Protocol of the Session on May 15, 2002

Es gibt große und hohe Erwartungen an diesen Konvent. Ob er diesen Erwartungen letzten Endes gerecht wird, wird man abzuwarten haben. Wir wünschen uns dies natürlich alle.

Wir können uns aber auch Hoffnungen machen, weil wir ja auch Erfahrungen haben. Ich erinnere an den letzten Konvent damals unter Vorsitz des Altbundespräsidenten Herzog , der einen Grundrechtskatalog, eine Grundrechtscharta für Europa erarbeitet hat. Dies zeigt zumindest, dass das Instrument eines solchen Konvents geeignet ist, die notwendigen Anstöße für eine Weiterentwicklung der Europäischen Union zu geben. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass hier der Durchbruch geschafft und eine Eigendynamik entwickelt wird, die es einer anschließenden Regierungskonferenz im Jahr 2004, bei der diese Ergebnisse abgesegnet werden sollen, sehr schwer machen wird, allzu große Abstriche an den erreichten Ergebnissen vorzunehmen.

Aber, meine Damen und Herren, was sind die Ziele dieses Reformprozesses? Worum muss sich der Konvent in erster Linie kümmern? Das sind natürlich der angesprochene Verfassungsvertrag, die Verankerung der Charta der Grundrechte und die Regelung von Institutionen und ihrer Zusammenarbeit. Darüber habe ich gesprochen. Ich glaube, darüber besteht auch Einigkeit.

Es besteht wohl auch Einigkeit darüber wenn ich die Wortbeiträge meiner Vorredner richtig gehört habe , dass wir in der Tat eine neue Ordnung man könnte auch sagen: eine neue Zuordnung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union auf der einen und den Mitgliedsstaaten auf der anderen Seite brauchen. Richtschnur dieser Kompetenzzuordnung muss selbstverständlich das so genannte Subsidiaritätsprinzip sein nichts anderes, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wir sollten uns übrigens einmal bemühen, einen anderen, verständlicheren Begriff als „Subsidiarität“ zu finden. Das ist der zentrale Begriff, der Schlüsselbegriff, wenn es um diese Zuordnung geht, aber es ist ein sehr unverständlicher Begriff. Man sollte einen Preis dafür ausschreiben, wenn es gelingt, einen verständlicheren Begriff zu finden, der für jeden Bürger deutlich macht, was mit Subsidiarität tatsächlich gemeint ist.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Für uns ist klar da gibt es keinen Zweifel : Wir wollen, dass auf europäischer Ebene nur das entschieden werden kann, was nicht zumindest genauso gut in den Mitgliedsstaaten erledigt werden kann, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich will jedenfalls nach meinen europapolitischen Vorstellungen kein Europa mit einer verordneten Einheitlichkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich will ein Europa in Vielfalt, eine europäische Einheit in Vielfalt, weil ich davon überzeugt bin: Vielfalt und Wettbewerb erzeugen immer bessere Lösungen als verordnete Einheitlichkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Nur: Wer dies sagt, stellt große Anforderungen an sich selbst und provoziert geradezu neue Herausforderungen für uns alle. Denn, meine Damen und Herren, in diesen europäischen Prozess muss auch die Frage eingebettet sein: Wie gehen wir mit unserem eigenen Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland um? Diese beiden Fragen kann man in der Tat nicht voneinander trennen.

Ich sage Ihnen: Um den Föderalismus in Deutschland ist es nicht gut bestellt, jedenfalls nicht so gut, wie wir es uns wünschen. Ich denke manchmal, dass sich die Verfassungsväter, die den Föderalismusgedanken hatten und ihn damals in das Grundgesetz, in die Gesetze, in die Landesverfassungen geschrieben haben, angesichts des Kompetenzwirrwarrs und der nicht vorhandenen Zuständigkeiten mit allen negativen Folgen eigentlich im Grab umdrehen müssten. Wir müssen die Chancen nutzen, dieses Europa zu bauen, aber den Föderalismus gleichzeitig zu einem Wettbewerbsföderalismus zu machen, wie es ursprünglich gemeint war.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ralf Dahrendorf und Bundespräsident Johannes Rau Sie erinnern sich an die Reden beim Festakt zum Landesjubiläum haben uns allen genau diesen Gedanken noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt. Der Bundespräsident hat Recht. Ich will diese Stelle noch einmal zitieren, damit ganz klar ist, was wir meinen. Der Bundespräsident sagte am 27. April dieses Jahres in Stuttgart ich zitiere :

In der europäischen Verfassungsdebatte werden wir am besten dadurch für unsere Vorschläge werben, dass wir unsere Grundsätze auch bei uns im eigenen Land beherzigen und nicht nur auf europäischer Ebene Forderungen aufstellen.

Das ist genau das, was ich meine. Europa bauen heißt Subsidiarität, aber eben nicht nur im Verhältnis zwischen Europa und den Nationalstaaten, sondern genauso auch im Verhältnis zwischen den Nationalstaaten, den Regionen und den Ländern.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der Grünen)

Es stellt sich natürlich die Frage: Wie weit sind wir mit der Akzeptanz dieses Subsidiaritätsprinzips? Ich meine jetzt nicht in Baden-Württemberg, nicht im Landtag von BadenWürttemberg, auch nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auf europäischer Ebene. Wie stark ist der Schlüsselbegriff Subsidiarität heute eigentlich verankert?

Meine Damen und Herren, wenn man die Rede von Giscard d’Estaing noch einmal liest, muss man den Eindruck gewinnen, dass die Akzeptanz des Subsidiaritätsprinzips in Europa in der Zwischenzeit stärker verankert ist, als dies vielleicht noch vor zehn Jahren der Fall war. Wenn sich der Konvent das zu Eigen machen würde, Herr Ministerpräsident, was Giscard d’Estaing in seiner Stuttgarter Rede genannt hat von ihm noch als vorläufige Kernpunkte bezeichnet , dann wäre schon eine wesentliche Weichenstellung vollzogen.

Denn was sind die Kernbegriffe?

Erster Kernbegriff: Die Europäische Union muss sich auf ihre Hauptzuständigkeit konzentrieren.

Zweiter Kernbegriff: Es bedarf einer besseren und deutlicheren Aufteilung der Zuständigkeit zwischen der Union und den Mitgliedsstaaten im Rahmen der Verträge so Giscard d’Estaing.

Dritter Kernbegriff: Es muss unmissverständlich festgelegt werden, dass alle Zuständigkeiten, die nicht ausdrücklich der Union übertragen wurden, bei den Mitgliedsstaaten verbleiben.

Vierter Kernbegriff: Bei der Wahrnehmung der Zuständigkeit muss das Subsidiaritätsprinzip strikt, aber auch objektiv beachtet werden so Giscard d’Estaing, der Vorsitzende des Konvents.

Meine Damen und Herren, wenn er mit diesen Vorstellungen in die Verhandlungen des Konvents geht, dann glaube ich jedenfalls, Herr Ministerpräsident, dass wir in BadenWürttemberg auch Sie persönlich wenig Probleme haben werden, diese Grundsätze aus unserer Sicht tatsächlich durchzusetzen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Also: Diese Kernforderungen, die von baden-württembergischer Seite auch in dem Grundsatzkatalog, den wir heute beraten, aufgestellt werden, haben gute Chancen, in eine europäische Charta, in eine europäische Verfassung, in einen europäischen Kompetenzkatalog aufgenommen zu werden. Das finde ich sehr gut.

Ich will nur eine leise Skepsis anbringen, inwieweit es auch dem Europäischen Rat ich spreche nicht von der Kommission, sondern ausdrücklich vom Europäischen Rat in seiner Gesamtheit mit der Umsetzung tief greifender und weit reichender Reformen der Europäischen Union ernst ist.

Ich bin der Meinung, meine Damen und Herren: Wir können unseren Teil dazu beitragen, indem wir immer wieder deutlich machen das ist mein Credo , dass der europäische Verfassungsprozess eben auch ein Prozess für ein Europa der Bürger ist. Dazu gehören selbstverständlich die Grundrechte. Zu den Bürgerrechten und zur Bürgernähe gehört das hat der Soziologe Daniel Bell einmal formuliert, das hat auch der Kollege Maurer angesprochen , den Menschen klar zu machen, dass es in Europa Aufgaben gibt, die so groß sind, die so gewaltig sind, dass sie von den Nationalstaaten nicht bewältigt werden können. Die

Beispiele sind genannt worden: Das ist die europäische Außenpolitik, die leider noch rudimentär ist, das ist eine europäische Sicherheitspolitik der Kollege Maurer hat zu Recht darauf hingewiesen , das ist eine Währungspolitik, die wir kennen, und das ist übrigens auch der Kampf gegen die organisierte Kriminalität riesige Aufgaben, für deren Bewältigung die Nationalstaaten zu klein sind.

Aber auf der anderen Seite gibt es eben so genannte kleine Aufgaben „klein“ nicht im Sinne von unbedeutend, sondern im Sinne von direkt beim Bürger angesiedelt , für deren Bewältigung im Grunde schon die Nationalstaaten und erst recht die Europäische Union viel zu groß sind.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Diesen Grundgedanken müssen wir den Menschen nahe bringen, und er muss auch Eingang in die Diskussionen im Konvent finden.

Noch einmal: Ich bin sehr zuversichtlich, dass es gelingen kann, den Menschen klar zu machen, dass wir Aufgaben haben, bei denen wir auch als Länder nicht fürsorgliche Hilfe benötigen, sondern die wir selbst auch besser organisieren können. Diesen europäischen Reformprozess das will ich ausdrücklich sagen können wir dadurch unterstützen, dass wir uns für die Stärkung des Föderalismus einsetzen, für eine Form, die einen Föderalismus von unten darstellt.

Deshalb muss auch klar sein: Wir wollen dieses Europa, aber es darf nicht dazu führen, dass die kommunale Selbstverwaltung unserer Städte und Gemeinden darunter leidet. Wir wollen in diesem Europa keine Schwächung, sondern eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Im Übrigen sollte der Landtag ein Zusätzliches tun. Wir sprechen ja auch über die Frage: Wie können wir die Arbeit des Konvents begleiten, auch in der praktischen Arbeit des Landtags von Baden-Württemberg? Meine Damen und Herren, ich bin nach wie vor selbstkritisch der Meinung, dass sich der Landtag von Baden-Württemberg mit diesen europäischen Themen immer noch nicht in einer Weise beschäftigt, die deren Bedeutung auch für unser eigenes Land gerecht wird.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der Grünen)

Deshalb wollen und müssen wir diese Debatte zu Europa heute auch dazu nutzen, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir das Thema Europa im Landtag stärker diskutieren können. Dies ist kein Plädoyer dafür, jedenfalls nicht von vornherein damit Sie mich da richtig verstehen , dass wir einen eigenständigen Europaausschuss installieren sollten. Denn ich bin der Meinung: Das Thema Europa ist eine Querschnittsaufgabe. Aber wenn man sich die Tagesordnungen unserer Ausschüsse ansieht Wissenschaftsausschuss, Schulausschuss, Wirtschaftsausschuss, wie sie alle heißen; mit Ausnahme des Ständigen Ausschusses, wo das Thema im Augenblick angesiedelt ist , dann müsste man sich eigentlich wünschen, dass in der Zukunft, unabhängig

davon, ob dazu Anträge vorliegen, bei jeder Sitzung eines Fachausschusses das Thema Europapolitik in irgendeiner Form im Rahmen eines Tagesordnungspunkts erörtert wird. Das ist wichtig auch für unser Land.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, Theodor Heuss hat von BadenWürttemberg als einem Modell deutscher Möglichkeiten gesprochen. Wir können nach 50 Jahren Baden-Württemberg ohne Arroganz sagen, dass Baden-Württemberg ein Modell europäischer Möglichkeiten ist. Wir sind europäisches Kernland. Es ist unsere Aufgabe, ein Modell europäischer Möglichkeiten zu schaffen. Wir sollten daran arbeiten, diesem Anspruch in der täglichen Praxis noch mehr zu entsprechen. Dazu muss der Landtag in der Zukunft einen noch größeren Beitrag leisten. Dazu muss auch der Konvent einen Beitrag leisten. Ich wünsche dem Ministerpräsidenten dieses Landes, der Mitglied im Konvent ist, eine glückliche Hand.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Salomon.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Zuruf: Oberrheinrat!)

„Oberrheinrat“ wird mir hier zugerufen, genau.