Protocol of the Session on February 4, 2004

aber dennoch klar und bestimmt in der Sache. Herr Wintruff, das haben Sie wahrscheinlich nicht richtig gesehen; ich unterstelle nicht, dass Sie das nicht richtig sehen wollten. Dies ist eine ganz klare Äußerung, die sich in nichts von der Zielvorstellung, wie sie die CDU-Fraktion und wie sie auch die SPD-Fraktion vorgetragen hat, unterscheidet. Da sind wir absolut eindeutig.

Aber, meine Damen und Herren – und das ist mir persönlich in der Debatte etwas zu kurz gekommen –: Während auf der politischen Ebene, also in diesem großen gesellschaftlichen Ausspracheforum, viel an Zielvorstellungen, an Erfahrungen, an Urteilen, ja vielleicht sogar das eine oder andere Vorurteil zur Sprache kommen kann, geht es auf der verfassungsrechtlichen Ebene ein bisschen anders zu – „ein bisschen“ ist untertrieben. Im Gegensatz zur politischen Ebene gilt hier der verfassungsrechtliche Grundsatz, den auch der Verfassungsrechtler Mahrenholz in Anlehnung an ein Goethe-Zitat mit den Worten „Im Ersten bist du Herr, im Zweiten bist du Knecht“ im Zusammenhang mit der Frage der Umsetzungsmöglichkeiten richtig beschrieben hat.

Trotz solcher Gebundenheit und trotz einer Gehorsamspflicht, gewissermaßen bis ins Detail, gegenüber der Entscheidung von „Mehrheitsrichtern“ haben wir zu prüfen, was sich von unseren Zielvorstellungen her umsetzen lässt und wie und mit welchen Möglichkeiten dies umgesetzt werden kann. Dies ist, meine Damen und Herren, keine Frage von minderer Bedeutung und schon gar keine juristische Spiegelfechterei. Das ist vielmehr rechtsstaatlicher Grundsatz, an den wir gebunden sind. Ich glaube, das bestreitet niemand. Aber es muss doch noch einmal ganz klar gesagt werden: Es geht um den rechtsstaatlichen Grundsatz der Bindung von Legislative und Exekutive an die Entscheidung einer unabhängigen Verfassungsgerichtsbarkeit. Es geht in diesem Punkt genauso um Machtkontrolle und um Checks and Balances.

Dabei mag zwar interessant sein, spielt aber für die Entscheidung überhaupt keine Rolle, dass viele Vorinstanzen – Sie haben es geschildert, Herr Kollege Reinhart – hier dezidiert anderer Meinung waren und dass die drei „Minderheitsrichter“ – übrigens in einer erstaunlich scharfen Form – den „Mehrheitsrichtern“ vorwerfen, sie hätten falsch und rechtswidrig entschieden. Es steht sogar drin, sie hätten verfassungswidrig entschieden. Das sagen die „Minderheitsrichter“.

Aber was zählt, ist, dass das oberste Gericht entschieden hat und durchaus nicht alles offen gelassen hat. Wer das Urteil durchliest, sieht, dass dort ganz harte und deutliche Bewertungen drinstehen. An diese Bewertungen sind wir gebunden, und wir müssen uns darum bemühen, diese so gut wie möglich umzusetzen. Dieser rechtsstaatliche Grundsatz ist genauso wichtig wie alles andere, was wir an Werten in der Diskussion über das Thema Kopftuch damit verbinden. Er ist nicht von minderer Qualität. Deshalb bitte ich einfach darum, dass man es nicht als nebensächlich oder gar als „Herumgeeiere“ bezeichnet, wenn man sich prüft und sich darum bemüht – wie es ja alle tun und wie es auch die Kultusministerin vorgetragen hat –, das Gesetz entsprechend den Vorgaben der „Mehrheitsrichter“ bis ins Detail hinein verfassungsgemäß zu formulieren.

Übrigens sagt das außer der verfassungsrechtlichen Pflicht auch die Vernunft. Wenn wir hier nicht nur eine Zielvorstellung proklamieren wollen und der Öffentlichkeit nicht nur in schönen Worten sagen wollen, was wir wünschen, sondern wenn wir auch wollen, dass diese Ziele umgesetzt werden – was ich annehme –, dann ist es gerade kein Widerspruch, sondern dann müssen wir die Formulierung so verfassungssicher wie nur irgend möglich machen, damit

die Regelung nicht bei nächster Gelegenheit wieder aufgehoben wird.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, es kann auch nicht darum gehen – ich sage das mit Bedacht –, ob der eine oder andere bereit ist, hier verfassungsrechtliches Risiko einzugehen, etwa mit der Begründung, die „Mehrheitsrichter“ hätten ja schon prophetisch vorausgesagt, wie schwer es der Landesgesetzgeber haben werde – das trifft zu –, und dass eigentlich sowieso ein großes Prozessrisiko bestehe, ob man also bei den Formulierungen vielleicht lieber gleich ein bisschen mehr Risiko eingeht. Nein, darum kann es nicht gehen. Das Ringen um eine verfassungskonforme Regelung bis ins Detail ist verfassungsrechtliche Pflicht eines jeden Abgeordneten und darüber hinaus für mich als Juristen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Deshalb begrüße ich es sehr und bedanke mich ausdrücklich auch bei der CDU-Fraktion, insbesondere bei ihrem Fraktionsvorsitzenden Oettinger, dass die beiden Koalitionsfraktionen CDU und FDP/DVP gewissermaßen außerhalb der Reihe und der Üblichkeit und über die Anhörung im Schulausschuss hinaus eine weitere Anhörung von Verfassungsrechtlern vereinbart haben mit der Option, dass, wenn im Lichte einer solchen Anhörung etwa wirklich neue Vorschläge und textliche Veränderungen kommen, diese noch in die zweite Lesung einfließen können. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass auch Sie sagen, das könne doch nicht von vornherein ausgeschlossen sein, sondern da sei das Bessere der Feind des Guten. Ich erwarte da keine großen Veränderungen, aber ich möchte schon hören, wo im Einzelnen eine textliche Veränderung nötig ist.

Ich möchte das an einem Punkt erklären: Wir hatten innerhalb unserer Fraktion mit dem von uns herangezogenen Verfassungsrechtler Kirchhof einmal eine Diskussion geführt. Da gab es in einem Punkt eine gemeinsame Übereinstimmung, wo man gesagt hat, so wäre es vielleicht besser, das heißt verfassungsgemäßer, formuliert. Das ist bisher in den Gesetzestext noch nicht eingeflossen. Aber, meine Damen und Herren, ich gehe doch davon aus, dass man, solange man eine andere Formulierung für vielleicht besser hält, wenigstens in einer Anhörung nachfragt, ob das tatsächlich so ist oder nicht. Ich bitte Sie um Verständnis: Solange solche Dinge nicht klargestellt sind, kann ich als Abgeordneter doch nicht sagen, ich nähme eine Regelung hin, die der eigene Verfassungsrechtler als vielleicht die zweitbeste Lösung beschrieben hat. Da möchte ich schon die beste Lösung, sonst kann ich eigentlich nicht zustimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der SPD)

Ich möchte zum Schluss zwei Punkte skizzieren – denn diese Anhörung erfolgt ja, und das ist richtig so –, bei denen man schon nachfragen kann, wo es keine großen Veränderungen, aber vielleicht textliche Verbesserungen geben kann.

Gegen die Formulierung des Satzes 1 werden kaum Bedenken erhoben. Die Abgrenzung gegenüber „ähnlichen“ Äußerungen mag vielleicht in der Praxis schwierig sein, aber sie ist machbar. Das ist nicht das Problem.

Aber bei Satz 2 muss man doch noch fragen, ob er wirklich so stehen bleiben muss. Ich habe natürlich gegen die Hervorhebung des Schutzes der Menschenwürde, der Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundgesetzes, der Freiheitsgrundrechte und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung überhaupt nichts einzuwenden – im Gegenteil. Das ist in Ordnung und muss so drinstehen.

Aber man muss doch fragen, ob eine Formulierung wie „tritt eine Lehrkraft dagegen“ – gegen diese Grundrechtswerte, wie sie das Gesetz formuliert – „auf“ nicht möglicherweise gefährlich ist, wenn sie nur damit begründet wird, dass ein Teil der Befürworter mit dem Kopftuch eine mindere Stellung der Frau in der Gesellschaft und in der Familie sowie eine fundamentalistische kämpferische Stellungnahme für ein theokratisches Staatswesen verbindet, wie es in der Begründung heißt.

In allen Vorinstanzen hat niemand – das hat hier auch niemand behauptet – Frau Ludin selbst eine solche Einstellung unterstellt. Kann sie aber – so lässt sich der Gesetzestext möglicherweise verstehen – eine solche Prädikatisierung erfahren, nur weil dritte Personen Befürworter und damit Stein des Anstoßes sind? Die Eignung nach Artikel 33 des Grundgesetzes – das muss ich als Jurist einfach sagen; das wissen wir doch, das muss aber auch betont werden – schließt doch Anleihen bei Dritten eigentlich aus.

Das könnte man übrigens auch noch relativ leicht ändern. Denn der bayerische Gesetzestext vermeidet diese Gefahr gänzlich. Die Bayern machen nicht alles besser, aber man schaut ja auch ansonsten ganz gern einmal nach, wie es andere machen. Man könnte doch zum Beispiel sagen – das wurde vorhin auch von den Befürwortern zur Sprache gebracht –: Es kommt nur darauf an, wie so etwas aufseiten der Empfänger verstanden werden kann; möglicherweise kann es auch missverstanden werden. Lassen Sie es uns dann doch auch entsprechend formulieren – da möchte ich nachfragen –: „Insbesondere ist eine Gefährdung oder Störung des Schulfriedens anzunehmen, wenn solche äußeren Bekundungen als Ausdruck einer Haltung verstanden werden können, die die Menschenwürde... beeinträchtigt.“

Das sind Fragen, die man im Interesse der Sache, im Interesse der Durchsetzung unserer Zielvorstellungen stellen muss.

Schließlich, was die Regelung von § 38 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzentwurfs der Landesregierung betrifft, die gewissermaßen in apodiktischer Form – das ist vielleicht gar nicht so gemeint – sämtliche äußeren Bekundungen christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen als niemals zu beanstanden ansieht: Da muss man doch fragen – darauf haben wir schon wiederholt hingewiesen, auch mit Professor Kirchhof –, ob eine solche Formulierung in Bezug auf die äußere Form möglicherweise nicht gefährlich ist. Da möchten wir gern noch einmal nachfragen.

Liest man im Übrigen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts durch – das haben die meisten von Ihnen sicherlich getan –, so stellt man unschwer fest, dass in vielen und langen Passagen in deutlicher Form die strikte Neutralität sowie die Gleichbehandlung der Religionen und deren Sym

bole im Schulwesen verlangt werden – die strikte Neutralität und die Gleichbehandlung! Nur an zwei Stellen lässt man, relativ untergeordnet, Differenzierungen zu – Sie haben die Stellen zitiert –, insbesondere wenn es um Schultraditionen geht. Ich frage mich: Warum verwenden wir das Wort „Tradition“ und nicht das Wort „Schultradition“, wenn es schon genannt wird?

(Abg. Wieser CDU: Unsere Verfassung ist nicht neutral formuliert, Herr Kollege Hofer!)

Zur konfessionellen Zusammensetzung der Bevölkerung: Im neuen Heft der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ ist zu lesen, in dieser Hinsicht könne man gar keine Unterschiede zwischen den Religionen machen. Ich stimme der Formulierung im Gesetzentwurf zu, wonach man Unterscheidungen treffen kann – nicht nur zwischen Groß und Klein, wie das Herr Regierungspräsident a. D. Bulling macht.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP und des Ministers Dr. Christoph Palmer)

Natürlich kann man diese Unterscheidung machen. Ich wollte nur dafür werben – –

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Hofer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Wacker?

Ja, wenn ich diesen Schlusssatz noch sagen darf.

Bitte.

Ich wollte nur dafür werben, im Interesse eines guten Gesetzentwurfs noch einmal zu hinterfragen, ob die vorgesehenen Regelungen wirklich alle richtig sind, und die gemeinsame Anhörung durchzuführen, damit wir schließlich sagen können: Wir haben alles getan, um unsere Zielvorstellungen so zu verwirklichen, dass wir dazu auch stehen können.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD)

Jetzt bitte die Frage.

Bitte schön, Herr Wacker.

Herr Kollege Hofer, ich habe eine Verständnisfrage: Sind Sie mit mir der Auffassung, dass sich alle Fraktionen im Landtag darauf verständigt haben, eine gemeinsame Anhörung mit Rechtsexperten vorzunehmen, und dass darüber hinaus lediglich koalitionsintern noch einmal ein Fachgespräch stattfindet, um die gesamte Anhörung im Landtag vorzubereiten, aber nicht im Sinne einer zusätzlichen differenzierten Anhörung? Ich denke, auch hier muss man sehr wohl eine feine Differenzierung vornehmen.

Einverstanden. Alles, was der Wahrheitsfindung dient, ist mir recht. Mir ist es völlig wurscht – –

(Abg. Wieser CDU: Sehr gut! Dann kommen wir auch zu Streich! – Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

Okay. Damit wir uns nicht völlig missverstehen: Mir ist es wichtig, dass wir in der Koalition – auch als Vorbereitung der Anhörung im Schulausschuss – gemeinsam noch einmal die Punkte durchsprechen, damit wir entsprechend unserem Auftrag auch wirklich zu einer möglichst gut formulierten und verfassungskonformen Regelung kommen. Ich behaupte ja nicht, dass die jetzt vorgesehene Regelung nicht gut sei. Aber es ist nicht so, dass man da nicht in dem einen oder anderen Punkt gut daran tut, noch einmal nachzufragen. Darum geht es.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kretschmann.

(Abg. Wintruff SPD: Herr Wacker, das war sehr gut!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Prinzip hat uns doch das Bundesverfassungsgericht zwei Wege vorgegeben: Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht, weil die Probleme, die durch die religiöse Pluralität an den Schulen entstehen, im lebensweltlichen Schulalltag so schwierig sind – darauf haben ja insbesondere Sozialdemokraten hingewiesen –, dass die Schulen damit überfordert sind und diese Probleme gar nicht mehr lösen können, den Weg vorgewiesen, dass wir in Richtung einer strikteren Neutralität, also mehr in Richtung Laizismus gehen können. Das ist die eine Möglichkeit. Dann gilt das allerdings für alle Religionsgemeinschaften. Deswegen besteht genau die Gefahr, dass dies, wenn man das nicht beachtet – so wie Sie das machen –, ein Einfallstor für den Laizismus darstellt. Das ist der eine Weg.

(Abg. Wieser CDU: Das ist der Rückzug des Reli- giösen!)

Was Sie nun machen, ist der Versuch, über den Rekurs auf abendländische Bildungs- und Kulturwerte die angestammte Religion zu privilegieren.

(Abg. Wieser CDU: So ist es!)

Das kann niemals gut gehen, weil das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich von „strikter Gleichbehandlung“ spricht. Deswegen halten wir das für verfassungswidrig. Hier ist man, wie Mahrenholz gesagt hat, Herr und Knecht zugleich. Wenn Sie diesen Weg gehen wollen, dann müssen Sie auch alle Religionsgemeinschaften gleich behandeln.

Wenn man diesen Weg nicht gehen will – wir wollen diesen Weg nicht gehen –, dann müssen Sie Verfahrensweisen festlegen und aufzeigen, wie das im Einzelfall geregelt werden kann. Das ist natürlich anstrengender; das ist gar keine Frage. Das ist schwieriger; das bestreite ich keine Sekunde. Aber diese Schwierigkeit ist nur vordergründig größer.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Das ist nicht nur schwie- riger! Das ist nicht praktikabel!)

Wir können zwar alle religiösen Ansprüche aus dem Regelschulunterricht herausdrängen, aber trotzdem sind die Probleme nicht verschwunden. Wir finden sie dann an anderer Stelle der Gesellschaft wieder, an der wir sie allerdings viel schwieriger behandeln können,

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: So ist es!)