Protocol of the Session on June 28, 2001

egal, wo sie gezeugt werden.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Reinhart.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte an dem anschließen, was hier auch im direkten Zuruf diskutiert wurde, nämlich an dem Einwand des Abtreibungsarguments.

Herr Kollege Noll, ich glaube, das muss man differenzierter betrachten. Wir müssen uns dabei sowohl juristisch wie ethisch wie moralisch fragen: Ist dieser Vergleich überhaupt erlaubt? Denn Abtreibungen – das hat ja die Diskussion zur Gesetzgebung gezeigt – geschehen aus einer individuellen Konfliktsituation heraus.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: PID doch auch!)

Deshalb ist diese Schlussfolgerung einfach nicht richtig, wenn wir sie sozusagen vorübertragen.

Das Zweite: Von den Vertretern der Proargumente – ich glaube, auch damit müssen wir uns befassen – wird ja immer gesagt: Die Einführung einer neuen Technik ebnet den Weg für andere, abzulehnende Techniken. Dabei kommen die Befürworter zu dem Argument: Das ist wie beim Hammer. Mit dem kann man einen Nagel in die Wand schlagen, aber man kann damit auch jemandem den Kopf einschlagen. Übersetzt auf unser Thema muss das aber heißen: Das Schiefe-Ebene-Argument ist richtig, aber es gibt Grenzen, und die Grenzen müssen dort gezogen werden, wo eine Handlung ethisch und rechtlich nicht mehr vertretbar ist. Darum geht es bei unserem Thema. Das muss auch der

Gradmesser sein, an dem wir uns orientieren. Deshalb glaube ich, dass weder das Argument mit dem analogen Bezug auf die Abtreibungsdebatte noch das Schiefe-EbeneArgument hier greifen darf. Insoweit, Herr Kretschmann, sind wir uns einig.

Ich möchte an dieser Stelle an die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten erinnern. Er hat hier völlig zu Recht die Verfassungslage zitiert. Die Verfassungslage mit den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes ist sehr wohl historisch gewachsen für uns und auch für unsere Gesetzgebung in der Normenhierarchie, denn daran müssen unsere Gesetze und Gesetzesänderungen gemessen werden. Dabei steht für uns die Würde des Menschen an oberster Stelle. Das ist auch die gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen, nämlich dahin gehend, dass wir sagen müssen: Das Recht auf Leben und die Unantastbarkeit der Würde des Menschen sind keine hehren Ziele, sondern sie sind die Verteidigungslinie, die der Staat zu halten hat. Es ist genau die Aufgabe der Parlamente, darauf zu achten. Daran muss sich auch die Diskussion für die Gesetzgebung orientieren. Ansonsten würden wir die Grenzen völlig vermischen. Das wollte ich zur Verfassungslage hier anführen; denn ich glaube, dies ist klar.

Dann kommt ein weiteres Argument. Ich finde, der Wissenschaftsminister hat das Problem der Grenzziehungsdebatte sehr qualifiziert angesprochen. Was würden unsere behinderten Menschen in Baden-Württemberg dazu sagen, wenn wir diese Diskussion und die PID ebenfalls in der jetzt von Forschern in Kiel diskutierten Form zuließen? In Baden-Württemberg ist jeder Zehnte behindert. Eine Million Menschen im Land sind von einer Behinderung betroffen; davon sind rund 70 % schwerbehindert. Eine Auslese darf es hierbei nicht geben. Deshalb darf auch der menschliche Embryo meiner Meinung nach nicht zur Biomasse degradiert werden. Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir uns deshalb in den nächsten Monaten und Jahren ernsthaft mit diesen Themen auseinander setzen, weil sie für gesetzgeberische Schnellschüsse nicht tauglich sind. Wir müssen sehen: Auch in den Kirchen – ich habe vorhin mit Vertretern der Kirchen gesprochen, die heute hier anwesend sind – ist jetzt eine intensive Diskussion in Gang gekommen. Wir sollten das bedenken, denn hier sind religiöse Fragen betroffen, hier sind ethische Fragen betroffen, hier sind Verfassungsfragen betroffen.

Die Union hat sich bereits in manchen Punkten zu klaren Grenzziehungen bekannt. Eine davon ist, dass wir die Fortschritte bei der Erforschung des therapeutischen Potenzials auch adulter Stammzellen begrüßen; denn momentan fokussieren wir uns geradezu auf die Frage der embryonalen Stammzellen und lassen die anderen Möglichkeiten der Forschung völlig außer Acht.

In der Pause hat mir Professor Beyreuther gesagt, im Grunde genommen, wenn wir uns das vor Augen halten, gehe es bei der Frage der PID sicherlich darum, dass keine industrielle Zellproduktion möglich wird. Es gibt 40 000 Versuche pro Jahr. Davon sind 8 000 Versuche bei der In-vitroFertilisation erfolgreich. Nun haben wir ganze 150 Fälle – so sagt er mir –, die überhaupt im Hinblick auf Erbkrankheiten belastet sind.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Eben!)

Völlig richtig, Herr Noll. – Die Frage ist, ob wir da überhaupt eine Gesetzgebung brauchen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Die brauchen wir!)

Das heißt, wir fokussieren uns viel zu sehr auf diese Frage, anstatt uns, nachdem es sich dort auch um reine Spekulation handelt, verstärkt auf die Frage zu konzentrieren: Was ist im Rahmen der Verfassungslage möglich? Was ist gerade bei der Forschung mit adulten Stammzellen möglich? Wo überschreiten wir die Grenzen nicht? Denn dann werden wir diesseits des Rubikons bleiben. Das halte ich auch für eine wichtige ethische Herausforderung.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Das Wort erhält Frau Abg. Kipfer.

Ich finde, das ist eine gute Debatte, weil wir uns alle miteinander davor bewahrt haben, uns gegenseitig irgendwelche politischen Vorwürfe zu machen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Ein bisschen doch!)

Gleichwohl habe ich nicht überall diese von mir eingeforderte Offenheit gegenüber anderen Argumentationen spüren können, auch nicht bei Ihnen, Herr Minister. Ich werte Ihre Ausführungen insoweit als persönliche Ausführungen, weil ich auch von Ihnen annehme, dass Sie in dieser politischen Debatte, die wir führen, möglicherweise noch zu anderen Auffassungen kommen. Für mich erkläre ich das jedenfalls.

Ich erkläre das insbesondere zur Diskussion darüber, ob wir bei der PID zulassen dürfen, dass man behindertes Leben von vornherein ausschalten kann. Da bin ich noch nicht ganz fertig mit meiner Überlegung. Denn das ist die ganz kritische Frage, obwohl ich wiederhole, dass in den Ländern, in denen dies bereits möglich ist, nicht feststellbar ist, dass die gesellschaftliche Akzeptanz von Behinderten irgendwie schlechter geworden wäre. Aber darüber muss man nachdenken.

Keine Antwort – von niemandem – habe ich zu der Frage gehört, die ich aufgeworfen habe: Was geschieht mit den so genannten – ich nenne das auch in Anführungsstrichen – „überzähligen“ Embryonen, die keine Einpflanzung in einen mütterlichen Organismus erfahren? Das ist nämlich die Kernfrage danach, ob wir es künftig auch sonst zulassen, dass befruchtete Eizellen nicht in mütterliche Organismen eingefügt werden. Was passiert dann mit denen? Gegenwärtig werden sie, weil es sie schon gibt – das ist eine Folge der In-vitro-Fertilisation –, in den Klinikmüll geworfen.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: So ist es!)

Das ist ein eklatanter Widerspruch zu dem, was Sie sagten, Herr Kretschmann,

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Richtig!)

wonach auch diese befruchteten Eizellen von Anfang an der Menschenwürde unterlägen. Das stimmt ja auch. Aber

was machen wir denn tatsächlich, faktisch mit der Situation, die wir vorfinden?

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Total vermeiden!)

Ich meine, dass es bei diesem Themenfeld immer eine individuelle Konfliktsituation der Frau gibt. Dies gilt zumindest unter den Voraussetzungen, die die Deutsche Ärztekammer in ihrem Entwurf niedergelegt hat, wonach dies nur unter ganz eng begrenzten Bedingungen bei offensichtlich prädisponierter erblicher Veranlagung unter sehr strengen ethischen Gesichtspunkten und nach einer verpflichtenden Beratung, die auch das Leben ohne Kinder thematisiert, eine mögliche Antwort sein kann. Vor allem legt sie offen, dass das immer ein Konflikt der Frau ist; denn sie wird gefragt: Was trage ich aus, oder was muss ich nicht austragen?

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: So ist es, ja!)

Dazu gibt es auch noch keine umfassende Antwort.

Zur Forschung möchte ich noch folgendes Argument anfügen – das läuft unter dem Stichwort „Doppelmoral“ –: Was machen wir, wenn die Forschungen in anderen Ländern zu Ergebnissen gekommen sind, die wir gerne bei uns nutzen wollen,

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

wenn solche Forschungen bei uns aber verboten sind? Das ist in der Tat eine Frage, die sich jeder selber stellen muss. Ich halte es für erlaubt, vor diesem Hintergrund zu fragen, ob wir solche Forschungen dann nicht besser bei uns zulassen sollten, genauso wie wir die PID zulassen sollten, weil sich diese Forschungen dann in unserem Rechtsrahmen vollzögen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der FDP/ DVP und der Grünen)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Noll.

Gerade auf die Fragen, die Frau Kipfer gerade wiederholt hat, habe auch ich keine wirkliche Antwort gehört – auch nicht von Ihnen, Herr Kretschmann. Ich möchte deshalb versuchen, die Probleme an praktischen Fällen deutlich zu machen.

Ich habe gesagt: Ich respektiere die Haltung, dass Sie sagen, der menschliche Zellkern sei unantastbar. Die In-vitro-Fertilisation war der Dammbruch, da überhaupt herumzumanipulieren. Übrigens gab es beim ersten Retortenbaby – daran sollte man sich einmal erinnern – 1978 einen Aufschrei, einen gesamtgesellschaftlichen Aufschrei, auch der Kirchen und, und, und. Inzwischen ist die In-vitro-Fertilisation überhaupt kein Thema mehr. Daraus folgen natürlich weitere Probleme. Deswegen glaube ich, um das Fazit zur PID vorwegzunehmen: Wir sollten das letztlich anhand eines Gesetzes über die gesamte Reproduktionsmedizin diskutieren, denn es gibt viele Grauzonen. Ich erinnere mich an Diskussionen im Sozialausschuss des Landtags von Baden-Württemberg,

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Petitionen!)

bei denen sehr nachdenklich über die Frage gesprochen wurde: Gibt es wirklich ein Recht auf ein Kind und damit auch ein Recht auf In-vitro-Fertilisation und auch noch das Recht, dass das von der Sozialversicherung bezahlt wird? Damals habe ich ganz andere Koalitionen als im Moment erlebt.

Aber noch einmal: Man sollte sich das einmal anhand eines praktischen Falls überlegen. Darauf kann mir, Herr Wissenschaftsminister, bisher niemand eine Antwort geben. Denken Sie einmal an ein Ehepaar, das unfruchtbar ist und deswegen die In-vitro-Fertilisation möchte. Das ist übrigens der springende Punkt, ob die In-vitro-Fertilisation künftig nicht allein wegen der Unfruchtbarkeit praktiziert wird, sondern auch um vorher testen zu können. Das ist nämlich der nächste Schritt. Ursprünglich war die In-vitroFertilisation eine Therapie für Paare, die auf dem üblichen Weg, durch die biologische Zeugung kein Kind bekommen konnten. Denen sollte eine Chance gegeben werden. Das wird inzwischen ethisch allgemein begrüßt.

Wenn ich zulasse, dass ein in vitro gezeugter Embryo implantiert wird – reden wir jetzt überhaupt nicht davon, ob mit oder ohne PID –, und hinterher bei der Pränataldiagnostik, die dann in aller Regel folgt, festgestellt wird, dass dieses Kind möglicherweise missgebildet zur Welt kommen wird, hat nach unserer derzeitigen Rechtslage die Frau, wenn sie den Konflikt nicht aushalten kann – übrigens sind Mann und Frau beteiligt, das muss ich immer wieder sagen –, das Recht, diesen Embryo straffrei abzutreiben, und zwar noch in einem sehr späten Stadium.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Es heißt: rechtswidrig, aber straffrei!)

Wir sollten hier nicht wieder Debatten über Abtreibung hochkochen. Aber ich sage noch einmal: Wenn ich diesen ethischen Rigorismus hier in diesem kleinen Spezialgebiet – Sie haben es ja selber gesagt – PID anwende und sehe, dass in unserer Gesellschaft 30 000-mal, egal, wie man dazu steht, tatsächlich nach Pränataldiagnostik aufgrund des zu erwartenden Konflikts zu erwartendes behindertes Leben abgetrieben wird, dann kann mir niemand sagen, darüber dürfe es überhaupt keine Diskussion geben.

Vorhin ist Westerwelle angesprochen worden. Ich meine, ich habe klar gemacht, dass ich nicht für Schnellschüsse plädiere, sondern in der Tat der Meinung bin, dass wir das sehr, sehr gründlich diskutieren müssen. Aber wenn man schon Namen nennt, sollte man auch sagen, dass ein Herr Clement von der SPD nicht nur diskutiert,

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Heutige FAZ!)

sondern schon manches in die Wege geleitet hat. Die unterschiedlichen Meinungen gehen quer durch alle Fraktionen. Ich finde es richtig, dass man sich da nicht nach einem Fraktionszwang oder nach was auch immer richtet, sondern dass jeder mit dem Wissen, das er hat, an das Problem herangeht. Da haben wir, behaupte ich, alle, die wir hier sitzen, ein Stück weit zu wenig Wissen. Denn dass wir, wie der Wissenschaftsminister gesagt hat, massenhaft Embryos allein zum Zweck der Stammzellenforschung werden pro

duzieren müssen, ist mir neu gewesen. Meine Kenntnis der Dinge ist, dass ich nur sehr wenige Embryos brauche, um viele dieser Zelllinien, die gerade importiert werden, zu entwickeln.

Die Produktion eines Embryos für Zwecke der Forschung – das ist der entscheidende Punkt – lehne ich generell ab. Aber – das ist das Thema, das Frau Kipfer angesprochen hat – was passiert mit denen, die zum Zwecke der Befruchtung gezeugt worden sind, aber niemals die Chance haben werden, weil sie sich nie werden einnisten können, und zwar bei den Stammzellen zu einem Zeitpunkt, an dem sie nicht mehr totipotent sind, also aus ihnen kein ganzer Mensch mehr entstehen könnte, auch wenn noch vielfache Organe möglich sind?