Protocol of the Session on June 28, 2001

Zunächst einmal zur Präimplantationsdiagnostik. Diese ist derzeit nicht gestattet. Derzeit kommt aber nur etwa 1 % der Embryonen durch In-vitro-Fertilisation zustande. Da diese und ihre Nachkommen steril sind, wird sich diese Frage danach mit wesentlich größerer Schärfe stellen.

Ich bin aber mit unserem Ministerpräsidenten der Überzeugung, dass die PID auch in Zukunft nicht gestattet sein darf. Es geht um die Möglichkeit der Abspaltung totipotenter Embryonalzellen. Dies ist schon deshalb abzulehnen, weil damit Klonierung verbunden ist. Aber auch die Abspaltung pluripotenter Embryonalzellen stellt uns vor die Entscheidung einer Selektion menschlichen Lebens. Daher lehne ich dies persönlich ab.

Ich anerkenne aber, dass die Vertreter einer anderen Auffassung durchaus lautere Motive haben. Es stellt sich zum Beispiel die Frage nach dem Kinderwunsch von Behinderten. Aber wir müssen auch die Gegenfrage stellen, ob dies denn unbedingt PID zur zwangsläufigen Folge hat. Ich glaube, dass dem nicht so ist.

Kommen wir zu dem Punkt der humanen embryonalen Stammzellen.

Diese Diskussion hat mit dem Antrag zweier Bonner Forscher auf Forschungen an importierten embryonalen Stammzellen begonnen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hatte im Jahr 1999 eine Position erarbeitet, die die Forschung an embryonalen Stammzellen nicht fördern und aus Sicht der DFG nicht gestatten wollte. Die DFG war der Auffassung, in Deutschland solle man sich auf die Forschung an adulten Stammzellen konzentrieren. Diese Haltung hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft in einem sehr widersprüchlichen Papier angesichts des Antrags der beiden Bonner Forscher revidiert. Aber noch im Jahr 2000

am 28. Dezember – hat der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker, formuliert:

Embryonen haben alles, um ein Mensch zu werden. Man opfert einen potenziellen Menschen, um Stammzellen herzustellen. Er wird zur Sache degradiert. Damit ist die Grenze des ethisch Vertretbaren grundsätzlich überschritten.

Die DFG hat diese Auffassung revidiert. Ich selber bin der Auffassung, dass die frühere Position der DFG nach wie vor Gültigkeit hat; denn die darin enthaltenen Argumente bestehen nach wie vor fort. Denn wenn wir diese Forschung beginnen, werden wir nicht umhinkommen, Embryonen nicht mehr als Selbstzweck, sondern zu Forschungszwecken zu erzeugen.

Die so genannten überschüssigen Embryonen – wobei ich das Wort „überschüssig“ in dem DFG-Papier schon für ein nicht vertretbares Wort halte – werden – und da ist sich die Wissenschaft weitgehend einig – für eine wirkliche, dann in Therapie mündende Stammzellenforschung nicht ausreichen. Das heißt, wir stehen nicht vor der Frage, ob jetzt ein Rubikon überschritten wird, sondern wenn wir ihn überschreiten, werden wir weitere Flüsse dieser Art überschreiten müssen und immer dem Argument begegnen: Da wir den ersten schon überschritten haben, müssten wir auch den zweiten überschreiten, um die Anwendung dieser Forschung dann wirklich fruchtbar zu machen.

Die Frage, ob dieses Verbot der Forschung an embryonalen Stammzellen auch für importierte – zugegebenermaßen nicht toti-, sondern nur pluripotente – embryonale Stammzellen gilt, möchte ich mit einem Zitat von Herrn Brüstle, einem der Bonner Forscher, aus der „Welt am Sonntag“ letzter Woche beantworten. Er sagte: „Es wird doch nur e i n Embryo getötet, wenn ich eine Stammzellkultur aufbauen will.“ Aber gerade das ist das Grundsatzproblem. Wir können hier nicht in Quantitäten denken und auch nicht fragen, ob ein inländischer oder ein ausländischer Embryo getötet wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der Grünen)

Auch mit der künstlichen Befruchtung ist dieser Rubikon nicht überschritten worden; denn bei der künstlichen Befruchtung wird ein Mensch um seiner selbst willen erzeugt. Bei einem Embryo aus embryonalen Stammzellen wird er wahrscheinlich als ein Mittel zum Zweck angesehen.

Die Grundfrage, die gestellt worden ist, ist die: Wann beginnt der Mensch? Diese Frage beantworte ich, wie sie auch schon beantwortet wurde: Es gibt eigentlich nur einen Zeitpunkt, an dem dies relativ klar ist, nämlich bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Es gibt keine entsprechende Zäsur danach.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ab der Verschmelzung entwickelt sich der Embryo nicht zum Menschen, sondern nur noch als Mensch, und das Leben ist, wie unser Ministerpräsident in der Regierungserklärung gesagt hat, ein einheitliches Gut, ein einheitliches,

(Minister Dr. Frankenberg)

unteilbares Rechtsgut, es kann keine Abstufungen von Menschsein, keine Optimierung von Menschsein – weder am Anfang noch am Ende des Lebens – geben.

Ich halte auch manche Diskussionsbeiträge wie die des Bundeskanzlers zur bioethischen Diskussion, dass diese mit ideologischen Scheuklappen geführt würde, für wenig hilfreich. Weder die Werteethik Kants noch das christliche Menschenbild, noch unsere Verfassung bauen auf ideologischen Scheuklappen auf.

Auch das Verständnis meines an sich sehr verehrten Kollegen, Herrn Markl, des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, dass der Wissenschaftler die Grenzen definiert, jenseits deren er forscht, und dass es geradezu zur Menschenwürde eines Wissenschaftlers gehöre, Grenzen zu überspringen, halte ich nicht nur für verfehlt, sondern geradezu für gefährlich.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD, der FDP/DVP und der Grünen)

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat in Erkenntnis dieser schwierigen Situation die Entscheidung über den Antrag der beiden Bonner Forscher erneut vertagt. Denn sie hat das einzig Richtige getan und argumentiert: In dieser Lage unter Zeitdruck zu entscheiden und keine gründliche Diskussion – auch in den Parlamenten – führen zu können, wäre die falscheste Antwort auf diese Anträge, und davon sollten wir uns auch nicht durch einen eventuellen Fait accompli eines einzelnen Kieler Forschers abbringen lassen.

Die derzeitige Diskussion zeigt auch, dass wir ganz am Anfang der embryonalen Stammzellenforschung stehen. Die Frage der wirtschaftlichen Verwertbarkeit stellt sich überhaupt noch nicht. Deutschland wird in seiner Forschung auch nicht zurückgeworfen, wenn wir jetzt debattieren, gründlich diskutieren, uns eine Meinung bilden und noch nicht entscheiden. Die wirtschaftliche Verwertbarkeit darf auch nicht die entscheidende Frage bei der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz von wissenschaftlichem Fortschritt sein. Auf jeden Fall gehört dieses Thema in die Politik, in die Parlamente. Wir sind gut beraten, wenn wir uns Sachverstand hinzuziehen, wenn wir den Sachverstand befragen; aber entscheiden muss die Politik und entscheiden müssen die Parlamente. Wir können diese Entscheidung nicht delegieren.

Die Landesregierung wird sich umfassend informieren. Wir werden auch den gerade vorgelegten Bericht der BushRegierung in den USA zurate ziehen, der heute, obwohl vertraulich, in der amerikanischen Presse zitiert worden ist. Dieser Bericht geht nicht von ethischen Fragen aus, sondern von der wissenschaftlichen Wertigkeit der embryonalen gegen die adulte Stammzellenforschung und kommt zu der Folgerung, dass man die Chancen der adulten Stammzellenforschung bislang weit unterschätzt hat und die Risiken der embryonalen Stammzellenforschung viel zu gering eingeschätzt hat. Wenn wir als Land auf die adulte Stammzellenforschung setzen, kann dies überhaupt nicht falsch sein, und wenn wir insgesamt keine übereilten Schlüsse ziehen, ist dies sicher der richtige Weg.

Das Land wird seine Anstrengungen auf dem Gebiet der Erforschung der Zelltherapie, auf dem Gebiet des Organersatzes durch Zelltherapie verstärken. Dies sind wir den Menschen schuldig – ca. einem von 2 000 Bürgern –, die darauf bauen, dass ihre Leiden durch derartige Therapien eventuell gelindert oder behoben werden könnten. Das heißt, wir verweigern uns nicht der Forschung. Wir werden diese Forschung verstärkt fördern. Aber wir setzen primär auf die adulte Stammzellenforschung.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und den Grünen sowie Abgeordneten der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst eine Bemerkung zur Geschäftsordnung machen, weil verschiedentlich angesprochen wurde, die Redezeiten und die Modalitäten seien nicht angemessen. Die Fraktion GRÜNE hat diese Debatte als Aktuelle Debatte beantragt. Im Präsidium sind keine anderen Vereinbarungen getroffen worden. Infolgedessen gelten die Regeln der Geschäftsordnung. Alle Redner in der ersten Runde haben die Redezeit weit überzogen. Ich bitte Sie, in der zweiten Runde – da gilt wieder eine Redezeit von fünf Minuten – die Redezeit wenigstens annähernd einzuhalten.

Das Wort erhält Herr Abg. Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Uns war natürlich bewusst, dass in einer Aktuellen Debatte dieses Thema nicht angemessen diskutiert werden kann. Aber ich glaube, dass es richtig war, sie zu beantragen; denn ich finde, die Ausführungen des Wissenschaftsministers haben hier Klarheit geschaffen über die Haltung der Landesregierung, insbesondere unter dem Eindruck der aktuellen Diskussion des Imports von embryonalen Stammzellen aus Australien. Ich finde, Herr Minister Frankenberg, dass Ihre Erklärung dazu Klarheit geschaffen hat. Ich muss einfach feststellen, dass ich zu dem, was Sie hier erklärt haben – ich kann da sicher auch für meine Fraktion sprechen –, überhaupt keine Differenzen feststellen kann und mit allem, was Sie gesagt haben, völlig übereinstimme.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte noch zwei Bemerkungen machen.

Die erste Bemerkung ist ein Appell an die FDP. Ihr Parteichef Westerwelle hat sich für schnelle Entscheidungen in der Debatte um die Gentechnik ausgesprochen und gesagt: „Politiker, die sich hinter Ethikräten verstecken, sind meines Erachtens für unsere Zeit nicht mehr tauglich.“

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das ist nicht meine Meinung! Ich glaube, ich habe das klar gesagt!)

Ich glaube, dieser Hinweis ist einfach wichtig, zumal diese Aussage im Widerspruch dazu steht, dass Herr Wirtschaftsminister Döring sogar einen Ethikrat für BadenWürttemberg gefordert hat. Das halte ich nicht für besonders sinnvoll, denn es geht hier um kein spezifisch badenwürttembergisches Problem. Ich glaube, dass es überhaupt keinen Grund für schnelle Entscheidungen gibt. Schnelle Entscheidungen in dieser Frage sind außerordentlich problematisch.

Zweitens möchte ich mich noch einmal dem pragmatischen Argument widmen: „Was geschieht, wenn wir es hier nicht zulassen? Wird es einen PID-Tourismus geben?“ Natürlich ist das ein gewichtiges Argument, aber wir müssen uns noch einmal vor Augen halten: In Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es, dass diese Menschenrechte „unveräußerlich“ sind. „Unveräußerlich“ ist ein Begriff aus der Kaufmannssprache. Das heißt, wir können in einer so fundamentalen Frage unsere Auffassung darüber, was Menschenwürde ist und wer Träger dieser Menschenwürde ist, eben nicht zum Gegenstand von Gegenseitigkeitsüberlegungen machen, was wir sonst in der praktischen Politik sicher oft zu Recht tun.

Jeder von Ihnen kann doch bestätigen, dass Sie, zum Beispiel hinsichtlich der Religionsfreiheit, oft hören: „Aber was geschieht mit den Christen in anderen Ländern?“ Wenn wir anfangen, Grundrechte nicht aus innerster Überzeugung, weil wir selber dahinter stehen, für uns zu formulieren, und wenn wir nicht versuchen, sie auch in den internationalen Gremien, die dazu da sind, durchzusetzen – das ist natürlich der Sinn der ganzen Angelegenheit und das, wovon der große Philosoph Kant, der uns die Grundlagen für diese Debatte mitgegeben hat, geträumt hat: von einer Weltbürgergesellschaft; das ist schon klar –, sondern wenn wir in solchen fundamentalen Fragen einfach praktische Erwägungen der Gegenseitigkeit zum Kriterium machen,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das wollen wir doch gar nicht!)

dann geschieht doch Folgendes: Es bewegt sich immer auf den untersten Standard zu. Deswegen steht der Begriff „unveräußerlich“ in Artikel 1 des Grundgesetzes,

(Beifall der Abg. Kleinmann FDP/DVP und Hauk CDU)

weil man das in solchen fundamentalen Fragen eben nicht machen kann, sondern das deutsche Volk quasi aus innerster Überzeugung für diese Rechte eintritt. Sie sind unkündbar und nicht davon abhängig, ob andere sie auch befolgen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Warum hat man das dann bei der Abtreibung nicht gemacht?)

Herr Kollege Noll, auf die Parallelen zur Abtreibung kann ich jetzt natürlich nicht eingehen. Aber das kann doch kein Argument sein. Schon die Pränataldiagnostik ist hoch problematisch. Wirklich jede Frau, die davon betroffen ist, kann bestätigen, welcher Druck auf sie ausgeübt wird. Sie können sich von allen möglichen Frauen, die vor der Entscheidung zur Pränataldiagnostik gestanden haben, erzählen lassen, was passiert, wenn eine Frau es wagt, zu sagen: „Nein, das möchte ich nicht machen.“ Das können wir doch nicht als Argument dafür nehmen,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Nein!)

es auch noch auf das Labor und das Reagenzglas auszuweiten. Es ist doch noch einmal eine ganz andere Kategorie, ob eine Person in einer Konfliktsituation steht

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

oder ob Forscher, die nicht in solchen Konflikten stehen, dasselbe tun.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Dr. Noll FDP/ DVP: Aber da durchbrechen Sie doch diesen ethi- schen Rigorismus!)

Nein, ich sage ja: Dies sind Fragen, in denen ein Konsens schwer herzustellen ist. Aber wir müssen uns doch alle redlich bemühen, einen Konsens herzustellen.

Meiner Ansicht nach muss er darauf abzielen: Das menschliche Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Alle anderen Lösungen lassen keine Grenzen mehr erscheinen, an denen wir uns festhalten können. Dann geschieht das, was ich mit der „schiefen Ebene“ gemeint habe und was der Minister so formuliert hat: Wenn wir den Rubikon überschritten haben, werden immer neue Flüsse kommen, die wir überschreiten müssen. Das Argument der schiefen Ebene ist wichtig, glaube ich. Wir sollten daher versuchen, uns an diesem Punkt zu einigen. Aus der Frage, wann das menschliche Leben beginnt, folgen die allerwichtigsten Konsequenzen. Wenn wir uns da einig sind, dann sind die Konsequenzen auch ziemlich klar, nämlich dass dann Embryonen an sich Träger der Menschenwürde sind,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Und nicht abgetrieben werden dürfen, in keinem Konfliktfall!)

egal, wo sie gezeugt werden.