Protocol of the Session on November 23, 2000

(Zuruf des Abg. Mayer-Vorfelder CDU)

die Zahlen derjenigen, die hier bleiben dürfen, sehr viel größer, als Sie sagen. Das heißt, die Abschaffung des Asylrechts würde Ihrem Anliegen überhaupt nichts nutzen. Das ist reine Nebelkerzenwerferei.

(Abg. Mayer-Vorfelder CDU meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Haben Sie eine Zwischenfrage? – Sie immer.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Dr. Salomon, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Mayer-Vorfelder?

Aber gern. Ich freue mich darauf.

Bitte schön, Herr Abg. Mayer-Vorfelder.

Ist das heute ein Auswärtsspiel für Sie wie für Beckenbauer, oder ist das jetzt ein Heimspiel?

Herr Beckenbauer,

(Große Heiterkeit – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Da sieht man, wo er sich immer herumtreibt!)

Herr Salomon, bestreiten Sie, dass der Begriff „Multikulti“ über zwei Jahrzehnte hinweg der Leitbegriff der Grünen war?

Das zu bestreiten wäre unsinnig. Die Frage ist doch nur, ob das stimmt, was Herr Schlierer dem Begriff unterstellt, dass er einen Kulturrelativismus hinnehmen würde, und das ist nicht der Punkt.

(Abg. Keitel CDU: Antwort! – Abg. Herrmann CDU: Jetzt weicht er aus! – Abg. Dr. Birk CDU: Er weicht aus!)

Das war er noch nie. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Multikulti hat immer stattgefunden, auch in der Theorie, auf der Grundlage unserer Verfassung und unserer Rechtsordnung.

(Abg. Mayer-Vorfelder CDU: Aber davon haben Sie nie geredet! Sie haben immer nur von „Multi- kulti“ geredet! – Beifall bei der CDU und den Re- publikanern)

Jetzt hören Sie doch auf!

(Abg. Bebber SPD: Da hat sich wieder einer ge- dopt!)

Noch ein letztes Wort, das deutlich macht, dass hier endlich einmal Fahrt in die Diskussion gekommen ist, ein Wort zum Thema Greencard. Sie merken ja jetzt, was in der Wirtschaft los ist. Heute jammert der Hotel- und Gaststättenverband.

(Abg. Deuschle REP: Der jammert nur noch!)

Das Thema Bosnier ist im Prinzip das gleiche Thema.

(Zuruf des Abg. Döpper CDU)

Wir haben Arbeitskräftemangel. Und was das Thema Greencard betrifft, da können Sie mal zu den Start-up-Unternehmen gehen. Die werden Ihnen Folgendes sagen: „Die Greencard ist eigentlich schon recht.“ Aber Living Systems in Donaueschingen sagt mir: „Ich hatte zwei gute Rumänen an der Hand. Die waren froh, dass sie zu uns kommen konnten. Dann haben sie die öffentliche Diskussion mitgekriegt. Zwei Monate später waren sie weg. Dann waren sie in Kanada, denn in Kanada können sie nach drei Jahren Kanadier werden, können sich ein Haus bauen, eine Familie gründen. Das können sie in Deutschland alles nicht.“

(Zuruf des Abg. Mayer-Vorfelder CDU)

Greencard war ein erster Schritt, aber nicht ausreichend. Wenn der Herr Ministerpräsident sagt, dies sei ein Flop, dann liegt das daran, dass die Debatte darüber nicht mit einer Einwanderungsdebatte verbunden worden ist. Das ist der Punkt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf des Abg. König REP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oettinger.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Einige Fragen wurden jetzt sachlich aufgegriffen. Auf diese gehe ich ein. Aber einige Fragen stehen immer noch völlig unbeantwortet im Raum.

Kollege Maurer, wie halten Sie es mit Ihrer Spitzenkandidatin, die im September nochmals einen Volksentscheid in Sachen Einwanderung vorgeschlagen hat?

(Abg. Deuschle REP: Sehr gut!)

Sind Sie der Meinung, dass dieses Thema in seiner Differenziertheit, die Sie ja vorhin in Ihrem Redebeitrag auch aufgezeigt haben, betrachtet werden muss? Sie glauben ja auch, dass man nicht zuspitzen soll, nicht mit Nein oder Ja

antworten kann, sondern sachbezogen vorgehen muss. Eignet sich dieses Thema, wie Frau Vogt meint, für einen Volksentscheid, oder sind Sie meiner Meinung, dass dies nicht der richtige Verfahrensweg sein kann?

Zweite Frage: Es gibt ja immer noch einen Innenminister auf Bundesebene, der Ihrer Partei angehört. Er ist zwar seit einigen Wochen in der Tat nicht mehr hörbar und sichtbar,

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Das stimmt!)

aber seine Bewertungen waren eindeutig und wurden von ihm bisher nicht zurückgenommen und von Ihnen nicht widerlegt. Schily sagt: Mehr Zuwanderung geht nicht. Schily ist für eine Grundgesetzänderung. Wie halten Sie es mit Schily? Wie halten Sie es mit Vogt? Sie weichen im Grunde genommen diesen unbequemen Fragen nur aus.

Drittens: Kollege Salomon, unsere Fragen zum Asylrecht haben mit Polemik überhaupt nichts zu tun.

(Abg. Hehn CDU: So ist es!)

Gehen wir einmal konkret auf die Frage ein: Wozu verpflichtet uns die Menschenrechtskonvention, wozu die Genfer Vereinbarung,

(Zuruf der Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grü- nen: Deutlich mehr als beim Asyl!)

und inwieweit geht das Grundgesetz darüber hinaus?

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Es ist umgekehrt!)

Sie haben gerade eben mit gewisser Befriedigung und mit Stolz gesagt: Die Zahlen sind doch schon weit besser als vor einigen Jahren. Ja warum sind sie denn besser, nicht mehr so schlecht, wie sie 1993, 1992, 1991 waren? Weil Gott sei Dank, wenn auch sehr spät, die Sozialdemokratie auf unser Drängen hin – CDU, CSU und weite Teile der FDP – zu einer Änderung des Grundgesetzes – Artikel 16 zu Artikel 16 a – bereit gewesen ist.

(Beifall bei der CDU)

Sie waren dazu nicht bereit.

(Zuruf der Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Birzele SPD: Die Behauptung ist seit sieben Jahren widerlegt! Das ist schlicht falsch!)

In Ihrer Rede gerade eben haben Sie ausgeführt: Die Zahlen sind ja schon auf dem richtigen Weg, der Missbrauch hat eine kleinere Dimension. Wenn dem so ist, wenn also die Grundgesetzänderung ein wichtiger Teilerfolg war, stehen Sie dann jetzt dazu? Tragen Sie sie mit, oder ist Ihre Haltung immer noch die von 1993 und früher? Sie sind eine Erklärung schuldig, ob Artikel 16 a des Grundgesetzes dem entspricht, was aus Ihrer Sicht richtiges Asylrecht bedeutet.

(Abg. Birzele SPD: Die Grundgesetzänderung spielt überhaupt keine Rolle!)

Noch einmal zum Unterschied zwischen Menschenrechtskonvention und Grundgesetz. Die Menschenrechtskonvention schreibt zum Beispiel keinen perfekten Rechtsweg mit Berufung und Revision in Instanzen vor. Die Menschenrechtskonvention schreibt nicht vor, dass in einer Familie jeder Einzelne zu prüfen und im Verfahrensweg zu halten ist. Kurzum, es kann sein, dass eine Änderung unseres Asylrechts und eine Anpassung an das, was die Menschenrechtskonvention uns unstreitig an Pflichten auferlegt, eine Änderung auf Bundesebene, vielleicht auch eine Änderung von Artikel 16 a, Artikel 19 Abs. 4 und Artikel 20, geboten ist.

Die Frage ist: Sind Sie im Grundsatz zu einer ergebnisoffenen Prüfung dieser Frage bereit, oder ist für Sie das Grundgesetz ein geschlossenes Buch, an das nicht herangegangen werden kann? Ich glaube, die Ergebnisoffenheit ist hierbei ein wichtiger Faktor für Ihre Glaubwürdigkeit.