Das Ziel der Großen Anfrage war die Frage: Reichen die Therapieplätze aus? Sie kennen die Probleme – sie sind ja auch in der Antwort dargestellt –, die gerade durch die Einsprüche der Bürgerschaft in Offenburg entstanden sind. Ich glaube, wir wären weiter und die Landesregierung könnte die Frage, die Sie aufgeworfen haben, heute sicherer beantworten, wenn dort im vollen Umfang Therapieplätze für Sexualstraftäter hätten geschaffen werden können, wie es ursprünglich beabsichtigt war.
Insgesamt wird ja auch deutlich, dass man im Ergebnis nicht davon ausgehen kann, dass alle Straffälligen, die der neuen Regelung unterliegen, wenn sie länger als zwei Jahre einsitzen, einer Therapie unterzogen werden müssen.
Denn unter Fachleuten ist ja unstrittig, dass es eine Reihe von Straftätern gibt, die schlicht und einfach nicht therapiefähig sind.
Gott sei Dank gibt es auch einen gewissen Anteil unter den Straftätern, der nicht therapiebedürftig ist. Insoweit geht man heute – auch mangels statistischen Materials; ich komme darauf noch einmal zurück – auch davon aus, dass man ausreichend Therapieplätze hat.
Für die übrigen, die Therapiefähigen, gibt es – das ist auch unstrittig, und das ist in der Antwort auf die Große Anfrage auch angedeutet – keinen Königsweg. Das ist auch richtig so. Das kennen wir aus den übrigen Therapiebereichen, beispielsweise aus dem Drogenbereich, dass es leider, muss man sagen, keinen Königsweg gibt. Insoweit müssen eben Therapiemodelle entwickelt werden, die den ganz unterschiedlichen Täteranforderungen entsprechen. Es gibt Täter, meine Damen und Herren, denen tatsächlich keine Therapie hilft und bei denen am Ende nur eine Sicherungsverwahrung die Folge sein kann.
Wir können mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die therapeutische Behandlung wirklich auch eine Rückfallprävention ist. Ich glaube, das Entscheidende in der ganzen Frage, ob wir mit den Therapiemaßnahmen Erfolg haben, ist, dass die Rückfallquote reduziert wird. In der Vergangenheit war ja auch klar – deshalb hat der Bund auch die Gesetzesinitiativen ergriffen –, dass ein längerer Freiheitsentzug ohne qualifizierte begleitende Maßnahme eher dazu beiträgt, dass es bei den Straftätern nicht zu Veränderungen in ihrem Verhalten kommt. Insoweit sind die Ansätze, glaube ich, sehr richtig, und wir erreichen ja auch mit der Therapie, so meine ich, einen adäquaten Opferschutz. Darauf kommt es ja schließlich auch ganz entscheidend an.
Ich meine, Herr Kollege Oelmayer, mit dem von Ihnen zu Recht angesprochenen Rechtsanspruch auf einen Therapieplatz muss auch eine Verpflichtung einhergehen. Das heißt, wir müssen durchaus jemandem nicht nur einen Therapieplatz anbieten, sondern wir sind, glaube ich, auch verpflichtet, jemanden gegen den eigenen Willen zu therapieren.
Das ist gerade im Drogenbereich nach wie vor umstritten, wobei ich immer noch der Meinung bin, dass es auch dort richtig wäre, in dem einen oder anderen Fall jemanden auch gegen den eigenen Willen zu therapieren. Ich glaube, gerade bei Sexualstraftätern kommen wir nicht umhin, genau dieses zu tun. Ich meine, das ist nicht nur ein Rechtsanspruch, sondern auch eine Verpflichtung, diese Therapien zu machen, wenn sie denn durch Begutachtung angezeigt sind.
Sie haben die Nachsorgeformen angesprochen. Ich denke schon, dass die Modellversuche in Ruhe bewertet werden müssen. Die Sicherungsnachsorge, wie sie in Bayern in zwei Stufen angegangen wird, ist, glaube ich, eine Möglichkeit. Es wird sich zeigen, inwieweit das bayerische Nachsorgekonzept erfolgreich ist. Möglicherweise liegen auch schon Ergebnisse vor; denn in der Antwort auf die Große Anfrage, die vom März letzten Jahres stammt, war ja angedeutet, dass bis zum Ende des Jahres 2002 möglicherweise Ergebnisse zu erwarten seien.
Ich meine abschließend: Die Rückfallraten von Sexualstraftätern müssen einfach statistisch noch besser aufgearbeitet werden – die Zusage ist ja da, dass dazu Aufzeichnungen gemacht werden –, damit wir in unserem Handeln mehr Sicherheit bekommen. Ich habe hier gerade eine Aufstellung bekommen, die aber eben auch nur ausgewählte Ergebnisse darstellt und keine zuverlässige Statistik.
Ich denke, insgesamt gibt es in den Bundesländern viel zu wenig solcher Sicherheiten für uns, dass wir nämlich tatsächlich die Rückfallquote verringern und damit zum Schutz und zur Sicherheit unserer Bevölkerung beitragen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In Deutschland wird alle 20 Minuten ein Kind sexuell missbraucht. Das müssen wir uns einmal vor Augen halten, wenn wir heute dieses Thema diskutieren. Uns allen ist klar, dass es keine absolute Sicherheit gibt und auch nie geben wird, aber es ist die Pflicht der Landespolitik, alle erdenklichen Vorkehrungen für den bestmöglichen Schutz der Bevölkerung zu treffen. Dieser setzt nun einmal eine effektive Behandlung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter unbedingt voraus. In diesem Bereich müssen absolut Prioritäten gesetzt werden. Dazu gehört eben auch die Durchsetzung des Rechtsanspruchs auf die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt, vor allem dann, wenn die entsprechende Behandlung angezeigt ist.
Es ist schon angesprochen worden: Dieser Rechtsanspruch ist nicht nur ein individueller Rechtsanspruch des Gefangenen, des Straftäters, sondern daraus folgt selbstverständlich auch die Verpflichtung der Gesellschaft, Therapieplätze bereitzustellen.
Ich möchte daran erinnern, dass schon im Jahr 1996 die baden-württembergische Landesregierung beschlossen hat – ich zitiere aus der Antwort auf unsere Große Anfrage –, zum Schutz der Bevölkerung Verbesserungen der Sicherheit im Justiz- und Maßregelvollzug herbeizuführen. Das war im Jahr 1996. Seitdem – im Moment schreiben wir das Jahr 2003 – wird versprochen und versprochen, und geändert hat sich relativ wenig. Diesen Rechtsanspruch auf einen Therapieplatz, den wir heute einklagen, hat der Bundesgesetzgeber im Januar 1998 beschlossen.
Seitdem, seit 1998, haben Sie Zeit gehabt, sich darauf einzurichten, dass in diesem Land ausreichend Therapieplätze zur Verfügung stehen müssen. Sagen Sie nicht, es hätte Ihnen von der Zeit her nicht gereicht. Das Gegenteil ist richtig; denn die Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, waren Ihnen bekannt. Es hat sich aber nichts getan. Stellen Sie sich also nicht hin und kommen Sie nicht mit Versprechungen für die Zukunft, wenn Sie seit dieser Zeit Bescheid wussten.
Es geht letztlich darum – ich habe von Anfang an darauf hingewiesen –, dass dieser Personenkreis der männlichen Sexualstraftäter effektiv behandelt wird und jemand erst dann entlassen wird, wenn er so behandelt worden ist, dass eine Folgetat so gut wie ausgeschlossen ist. Deshalb geht es heute um die Zahl der Plätze.
Wir haben ja genau diese Problematik im Regelvollzug, wo sich die Leute im Strafvollzug befinden und dort behandelt werden, und dann im Maßregelvollzug, der ja in die Zuständigkeit des Sozialministeriums fällt. Da sieht es so aus: Im Regelvollzug – das hat Herr Kollege Oelmayer ja schon dargestellt – gibt es eine Unterversorgung von 50 Plätzen. Da geht es ja um hochgefährliche Straftäter. Im Maßregelvollzug sind 800 Plätze regelmäßig belegt, aber nur 700
Betten bzw. Patienten sind letztlich vorgesehen. Das heißt, wir haben eine Unterversorgung von 100 Plätzen.
Ich möchte Ihnen einmal beschreiben, wie sich das ganz konkret im Maßregelvollzug auswirkt – ich habe vor kurzem mit einem Personalrat gesprochen –: Stellenweise sind dort in Dreibettzimmern fünf Personen untergebracht. Jetzt erklären Sie mir einmal, wie in diesem Rahmen – fünf Personen auf engstem Raum zusammen im Maßregelvollzug, ganz gefährliche Personen – eine sinnvolle Behandlung vorgenommen werden kann, vor allem mit dem Ziel, dass die Leute behandelt herausgehen. Nein, das Gegenteil trifft zu: Die Aggressivität steigt, die Unruhe steigt, und der Therapieerfolg ist von vornherein unter diesen Rahmenbedingungen zum Scheitern verurteilt.
Genau vor diesem Hintergrund stellt sich die Landesregierung hin und verbreitet noch im Mai dieses Jahres die Meldung – ich zitiere –:
Im August wird ausgeführt – ich zitiere wieder –, dass es keine Versäumnisse der Landesregierung bei der Bereitstellung von Therapieangeboten gibt.
Jetzt kommt der Hammer: Vor wenigen Tagen hat die Forensische Psychiatrie in Wiesloch einen Patientenaufnahmestopp erklärt. Ein Patientenaufnahmestopp bei diesem Personenkreis, bei den Verbrechen, die von diesem begangen werden! Das ist ein Hilfeschrei der Verantwortlichen vor Ort. Alle haben es gewusst. Seit 1998 war klar, dass dieser Termin, der 1. Januar 2003, kommt.
Diese Versäumnisse Ihrer Regierung haben natürlich erhebliche Auswirkungen auf das Personal. – Selbstverständlich hat das etwas damit zu tun.
Wir haben ja genau diese Probleme an den Schnittstellen, wenn die Sexualstraftäter aus dem Maßregelvollzug zurück
Vor allem sollte man die Auswirkungen auf das Personal berücksichtigen. Denn – auch das habe ich aus berufenem Munde – die Zahl der Sozialtherapieplätze in Baden-Württemberg ist zurzeit so hoch wie vor 25 Jahren.
Diese Zahl stimmt, sie ist belegt. Diese verheerende Situation muss man sich vor dem Hintergrund, dass wir diesen rechtlichen Anspruch seit dem 1. Januar dieses Jahres haben, einmal überlegen, vor allem wenn man weiß, dass die Staatsanwaltschaften und die Gerichte natürlich viel zögerlicher entlassen, viel härter und mit längerem Freiheitsentzug bestrafen und letztlich auch die Verweildauer im Maßregelvollzug – das ist auch schon gesagt worden – erheblich länger ist.
Kommen wir zu Ihrer Spezialdisziplin, dem Ländervergleich. Ich möchte keine lange Liste aufmachen, sondern nur die Länder Bayern und Baden-Württemberg miteinander vergleichen. In Bayern sind die Investitionen in diesem Bereich erheblich höher als in Baden-Württemberg. Pro Einwohner stellt das Land Bayern doppelt so viele Therapieplätze zur Verfügung wie Baden-Württemberg. In Zahlen: In Baden-Württemberg sind es 6,36 Therapieplätze pro 100 000 Einwohner, in Bayern 11,9. Sagen Sie jetzt nicht, die Delinquenz in Bayern sei größer als in Baden-Württemberg. Nein, die Bayern haben die Zeichen der Zeit erkannt und dementsprechend schneller und besser reagiert.
Dieses Missverhältnis hat aber auch ganz dramatische Auswirkungen auf die innere Sicherheit. Wir haben es gerade gehört: Sozialminister Dr. Repnik hat ausdrücklich davon gesprochen, dass gerade diese dramatische Überbelegung inzwischen zu einem Sicherheitsrisiko geworden ist.