Darum brauchen wir eine ausreichende Zahl von Therapieplätzen. Die Resozialisierung hat Verfassungsrang. Außerdem müssen wir auch noch etwas anderes überlegen: Wer fordert, dass die vorbehaltene Sicherungsverwahrung schon im Urteil festgeschrieben werden soll – und da sind wir uns ja alle einig, dass diese Möglichkeit geschaffen werden soll –, der muss natürlich im Gegenzug auch dafür sorgen, dass diejenigen, die unter diesem Gesichtspunkt in Haft und in Therapie kommen, auch die Möglichkeit haben, zu beweisen, dass sie eben nicht gefährlich sind. Diese Möglichkeit muss ihnen unter Rechtsstaatsgesichtspunkten zur Verfügung stehen.
Nächster Punkt: Rückfallrisiko. Sexualstraftäter sind sowohl im Maßregelvollzug als auch im Regelstrafvollzug untergebracht. Behandelte Sexualstraftäter haben eine Rückfallquote von 20 %; bei unbehandelten Sexualstraftätern beträgt die Quote 40 %. Das ist der Bereich, in dem wir uns bewegen. Die Versäumnisse in diesem Bereich führen dazu, dass wir die Opfer – –
(Abg. Dr. Inge Gräßle CDU: Die Zahlen sind ge- griffen! – Abg. Alfred Haas CDU: Das ist gegrif- fen, was Sie da haben!)
Nein, die Zahlen beruhen auf internationalen Studien. 40 % würde eine Verdoppelung der Zahl der Opfer in diesem Bereich bedeuten. Insofern fordere ich Sie auf: Hören Sie auf, das Problem schönzureden!
(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Lasotta CDU: Das macht niemand! Es redet niemand das Problem schön! – Glocke des Präsidenten)
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Großen Anfrage der Fraktion GRÜNE ist ein wichtiges rechtspolitisches Thema angesprochen worden, nämlich die Frage nach der Therapie von Sexualstraftätern, die Frage nach einem menschenwürdigen Umgang mit Gefängnisinsassen mit dem Ziel, möglichst viele dieser kranken Menschen zu resozialisieren und zu heilen. Wir wissen, wie schwierig dieses Thema zu behandeln ist, und wir wissen auch, wie schwierig dieses Thema politisch zu handhaben ist. Deshalb eignet sich dieses Thema aus meiner Sicht eben nicht für polemische Angriffe gegen die Landesregierung.
Sehr geehrter Herr Kollege Sakellariou, ich glaube, Sie haben in Ihren Aussagen, die auch in einzelnen Punkten sachlich nicht den Tatsachen entsprechen, maßlos übertrieben.
Festzuhalten bleibt, dass zum Beispiel im Maßregelvollzug hier in Baden-Württemberg der Bestand an Planbetten von 552 im Jahr 1990 auf 703 im Jahr 2002 ausgebaut worden ist. Diese von CDU und FDP/DVP getragene Landesregierung hat sich fest vorgenommen, den Ausbau weiter voranzutreiben,
(Abg. Dr. Lasotta CDU: Sehr richtig! Der Bestand wird weiter ausgebaut! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Das reicht nicht!)
Es mag ja sein, dass die Zahl noch nicht ausreicht. Aber in der derzeitigen Situation der dramatischen Steuerausfälle, mit denen wir uns konfrontiert sehen –
ich erinnere an die Diskussion heute Morgen, bei der Herr Kretschmann ja zur haushaltspolitischen Wahrheit aufgerufen hat –, muss man natürlich auch sagen, dass sich auch dieses Politikfeld in Konkurrenz mit anderen Feldern befindet. Wenn man in politischen Diskussionen steht, dann erhält man in der Öffentlichkeit, bei der Bevölkerung unseres Landes, mit Sicherheit leicht Beifall, wenn man mehr Personal für die Polizei und für den Bereich der Bildung, bei Lehrerinnen und Lehrern, fordert. Ob man jedoch auch hierfür entsprechenden Beifall erhält, weiß ich nicht. Trotzdem ist es erforderlich, dass der Ausbau, den wir uns vorgenommen haben, vorangetrieben wird.
Das Gleiche gilt auch für die Therapieplätze im Regelvollzug. Hier ergibt die Antwort der Landesregierung, dass ein weiterer Ausbau auch durch den Ausbau der Justizvollzugsanstalt Offenburg erfolgt, der unter Umständen einer Verschiebung aus Haushaltszwängen unterliegt. Aber die Landesregierung und vor allem die sie tragenden Fraktionen halten an der Notwendigkeit dieses Ausbaus fest.
Was aber entscheidend ist und ebenfalls aus der Antwort der Landesregierung hervorgeht: Man kann es nicht allein an quantitativen Größen, an Zahlen festmachen. Ich denke, es ist wichtig, dass die Landesregierung bereits 1996 – nach einigen schweren Sexualstraftaten –, also schon lange vor der Novellierung des Strafvollzugsgesetzes, eine Gesamtkonzeption zur Therapie von Sexualstraftätern und zum Schutz der Bevölkerung vor Sexualstraftätern vorgelegt hat. Dieses differenzierte Konzept, das auch moderne therapeutische Ansätze, verhaltenstherapeutische Methoden enthält, beinhaltet verschiedene Möglichkeiten bis hin zu externen Therapiemöglichkeiten.
Festzuhalten bleibt, dass seit 1997 Plätze auch im Regelvollzug geschaffen wurden, etwa in den Justizvollzugsanstalten Bruchsal, Freiburg, Heilbronn und Ravensburg. Eine weitere Ausweitung der Zahl dieser Plätze ist geplant. Dies wird von der Fraktion der FDP/DVP unterstützt. Wir ermutigen die Landesregierung, an diesem Ausbauprogramm festzuhalten. Wir wissen, dass man sich in schwierigen Zeiten nach der Decke strecken muss. Aber trotz dieser schwierigen Zeiten wollen wir die beschlossenen Ausbauprogramme weiter vorantreiben.
Von Herrn Kollegen Haas ist das Thema Therapiebereitschaft angesprochen worden. Leider müssen wir feststellen, dass einige der Sexualstraftäter gar nicht zur Therapie bereit sind. Das ist ein Problem. Wir wissen, dass wir sie dazu nicht zwingen können.
Ein Satz zur Nachsorge: In der Nachsorge lässt sich mit Sicherheit noch mehr machen. Mit großer Sorge sehen wir deshalb auch auf die Frage: Wie geht es mit der psychotherapeutischen Ambulanz weiter, die vom Bewährungshilfeverein in Stuttgart getragen wird? Im Justizhaushalt sind hierfür über den Fonds „Psychotherapie und Bewährung“ 100 000 € zur Verfügung gestellt worden. Die Projektfördermittel des Sozialministeriums sind leider ausgelaufen. Dieser Verein ist, wie viele andere Vereine im Land, auf Hilfe aus der Bevölkerung angewiesen und setzt auf die Unterstützung durch Spenden. Ich denke, es ist wichtig, dass
wir in der Bevölkerung für das Thema „Therapien für Sexualstraftäter“ gemeinsam werben und damit auch für den Schutz der Bevölkerung vor Sexualstraftätern.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist ein wichtiges Thema, das wir heute zu besprechen haben: Therapieplätze für Sexualstraftäter. Zwei Ressorts sind davon betroffen. Der Maßregelvollzug gehört in das Ressort des Sozialministers. Der inhaltliche Schwerpunkt der Großen Anfrage liegt aber in dem Bereich, den ich zu vertreten habe. Daher will ich dazu gerne Ausführungen machen.
Es ist richtig, Herr Oelmayer, wenn Sie gesagt haben, seit 1. Januar 2003 finde dieser neue § 9 des Strafvollzugsgesetzes Anwendung. Danach ist jeder, auf den die gesetzlichen Vorschriften zutreffen, in eine sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen.
1996 fanden mehrere schlimme Sexualverbrechen an Kindern statt. Deshalb wurden wir schon 1996 aktiv, noch bevor der Bundesgesetzgeber 1998 die Sollvorschrift eingebracht hat. Deswegen will ich schon gerne die Gelegenheit wahrnehmen, festzustellen, dass Baden-Württemberg somit eigentlich Vorreiter für dieses wichtige Thema im Vollzug geworden ist.
Wir sind uns alle einig: Das eine ist die Richtung Repression, Strafgesetzänderungen – da wurde vieles unternommen –, und das andere ist der wichtige Bereich der Therapie unter dem Motto „Mehr Sicherheit durch Therapie“. Das eine ist, dass man sagt: Die Allgemeinheit muss davor geschützt werden, dass diese Leute eventuell wieder rückfällig werden. Das andere ist das, was Sie gesagt haben, Herr Abg. Theurer: Man muss den Leuten helfen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen im Interesse einer Resozialisierung.
Die Leistungsbilanz in Baden-Württemberg sieht gut aus. Herr Oelmayer hat das eher anerkannt als die SPD. Ich denke, das liegt vielleicht auch daran, dass man noch einmal erklären muss, was alles gemacht wurde.
Auf der Habenseite ist zu verbuchen: die Errichtung einer Sozialtherapeutischen Abteilung für jugendliche Straftäter in Adelsheim mit 20 bedarfsdeckenden Plätzen, die fortgeschrittenen Planungen in Offenburg mit 60 Plätzen – allein dort 30 Sexualstraftäterplätze mehr –, die Erweiterung der anstaltsinternen Psychotherapie in vier Schwerpunktanstalten des Langstrafenvollzugs für 40 bis 60 Sexualstraftäter und die Bewertung und Verbesserung der externen Psychotherapie für Sexualstraftäter in dem mit 100 000 € ausgestatteten Fonds „Psychotherapie und Bewährung“ für ebenfalls 40 Sexualstraftäter. Ich kann noch mehr auflisten.
Sie wollten wissen, Herr Oelmayer, ob wir meinen, die Therapieplätze reichten aus. Ich denke, sie reichen aus. Natürlich muss die Strafvollzugsanstalt Offenburg ausgebaut
werden, müssen weitere Plätze geschaffen werden, damit diese Programme überhaupt gefahren werden können.
Wichtig ist für Sie zu wissen, dass natürlich noch flankierende Maßnahmen hinzukommen: Schulungen für Anstaltspsychologen, die im Übrigen nicht unbedingt approbiert sein müssen, und Supervision für Mitarbeiter. Wir begleiten wissenschaftlich über den Kriminologischen Dienst. Wir meinen, das ist in dem Gesamtkonzept doch ein wesentlicher Punkt, den wir bereits vollendet haben.
Sie sprachen die Leitlinien an. Es ist Ihnen versprochen worden, dass sie Ihnen geschickt werden. Ich werde dafür sorgen, dass Sie sie unverzüglich bekommen.
Diese Gesamtkonzeption ist schon älter. Sie ist im Übrigen für Bayern Vorbild. Baden-Württemberg war Vorreiter, Bayern hat anschließend diese vorbildlichen Maßnahmen, auch der Sicherungsnachsorge, durchgeführt.
(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Theurer FDP/ DVP: Da sieht man es mal wieder! Sehr gut! – Abg. Drexler SPD: Wie ist es mit Andorra?)
Ein Missverständnis muss vielleicht ausgeräumt werden. Die Behandlungsmöglichkeiten sind teils haftplatzabhängig, teils haftplatzunabhängig. Sie haben ja auch schon darauf hingewiesen. Es gilt, auch neue Trends in der Behandlungsforschung zu berücksichtigen und nicht nur konservativ den klassischen Platz besser auszuformen. Ich denke, da ist die anstaltsinterne Psychotherapie ebenso notwendig wie die Rückfallpräventionsprogramme für Gruppen von Gefangenen, sodass man es nicht nur an einem Platz festmachen kann, und für die externe Psychotherapie. Stellen Sie sich vor, es wird jemand entlassen. Er muss einfach noch die Nachsorge bekommen. Sie muss aber natürlich schon vorher im Vollzug ansetzen.
Es ist richtig: Es gibt keinen Königsweg. Wir müssen schauen, dass wir pragmatisch den Ansatz weiterverfolgen mit dem Ziel, möglichst viel Therapie für möglichst viel Sicherheit, für den Schutz der Allgemeinheit zu gewährleisten.
Wir denken, dass sich bei Sexualstraftätern durch Zwang nicht sehr viel erreichen lässt. Aber diese können, wenn sie nicht an einer Therapie teilnehmen, nicht auf Vollzugslockerungen hoffen, und ein Strafrest wird auch nicht eher ausgesetzt, sodass sich der Druck doch deutlich erhöht, an einer Therapie teilzunehmen, und vielleicht die Vernunft voranschreitet, sich einer Therapie zu unterziehen.