Protocol of the Session on October 6, 2005

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Genau!)

Ich kann nur sagen – ich habe das Beispiel mit den Traktorensitzen gebracht –, auch die Länderregierungen müssen aufhören, neue Regelungen zu verlangen, weil sie denken, irgendetwas nütze einer bestimmten Firma in ihrem Land. Sonst macht das Ganze keinen Sinn.

Ein dritter Punkt – damit komme ich zu dem, was in der öffentlichen Diskussion unbedingt vorkommen muss –: Wir müssen den Menschen wieder vermitteln, wie wichtig Europa ist.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Sie dürfen nicht das Gefühl haben, es gehe nur um freien Warenaustausch, es gehe nur darum, frei über die Grenzen fahren zu können und eine gemeinsame Währung zu haben.

(Abg. Fleischer CDU: Das geht aber nur, wenn wir sie nicht überfordern!)

Ja, wir wollen sie nicht überfordern. Dazu komme ich noch. – Wichtig ist – das müssen wir den Menschen immer wieder verdeutlichen –: Wir leben, weil es diese EU gibt, seit 60 Jahren in Europa in Frieden. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Europa ist für uns der wichtigste Exportmarkt – das glauben manche nicht, weil immer nur über die Zahlungen gesprochen wird –; das meiste, das wir in Deutschland an Geld verdienen, wird in Europa verdient. Würde es die EU nicht

geben, dann würde es in Deutschland wesentlich schlimmer mit der Wirtschaft aussehen.

Herr Kollege Stächele, Herr Minister, nun komme ich zu einem weiteren Punkt, der wichtig ist. Vorhin wurde gesagt: Reden Sie nicht nur in Brüssel über Europa. Ich sage: Reden Sie auch nicht nur in der Villa Reitzenstein über Europa, sondern reden Sie mit den Menschen im Land über Europa. Das ist aber nicht nur Ihre Aufgabe, sondern die Aufgabe aller, die hier im Parlament versammelt sind.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Was wir dazu brauchen, ist – das wäre ein erster Schritt; der Kollege von der SPD hat das angesprochen – ein Europaausschuss. Wir sind so ziemlich das letzte Bundesland, das keinen Europaausschuss hat. Ich sage Ihnen einmal, was der CDU-Abgeordnete Aloys Lenz, der Vorsitzende des hessischen Europaausschusses, dazu schreibt. Ich zitiere:

Kernelement parlamentarischer, auf die Rahmenbedingungen des europäischen Ebenensystems ausgerichteter Strukturreform ist die Einrichtung eines europapolitischen Ausschusses.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Herr- mann CDU: Das ist bei uns der Ständige Aus- schuss!)

Der hat einen ganz anderen Stellenwert, Kollege Herrmann. Da können Sie sich noch jahrelang herausreden.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

Wenn Europa so wichtig ist, wie Sie alle behaupten, dann müssen wir einen Europaausschuss einrichten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Herrmann CDU: Eben nicht!)

Sie glauben nämlich, dass Sie Europa im Sinne der Menschen auch, ohne groß im Landtag darüber zu diskutieren, managen können. Das halte ich für völlig falsch.

(Abg. Herrmann CDU: Ohne eigenen Ausschuss! Wir diskutieren das doch jetzt! – Abg. Zimmer- mann CDU: Wir haben doch schon einen Aus- schuss dafür!)

Deshalb werden wir in der neuen Legislaturperiode – hoffentlich gemeinsam – diesen Europaausschuss einsetzen.

(Abg. Herrmann CDU: Wir nicht! – Gegenruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE: Vielleicht werden Sie gar nicht wiedergewählt!)

Ja, Sie wollen nie dazulernen. Das weiß ich.

Ein letzter Punkt: Beitritt der Türkei. Es geht doch jetzt nicht darum, wo die Töchter des derzeitigen Ministerpräsidenten studieren, sondern es geht auch um eine Perspektive für die Türkei.

(Abg. Fleischer CDU: Von welchen Töchtern reden Sie? Skandal!)

Wir alle wissen: Derzeit ist die Türkei nicht in der Lage, der EU beizutreten. Es geht um einen Zeitrahmen von 15 oder 20 Jahren. Es wird so getan, als würde die Türkei im nächsten Jahr der EU beitreten. Darum geht es nicht.

(Abg. Herrmann CDU: In den nächsten 20 Jahren!)

Es geht um einen Zeitraum von vielleicht 15 oder 20 Jahren. Wenn wir jetzt aufhören, mit der Türkei über einen Beitritt zu sprechen, stärken wir genau die Kreise, die auch Sie nicht stärken wollen, nämlich die fundamentalistischen Kreise.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das ist richtig! – Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

Wir können uns auch sicherheitspolitisch nicht erlauben, dass wir vor den Toren Europas ein Land haben, das sicherheitspolitisch nicht mehr zu uns steht. Es ist ein großer Fehler, den Sie da begehen.

(Abg. Herrmann CDU: Was machen wir mit dem Iran? Vor den Grenzen Europas stehen die! – Zu- ruf: Irak, Iran, Türkei! – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Ich verstehe das wirklich nicht. Meine Damen und Herren, wenn Sie den Irak oder den Iran mit der Türkei gleichsetzen, zeigt das nur, wie wenig Sie überhaupt begriffen haben.

(Beifall bei den Grünen – Zurufe der Abg. Beate Fauser FDP/DVP und Fleischer CDU)

Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Wir müssen die reformorientierten Kräfte in der Türkei stärken.

(Abg. Fleischer CDU: Aber doch nicht durch die Aufnahme in die EU! – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Der türkische Ministerpräsident ist nicht unbedingt ein Vorbild. – Lassen Sie mich doch einmal ausreden, und bleiben Sie einmal ruhig!

(Abg. Fleischer CDU: Ja! Ich bin sehr ruhig!)

Was mich optimistisch stimmt, ist: Sobald Sie in Berlin einmal in irgendeiner Weise mitregieren, kommen auch Regierungsmitglieder Ihrer Partei nach Amerika.

(Abg. Mack CDU: Ihr regiert nicht mit, das ist schon mal sicher!)

Wenn ich sehe, wie amerikagläubig Sie in Sachen des IrakKriegs waren – dann würden jetzt deutsche Soldaten im Irak stehen –

(Abg. Mappus CDU: Stimmt doch gar nicht! – Ge- genruf des Abg. Drexler SPD: Natürlich stimmt das! – Abg. Fleischer CDU: Das ist eine böse Lü- ge! – Abg. Herrmann CDU: Der erste Bundeswehr- einsatz wurde von den Grünen mit beschlossen! – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Aber nicht im Irak, sondern im Kosovo! – Abg. Mappus CDU: Ist Ihre Redezeit nicht abgelaufen? – Unru- he)

das wollen Sie nicht hören, aber so ist es doch –, dann glaube ich, Sie wären dann auch bereit, genau das zu tun, was die USA von Europa verlangen und fordern, nämlich die Türkei in einem absehbaren Zeitraum aufzunehmen. Das ist auch genau das, was Ihr Helmut Kohl gefordert hat, als Sie noch an der Regierung waren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE zur CDU: Ihr Helmut Kohl! – Abg. Mappus CDU: Das ist jetzt völliger Quatsch! – Abg. Mack CDU: Sie fordern von uns Vasallentreue! – Abg. Herrmann CDU: Nein, er wollte, dass die Türkei zum europäischen Wirtschaftsraum gehört! Das ist das, was der Wal- ter nicht kapieren will! – Unruhe)

Das Wort erhält Herr Minister Stächele.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind alle dankbar dafür, dass heute einmal ein Vormittag mit Europapolitik bestritten wird.

(Abg. Theurer FDP/DVP: So ist es!)

Das hat es viel zu selten gegeben. Deswegen hat diese Debatte all denen, die in der Europapolitik engagiert sind, auch Mut gemacht.

Der Europabericht liegt mit Bild und Inhalt vor und stößt auf große Nachfrage.

(Heiterkeit und Beifall des Abg. Theurer FDP/ DVP)

Aber, lieber Kollege Rust, gestatten Sie mir eine Anmerkung. Ich mache in diesen zehn Jahren, in denen es den Europabericht nun gibt, alle Debatten mit und habe ihn hier auch ein paar Mal als Sprecher vertreten. Es gab einen guten Grund, dass wir den Bericht gekürzt haben, nämlich das Stöhnen und die Aussagen aller, 200 Seiten nicht bewältigen zu können.