Protocol of the Session on June 9, 2004

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die SPD lässt heute drei justizpolitische Themen im Plenum beraten. Ich werde zu diesen Themenbereichen der Reihe nach auch für unsere Fraktion kurz noch einmal Stellung nehmen.

Ich fange einmal mit der Übertragung der Handelsregister an. Auch darüber gibt es eine lange Diskussion, nicht nur in diesem Haus, sondern auch bundesweit. Ich nehme gleich vorweg: Wir als grüne Fraktion sind angesichts der derzeitigen Lage unseres Landeshaushalts der Auffassung, dass wir die Bereiche – da stimme ich voll mit dem Kollegen Stickelberger von der SPD-Fraktion überein –, die Kostendeckungsbeiträge zum Justizetat erbringen, nicht ausgliedern sollten, nicht privatisieren sollten. Deswegen, lieber Kollege Mack, können Sie an dieser Stelle leider nicht auf unsere Unterstützung in Berlin hoffen. Das ist die erste Begründung.

Die zweite Begründung: Sie wollen ja die Handelsregister auf die Industrie- und Handelskammern übertragen. Wir sehen in dieser Hinsicht schon ein grundsätzliches Problem bei dem aufnehmenden Träger, weil wir der Meinung sind, dass auch dort dringender Reformbedarf besteht.

In einer frei organisierten, freiwirtschaftlichen und auch liberalen Gesellschaft ist unseres Erachtens nach wie vor zunächst einmal zu diskutieren, ob Zwangsmitgliedschaften überhaupt noch ordnungsgemäß, standesgemäß, zeitgemäß sind. Auf europäischer Ebene wird das im Moment diskutiert, unter anderem für die Kammern – Anwaltskammern, Handwerkskammern, Steuerberaterkammern usw. Deswegen sind wir der Auffassung, dass man eine Übertragung hinein in eine ungewisse Zukunft jedenfalls derzeit nicht angehen sollte. Zudem fehlt natürlich, wie bei vielem in der so genannten großen Justizreform, die dafür erforderliche bundesgesetzliche Regelung.

So viel zum Thema „Übertragung der Handelsregister“.

Vielleicht noch eine kleine Ergänzung, weil ja vonseiten des Ministeriums immer vorgetragen wird, man könne jetzt nur noch mit einer Kostenstellenrechnung kostendeckend arbeiten. Das heißt, man kann beim Handelsregister nur noch solche Gebühren erheben, die dann auch kostendeckend sind. Solange es aber im Ministerium, jedenfalls im Justizbereich, keine Kostenstellenrechnung für die Handelsregister gibt, wird das schwierig nachzuweisen sein – und wo kein Kläger, da kein Richter. Dann besteht aus unserer Sicht erst recht kein Bedarf, mit dieser Begründung die Übertragung der Handelsregister vorzunehmen.

(Abg. Mack CDU: So machen wir weiter! Da brin- gen wir das Land nach vorn!)

Das zweite Thema sind die Sozialgerichte. – Ganz ruhig, Kollege. Es ist nicht nur ablehnend, was ich vorzutragen habe.

(Abg. Kübler CDU: Ehrlich?)

Beim zweiten Punkt, den ich vorzutragen habe – Kollege Kübler, Sie sehen, wir sind da nicht so dogmatisch –, sind wir sehr wohl der Auffassung, dass im Bereich der Sozialgerichte die angedachte Reform, nämlich die Reduzierung auf vier Gerichtsstandorte, diskussionswürdig und überdenkenswert ist.

(Abg. Theurer FDP/DVP: Sehr gut! – Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP)

Den entscheidenden Grund hat der Kollege Mack genannt. Der Grund ist nicht so sehr, dass wir der Meinung sind, dass man unbedingt die Zahl der Gerichtsstandorte reduzieren muss. Der Grund ist vielmehr, dass wir die Zusammenfassung, den Austausch unter den bisherigen Fachgerichtsbarkeiten brauchen.

(Abg. Theurer FDP/DVP: Richtig!)

Sie erinnern sich: Wir haben vor gut 10, 15 Jahren die Verwaltungsgerichte massiv mit Richterstellen bestücken müssen, weil im Bereich des Asylrechts zahlreiche Klageverfahren – ich habe jetzt die Zahl nicht mehr im Kopf – anhängig waren, die zu einer solchen Prozessflut geführt haben, dass wir neue Richterstellen bzw. Richterinnenstellen haben schaffen müssen.

Jetzt ist es aber nicht so einfach, heute zu den Verwaltungsrichtern zu sagen: „Geht bitte zu den Sozialgerichten, wo die Zahl der Fälle extrem ansteigt.“ Um diesen Austausch unter den Gerichtsbarkeiten herzustellen – das verstehen wir auch unter Synergie, das verstehen wir auch unter Kosteneinsparung – und um Effektivität in diesem Bereich herzustellen, können wir diesem Vorschlag durchaus nahe treten.

Was wir heute nicht diskutieren können – auch da bin ich mit Ihnen einer Meinung, Kollege Mack; ich habe zwar schon eine Meinung, aber ich muss sie heute ja nicht im Detail vortragen –, ist die Standortfrage. Über diese diskutieren wir dann, wenn der erste Schritt überhaupt möglich ist; denn auch dazu brauchen wir ja eine bundesgesetzliche Regelung.

Zum letzten Punkt, der heute aufgrund einer SPD-Initiative auf der Tagesordnung steht. Auch da, glaube ich, unterscheidet sich unsere Auffassung jedenfalls nicht von der meiner Vorredner, soweit ich das so richtig vernommen habe – bei der Auffassung des Kollegen Theurer bin ich mir nicht so ganz sicher,

(Heiterkeit der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

aber was die Auffassung der Kollegen Mack und Stickelberger betrifft –, dass wir das Ganze im Moment so belassen sollten, wie es ist – nicht weil das württembergische Bezirksnotariat das Licht ausmacht, wenn dann alle Lichter ausgegangen sind, sondern weil wir meinen, dass es derzeit eine effiziente Struktur gibt, dass aber auch die rechtlichen Vorgaben im Moment nicht gegeben sind, um diese große Umsetzung zu realisieren. Wenn, dann muss das natürlich im Zusammenhang mit der Notariatsreform passieren. Insofern gibt es hier also aus unserer Sicht keinen konkreten Handlungsbedarf und auch keinen konkreten Entscheidungsbedarf.

(Beifall des Abg. Zimmermann CDU)

Deswegen sind wir der Auffassung: Die Frage der Sozialgerichtsstandorte sollten wir diskutieren. Da haben wir die Kompetenz, meine Damen und Herren; der Bereich Gerichtsstandorte steht in der Kompetenz des Landtags. Wenn die bundesgesetzliche Regelung geschaffen ist, werden wir die Angelegenheit konstruktiv mit begleiten. Wenn wir dann bei den Standorten auch noch eine Lösung finden, soll es recht sein.

(Abg. Behringer CDU: Die Lösung ist bekannt!)

Das wird sicher zu einer Steigerung der Effektivität und auch der Effizienz der Gerichtsbarkeit in Baden-Württemberg beitragen, die im Übrigen schon hoch sind.

Der Kollege Stickelberger, den ich da einmal in Schutz nehmen darf, hat, glaube ich, mitnichten gesagt, Kollege Theurer, dass die Justiz nicht effizient arbeiten würde. Ich glaube, das tut sie. Die Effizienz wird sich aber noch steigern lassen, wenn wir die Gerichte an dieser Stelle zusammenführen.

(Zuruf des Abg. Theurer FDP/DVP)

Wir hätten das gern auch für andere Gerichte gehabt. Ich weiß nicht, warum man sich da aufseiten des Ministeriums und der Mehrheitsfraktionen hier in diesem Haus so sehr wehrt. 108 Amtsgerichte – ich darf das zum Schluss noch einmal sagen – sind unseres Erachtens einfach zu viel. Auch dort wäre mehr Effizienz möglich, wenn wir die Zahl der Standorte reduzieren würden.

(Zuruf des Abg. Mack CDU)

Ich hoffe, Kollege Mack, dass wir diese Fragen dort auch so konstruktiv mit Ihnen diskutieren können.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Zimmermann CDU)

Das Wort erteile ich Frau Ministerin Werwigk-Hertneck.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Anträge der SPD-Fraktion sind zwar schon etwas älter, aber ich danke trotzdem dafür, dass wir heute die Möglichkeit haben, über aktuelle justizpolitische Fragestellungen hier im Landtag von Baden-Württemberg zu sprechen.

(Zuruf des Abg. Zeller SPD)

Dankenswerterweise haben wir die wesentlichen Teile, die wir per Landesrecht ändern konnten, heute Morgen mit dem umfangreichen Gesetz zur Reform der Verwaltungsstruktur und zur Justizreform in erster Lesung verabschiedet.

(Abg. Oelmayer GRÜNE, mit Daumen und Zeige- finger einen Abstand von einem Zentimeter andeu- tend: So viel Justiz, Frau Ministerin!)

Was wir heute Nachmittag ansprechen, sind die Teile, die bundesgesetzlich in der Diskussion sind.

Im ersten Antrag geht es um die Handelsregister und andere Register und die Frage, warum wir eine Länderöffnungsklausel brauchen. Zunächst will ich einem Missverständnis entgegentreten: Das ist keineswegs lukrativ, und wir arbeiten möglicherweise überhaupt nicht mehr kostendeckend, da wir die Gebühren aufgrund europarechtlicher Vorgaben senken mussten und wir Pensionslasten überhaupt nicht einrechnen.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das haben wir ja nir- gends!)

Es war ja der Ansatzpunkt meiner Justizreformüberlegungen im letzten Jahr, zu sagen: Wir müssen einfach auch einmal schauen, ob die Bezahlung dieser 164 Stellen, die wir in diesem Bereich haben, mit ihren Pensionslasten im Jahr 2030 unseren Kindern noch zugemutet werden kann.

(Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Wenn Sie heute Morgen gesagt haben, wir sollten Aufgabenkritik üben und überlegen, was wir vom Staat weg hin zu Privaten transportieren können, ist dies ein klassisches Beispiel dafür: Handelsregister, Genossenschaftsregister und Partnerschaftsregister können auf jeden Fall auch von Privaten geführt werden. Das muss nicht über ein staatliches Gericht organisiert werden.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Fleischer CDU)

Die Diskussion auf Bundesebene läuft zäh. Die Bundesregierung ist im Moment noch nicht bereit, einer Länderöffnungsklausel zur Verlagerung der Register auf die Kammern zuzustimmen, was ich außerordentlich bedauere, und deswegen habe ich in meinem Haus – –

(Abg. Oelmayer GRÜNE unterhält sich mit mehre- ren Abgeordneten.)

Ich wiederhole: Nachdem die Bundesregierung und die Bundestagsfraktionen, die derzeit die Bundesregierung stel

(Ministerin Corinna Werwigk-Hertneck)

len, sich dazu noch nicht in der Lage sehen, bin ich leider gezwungen, das elektronische Handelsregister hier in Baden-Württemberg parallel im bestehenden System zu organisieren. Das kostet das Land 5,4 Millionen € – nur damit das bekannt ist.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Bei den Grundbüchern investieren wir zig Millionen!)

Zum anderen sage ich: Wir werden die Standortdiskussion auch bei den Handelsregistern führen. Wir hatten schon Vorüberlegungen, alle auf einen Standort zurückzuführen. Wir werden sie in den nächsten Wochen auf bis zu vier Standorte konzentriert planen müssen. Das will ich Ihnen heute auch sagen. Wir müssen das einfach organisieren. Jetzt sind Investitionen zu tätigen und die ganzen elektronischen Voraussetzungen zu schaffen. Das ist ein Riesenaufwand. Bis zum 1. Januar 2007 muss das elektronische Handelsregister laufen. Wir wissen aus anderen Bereichen – zum Beispiel aus dem Bereich des Grundbuchs –, wie aufwendig es ist, solche Daten in elektronische Form zu bringen.

Es wurde gefragt, ob es, wenn wir im Land investieren und das Handelsregister im bestehenden System umstellen, vielleicht später noch privatisierbar ist. Das ist es aus meiner Sicht. Ob die Industrie- und Handelskammern dann noch bereit sind, den ganzen Kostenaufwand mit abzugelten, wage ich zu bezweifeln. Es wäre das Beste, es jetzt zu privatisieren. Aber es ist auf jeden Fall möglich, es auch später zu privatisieren.

Zweiter Punkt: Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten. Ich danke für den Rückenwind, den Sie auch noch einmal bestätigt haben, den ich von den Regierungsfraktionen bekommen habe, die Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten auf Bundesebene voranzutreiben. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat getagt. Nächste Woche werden wir in Bremerhaven in der Länderjustizministerkonferenz das Ergebnis vorstellen.