Protocol of the Session on June 9, 2004

Natürlich möchte ich auch darauf hinweisen, dass die Standortfrage nicht das allein Entscheidende ist. Es ist im

merhin möglich, dass ein Gericht Außentermine wahrnimmt. Im Zweifel soll der Richter und nicht der Kunde reisen.

(Abg. Fischer SPD: Wohin?)

Zu einem Außentermin.

(Abg. Fischer SPD: In welchem Gebäude?)

Da wird es doch genügend Möglichkeiten geben. Das wird übrigens auch heute schon gemacht.

(Abg. Fischer SPD: Aha! Irgendwohin, und dann Hotelzimmer anmieten!)

Zum Thema „Grundbuch und wo es geführt werden soll“ gibt es im Moment keinen Änderungsbedarf, vor allem nicht nach den Beschlüssen der Koalition zu dieser Justizreform. Ich sehe das genauso wie Sie, Herr Stickelberger. Es hat sich bewährt, dass im badischen Landesteil das Grundbuch bei den Gemeinden geführt wird. In Württemberg geschieht das beim württembergischen Bezirksnotariat. Das württembergische Bezirksnotariat hat sich ebenfalls bewährt. Wir wollen daran nichts ändern. Von daher müssen wir dieses Thema nicht weiter behandeln.

(Abg. Moser SPD: Wissen Sie, wer den Weltunter- gang beschreiben muss?)

Über den Weltuntergang können Sie nachher sprechen.

(Lachen der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Lassen Sie mich fortfahren und zum Thema Handelsregister kommen. Wir unterstützen nachdrücklich den Vorschlag der Justizministerin, das Handelsregister auf die Industrieund Handelskammern in Baden-Württemberg zu übertragen. So ist das auch am 26. November letzten Jahres in der Koalition beschlossen worden.

(Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP)

Die Führung des Handelsregisters gehört nicht zu den Kernaufgaben der Rechtspflege, und die Kammern verfügen über registerrechtliches Know-how. Bei den Kammern ergäbe sich die Möglichkeit, die Dienstleistung von der Beratung bis zur Eintragung ins Handelsregister aus einer Hand zu erbringen.

(Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP – Abg. Theu- rer FDP/DVP: So ist es!)

Die Gebühren werden weiterhin aufwandsbezogen sein.

Die Kammern können im Zweifel die Leistung preisgünstiger erbringen. Hier könnte ein gewisser Einspareffekt eintreten.

(Zuruf des Abg. Oelmayer GRÜNE)

Natürlich brauchen wir dazu die Voraussetzungen im Bundesrecht. Hier scheint es so, dass die Bundesregierung und die Mehrheit der im Bundestag vertretenen Parteien dies noch nicht eindeutig sehen. Vielleicht können Sie Ihren Einfluss geltend machen, damit wir an dieser Stelle weiterkommen. Dann könnten wir nämlich beides machen: Wir

könnten das Handelsregister auf die Industrie- und Handelskammern übertragen, und wir könnten gleichzeitig das elektronische Handelsregister einführen. Damit hätten wir eine Reform aus einem Guss.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU – Abg. Rech CDU: Das klang sehr plausibel!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Theurer.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann in Baden-Württemberg nicht über die Justizreform sprechen, ohne in Erinnerung zu rufen, dass die baden-württembergische Justiz im Vergleich zu der der anderen Bundesländer hervorragend dasteht, weil sie nachweisbar mit der geringsten Zahl von Richterinnen und Richtern, gemessen pro tausend Einwohner, in kürzesten Verfahrensdauern Recht spricht. Meine Damen und Herren, einen besseren Leistungsnachweis gibt es nicht.

Trotzdem muss sich auch die baden-württembergische Justiz in der derzeit sehr angespannten Finanzlage der Herausforderung stellen, wie man mit weniger Mitteln auskommt. Deshalb stellt sich auch im Bereich der Justiz für die Landesregierung und die sie hier im Hause tragenden Fraktionen die Frage: Wie kann man die Justiz modernisieren und weiterentwickeln?

Deshalb lag auch der Justizreform, die wir heute Morgen mit beraten haben, der Gedanke zugrunde, dass man die Aufgaben auf die Kernaufgaben des Staates zurückschneidet und die Bereiche, die man privatisieren kann, in private oder freigemeinnützige Trägerschaft überführt.

Im Bereich des Grundbuchwesens, das Sie ja angesprochen haben, haben wir im badischen Rechtsgebiet einen Einstieg in eine Reform geschafft, aber nicht – das wissen Sie auch alles – das Endziel erreichen können, das die FDP/DVPFraktion ursprünglich erreichen wollte. Wir haben in Baden-Württemberg immer noch 741 Grundbuchämter. Dadurch verfügen etwa zwei Drittel unserer Gemeinden über ein Grundbuchamt. Die ganze Situation ist ja nicht Fisch und nicht Fleisch. Wir haben nicht in jeder Gemeinde ein Grundbuchamt – wir haben ja 1 111 Gemeinden in BadenWürttemberg –, wir haben aber wesentlich mehr Grundbuchämter als andere Bundesländer. Überlegen Sie sich: Nordrhein-Westfalen, das fast die doppelte Einwohnerzahl wie Baden-Württemberg hat, erledigt das Grundbuchwesen mit 130 Grundbuchämtern, Baden-Württemberg hat 741.

Der ursprünglich von uns auch einmal in die Diskussion gebrachte Vorschlag sah eine Reduktion der Zahl der Grundbuchämter auf 108 vor, nämlich durch die Übertragung auf die Amtsgerichte. Das ist, wie Sie alle wissen, nicht durchsetzbar gewesen, weil dafür eine große Reform des Notariatswesens erforderlich gewesen wäre.

Ich bin gespannt, wie im Zuge der europäischen Rechtsprechung und der europäischen Rechtsvereinheitlichung die Entwicklung im Bereich der Grundbuchämter und Notariatsangelegenheiten weitergeht, weil nun auch das einzige

andere EU-Mitgliedsland, das noch unsere Notariatsregelung hatte, nämlich Portugal, mittlerweile zu den freien Anwaltsnotaren übergegangen ist oder jedenfalls die entsprechenden Grundsatzentscheidungen getroffen hat. So viel, meine Damen und Herren, zu den Grundbuchämtern.

Ich komme zum Handelsregister. Die Handels- und Genossenschaftsregister werden zurzeit bei 53 Amtsgerichten geführt, wobei es noch keinen flächendeckenden EDV-Einsatz gibt. Wir sehen uns also der Herausforderung ausgesetzt, dass große Aufrüstkosten auf die Justiz zukommen. Die Register sollen nach unseren Vorstellungen, nach den Vorstellungen der FDP/DVP-Fraktion, aber auch der Landesregierung von Baden-Württemberg und der sie tragenden Koalitionsfraktionen, auf die Industrie- und Handelskammern übertragen werden, und zwar bei gleichzeitiger Umstellung auf die elektronische Registerführung.

Dies hätte aus Sicht der FDP/DVP-Fraktion die folgenden eindeutigen Vorteile: Die Registerführung gehört nicht zu den Kernaufgaben der Gerichte, kann deshalb also an Körperschaften des öffentlichen Rechts abgegeben werden. Die Personaleinsparung des Landes ist doch erheblich. Es wird mit einem Wegfall von Sachkosten in Höhe von rund 16 Millionen € im Bereich der Beihilfe und in Höhe von 136 Millionen € bei den Pensionsleistungen gerechnet. Außerdem werden Investitionskosten in Höhe von 5,4 Millionen € für die Einführung eines elektronischen Handelsregisters durch das Land eingespart, wenn wir die Handelsregister auf die Industrie- und Handelskammern übertragen können. Außerdem wäre damit auch die europarechtliche Vorgabe zur elektronischen Registerführung erfüllt, und wir hätten eine dezentrale Situation geschaffen, eine Beratung und Eintragung aus einer Hand bei den Industrie- und Handelskammern mit zwölf Registerstandorten im Land.

Wie Sie wissen, müssen wir das elektronische Handelsregister einführen. Im Moment sind dafür zwei Standorte in der Diskussion, um entsprechende Einsparerfolge zu erzielen. Wir wollen einmal sehen, was hier in der Diskussion noch herauskommt. Uns wäre eine dezentrale Lösung über die Industrie- und Handelskammern als Organisationen der Wirtschaft lieber. Wir appellieren an die hier vertretenen Fraktionen, die in Berlin die Mehrheit stellen, sich noch einmal für eine entsprechende Öffnungsklausel einzusetzen. Wir sprechen in Diskussionen gerne über den Wettbewerbsföderalismus, der ja besagt, dass wir die Länderebene stärken und Möglichkeiten schaffen sollten, um auch in BadenWürttemberg eine Lösung herbeiführen zu können, die vielleicht nicht in Nordrhein-Westfalen oder in Brandenburg umgesetzt wird. Aber bisher scheint sich die Mehrheit im Bundestag nicht dazu entschließen zu können, uns als Landtag von Baden-Württemberg diese Entscheidungskompetenz zurückzugeben.

Ich komme zu den Sozialgerichten. Meine Damen und Herren, auch im Bereich der Sozialgerichte sind Reformen und strukturelle Einschnitte unausweichlich, um den hohen Qualitätsstandard und die Spitzenstellung der Landesjustiz zu halten. Deshalb ist die Zusammenführung von Sozial- und Verwaltungsgerichten im Land notwendig. Ein Vorteil der Zusammenlegung besteht in der Möglichkeit eines flexiblen Einsatzes von Richterinnen und Richtern. Dadurch können

die erheblichen Belastungsunterschiede zwischen den einzelnen Gerichtsbarkeiten besser als bislang ausgeglichen werden.

Der Kollege Mack hat schon die anstehenden Veränderungen im Zuge von Hartz IV, die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, angesprochen. Die Zuständigkeit für sozialhilferechtliche Streitigkeiten wird von den Verwaltungsgerichten auf die Sozialgerichte übergehen. Dann fallen bis zu 15 % der bisherigen Eingänge bei den Verwaltungsgerichten weg, sie fallen dafür aber bei den Sozialgerichten an. Dies belegt deutlich, dass es zu flexiblem Personaleinsatz keine Alternative gibt. Er wäre umso leichter, wenn die Standorte praktisch mit den Standorten der Verwaltungsgerichte zusammengeführt würden, meine Damen und Herren.

(Beifall des Abg. Mack CDU)

Zu Qualitätsverlusten in der Rechtsprechung wird dies mit Sicherheit nicht führen. Bewährte Strukturen der Sozialgerichtsbarkeit werden wir durch eine Zusammenlegung nicht aufgeben. Das, was man einem Sozialhilfeempfänger heute zumutet, dass er zu einem der vier Standorte der Verwaltungsgerichte fährt, wird man auch demjenigen zumuten können, der zu einem Sozialgerichtstermin fahren muss.

Gerade die letzten Jahre haben ja gezeigt, meine Damen und Herren, dass sich im Sozialrecht die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse genau widerspiegeln. So hat die seit Jahren schlechte konjunkturelle Lage zu einem dramatischen Anstieg der Zahl der Verfahren bei den Sozialgerichten geführt. Dies muss ohne zusätzliches Personal in der Justiz bewältigt werden, weil ein Rechtsstaat – darauf hat die FDP/DVP-Fraktion immer hingewiesen – so gestaltet werden muss, dass der Bürger nicht nur ein Recht hat, sondern auch vor einem Gericht zu seinem Recht kommt.

(Beifall der Abg. Dr. Noll und Beate Fauser FDP/ DVP)

Weil wir wissen, dass wir keine zusätzlichen Richterstellen finanzieren können, müssen wir alle Wirtschaftlichkeitsreserven in der Justiz nutzen, damit Bürgerinnen und Bürger schneller zu ihrem Recht kommen.

Wir versprechen uns durch die erfolgreiche baden-württembergische Bundesratsinitiative zur Einführung von Gerichtsgebühren im sozialgerichtlichen Verfahren eine gewisse Entlastung. Die Sozialgerichte sehen sich wegen der Kostenfreiheit einer großen Zahl offensichtlich von Anfang an aussichtsloser Rechtsschutzbegehren ausgesetzt. Künftig soll in den bislang kostenfrei ausgestalteten Verfahren eine allgemeine Verfahrensgebühr erhoben werden, die zwar vom Kläger vorzuschießen ist, letztlich aber vom Unterliegenden zu tragen ist –

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das diskutieren wir heu- te aber nicht!)

darauf möchte ich an dieser Stelle nur hinweisen –, wobei mittellosen Verfahrensbeteiligten auf Antrag selbstverständlich Prozesskostenhilfe gewährt werden wird. Dies setzt allerdings voraus, meine Damen und Herren, dass ihr

Rechtsschutzanliegen hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet.

(Zuruf des Abg. Oelmayer GRÜNE)

Die bereits heute erhobene besondere Verfahrensgebühr, die nur von den Sozialleistungsträgern getragen wird, soll neben der neuen, allgemeinen Verfahrensgebühr auch künftig erhalten bleiben.

Zusammenfassend kann man feststellen: Die Befürchtungen der SPD-Fraktion sind unbegründet. Die Justiz in BadenWürttemberg ist leistungsfähig. Die angestrebten Reformen sind Schritte auf dem Weg in die richtige Richtung, meine Damen und Herren. Es gilt, ein funktionierendes Rechtswesen in Baden-Württemberg zu erhalten, damit Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte vor Gerichten auch tatsächlich durchsetzen können.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Mack CDU: Gut gebrüllt, Löwe!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oelmayer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die SPD lässt heute drei justizpolitische Themen im Plenum beraten. Ich werde zu diesen Themenbereichen der Reihe nach auch für unsere Fraktion kurz noch einmal Stellung nehmen.