dass man sich von einem wesentlichen Element der Tarifabsprache, nämlich der Arbeitszeit, distanziert und der Meinung ist, es wäre möglich, auf diese Weise erhebliche Kosten einzusparen. Das ist zwar theoretisch ein Weg, aber er muss außerordentlich sorgfältig unter Abwägung aller Gesichtspunkte, die auf dem Arbeitsmarkt Bedeutung haben, beschritten werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Junginger, Sie haben das Thema „Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft der Länder“ nun sehr stark auf die Frage der Arbeitszeit reduziert. Die Arbeitszeitfrage ist sicher ein wesentlicher Punkt, warum wir diesen Beschluss der Landesregierung vom letzten Jahr auch unterstützen. Denn unser Problem in Deutschland ist doch, dass wir in der Gesamtheit viel zu hohe Kosten haben. Der Traum von einer 35- oder gar 30-Stunden-Woche, den einige noch immer träumen, ist absolut ausgeträumt.
Wir müssen erreichen, dass die Arbeitszeit in allen Bereichen mindestens auf 40, möglichst aber auf 41 Stunden oder gegebenenfalls sogar auf eine längere Zeit angehoben wird,
damit wir konkurrenzfähig bleiben und der Wirtschaft damit auch ein deutliches Signal geben, dass sie gegenüber anderen wieder konkurrenzfähig wird.
Als Beispiel nehme ich einen Unternehmer aus meinem Landkreis. Er sagt, er habe ein Zweigwerk in der Schweiz und ein Werk in Deutschland. In Deutschland zahlt er einem mittleren Arbeitnehmer einen bestimmten Betrag. In der Schweiz ist der gleiche Arbeitnehmer für das Unternehmen billiger, obwohl der Arbeitnehmer netto mehr Geld in der Tasche hat.
Das liegt auch daran, dass die Schweiz die 42-Stunden-Woche hat, dass die Schweiz deutlich weniger Feiertage hat
und dass es in der Schweiz deutlich geringere Krankheitsraten gibt, weil dort eben keine solche soziale Hängematte existiert wie bei uns.
Auch hier ist es notwendig, meine Damen und Herren, dass wir im öffentlichen Dienst ein Zeichen setzen und von der 38,5-Stunden-Woche wegkommen. Wir müssen erreichen, dass die Arbeitnehmer auch im öffentlichen Dienst, wo sie keine Gefahr von Entlassungen haben – auch die Angestellten nicht, nicht nur die Beamten –, künftig 41 Stunden arbeiten.
Aber, meine Damen und Herren, ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen, warum wir es für richtig gehalten haben, dass die Landesregierung im letzten Jahr diesen Beschluss zum Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder gefasst hat. Wir halten dies auch deshalb für richtig, weil wir erreichen wollten, dass die Verhandlungsführerschaft des Bundes in den Lohnrunden beendet wird. Das wurde im Mai 2003 einstimmig von der TdL beschlossen. Das ist auch deshalb wichtig, weil – egal, wer im Bund regiert – der Bund unter Umständen von Lohn- und Gehaltserhöhungen profitiert,
Ich will das an einem Beispiel erklären. Der Bund nimmt knapp die Hälfte der Lohn- und Einkommensteuer ein. Er hat aber im Bundeshaushalt nur einen Personalkostenanteil von 15 %. Nun kann der Fall eintreten, dass die Mehreinnahmen aus der Lohn- und Einkommensteuer bei entsprechender Tariferhöhung und unter Berücksichtigung der Grenzsteuerbelastung für den Bund höher sind als die Mehrausgaben für die Bundesbeamten und die Bundesangestellten aus der Tariferhöhung.
Das zeigt eindeutig, dass, egal, wer in Berlin regiert, die Verhandlungsstärke der Arbeitgeber, wenn man durch höhere Tarifabschlüsse mehr einnimmt, niemals so gegeben
ist, wie wenn die Länder verhandeln, die über 50 % mittelbare oder unmittelbare Personalkostenanteile haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist richtig! – Abg. Rückert CDU: Richtig! – Zuruf des Abg. Sti- ckelberger SPD)
Ich habe es eben gesagt: Der erste Erfolg war, dass die TdL im letzten Jahr diese Verhandlungsführerschaft des Bundes für beendet erklärt hat. Zweitens hat die TdL im Juni letzten Jahres die Kündigung der Zuwendungs- und Urlaubsgeldtarifverträge beschlossen. Drittens hat die TdL jetzt vor wenigen Tagen die Kündigung der Tarifbestimmungen zur Arbeitszeit beschlossen – im Übrigen einstimmig. Alle Bundesländer, auch die SPD-regierten, haben zugestimmt.
Das heißt, unsere Haupterwartungen sind erfüllt. Die TdL hat sich bewegt. Wenn die Entwicklung so weitergeht, halten wir es nicht mehr für nötig, dass nun der Beschluss vollzogen wird, aus der Tarifgemeinschaft auszutreten. Wir sind dann durchaus bereit, im Rahmen der jetzt möglichen Freiheiten für die Länder individuell für die jeweiligen Länder – möglicherweise auch für einzelne Bereiche, Herr Kollege Junginger, wobei das sehr schwer wird – Tarifverträge und Tarifbestimmungen auszuhandeln. Das wird im Endeffekt dazu führen, dass die Angestellten und die Arbeiter im öffentlichen Dienst, weil sie de facto auch unkündbar sind, genauso wie die Beamten ihren Anteil für die Wettbewerbsfähigkeit in unserem Land erbringen.
Wir brauchen wieder mehr Arbeitszeit für den Einzelnen, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Dieses Signal wollen wir an die Öffentlichkeit senden. Deshalb sehen wir das als einen Erfolg des Beschlusses der Landesregierung vom letzten Jahr an. Wir sind froh, dass dieser Beschluss so gefasst worden ist und wir die entsprechenden Erfolge verzeichnen konnten.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben ja derzeit auf allen Ebenen die Diskussion um die Frage, ob sich der deutsche Föderalismus nicht in verschiedenen Bereichen auch ein Stück weit festgefahren hat. Ich denke, was für andere Bereiche gilt, dass wir nämlich in zu vielen Fällen mit Veränderungen, Verbesserungen und neuen Lösungen nicht vorankommen, gilt auch für das Gebiet des Tarifrechts.
Ich sehe überhaupt keine Probleme darin, dass einzelne Bundesländer zu unterschiedlichen Lösungen beim Tarifrecht kommen. Im Gegenteil, wenn wir uns an eine sich weltweit verändernde Umwelt anpassen wollen, müssen wir die Möglichkeit eröffnen, dass die 16 Bundesländer jeweils getrennte, eigene Wege gehen und auch etwas experimentieren und dann vor Ort, also im einzelnen Bundesland, also auch in Baden-Württemberg, mit den Vertretern der Arbeit
nehmerinnen und Arbeitnehmer verhandeln, was für das jeweilige Land, also für uns in Baden-Württemberg am besten ist, weil wir doch feststellen, dass die Situation in den neuen Bundesländern oder in den nördlichen Bundesländern allgemein möglicherweise anders ist als bei uns.
Deshalb ist die FDP/DVP-Fraktion aus grundsätzlichen Erwägungen, aber auch aus den Erfahrungen der Vergangenheit heraus für den beschlossenen Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft der Länder.
Meine Damen und Herren, wir halten es für unabdingbar, das zu machen. Ich denke, man darf das auch nicht allein unter der Überschrift „Erhöhung der Arbeitszeit“ oder möglicherweise auch „Einfrieren der Bezüge und Gehälter“ sehen, sondern es ist, denke ich, einfach eine Verbreiterung der Handlungsmöglichkeiten. Es ist eine Grundlage für mehr Vielfalt und auch für mehr Möglichkeiten, zu experimentieren.
Ich könnte mir vorstellen, dass in bestimmten Bereichen, wenn sich in Zukunft herausstellt, dass aufgrund der allgemeinen Arbeitsmarktsituation in Baden-Württemberg in bestimmten Bereichen qualifizierte Mitarbeiter schwerer zu finden sind, auch einmal Abweichungen nach oben möglich sind. Das muss man dann den Tarifpartnern überlassen. Von vornherein kann man also nicht sagen, dass das nur zum Nachteil der Arbeitnehmer wäre.
Natürlich entbrennt dann auch ein Wettbewerb zwischen den einzelnen Bundesländern. Wir sind für den Wettbewerb der Systeme. Es kann dann auch sein, dass wir uns dadurch, dass wir in Baden-Württemberg bessere, angenehmere und mehr auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zugeschnittene Angebote vereinbaren können, aus anderen Bundesländern die besten Köpfe in unsere Landesverwaltung holen.
Im Moment sieht es allerdings so aus, dass wir Möglichkeiten schaffen wollen, mit immer knapper werdenden Finanzen zurechtzukommen. Ich habe den Eindruck, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst auch bereit sind, Lösungen vor Ort mitzutragen. Ich denke, dass ein Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft ein erster Schritt ist weg von Ideologie, weg von einer Verkrustung, die wir im Tarifkartell haben, hin zu Lösungen, die an den Möglichkeiten der Länder und damit auch des Landes Baden-Württemberg orientiert sind. Deshalb unterstützt die FDP/DVP-Fraktion unbedingt den beschlossenen Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einem Jahr fährt die Landesregierung, was den Verbleib in der Tarifgemeinschaft der Länder oder den Ausstieg aus ihr betrifft, einen Zickzackkurs. Kollege Herrmann hat schon einige Stationen in der Geschichte seit April letzten Jahres beschrieben. Es hieß mehrfach, dass jetzt alle Ziele erreicht seien, die man mit dem Austritt erreichen wolle. Dennoch ist der Austrittsbeschluss bis heute bestehen geblieben.
Nachdem die Tarifgemeinschaft der Länder am vergangenen Freitag die Regelungen zur Arbeitszeit aufgekündigt hat, heißt es wieder, der Austritt sei nun nicht mehr nötig.
Deshalb einfach die Frage an Sie hier: Was gilt denn nun? Bleiben Sie jetzt in der Tarifgemeinschaft, oder treten Sie aus? Auch der Wirtschaftsminister hat gesagt, wir könnten nicht alle acht Tage heraus- und wieder hineinwollen; das ist zwar ein Jahr her, aber die Situation hat sich nicht wesentlich geändert.
Ich halte die Linie, die Herr Kollege Theurer vorgeschlagen hat, nämlich den Austritt aus der Tarifgemeinschaft der Länder, für falsch. Denn zum einen – das hat auch Ihr Wirtschaftsminister gesagt – könnte dies bei getrennten Verhandlungen, die Baden-Württemberg dann mit den Gewerkschaften führen muss, erheblich teurer werden. Das Ziel, billigere Abschlüsse zu erreichen, wie es ursprünglich – so steht es auch in der Stellungnahme zu dem Antrag – einmal vorgesehen war, wird damit also nicht erreicht. Zum anderen tagt seit Mitte letzten Jahres eine Kommission, der es darum geht, eine große Reform des Tarifrechts hinzubekommen. Das geht aber eben nur in Kooperation mit den Interessenvertretungen der Beschäftigten; es geht nicht ohne sie.
Deshalb sollte die Strategie der Landesregierung jetzt lauten, zum einen die Verhandlungen wirklich ernsthaft zu führen, um zu einer großen Reform zu kommen, und zum anderen auch Farbe zu bekennen und zu sagen: „Wir steigen aus der Tarifgemeinschaft der Länder nicht aus.“ Hier und heute ist ein guter Zeitpunkt, um ein solches Signal zu geben. Morgen tagt in Stuttgart die Tarifkommission von ver.di und wird darüber entscheiden, was nach dem Ausstieg der TdL aus dieser Arbeitszeittarifvereinbarung weiter zu tun ist.
Oberste Priorität für uns muss die Modernisierung des Bundes-Angestelltentarifvertrags haben. Sie wissen, die dazugehörigen rechtlichen Erläuterungen umfassen etwa 800 Seiten. Daran zeigt sich schon, dass man da wirklich eine Entrümpelung braucht. Wir brauchen auch eine Flexibilisierung, wir brauchen Leistungskomponenten, Öffnungsklauseln und echte Spartentarifverträge. Deshalb dürfen kurzfristige Erfolge kein Maßstab sein, sondern entscheidend ist dieses langfristige Ziel.
Dazu gehört für uns auch, dass das Land derzeit die Möglichkeiten, die es mit der Kündigung der Arbeitszeitvereinbarung jetzt hat, nicht nutzt.