicherung im Bildungswesen gegründet wird. Das ist inzwischen geschehen. Es ist ein Institut, das die Länder miteinander verantworten. Ebenfalls aus dem Jahr 2003 stammt der Beschluss, dass dazu eine eigene Datenerhebung durchgeführt werden wird. Diese braucht natürlich eine erhebliche Vorbereitung, und diese läuft zurzeit auf der Ebene der Amtschefs.

In der Tat ist es so, dass sich in der nächsten Woche die Kultusministerkonferenz damit beschäftigen wird. Ich sage Ihnen, was in der nächsten Woche als Beschlussvorlage auf dem Tisch liegt: nichts anderes, als dass die Kommission für Statistik den Auftrag erhält, Umsetzungsmöglichkeiten unter Einbeziehung empirischer Bildungsforscher zu prüfen, dass dabei die Belange des Datenschutzes zu beachten sind, dass dazu Gespräche mit den Datenschutzbeauftragten geführt werden und dass dann die Kommission für Statistik einen Vorschlag für die Weiterentwicklung der Statistik vorzulegen hat. Nicht mehr. Es wird ein Arbeitsauftrag erteilt, und es wird keineswegs ein Bildungsregister beschlossen. Das Bildungsregister haben wir im Grunde genommen schon im Jahr 2003 beschlossen. Jetzt geht es darum, wie es unter Respektierung aller Vorgaben des Datenschutzes umgesetzt wird.