Protocol of the Session on October 6, 2004

(Heiterkeit des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Bisher galt in der Begründung als Richtlinie, dass die wirtschaftliche Unzumutbarkeit in der Regel bei 20 % Mehrkosten eintritt.

(Abg. Gaßmann SPD: Ja!)

Für einen, der auf einer Baurechtsbehörde arbeitet, ist nichts leichter als auszurechnen: Sind das 20 %, oder sind das 19 %, oder sind das 21 %? Da die Leute viel zu tun haben, hat man gesagt: Bei 21 % geht es, bei 19 % geht es nicht. Jetzt sagen wir: Es ist der gesamte Einzelfall zu prüfen, nicht nur die Frage der 20 %. Die Abweichungen von den 20 % können sehr wohl deutlich davon abhängen, ob ein Bauherr organisatorische oder planerische Ersatzmaßnahmen für Behinderte angeordnet hat, ob er zum Beispiel dafür gesorgt hat, dass alle seine Mitarbeiter im Erdgeschoss tätig werden können. Wenn er dafür gesorgt hat, dann ist eine Überschreitung um 15 % unwirtschaftlich. Wenn er nicht dafür gesorgt hat, dann sieht es wieder anders aus. Ich denke, diese Regelung ist sehr eindeutig.

Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Die vorgelegte Änderung der Landesbauordnung ist nach meiner Meinung eine Regelung mit Augenmaß. Sie bringt den Behinderten – und das ist in erster Linie wichtig –, aber auch der Bauwirtschaft, den kleinen und mittleren Betrieben und den Gemeinden Vorteile.

Ich räume ein, dass es recht lange gedauert hat; aber längeres Nachdenken und das Ringen um eine gute Lösung haben dieser Sache nicht geschadet.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Herr Abg. Dr. Witzel, Sie erhalten das Wort.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Barrierefreies Bauen ist Bauen für die Zukunft. Es nutzt nicht nur behinderten Menschen, sondern auch alten Menschen, Menschen, die einen Kinderwagen zu bewegen haben, und anderen. Deshalb sind wir Grünen für das barrierefreie Bauen. Das habe ich schon in der letzten Plenardebatte ausgeführt und möchte das nicht alles wiederholen.

Wir Grünen sehen in diesem Gesetzentwurf einen deutlichen Fortschritt. Wir haben uns schon bei der Novellierung der Landesbauordnung im Jahr 1995 dafür eingesetzt, dass die Barrierefreiheit auch im allgemeinen Wohnungsbau eingeführt wird. In dieser Richtung vollzieht der Gesetzentwurf einen Schritt nach vorn, und das sehen wir als eindeutig positiv an.

Um mich nicht zu wiederholen, möchte ich mich nun mit den zwei Änderungsanträgen der SPD-Fraktion auseinander setzen.

Der Änderungsantrag Drucksache 13/3615-2 begehrt, keine Ausnahmen von der Anforderung der Barrierefreiheit zu machen. Wir werden diesen Antrag ablehnen. Die SPD will in Artikel 1 Nr. 3 den Absatz 3 von § 39 einfach streichen. Das würde bedeuten, dass keine Ausnahmen mehr möglich sind.

(Zuruf des Abg. Gaßmann SPD)

Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Ein Bürogebäude soll aufgestockt werden; dann wird Barrierefreiheit gefordert. Der Grundsatz der Barrierefreiheit gilt weiterhin. Wer davon abweichen will, muss einen Ausnahmeantrag stellen und den unverhältnismäßigen Mehraufwand darlegen. Es sollen zusätzlich – das steht in der Begründung zum Gesetzentwurf – die relevanten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Bei einem Bürogebäude muss dann zum Beispiel berücksichtigt werden, wo Publikumsverkehr stattfindet und wo sich nur Büros von Sachbearbeitern befinden.

(Abg. Hofer FDP/DVP: So ist es!)

Beim Publikumsverkehr ist für uns natürlich sehr entscheidend, dass dort keine Barrieren aufgebaut werden.

(Abg. Fischer SPD: Das ist klar!)

Wenn aber der Investor oder der Bauherr darlegt, dass er den Betrieb so organisieren kann, dass auch ein behinderter Sachbearbeiter ohne Probleme in dem Betrieb untergebracht werden kann und dass keine Schranken für ihn entstehen, dann ist es aus meiner Sicht durchaus vertretbar, nicht auf der Barrierefreiheit zu beharren, sondern – bei unzumutbarem Mehraufwand – eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen.

Fazit: Wir meinen, der Bauverwaltung kommt ein hohes Maß an Verantwortung bei der Auslegung dieser neuen Regelung zu. Ich sage schon an dieser Stelle zu: Wir Grünen werden darauf achten und in Gesprächen mit den Verbänden der Behinderten immer wieder nachfragen, ob die Regelung zu großzügig ausgelegt wird oder ob man an Ausnahmegenehmigungen mit Augenmaß herangeht. Wenn sich erweisen sollte, dass eine zu großzügige Auslegung erfolgt, behalten wir uns vor, eine Änderung einzufordern.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Dr. Witzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Gaßmann?

Ja, bitte.

Herr Kollege Witzel, ist Ihnen bekannt, dass die Möglichkeit zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen bisher in § 39 LBO für den Altbau gegeben ist und dass unser Streichungsantrag nur darauf abzielt, dass die jetzt vorgesehene Ausnahmemöglichkeit nicht für den Neubau gelten soll? Damit fällt auch Ihr Beispiel, das Sie gerade geliefert haben, nämlich die Aufstockung eines Bürogebäudes, nicht unter die beantragte Streichung.

Herr Gaßmann, ich halte mich an den Text des Gesetzentwurfs Drucksache 13/3304. Sie wollen in Artikel 1 Nr. 3 den Absatz 3 des § 39 streichen, also die Ausnahmeregelung, die nicht eindeutig auf den Neubau bezogen ist, sondern allgemein gilt. Damit sind dann keine Ausnahmen mehr möglich.

Ich möchte zu Ihrem zweiten Änderungsantrag, dem Änderungsantrag Drucksache 13/3615-1, kommen: „Nutzbarkeit und Barrierefreiheit“. Das Anliegen, das Sie von der SPD begehren, halten wir für berechtigt. Die Barrierefreiheit ist aber ein schillernder Begriff, denn es ist nicht klar festgelegt, was Barrierefreiheit bedeutet.

(Abg. Hofer FDP/DVP: So ist es!)

In den DIN-Normen gibt es zwei Spielarten der Barrierefreiheit, zum einen das altengerechte Bauen, was bedeutet, dass keine Schwellen errichtet werden, und zum anderen das rollstuhlgerechte Bauen, was wesentlich schärfere Anforderungen stellt. Mit dem, was die Landesregierung vorlegt, haben wir nur das so genannte altengerechte Bauen verwirklicht.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Richtig!)

Das ist im Vergleich zu dem, was es vorher gab, eindeutig ein wichtiger Fortschritt, den wir sehr begrüßen.

Sie verlangen jetzt zusätzlich, dass auch das rollstuhlgerechte Bauen gefordert wird, und zwar bei allen Wohnun

gen eines Geschosses. Ich sehe diese Kombination als schwierig an. Denn wenn wir eine Wohnung so zuschneiden wollen, dass sie rollstuhlgerecht ist, müssen möglicherweise auch tragende Wände verändert werden, und dann ist es von der Statik her wirklich ein Problem, nebeneinander liegende Wohnungen rollstuhlgerecht zu gestalten, weil das dann Auswirkungen auf das ganze Gebäude hätte. Deshalb haben wir auch in der Debatte, die im Vorfeld abgelaufen ist, immer wieder angeregt, was auch die Architektenkammer vorgeschlagen hat, nämlich nicht vorzugeben, dass die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei sein müssen, sondern den Architekten die Freiheit zu lassen, die barrierefreien Wohnungen auch übereinander anzuordnen. Dann könnte man Ihrem Anliegen auch wesentlich leichter gerecht werden. Aber sobald tragende Wände betroffen sind, ist es nicht klug, zu sagen: Wir wollen die Wohnungen eines Geschosses rollstuhlgerecht ausgestalten.

Wenn Sie Freiheit lassen und sagen, ein gewisser Prozentsatz der Wohnungen muss barrierefrei sein, haben Sie unsere Unterstützung. Aber in dieser Form sehen wir gewisse Schwierigkeiten, und wir werden uns deshalb bei diesem Antrag der Stimme enthalten, wobei wir Ihr Anliegen eindeutig im Kopf haben und auch weiter mit verfolgen werden.

Weshalb werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen? Die Neuregelung, dass mehr altengerechte Wohnungen geschaffen werden, ist ein eindeutiger Fortschritt gegenüber dem, was wir bisher haben. Deshalb findet der Gesetzentwurf unsere Zustimmung.

(Beifall bei den Grünen und der Abg. Heiderose Berroth und Hofer FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Innenminister Rech.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Kollegen! Zunächst einmal Dank an alle, die daran mitgewirkt haben, dass wir einen Gesetzentwurf vor uns liegen haben, der in die richtige Richtung geht und uns einen guten Schritt voranbringt. Gleichzeitig habe ich die Bitte: Lassen Sie uns diesen Erfolg und unsere gemeinsame Freude über diesen richtigen Schritt jetzt nicht durch allzu viele Klein-Klein-Diskussionen beschweren, die natürlich alle irgendwo auch berechtigt sind, aber wir haben doch in vielen Sitzungen, in Anhörungen und in den Ausschüssen die Argumente ausgetauscht. Freuen wir uns doch lieber darüber, dass wir hier, wie gesagt, einen Schritt vorankommen!

(Abg. Rückert CDU: Richtig!)

Der Gesetzentwurf bringt im Wesentlichen zwei Änderungen, die Sie kennen.

Bei der ersten, nämlich dem neuen Absatz 3 in § 35 LBO, geht es um die Anforderungen, die in einer Übergangsphase bis Ende 2008 nur für Wohngebäude mit mehr als sechs Wohnungen und danach auch für Wohngebäude mit mehr als vier Wohnungen gelten. Mit der geplanten Einführung der barrierefreien Erreichbarkeit der Wohnungen eines Geschosses sollen zum ersten Mal Anforderungen zum barrierefreien Bauen im Bereich des Wohnungsbaus in der Landesbauordnung verankert werden.

(Minister Rech)

Natürlich, meine Damen und Herren Kollegen, wäre es wünschenswert – dies wurde ja auch mit entsprechender Begründung von den Behinderten- und Sozialverbänden gefordert –, nicht nur die barrierefreie Erreichbarkeit der Wohnungen eines Geschosses gesetzlich vorzuschreiben, sondern gleichzeitig auch die barrierefreie Nutzbarkeit nach DIN,

(Abg. Gaßmann SPD: Dann machen Sie es doch!)

wonach natürlich insbesondere erweiterte Bewegungsflächen für Rollstuhlfahrer vorzusehen wären. Aber diese weiter gehenden Regelungen würden in vielen Fällen zu ganz erheblichen Mehrkosten beim Bau führen, und dies wäre in der sehr schwierigen Situation, in der sich der Wohnungsbau derzeit befindet, nicht sinnvoll, weil das zusätzliche negative Auswirkungen auf die Investitionsbereitschaft hätte. Dies müssen wir doch einfach zur Kenntnis nehmen. Derartige Regelungen wären kontraproduktiv, und das wollen wir nicht.

Ich verbinde mit der Gesetzesänderung die Hoffnung, dass die neue gesetzliche Verpflichtung zur barrierefreien Erreichbarkeit die Sensibilität für Wohnbedürfnisse behinderter Menschen erhöht. Ich bin sicher, dass viele Investoren zu der Erkenntnis gelangen werden, dass es durchaus in ihrem eigenen persönlichen und wirtschaftlichen Interesse sein kann, über das gesetzlich geforderte Maß hinaus einen Teil des Wohnungsbestands umfassend barrierefrei nutzbar zu gestalten.

Die zweite wesentliche Änderung ist die Aufnahme einer allgemeinen Ausnahmeklausel in § 39 Abs. 3 LBO. Damit soll den Baurechtsbehörden die Möglichkeit gegeben werden, in Einzelfällen Ausnahmen von den Anforderungen zuzulassen, soweit diese Anforderungen nur mit einem unverhältnismäßigen Mehraufwand erfüllt werden können.

Seit dem Jahr 1996 ist für zahlreiche öffentliche und gewerbliche Gebäude die Barrierefreiheit umfassend vorgeschrieben. Diese Regelungen, meine Damen und Herren, führen aber immer wieder zu Härten, zum Beispiel dann, wenn in Kindergärten, kleinen Bürogebäuden oder Handwerksbetrieben wegen einzelner Nebenräume ein Aufzug eingebaut werden muss, der ansonsten nicht erforderlich wäre. Das führt natürlich immer wieder zu Beschwerden von Bauherren und Planern – diese Beschwerden nehmen zu –, die die Mehrkosten oftmals zu Recht als völlig unzumutbar empfinden.

Ich glaube, es herrscht weitgehende Übereinstimmung auch in diesem Haus, dass die geplante flexiblere gesetzliche Regelung dringend notwendig ist, um diese Härten im Einzelfall ausgleichen zu können. Insbesondere – dies wird so sein, und deswegen wird das Ganze nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch in die Realität umgesetzt werden; dafür stehe ich – können die Baurechtsbehörden planerische und organisatorische Ersatzmaßnahmen des Bauherrn und Nutzers zugunsten – ich sage es noch einmal: zugunsten – der behinderten Menschen im Umfang der zu stellenden baulichen Anforderungen berücksichtigen.

Ich weise in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hin, dass insbesondere zur Entlastung kleinerer Produktionsstätten und Handwerksbetriebe der Auffangtatbestand

des § 39 Abs. 2 LBO so eingeschränkt werden soll, dass in Zukunft unbenannte Nutzungseinheiten nur noch dann barrierefrei zu erstellen sind, wenn sie eine Nutzfläche von über 1 200 Quadratmetern aufweisen. Bislang lag diese Grenze bei 500 Quadratmetern pro Geschoss bzw. 1 000 Quadratmetern Nutzfläche insgesamt.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Initiative zu diesem Gesetzentwurf – darauf will ich noch einmal hinweisen – geht auf einen gemeinsamen Wunsch der Landtagsfraktionen in der 12. Legislaturperiode zurück. Der Einbringung des Gesetzentwurfs – das habe ich vorhin schon gesagt – sind viele Abstimmungen und Vorgespräche zwischen den Landtagsfraktionen und der Landesregierung sowie insbesondere eine sehr umfassende Anhörung aller davon berührten Verbände vorausgegangen.